Urteilskopf
133 V 556
70. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen Schweizerische Eidgenossenschaft sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
H 153/06 vom 27. August 2007
Regeste
Art. 5 Abs. 2 AHVG
;
Art. 8 lit. a AHVV
;
Art. 105 BPV
; Begriff der reglementarischen Beiträge.
Die vom VBS in Form von Deckungskapitalien zu Gunsten einzelner versicherter Personen im Zusammenhang mit deren vorzeitiger Pensionierung der Pensionskasse des Bundes/Publica erbrachten Zahlungen fallen nicht unter den Begriff der vom massgebenden Lohn ausgenommenen reglementarischen Beiträge im Sinne von
Art. 8 lit. a AHVV
(E. 7).
A.
Im Auftrag der Eidgenössischen Ausgleichskasse (EAK) am 9./10. Juni 2004 und 17./18. Februar 2005 durchgeführte Arbeitgeberkontrollen förderten zu Tage, dass das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) über Zahlungen gegenüber der AHV nicht abrechnete, welche es in Form von Deckungskapitalien zu Gunsten einzelner versicherter Personen im Zusammenhang mit deren vorzeitiger Pensionierung der Pensionskasse des Bundes und deren Nachfolgeorganisation, der Publica, erbracht hatte. Die EAK betrachtete diese Einlagen als massgebenden Lohn, weshalb sie mit Verfügung vom 22. August 2005, bestätigt durch Einspracheentscheid vom 21. November 2005, die Nachzahlung paritätischer Beiträge in Höhe von insgesamt Fr. 1'140'996.70 (einschliesslich Verzugszinsen) anordnete.
B.
Die seitens der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vertreten durch das VBS, dieses vertreten durch die Führungsunterstützungsbasis (FUB), erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 20. Juni 2006 gut, indem es den Einspracheentscheid vom 21. November 2005 aufhob.
C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid der Vorinstanz sei aufzuheben.
Während die FUB auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt die EAK deren Gutheissung.
D.
Das Gericht hat am 27. August 2007 eine parteiöffentliche Beratung durchgeführt.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
BGE 133 V 556 S. 558
Aus den Erwägungen:
4.
Nach
Art. 5 Abs. 1 und
Art. 14 Abs. 1 AHVG
werden vom Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Beiträge erhoben. Als massgebender Lohn gemäss
Art. 5 Abs. 2 AHVG
gilt jedes Entgelt für in unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge der Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder Zuwendung, die sonst wie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht ausgenommen ist. Grundsätzlich unterliegen nur Einkünfte, die tatsächlich geflossen sind, der Beitragspflicht (
BGE 133 V 153
E. 3.1 S. 156 mit Hinweisen).
Gestützt auf
Art. 5 Abs. 4 AHVG
kann der Bundesrat unter anderem Sozialleistungen vom Einbezug in den massgebenden Lohn ausnehmen. Die übrigen Gegenstände der an den Bundesrat delegierten Rechtssetzung im Bereich des massgebenden Lohns (anlässlich besonderer Ereignisse erfolgende Zuwendungen eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer [
Art. 5 Abs. 4 AHVG
], die geringfügigen Entgelte aus Nebenerwerb [Art. 5 Abs. 5 erster Satz AHVG] sowie Stipendien und ähnliche Leistungen [Art. 5 Abs. 5 zweiter Satz AHVG]) spielen zur Beurteilung der Sache keine Rolle. Zu prüfen ist einzig, wie der Bundesrat den Begriff der Sozialleistungen konkretisiert hat.
5.1
Die Regelung der Beiträge der erwerbstätigen Versicherten auf Verordnungsstufe (
Art. 6 ff. AHVV
) zeichnet sich dadurch aus, dass zunächst der Grundsatz der generellen Beitragspflicht für Einkommen irgendwelcher Art, sofern es nur "aus einer Tätigkeit" (vgl.
