Urteilskopf
141 I 105
10. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Strafsachen)
6B_307/2014 vom 4. Mai 2015
Regeste
Art. 9 BV
(Willkür); Festlegung der Gerichtskosten, Äquivalenzprinzip.
Gerichtskosten sind Kausalabgaben, die dem Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip genügen müssen (E. 3.3.2).
Ob die Verdoppelung der Gebühr für den Fall der schriftlichen Begründung des erstinstanzlichen Urteils zulässig und mit Art. 80 Abs. 1 und 2 i.V.m.
Art. 82 Abs. 2 StPO
vereinbar ist, kann offenbleiben (E. 3.5.1).
Die Anzahl Verhandlungstage hat grundsätzlich keinen Einfluss auf den Begründungsaufwand eines Entscheids. Bei mehrtägigen Verhandlungen darf mit Blick auf das Äquivalenzprinzip und das Gleichbehandlungsgebot lediglich der Aufwand für die zusätzlichen Verhandlungstage berücksichtigt werden (E. 3.5.2). Verletzung des Äquivalenzprinzips im vorliegenden Fall (E. 3.6).
A.
Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte X. am 31. Januar 2013 wegen gewerbsmässigen Betrugs und Verletzung der Verkehrsregeln zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten sowie einer Busse von Fr. 100.-. Die Verfahrenskosten von Fr. 4'602.- und die Urteilsgebühr von Fr. 5'500.- wurden X. auferlegt. Für den Fall, dass Berufung erhoben oder eine schriftliche Urteilsbegründung verlangt wird, wurde eine Erhöhung der Gerichtsgebühr auf Fr. 11'000.- in Aussicht gestellt.
Am 7. Januar 2014 erklärte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt X. auf dessen Berufung hin des gewerbsmässigen Betrugs
BGE 141 I 105 S. 107
und der Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten sowie einer Busse von Fr. 100.-. Im Übrigen bestätigte es das erstinstanzliche Urteil.
B.
X. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil vom 7. Januar 2014 sei hinsichtlich der Kostenfolgen und der Gewährung der amtlichen Verteidigung im Verfahren vor erster Instanz aufzuheben. Die Kosten für die Begründung des erstinstanzlichen Entscheids seien zumindest einstweilen auf die Gerichtskasse zu nehmen und das Strafgericht sowie die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt zu verpflichten, die Kosten der amtlichen Verteidigung zu übernehmen. Er ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
C.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt beantragt die kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde und beantragt, diese sei abzuweisen. X. hält in seiner Replik an seinem Standpunkt fest.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
Aus den Erwägungen:
3.1
Der Beschwerdeführer rügt, die vom erstinstanzlichen Gericht festgesetzte und von der Vorinstanz bestätigte Urteilsgebühr von Fr. 11'000.- verletze die Rechtsweggarantie und das von der EMRK gewährleistete Recht auf wirksame Beschwerde. Sie verstosse zudem gegen das Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip. Die Erhöhung der Gerichtsgebühr für die schriftliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils wirke prohibitiv und stelle eine Verletzung des Anspruchs auf ein schriftlich begründetes Urteil dar. Die Gebührenregelung verstosse gegen
Art. 6 und 13 EMRK
sowie Art. 5 Abs. 2, Art. 8, 9, 29, 29a und 36 BV.
3.2
Die Vorinstanz erwägt, der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege befreie zwar von der Bezahlung eines Kostenvorschusses, gewährleiste aber nicht den definitiven Erlass der Gerichtskosten. Nach der Lehre dürfe für die schriftliche Urteilsbegründung jedenfalls eine "mässig höhere" Gerichtsgebühr festgelegt werden. Da sich die erstinstanzlich festgelegte Gerichtsgebühr im Rahmen der vom kantonalen Recht festgesetzten Bandbreite halte, sei sie nicht zu beanstanden.
BGE 141 I 105 S. 108
Im Rahmen ihrer Vernehmlassung führt die Vorinstanz ergänzend aus, die Urteilsgebühr von ursprünglich Fr. 5'500.- entspreche einem Aufwand von 22 Stunden zu Fr. 250.- für Aktenstudium, Hauptverhandlung, Beratung und Urteilseröffnung. Für eine zweitägige Verhandlung mit umfangreichem Aktenmaterial und zeitraubenden Videoaufnahmen müsse dies als sehr moderat bezeichnet werden. Die Verdoppelung der Gebühr für die schriftliche Begründung des Urteils auf insgesamt Fr. 11'000.- sei ebenfalls nicht zu beanstanden, da der dadurch entstehende Mehraufwand vergleichsweise hoch gewesen sei.
3.3.1
Bund und Kantone regeln die Berechnung der Verfahrenskosten und legen die Gebühren fest (
Art. 424 Abs. 1 StPO
). Kantonales Recht prüft das Bundesgericht nur auf Willkür und Vereinbarkeit mit anderen bundesverfassungsmässigen Rechten (
Art. 95 BGG
; vgl.
BGE 138 IV 13
E. 2;
BGE 135 III 578
E. 6.1; Urteile 6B_20/2014 vom 14. November 2014 E. 12.2; 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014 E. 3.2, nicht publ. in:
BGE 140 IV 213
; 2C_513/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 1; je mit Hinweisen). Massgebend ist im Kanton Basel-Stadt die Verordnung vom 4. März 1975 über die Gerichtsgebühren (SG 154.810; nachfolgend: Gebührenverordnung), welche sich auf § 1 des Gesetzes vom 16. Januar 1975 über die Gerichtsgebühren (SG 154.800) stützt. Der Gebührenrahmen für Entscheide des Strafdreiergerichts beträgt grundsätzlich Fr. 150.- bis Fr. 5'000.- (§ 10 Ziff. 3.1 lit. b der Gebührenverordnung). In aussergewöhnlichen Fällen, bei Zweiteilung der Hauptverhandlung und bei mehrtägigen Verhandlungen kann eine Gebühr bis Fr. 100'000.- erhoben werden (§ 10 Ziff. 3.2 der Gebührenverordnung).
