Urteilskopf
136 V 131
17. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse Z. gegen T. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_848/2009 vom 6. Januar 2010
Regeste
Art. 90 und 98 BGG
;
Art. 26 Abs. 4 BVG
; Anfechtbarkeit eines Entscheides über die Vorleistungspflicht; Regressanspruch der vorleistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung.
Der Entscheid über die Vorleistungspflicht einer Vorsorgeeinrichtung ist ein Endentscheid im Sinne von
Art. 90 BGG
. Er ist nicht ein Entscheid über eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von
Art. 98 BGG
(E. 1.1 und 1.3.1).
Die Vorsorgeeinrichtung, welche Vorleistungen erbracht hat, kann unmittelbar von Gesetzes wegen im Umfang der geleisteten Zahlungen einen Regressanspruch gegen die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung geltend machen (E. 3.6).
A.
T., geboren 1960, arbeitete seit seiner Einreise in die Schweiz im Jahre 1986 auf dem Bau, zuletzt vom 1. April 2000 bis zum 28. Februar 2001 für die W. AG (berufsvorsorgerechtlich angeschlossen an die BVG-Sammelstiftung X., ab 2008 bei der Pensionskasse Y.) und vom 1. März 2001 bis 30. Juni 2003 bei der G. AG (berufsvorsorgerechtlich angeschlossen an die Pensionskasse Z.). Ab 10. Mai 2001 war er wegen eines Rückenleidens arbeitsunfähig und ab 1. Mai 2002 bezog er eine Invalidenrente der Invalidenversicherung (Verfügungen vom 11. November 2005 und 20. Januar 2006).
B.
Nachdem sowohl die BVG-Sammelstiftung X. und die Pensionskasse Y. als auch die Pensionskasse Z. eine Leistungspflicht abgelehnt hatten, erhob T. Klage beim Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt gegen die Pensionskasse Z. Er beantragte die Zusprechung einer Rente ab 1. Mai 2002 und die Feststellung, dass die Pensionskasse Z. vorleistungspflichtig sei; die Pensionskasse Z. sei mittels vorsorglicher Verfügung anzuweisen, ihm einen Rentenbetrag in Höhe von Fr. 172'913.50 nebst Zins zu bezahlen.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt verurteilte in Gutheissung der Klage mit Entscheid vom 31. August 2009 die
BGE 136 V 131 S. 133
Pensionskasse Z. dazu, T. "Fr. 49'586.25 zu bezahlen und ihm ab dem 28. Mai 2009 einen Verzugszins von 5 % auf den in der Zeit von Januar 2005 bis Ende April 2009 fällig gewordenen Rentenbetreffnissen in der Höhe von insgesamt Fr. 46'506.85 auszurichten". Mit Bezug auf die nach Klageeinreichung fällig gewordenen Rentenbetreffnisse werde die Pensionskasse Z. dazu verpflichtet, T. einen Verzugszins von 5 % ab deren Fälligkeit zu entrichten. Weiter verurteilte das kantonale Gericht die Pensionskasse Z. dazu, T. nach dem 1. September 2009 eine monatliche BVG-Rente von Fr. 769.85 sowie - bei entsprechendem Nachweis - eine Kinderrente auszurichten.
C.
Die Pensionskasse Z. erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
T. beantragt Abweisung der Beschwerde, während die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit von Amtes wegen (
Art. 29 Abs. 1 BGG
).
1.1
Anfechtbar beim Bundesgericht sind Endentscheide, die das Verfahren ganz oder in Bezug auf unabhängig voneinander zu beurteilende Begehren oder auf einen Teil von Streitgenossen abschliessen (
Art. 90 und 91 BGG
). Selbstständig eröffnete Vor- oder Zwischenentscheide können demgegenüber nur unter den Voraussetzungen von
Art. 92 oder 93 BGG
angefochten werden.