Art. 4 Abs. 1 AHVG
) erzielt wird, der Beitragspflicht unterliegt (
Art. 6 Abs. 1 AHVV
). Abs. 2 des
Art. 6 AHVV
zählt abschliessend Ausnahmen vom beitragspflichtigen Erwerbseinkommen auf, darunter namentlich Versicherungsleistungen (lit. b) und reglementarische Leistungen von Einrichtungen der beruflichen Vorsorge
BGE 133 V 556 S. 559
unter näher umschriebenen Voraussetzungen (lit. h). Es folgen Sonderregelungen über das im Ausland (
Art. 6
ter
AHVV
) und nach Eintritt ins Rentenalter erzielte Erwerbseinkommen (
Art. 6
quater
AHVV
).
Art. 7 AHVV
zählt in nicht abschliessender Weise die Bestandteile des massgebenden Lohnes auf, unter anderem Leistungen des Arbeitgebers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, soweit sie nicht im Sinne von
Art. 8
ter
AHVV
vom massgebenden Lohn ausgenommen sind (Art. 7 lit. q erster Satz AHVV).
Art. 8 lit. a AHVV
stellt vom massgebenden Lohn frei reglementarische Beiträge des Arbeitgebers an Vorsorgeeinrichtungen, welche die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach dem Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) erfüllen. Während lit. b, c und d des
Art. 8 AHVV
weitere im Zusammenhang mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer stehende Entgelte vom massgebenden Lohn freistellen,
Art. 8
bis
AHVV
sodann die geringfügigen Entgelte aus Nebenerwerb, definiert der durch Verordnungsänderung vom 18. September 2000, in Kraft seit 1. Januar 2001 (AS 2000 S. 2629), eingefügte
Art. 8
ter
AHVV
als Sozialleistungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, soweit die Leistungen acht Monatslöhne nicht übersteigen: Abgangsentschädigungen (lit. a), Abfindungen an nicht obligatorisch berufsvorsorgerechtlich versicherte Arbeitnehmer (lit. b), Vorruhestandsleistungen (lit. c) und Entschädigungen bei Entlassungen im Falle von Betriebsschliessung oder -zusammenlegung ("Sozialplan"; lit. d).
5.2
Da der Gesetzgeber - gewissen Unterschieden zum Trotz - grundsätzlich eine Gleichbehandlung der erwerbstätigen Versicherten anstrebt, rechtfertigt sich auch ein Blick auf die Regelung für Selbstständigerwerbende, soweit es um Zahlungen im Bereich der beruflichen Vorsorge geht.
Art. 9 Abs. 2 lit. d AHVG
lässt als Abzug vom rohen Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit (neben Zuwendungen für ausschliesslich gemeinnützige Zwecke) die Zuwendungen zu, die Geschäftsinhaber in der Berechnungsperiode für Zwecke der Wohlfahrt ihres Personals machen, sofern sichergestellt ist, dass jede spätere zweckwidrige Verwendung ausgeschlossen ist, wobei aber wegen der auf dem Bruttolohn bestehenden paritätischen Beitragspflicht (
Art. 5 und 12 AHVG
) die Leistungen des Selbstständigerwerbenden an die 1. Säule nicht abgezogen werden können (Art. 9 Abs. 2 lit. d in fine AHVG). Weiter sind abzugsfähig die persönlichen Einlagen in Einrichtungen der beruflichen
BGE 133 V 556 S. 560
Vorsorge, soweit sie dem üblichen Arbeitgeberanteil entsprechen (
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG
).
Art. 18 Abs. 1 AHVV
erklärt für die Ausscheidung und das Ausmass gerade der Abzüge nach
Art. 9 Abs. 2 lit. d und e AHVG
die Vorschriften über die direkte Bundessteuer für massgebend.
(...)
