BGE 135 III 92 vom 11. November 2008

Dossiernummer: 4A_372/2008

Datum: 11. November 2008

Artikelreferenzen:  Art. 134 IPRG, Art. 51 SVG , ; 2Ob48, ; 2Ob59

BGE referenzen:  83 IV 46, 115 II 484, 130 III 102 , 83 IV 46, 130 III 102, 127 III 248, 115 II 484

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

135 III 92


13. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. und C. Versicherungs Gesellschaft (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_372/2008 vom 11. November 2008

Regeste

Internationales Privatrecht; Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht.
Auslegung des Begriffs der Unfallbeteiligung im Sinne von Art. 4 lit. a und b des Übereinkommens (E. 3.2).

Sachverhalt ab Seite 92

BGE 135 III 92 S. 92

A. B. (Beschwerdegegner) ist Halter des Fahrzeuges Mercedes Benz C 180 mit dem Kennzeichen ZG x. Sein Bruder A. (Beschwerdeführer) lenkte das vorerwähnte Fahrzeug in der Nacht vom 16. auf den 17. August 2000 in der Nähe von D. in Nordostbosnien. In einer Linkskurve verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug. Er kam nach der Kurve von der Strasse ab und prallte gegen die Wand eines Bauernhauses.

B. Am 6. Dezember 2005 reichte der Beschwerdeführer gegen den Beschwerdegegner und dessen obligatorische Haftpflichtversicherung, die C. Versicherungs Gesellschaft (Beschwerdegegnerin), beim Kantonsgericht Zug Klage ein mit dem Begehren, sie solidarisch zu verpflichten, ihm einen Betrag nach freiem richterlichem
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Ermessen zu bezahlen. Den Streitwert bezifferte er auf Fr. 200'000.-. Zur Begründung führte er insbesondere aus, er sei von einem entgegenkommenden Fahrzeug, bei dem das Fernlicht eingeschaltet gewesen sei, geblendet worden. In einer Panikreaktion habe er das Steuer herumgerissen, wobei sein Fahrzeug ins Schleudern geraten und von der Strasse abgekommen sei. Während die drei Mitfahrer nur leichte Verletzungen erlitten hätten, sei er in schwerster Weise in seiner körperlichen Integrität beeinträchtigt worden und seit dem Unfall auf den Rollstuhl angewiesen. Das Kantonsgericht wies die Klage am 2. April 2007 infolge fehlender Passivlegitimation der Beschwerdegegner ab.
Gegen dieses Urteil gelangte der Beschwerdeführer mit kantonaler Berufung an das Obergericht des Kantons Zug. Er begehrte, in Aufhebung des angefochtenen Urteils seien die Beschwerdegegner zu verpflichten, ihm einen Betrag nach freiem richterlichem Ermessen zu bezahlen. Der Streitwert betrage Fr. 200'000.-. Eventuell sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem sei Vormerk zu nehmen, dass es sich um eine Teilklage handle. Das Obergericht wies am 10. Juni 2008 die Berufung ab und bestätigte das Urteil des Kantonsgerichts. Es hielt mit dem Kantonsgericht dafür, dass die vorliegende Streitigkeit gemäss Art. 134 IPRG i.V.m. Art. 3 des Haager Übereinkommens vom 4. Mai 1971 über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht nach innerstaatlichem Recht von Bosnien-Herzegowina zu beurteilen sei. Nach bosnisch-herzegowinischem Recht trete die Haftung der Person, der das Fahrzeug anvertraut wurde, vollständig an die Stelle der Haftung des Fahrzeughalters. Der Beschwerdeführer habe demnach den von ihm geltend gemachten selbst erlittenen Schaden alleine zu tragen und die Beschwerdegegner seien diesbezüglich nicht passivlegitimiert.