1.1.1
Der Beschwerdegegner hat in Ziff. 1-6 seiner vorinstanzlichen Klage Rentenzahlungen eingeklagt. Sodann hat er in Ziff. 7 beantragt, es sei festzustellen, dass die vorinstanzliche Beklagte bzw. letztinstanzliche Beschwerdeführerin vorleistungspflichtig sei (was er unter Hinweis auf
Art. 26 Abs. 4 BVG
[SR 831.40] begründete). Diese sei mittels vorsorglicher Verfügung anzuweisen, ihm einen Rentenbetrag von Fr. 172'913.50 nebst Zins zu bezahlen. Die Vorinstanz hat der Beklagten eine erstreckbare Frist gesetzt für die Einreichung einer Klageantwort und eine nicht erstreckbare Frist zur Stellungnahme bezüglich der Vorleistungspflicht. Die Beklagte hat
BGE 136 V 131 S. 134
am 8. Juli 2009 eine Fristverlängerung für die Einreichung der Klageantwort und die Abweisung des Antrags betreffend Vorleistungspflicht beantragt. Die Vorinstanz hat die Frist für die Einreichung einer Klageantwort verlängert, hinsichtlich der Frage der Vorleistungspflicht den Schriftenwechsel geschlossen und den Parteien mitgeteilt, dass darüber am 31. August 2009 beraten werde. Am 31. August 2009 hat sie den angefochtenen Entscheid erlassen, worin sie "in Gutheissung der Klage" die Beschwerdeführerin verurteilt hat, dem Beschwerdegegner "Rentenbetreffnisse" bzw. eine "BVG-Rente" zu bezahlen. Aus diesem Verfahrensablauf wie auch aus den Erwägungen im angefochtenen Entscheid geht klar hervor, dass die Vorinstanz trotz der missverständlichen Formulierung des Dispositivs nur über die Vorleistungspflicht der Beschwerdeführerin im Sinne von
Art. 26 Abs. 4 BVG
entschieden hat, was auch dem Verständnis beider Parteien entspricht. Der Hauptprozess, in welchem über die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin endgültig entschieden werden wird, ist damit vor der Vorinstanz nach wie vor hängig. Es fragt sich, ob der angefochtene Entscheid unter diesen Umständen als End- oder Teilendentscheid oder aber als Vor- oder Zwischenentscheid zu qualifizieren ist.
1.1.2
Vor- und Zwischenentscheide sind Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen (
Art. 90 BGG
e contrario), sondern bloss eine formell- oder materiellrechtliche Frage im Hinblick auf die Verfahrenserledigung regeln, mithin einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellen (Urteil 9C_740/2008 vom 30. Oktober 2008 E. 1; FELIX UHLMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 2 zu
Art. 92 BGG
). Für die verfahrensrechtliche Qualifizierung eines angefochtenen Erkenntnisses unter dem Gesichtspunkt der
Art. 90 ff. BGG
ist nicht dessen formelle Bezeichnung entscheidend, sondern sein materieller Inhalt (
BGE 135 II 30
E. 1.3.1 S. 33). Zwischenverfügungen sind akzessorisch zu einem Hauptverfahren; sie können nur vor oder während eines Hauptverfahrens erlassen werden und nur für die Dauer desselben Bestand haben bzw. unter der Bedingung, dass ein solches eingeleitet wird. Sie fallen mit dem Entscheid in der Hauptsache dahin (
BGE 135 III 238
E. 2 S. 239;
BGE 134 I 83
E. 3.1 S. 86;
BGE 134 II 349
E. 1.3 S. 351; HANSJÖRG SEILER, in: VwVG, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2009, N. 13 zu
Art. 56 VwVG
mit Hinweisen). Eine Anordnung, die der (wenn auch befristeten, vorläufigen oder vorübergehenden) Regelung eines Rechtsverhältnisses dient, aber nicht im
BGE 136 V 131 S. 135
Hinblick auf ein Hauptverfahren, sondern in einem selbstständigen Verfahren ergeht oder ergehen kann, ist demgegenüber ein Endentscheid (
BGE 134 I 83
E. 3.1 S. 86;
BGE 134 II 349
E. 1.4 S. 351; SEILER, a.a.O., N. 14 zu
Art. 56 VwVG
mit Hinweisen). Auch für die Abgrenzung zwischen Teil- und Zwischenentscheid ist massgebend, ob der Entscheid ein Begehren behandelt, das unabhängig von anderen beurteilt werden kann (
Art. 91 lit. a BGG
), d.h. ebenfalls Gegenstand eines selbstständigen Verfahrens hätte bilden können und selbstständig der materiellen Rechtskraft zugänglich ist (