7.1
Die Einzahlungen des Bundes an die Publica, erfolgt aus Anlass vorzeitiger Pensionierung nach Massgabe der in Art. 105 der Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 (BPV; SR 172.220. 111.3) umschriebenen Voraussetzungen, fallen zweifellos unter den Begriff des massgebenden Lohnes im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 AHVG
. Denn es handelt sich hiebei um die Einräumung geldwerter Vorteile, welche aus dem - vorzeitig und ohne Verschulden seitens des Versicherten - beendeten Arbeitsverhältnis erbracht werden. Es handelt sich klar um unfundiertes Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit, das der Beitragspflicht nach Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 5 und 12 AHVG
grundsätzlich unterliegt.
7.2
Fragen kann sich einzig, ob der Freistellungstatbestand des
Art. 8 lit. a AHVV
gegeben ist. Der Rechtssinn dieser Verordnungsbestimmung ist nach den üblichen Auslegungsregeln zu ermitteln, wobei zusätzlich zu beachten ist, dass es sich um eine Verordnungsnorm handelt, welche einerseits an die formellgesetzlichen Vorgaben und Werte und anderseits an den dem Bundesrat eingeräumten Rahmen zur delegierten Rechtsetzung gebunden ist (
BGE 131 V 263
E. 5.1 S. 266 f.; Urteil des Bundesgerichts H 121/06 vom 25. Januar 2007, E. 5 nicht publ. in
BGE 133 V 153
, aber publ. in: SVR 2007 AHV Nr. 5 S. 13).
7.3
Dass die Zahlungen des Bundes an die Publica bei unverschuldeter vorzeitiger Pensionierung unter den in
Art. 8 lit. a AHVV
verwendeten Begriff der "Beiträge des Arbeitgebers an Vorsorgeeinrichtungen" fallen, ist nicht in Abrede zu stellen. Das Eidg. Versicherungsgericht hat in anderem Zusammenhang Einmalzahlungen periodischen Beiträgen gleichgesetzt (
BGE 129 V 293
zu
Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG
).
7.4
Streitig ist hingegen, ob es sich um "reglementarische" Beiträge handelt. Die Verordnung bringt damit zum Ausdruck, dass nicht sämtliche und irgendwelche Beiträge des Arbeitgebers an Vorsorgeeinrichtungen in der 1. Säule beitragsbefreit sein sollen,
BGE 133 V 556 S. 561
sondern nur solche "reglementarischer" Natur. Wortlaut, Systematik sowie Ziel und Zweck machen klar, was mit dieser Freistellung vom beitragspflichtigen massgebenden Lohn erreicht werden wollte: Was der Arbeitgeber gestützt auf - ihm grundsätzlich entzogene, jedenfalls nicht ad hoc im Einzelfall abänderbare - normative Grundlagen zu bezahlen hat, sei es regelmässig, periodisch oder eben im Fall einer vorzeitigen Pensionierung, soll von der AHV-rechtlichen Beitragspflicht befreit sein. Das ist der Normzweck, von welchem die von den Verfahrensbeteiligten angerufene Rechtsprechung, namentlich AHI 2004 S. 253, H 32/04, ausgeht.