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des Urteils des Obergerichts vom 10. Juni 2008. Die Beschwerdegegner seien zu verpflichten, ihm bei einem Streitwert von Fr. 200'000.- einen Betrag nach freiem richterlichem Ermessen zu bezahlen. Eventuell sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese ein Beweisverfahren vor dem Kantonsgericht anordne. Es sei Vormerk zu nehmen, dass es sich um eine Teilklage handle.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. (...)

3.1 Das anwendbare Recht, dem die geltend gemachten Ansprüche des Beschwerdeführers aus dem Strassenverkehrsunfall in Bosnien- Herzegowina unterstehen, richtet sich gemäss Art. 134 IPRG (SR 291) nach dem Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (SR 0.741.31; im Folgenden: SVÜ).
Art. 3 SVÜ erklärt grundsätzlich das Recht jenes Staates für anwendbar, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Neben dieser Grundsatzanknüpfung enthalten die Art. 4 ff. SVÜ Sonderanknüpfungen. Nach Art. 4 lit. a SVÜ ist insbesondere auf die Haftung gegenüber dem Fahrzeughalter das Recht des Zulassungsstaates anzuwenden, wenn nur ein Fahrzeug an dem Unfall beteiligt und dieses Fahrzeug in einem anderen als dem Staat zugelassen ist, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Sind mehrere Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt und alle Fahrzeuge im selben Staat zugelassen, gelangt ebenso das Recht des Zulassungsstaates zur Anwendung (Art. 4 lit. b SVÜ).

3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei nur das von ihm gelenkte Fahrzeug und nicht auch das entgegenkommende am Unfall beteiligt gewesen. Die Vorinstanz hätte somit seine Ansprüche gegenüber den Beschwerdegegnern in Anwendung von Art. 4 lit. a SVÜ nach Schweizer Recht beurteilen müssen.

3.2.1 Zur Auslegung des Begriffs der Unfallbeteiligung im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ ist zunächst der Wortlaut der englischen und französischen Originalfassungen zu konsultieren. Der englische Vertragstext verwendet in Art. 4 lit. a und b SVÜ den Begriff "involved" und der französische Text den Begriff "impliqué". Während "involved" kein schuldhaftes Mitwirken am Unfallgeschehen voraussetzt, kann dem Begriff "impliqué" zusätzlich auch die Bedeutung der schuldhaften Verursachung zukommen (ERIC W. ESSEN, Rapport explicatif, Conférence de La Haye de droit international privé, Actes et documents de la onzième session, 7 au 26 octobre 1968, Bd. III, Accidents de la circulation routière, 1970, Ziff. 7.1 f. zu Art. 4 SVÜ). In Art. 4 lit. a und b SVÜ ist der Begriff "impliqué" jedoch einzig in seiner objektiv neutralen Bedeutung zu verstehen, ohne dass darin eine Form von Schuldzuweisung zum Ausdruck
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käme (ESSEN, a.a.O., Ziff. 7.1 f. zu Art. 4 SVÜ; Botschaft vom 24. Oktober 1984 betreffend das Haager Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht, BBl 1984 III 915 ff., 924; DUTOIT, Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 4. Aufl. 2005, N. 12 zu Art. 134 IPRG ; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. II: Haftpflicht und Versicherung, 1988, N. 1945; VOLKEN, in: Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 2004, N. 77 zu Art. 134 IPRG ). Der Begriff der Unfallbeteiligung im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ ist in einem weiten Sinn auszulegen (BBl 1984 III 924; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, a.a.O., N. 1945). Jede Mitwirkung am Unfallgeschehen gilt in Bezug auf die Fahrzeuge als Beteiligung, das heisst, beteiligt im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ sind alle in den Unfall aktiv oder passiv verwickelten Fahrzeuge (MARTIN METZLER, Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung: Eine Übersicht zur internationalen Schadenregulierung, in: Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung 2003, Alfred Koller [Hrsg.], S. 175; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, a.a.O., N. 1945; VOLKEN, a.a.O., N. 91 zu Art. 134 IPRG ). Zum Begriff der Unfallbeteiligung im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ kann auch die Rechtsprechung und Lehre zu Art. 51 SVG beigezogen werden (SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, a.a.O., N. 1945; VOLKEN, a.a.O., N. 77 zu Art. 134 IPRG ; vgl. auch ESSEN, a.a.O., Ziff. 7.1 zu Art. 4 SVÜ), wonach an einem Unfall nicht nur als beteiligt gilt, wer einen Fehler begangen oder den Unfall direkt verursacht bzw. dazu beigetragen hat, sondern ebenso, wer in anderer Weise, auch nur indirekt, beim Zustandekommen des Unfalls mitgewirkt hat oder aufgrund der Umstände annehmen musste, als Unfallverursacher in Frage zu kommen (Urteil 6S.275/1995 vom 22. August 1995 E. 3b/aa, in: Pra 85/1996 Nr. 177 S. 647 ff.; BGE 83 IV 46 E. 2), so zum Beispiel durch Blenden oder Erschrecken eines am Unfall direkt Beteiligten (GIGER, Strassenverkehrsgesetz, 6. Aufl. 2002, N. 2 zu Art. 51 SVG ).