BGE 135 V 141
E. 1.4.1 S. 144).
1.1.3
Der Entscheid über die Vorleistungspflicht eines Versicherers im Sinne von
Art. 26 Abs. 4 BVG
regelt dessen Leistungspflicht noch nicht endgültig. Wird nachträglich die endgültige Leistungspflicht der vorleistungspflichtigen Einrichtung bejaht, so ist die aufgrund der Vorleistungspflicht erbrachte Leistung an die endgültig zu erbringende anzurechnen. Insoweit könnte die Anordnung der Vorleistung als vorsorgliche Massnahme betrachtet werden (vgl. im Einzelnen nachfolgende E. 1.3). Entscheidend ist aber, dass diese Anordnung nicht zwingend im Zusammenhang mit einem Verfahren betreffend die endgültige Leistungspflicht ergehen muss, sondern auch losgelöst von einem solchen Verfahren getroffen werden kann (vgl. - noch unter der Regelung des OG -
BGE 131 V 78
E. 3.2 S. 83 zur Vorleistungspflicht gemäss
Art. 70 ATSG
[SR 830.1]) und auch nicht mit diesem wegfällt: Wird zunächst die Vorleistungspflicht bejaht, nachträglich aber die endgültige Leistungspflicht verneint, entfällt damit die Vorleistungspflicht noch nicht, sondern sie bleibt weiter bestehen, bis die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung feststeht (
Art. 26 Abs. 4 Satz 2 BVG
). Wenn ein entsprechender Regress aus irgendwelchen Gründen nicht ausgeübt werden kann, wird die Vorleistung faktisch zu einer definitiven Leistung. Der Entscheid betreffend die Anordnung der Vorleistung ist daher als Endentscheid zu qualifizieren und selbstständig anfechtbar (
Art. 90 BGG
).
1.2
Die Beschwerde muss ein Rechtsbegehren enthalten (
Art. 42 Abs. 1 BGG
). Da die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (
Art. 107 Abs. 2 BGG
), muss auch das Rechtsbegehren grundsätzlich reformatorisch gestellt werden; ein blosser Antrag auf Rückweisung ist nicht zulässig, ausser wenn das Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte (
BGE 134 III 379
E. 1.3 S. 383). Die Beschwerdeführerin stellt formal bloss
BGE 136 V 131 S. 136
einen Rückweisungsantrag. Aus der Beschwerdebegründung, die zur Interpretation des Rechtsbegehrens beigezogen werden kann, ergibt sich jedoch, dass sie anstrebt, dem Beschwerdegegner sei als Gegenleistung zur Vorleistung aufzutragen, die Klage gegen die Pensionskasse Y. anhängig zu machen. Das Rechtsbegehren ist in diesem Sinne zu interpretieren.
1.3
Das Bundesgericht prüft grundsätzlich frei, ob der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt (
Art. 95 lit. a BGG
). Hingegen kann mit der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (
Art. 98 BGG
). Diesbezüglich gilt eine qualifizierte Rügepflicht (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). Es fragt sich, ob der Entscheid über die Vorleistungspflicht eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von
Art. 98 BGG
ist.
1.3.1
Auch ein Endentscheid (
Art. 90 BGG
; vorne E. 1.1) kann ein Entscheid über vorsorgliche Massnahmen sein. Ausschlaggebend ist nicht das Verfahren, in welchem der Entscheid ergangen ist, sondern ob er eine Rechtsfrage endgültig, aufgrund einer vollständigen tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung mit materieller Rechtskraftwirkung regelt, ohne den Entscheid in einem Hauptverfahren vorzubehalten (
BGE 135 III 430
E. 1.1 S. 431;
BGE 133 III 393
E. 5.1 S. 396,
BGE 133 III 589
E. 1 S. 590).
1.3.2
Wie vorne ausgeführt (E. 1.1.3), kann der Entscheid über die Vorleistungspflicht je nach den Umständen faktisch zur Folge haben, dass die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung ihre Leistungen definitiv erbringen muss. Zudem setzt die Vorleistungspflicht voraus, dass grundsätzlich ein Leistungsanspruch gegeben und lediglich ungewiss ist, welchen Versicherer eine Leistungspflicht trifft. Das Bestehen eines Leistungsanspruchs muss daher im Rahmen des Entscheids über die Vorleistungspflicht materiell geprüft werden (vgl.