7.5
Im öffentlichen Recht besteht nun die Besonderheit, dass sowohl das Arbeitsverhältnis (Dienstverhältnis) als auch das Berufsvorsorgeverhältnis sehr oft durch den gleichen Erlassgeber normiert sind. Es sind zwar verschiedene Stufen der Normsetzung denkbar; doch ändert dies nichts daran, dass das Gemeinwesen in gleicher Weise befugt ist, das Dienstverhältnis, den Anschlussvertrag und die vorsorgerechtlichen Beziehungen durch öffentlich-rechtlichen Erlass zu regeln. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis des BSV auf die Rechtsgleichheit von Bedeutung, welche bei der Verordnungsauslegung als normmittelbares Element ebenfalls zu berücksichtigen ist. Es ginge in der Tat nicht an, die öffentlichen Arbeitgeber gegenüber der Privatwirtschaft nur deswegen bezüglich Befreiung von Beiträgen an die berufliche Vorsorge von der AHV-Beitragspflicht besserzustellen, weil sie befugt sind, alle drei Rechtsbeziehungen hoheitlich, durch öffentlich-rechtlichen Erlass zu ordnen. Auch kann auf die Unterscheidung von Arbeitsvertrags- und Vorsorgerecht im Lichte des BVG an sich nicht verzichtet werden, namentlich nicht unter dem Gesichtspunkt der paritätischen Verwaltung (
Art. 51 BVG
), welche zwar auch im weitergehenden Vorsorgebereich anwendbar ist, sich jedoch immer nur auf berufsvorsorgerechtliche Belange bezieht, nicht solche anschluss- oder (gesamt)arbeitsvertragsrechtlicher Natur. Im vorliegenden Fall geht es um Vorruhestandsregelungen, welche sowohl bezüglich ihrer Normierung und Anwendung im Einzelfall in der Kompetenz des Bundes als Arbeitgeber liegen, wobei er die Bedingungen der Leistungsausrichtung grundsätzlich jederzeit ändern kann.
7.6
Gegen die Annahme reglementarischer Beiträge im Sinne von
Art. 8 lit. a AHVV
spricht indessen letztlich entscheidend der Umstand, dass die Eidgenossenschaft als Arbeitgeberin frei darüber befindet, welche Arbeitnehmer in einer konkreten betrieblichen
BGE 133 V 556 S. 562
Situation vorzeitig pensioniert und welche weiterbeschäftigt werden sollen. Spricht sich die zuständige Amtsstelle - in Wahrnehmung ihres Führungsauftrages und des ihr dabei zustehenden Gestaltungsspielraumes im Rahmen bundesrätlicher oder departementaler Vorgaben - für die erste Variante aus, müssen als zwangsläufige Folge dieses Unternehmensentscheides der Publica durch den Bund (oder den angeschlossenen Betrieb) gestützt auf
Art. 105 Abs. 3 BPV
die fehlenden Deckungskapitalien erstattet werden. Die Zahlungspflicht erwächst dem Bund mithin nur und erst,
weil und nachdem
das (im Rahmen weitergehender beruflicher Vorsorge) versicherte Risiko der unverschuldeten Entlassung in Form einseitig angeordneter vorzeitiger Pensionierung schon herbeigeführt worden ist. Demgegenüber meint reglementarische Beiträge im Sinne der Verordnungsbestimmung finanzielle Zuwendungen an die berufliche Vorsorge, welche - wie es deren Wesen als Versicherung entspricht -
vor
Eintritt der versicherten Risiken verbindlich (durch Vertrag oder Gesetz) festgelegt worden und vom Arbeitgeber während des Vorsorgeverhältnisses oder spätestens im ebenfalls zum Voraus festgelegten künftigen Versicherungsfall zu entrichten sind. Wenn beispielsweise ein Gesamtarbeitsvertrag festlegt, dass die Arbeitnehmer mit 60 Jahren vorzeitig in Pension gehen können und der Arbeitgeber für die Kosten dieser Frühpensionierungen aufkommt, läge eine zum Abzug der Beiträge nach
Art. 8 lit. a AHVV
berechtigende Versicherungslösung vor. Davon kann hier nicht gesprochen werden, weil der Eidgenossenschaft die Pflicht zur Beitragsleistung erst entsteht, wenn das im Rahmen der weitergehenden beruflichen Vorsorge versicherte Risiko der unverschuldeten Entlassung sich verwirklicht hat. Die Pflicht zur Nachschussleistung nach
Art. 105 Abs. 3 BPV
ist daher nicht berufsvorsorge- und versicherungsrechtlicher Natur, sondern Ausdruck des Versorgungsprinzips, wie es dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zwischen dem Bund und seinen Angestellten in verschiedener Hinsicht zugrunde liegt.