3.2.2 Die Vorinstanz hat demnach zu Recht das Vorliegen eines Selbstunfalles verneint und das entgegenkommende Fahrzeug als beteiligt im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ betrachtet. Wie sie in tatbeständlicher Hinsicht feststellte, wurde der Unfall nicht ausschliesslich durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers verursacht, sondern hat das entgegenkommende Fahrzeug am Unfall durch das Blenden mitgewirkt. Als den Unfall mitverursachendes Fahrzeug ist dieses daher in den Unfall verwickelt. Dass es dabei nicht zu einem Zusammenstoss resp. nicht einmal zu einem
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Berühren der beiden Fahrzeuge kam, ändert nach der oben dargelegten Auslegung nichts daran.
Soweit der Beschwerdeführer bei seinen rechtlichen Vorbringen zur Anwendung von Art. 4 lit. a SVÜ davon ausgeht, dass einzig sein Fahrfehler für den Unfall ursächlich gewesen sei und das entgegenkommende Fahrzeug bloss ein untergeordnetes und zufälliges Moment dargestellt habe, ist er nicht zu hören. Denn er legt damit seinen Ausführungen einen Sachverhalt zugrunde, der nicht den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz entspricht und auch aufgrund seiner erhobenen Sachverhaltsrüge nicht entsprechend korrigiert worden ist (vgl. nicht publ. E. 2; BGE 130 III 102 E. 2.2 S. 106; BGE 127 III 248 E. 2c; BGE 115 II 484 E. 2a). Dies gilt insbesondere, wenn er sich auf den österreichischen Obersten Gerichtshof beruft, der in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass der Ausdruck "beteiligt" in Art. 4 lit. a und b SVÜ im objektiven, weiteren Sinn dahingehend zu verstehen sei, dass das Fahrzeug beim Unfall eine aktive oder passive, aber nicht bloss eine zufällige Rolle gespielt habe (Urteile des OGH 2Ob314/97h vom 2. September 1999 ; 2Ob48 /93 vom 16. September 1993 ; 2Ob59 /89 vom 14. November 1989). Der Beschwerdeführer verkennt dabei, dass vorliegend in tatbeständlicher Hinsicht feststeht, dass das entgegenkommende, blendende Fahrzeug nicht bloss eine untergeordnete, rein zufällige Rolle gespielt hat.
Unerheblich sind zudem die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Rechtslage vor der Ratifizierung des SVÜ sowie zum Umstand, dass sich die Schweiz als Sozialstaat mit dem Beschwerdeführer finanziell auseinandersetzen müsse. Ebenso nicht stichhaltig sind seine Vorbringen zum Gutachten des Instituts für Rechtsvergleichung. Er verkennt, dass das Institut für Rechtsvergleichung nicht die Frage des anwendbaren Rechts, sondern einzig die Frage der Haftung nach bosnisch-herzegowinischem Recht darzustellen hatte.

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