BGE 131 V 78
E. 2 S. 81 und E. 3.1 S. 82 sowie Urteil K 110/06 vom 30. Oktober 2007 E. 2.1 in Bezug auf die Vorleistungspflicht gemäss
Art. 70 ATSG
). Der Entscheid über die Vorleistungspflicht ist somit kein Entscheid über eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von
Art. 98 BGG
(vgl. auch
BGE 131 V 78
, wo das Eidg. Versicherungsgericht ohne weiteres auf eine Beschwerde betreffend Vorleistungspflicht nach
Art. 70 ATSG
eintrat, sowie Urteil K 65/05 vom 21. Juli 2005 E. 3.1, wonach die Vorleistungspflicht nach
Art. 70 ATSG
keine vorsorgliche Massnahme im Sinne von
Art. 56 VwVG
BGE 136 V 131 S. 137
[SR 172.021] ist). Die Kognition des Bundesgerichts richtet sich nach
Art. 95 BGG
.
(...)
3.
Das Bundesgericht kann nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (
Art. 107 Abs. 1 BGG
). Die Beschwerdeführerin bestreitet ihre Vorleistungspflicht weder im Grundsatz noch betragsmässig, so dass darauf nicht weiter einzugehen ist. Sie macht einzig geltend, als Gegenleistung zur ihrer Vorleistung müsse der Beschwerdegegner verpflichtet werden, die Klage gegen die Pensionskasse des früheren Arbeitgebers anhängig zu machen (E. 1.2). Nur dies ist zu prüfen.
3.1
Art. 26 Abs. 4 BVG
, in der Fassung vom 3. Oktober 2003, in Kraft seit 1. Januar 2005, lautet wie folgt:
"Befindet sich der Versicherte beim Entstehen des Leistungsanspruchs nicht in der leistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung, so ist jene Vorsorgeeinrichtung vorleistungspflichtig, der er zuletzt angehört hat. Steht die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung fest, so kann die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung auf diese Rückgriff nehmen."
Im französischen Wortlaut: "Si l'assuré n'est pas affilié à l'institution de prévoyance tenue de lui fournir des prestations au moment où est né le droit à la prestation, l'institution de prévoyance à laquelle il était affilié en dernier est tenue de verser la prestation préalable. Lorsque l'institution de prévoyance tenue de verser la prestation est connue, l'institution tenue de verser la prestation préalable peut répercuter la prétention sur elle."
In der italienischen Fassung: "Se, nel momento in cui è sorto il diritto alle prestazioni, l'assicurato non era affiliato all'istituto di previdenza tenuto a versargliele, l'ultimo istituto di previdenza al quale era affiliato da ultimo è tenuto ad anticipargliele. Se è stabilito quale sia l'istituto di previdenza tenuto a versare le prestazioni, l'istituto di previdenza tenuto ad anticiparle può esercitare il regresso su di esso."
3.2
Zur Frage, wie die vorleistungspflichtige Einrichtung ihren Rückgriff gegen die definitiv leistungspflichtige wahrnehmen kann, werden in der Lehre verschiedene Auffassungen vertreten: UELI KIESER (Vorleistungspflichten der Pensionskassen nach BVG und ATSG - Fragen und einige Antworten, in: Die 1. BVG-Revision, 2005, S. 101 ff., 133 f.) und HANS-ULRICH STAUFFER (Berufliche Vorsorge, 2005, S. 290 Rz. 779) sind der Ansicht, die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung könne den Versicherten unter Berufung auf seine Schadenminderungspflicht auffordern, seine Ansprüche gegenüber der leistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung geltend zu machen, und bei dessen Nichttätigwerden ihre Leistungen einstellen. Nach STAUFFER kann sich die vorleistungspflichtige
BGE 136 V 131 S. 138
Vorsorgeeinrichtung die Ansprüche des Versicherten gegen die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung auch abtreten lassen. Demgegenüber hat die Vorsorgeeinrichtung, welche Vorleistungen erbracht hat, gemäss MARC HÜRZELER in diesem Umfang ein originäres Rückgriffsrecht, das sie selber gegen die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung geltend machen kann (HÜRZELER, Zum Rückgriffsrecht der gemäss
Art. 26 Abs. 4 BVG
vorleistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung im Invaliditätsfall, SZS 2006 S. 323 ff., 335 f. [im Folgenden: SZS 2006];
ders.
, Intrasystemische Vorleistungspflichten in der beruflichen Vorsorge, in: Das prekäre Leistungsverhältnis im Sozialversicherungsrecht, 2008 [im Folgenden: Intrasystemische Vorleistungspflichten], S. 129 ff., 159;
ders.
, Invaliditätsproblematiken in der beruflichen Vorsorge, 2006 [im Folgenden: Invaliditätsproblematiken], S. 267 Rz. 615).
3.3
Der Wortlaut von
Art. 26 Abs. 4 Satz 2 BVG
könnte so verstanden werden, dass in einem zweistufigen Verfahren vorzugehen wäre: In einem ersten Schritt müsste festgestellt werden, welches die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung ist. Erst wenn dies feststeht, könnte in einem zweiten Schritt die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung gegen die andere Rückgriff nehmen. Allerdings ergäbe sich auch bei dieser Betrachtungsweise nicht, dass der Versicherte verpflichtet wäre, selber Klage gegen die in Frage kommenden anderen Vorsorgeeinrichtungen zu erheben, um deren Leistungspflicht feststellen zu lassen. Die Entstehungsgeschichte (wiedergegeben bei HÜRZELER, SZS 2006 S. 325 ff., sowie KIESER, a.a.O., S. 112 ff.) ergibt dazu keine eindeutige Antwort. Eine analoge Vorschrift wie
Art. 70 Abs. 3 ATSG
(der für die intrasystemische Koordination zwischen verschiedenen Einrichtungen der beruflichen Vorsorge nicht anwendbar ist [vgl.
Art. 63 Abs. 3 ATSG
sowie KIESER, ATSG- Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 34 zu
Art. 70 ATSG
]), besteht im BVG nicht.
3.4
Der im deutschen und italienischen Gesetzestext verwendete Ausdruck "Rückgriff" bzw. "regresso" bezeichnet in der juristischen Terminologie gemeinhin eine Situation, in welcher jemand, der an Stelle eines leistungspflichtigen Dritten einem Berechtigten eine Zahlung geleistet hat, gegen diesen Dritten vorgehen kann, um sich schadlos zu halten (vgl. z.B. Art. 50 Abs. 2, Art. 51 Abs. 1,
Art. 55 Abs. 2,
Art. 56 Abs. 2,
Art. 58 Abs. 2,
Art. 148 Abs. 2 OR
;
Art. 72 VVG
[SR 221.229.1];
Art. 56a BVG
). Dieser Rückgriff kann als Subrogation bzw. Legalzession (
Art. 149 und 166 OR
), aber auch als
BGE 136 V 131 S. 139
originäres Recht des Rückgriffsberechtigten ausgestaltet sein (vgl. dazu WALTER FELLMANN, Regress und Subrogation: Allgemeine Grundsätze, in: Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung, 1999, S. 1 ff., 12 ff.; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Haftpflicht und Sozialversicherung, 1998, S. 396 ff.). Wo das Sozialversicherungsrecht einen Rückgriff oder Regress vorsieht, ist damit häufig eine Subrogation gemeint, so im Rahmen von
Art. 72 ff. ATSG
(bzw. vorher aArt. 41-44 UVG [SR 832.20]; aArt. 48
ter
-48
sexies
AHVG; aArt. 52 IVG). Aber auch wo dies nicht der Fall ist, erhält der Regressberechtigte direkt gegen den Dritten einen Ausgleichsanspruch (
BGE 115 II 42
E. 2a S. 48; vgl. zu aArt. 56a BVG
BGE 130 V 277
E. 2.1 S. 280; zur Anwendung von
Art. 51 Abs. 2 OR
auf Vorsorgeeinrichtungen nach der bis Ende 2004 geltenden Rechtslage siehe
BGE 115 II 24
E. 2b S. 26;
BGE 132 III 321
E. 2.3.2.2 S. 327), während der ursprüngliche Gläubiger im Umfang, in dem er befriedigt worden ist, gegen den Dritten keinen Anspruch mehr hat (
Art. 147 Abs. 1 OR
, der auch im Falle der unechten Solidarität anwendbar ist; vgl. Urteil 4C.27/2003 vom 26. Mai 2003 E. 3.4).
3.5
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff "Rückgriff" bzw. "regresso" in
Art. 26 Abs. 4 BVG
eine andere Bedeutung haben sollte als sonst überall in der Rechtsordnung. Die französische Fassung ("peut répercuter la prétention sur elle") unterscheidet sich zwar von dem üblicherweise in solchen Konstellationen verwendeten terminus technicus "recours", betont aber ebenfalls, dass es Sache der vorleistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung ist, gegen die andere vorzugehen. Dafür spricht auch die ratio legis, wonach die Position des Versicherten verbessert werden soll, welcher sich einer Mehrzahl von Vorsorgeeinrichtungen gegenübersieht, wobei nicht klar ist, welche dieser Einrichtungen eine Leistungspflicht trifft (AB 2002 N 544, Votum Robbiani; KIESER, a.a.O., S. 116). Diesem Ziel entspricht, wenn der Versicherte sich nur an die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung halten muss und dieser die weitere Auseinandersetzung mit anderen potenziell leistungspflichtigen Einrichtungen überlassen kann (HÜRZELER, SZS 2006 S. 331 und Invaliditätsproblematiken, S. 267 Rz. 615; MAURER/SCARTAZZINI/HÜRZELER, Bundessozialversicherungsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 616 Rz. 48 f.). Für die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung sind damit nebst gewissen Nachteilen auch Vorteile verbunden: Der Versicherte könnte im Bewusstsein, die Vorleistung ohnehin zu erhalten, den Prozess gegen die andere Vorsorgeeinrichtung zwar einleiten, aber
BGE 136 V 131 S. 140
nachlässig führen, was sich im Ergebnis möglicherweise zum Nachteil der vorleistungspflichtigen Einrichtung auswirkt. Es ist somit durchaus im Interesse der vorleistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung, wenn sie selber gegen die andere Einrichtung vorgehen kann. Der Gefahr widersprüchlicher Urteile, die sich aus der allenfalls unterschiedlichen örtlichen Zuständigkeit ergibt (
Art. 73 Abs. 3 BVG
), kann entgegengewirkt werden, indem im Verfahren gegen die eine Vorsorgeeinrichtung die anderen potenziell leistungspflichtigen Einrichtungen beigeladen werden, wodurch die Wirkung des Urteils auf die Beigeladenen erstreckt wird (
BGE 130 V 501
E. 1.2 S. 502).
3.6
Zusammenfassend kann die Vorsorgeeinrichtung, welche Vorleistungen erbracht hat, unmittelbar von Gesetzes wegen in diesem Umfang einen Regressanspruch gegen die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung geltend machen (ebenso HÜRZELER, SZS 2006 S. 335 f.;
ders.
, Intrasystemische Vorleistungspflichten, S. 159;
ders.
, Invaliditätsproblematiken, S. 267 Rz. 615). Anders als nach der Regelung, wie sie in aArt. 26 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1) vorgesehen war, ist es somit nicht erforderlich, dass sich die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung die Ansprüche des Versicherten gegen die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung abtreten lässt. Ebenso wenig besteht ein Grund, den Versicherten zu verpflichten, selber gegen die andere Einrichtung Klage zu erheben. Wenn die Vorinstanz die Vorleistungspflicht der Beschwerdeführerin bejaht hat, ist dies somit nicht zu beanstanden.