3.3.2
Gerichtskosten sind Kausalabgaben, weshalb sie dem Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip genügen müssen (
BGE 133 V 402
E. 3.1;
BGE 132 I 117
E. 4.2; Urteil 2C_513/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 3.1; je mit Hinweisen). Das Kostendeckungsprinzip besagt, dass der Gebührenertrag die gesamten Kosten des betreffenden Verwaltungszweigs nicht oder nur geringfügig übersteigen soll. Es spielt im Allgemeinen für Gerichtsgebühren keine Rolle, decken doch erfahrungsgemäss die von den Gerichten eingenommenen Gebühren die entsprechenden Kosten bei Weitem nicht (
BGE 139 III 334
E. 3.2.3 mit Hinweisen).
Das Äquivalenzprinzip konkretisiert das Verhältnismässigkeitsprinzip und das Willkürverbot für den Bereich der Kausalabgaben
BGE 141 I 105 S. 109
(
Art. 5 Abs. 2 und
Art. 9 BV
;
BGE 135 III 578
E. 6.1 mit Hinweis; Urteil 2C_513/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 3.1). Es bestimmt, dass eine Gebühr nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der Leistung stehen darf und sich in vernünftigen Grenzen halten muss. Der Wert der Leistung bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Nutzen, den sie dem Pflichtigen bringt, oder nach dem Kostenaufwand der konkreten Inanspruchnahme im Verhältnis zum gesamten Aufwand des betreffenden Verwaltungszweigs, wobei schematische, auf Wahrscheinlichkeit und Durchschnittserfahrungen beruhende Massstäbe angelegt werden dürfen. Es ist nicht notwendig, dass die Gebühren in jedem Fall genau dem Verwaltungsaufwand entsprechen; sie sollen indessen nach sachlich vertretbaren Kriterien bemessen sein und nicht Unterscheidungen treffen, für die keine vernünftigen Gründe ersichtlich sind. Bei der Festsetzung von Verwaltungsgebühren darf deshalb innerhalb eines gewissen Rahmens auch der wirtschaftlichen Situation des Pflichtigen und dessen Interesse am abzugeltenden Akt Rechnung getragen werden (
BGE 139 III 334
E. 3.2.4 mit Hinweisen). Die Gebühr darf im Übrigen die Inanspruchnahme bestimmter staatlicher Leistungen nicht verunmöglichen oder übermässig erschweren (Rechtsweggarantie,
Art. 29a BV
; Urteil 2C_513/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 3.1 mit Hinweis).
Bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr verfügt das Gericht über einen grossen Ermessensspielraum (vgl.
BGE 139 III 334
E. 3.2.5;
BGE 135 III 578
E. 6.5). Das Bundesgericht greift bei der Auslegung kantonaler Normen nicht bereits dann ein, wenn sich die Gebühr als unangemessen erweist, sondern nur, wenn das Ermessen über- bzw. unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt wird (vgl.
BGE 137 V 71
E. 5.1; Urteile 6B_652/2014 vom 10. Dezember 2014 E. 2.2 ff.; 2C_513/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 3.1; je mit Hinweis).
3.4
Der Beschwerdeführer begründet nicht, inwiefern das Kostendeckungsprinzip verletzt sein sollte. Er zeigt nicht auf, dass der Gebührenertrag der basel-städtischen Strafjustiz die entsprechenden Kosten übersteigt. Dies ist erfahrungsgemäss auch nicht zu erwarten. Die Rüge ist unbegründet, soweit überhaupt darauf einzutreten ist.
3.5.1
In Bezug auf das Äquivalenzprinzip erweist sich die Beschwerde demgegenüber als begründet. Der ordentliche Gebührenrahmen für Entscheide des Strafdreiergerichts beträgt Fr. 150.- bis
BGE 141 I 105 S. 110
Fr. 5'000.- (vgl. E. 3.3.1). Die Vorinstanz erwägt, dieser Rahmen werde u.a. für den Fall einer mehrtägigen Hauptverhandlung bis auf Fr. 100'000.- ausgedehnt. Da die erstinstanzliche Hauptverhandlung zwei Tage gedauert habe, erweise sich die Urteilsgebühr von Fr. 11'000.- für das erstinstanzliche Urteil als zulässig. Sie liege im unteren Bereich des erhöhten Gebührenrahmens und sei auch mit Blick auf den entstandenen Aufwand massvoll.
Dem kann nicht gefolgt werden. Das Strafgericht des Kantons Basel- Stadt legte die Urteilsgebühr anlässlich der erstinstanzlichen mündlichen Urteilseröffnung auf Fr. 5'500.- fest und sah für den Fall einer schriftlichen Begründung eine Erhöhung auf Fr. 11'000.- vor. Es erscheint fraglich, ob eine solch massive Erhöhung (Verdoppelung) der Urteilsgebühr für die schriftliche Begründung zulässig und mit Art. 80 Abs. 1 und 2 i.V.m.
Art. 82 Abs. 2 StPO
vereinbar ist. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass für den Fall der schriftlichen Begründung des Urteils eine "mässig höhere" Gebühr erhoben werden darf (NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 4 zu
Art. 82 StPO
; vgl. auch NILS STOHNER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 20 ff. zu
Art. 82 StPO
; DANIELA BRÜSCHWEILER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 5a zu
Art. 82 StPO
), worauf auch die Vorinstanz verweist. Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, braucht die Frage indessen nicht abschliessend beantwortet zu werden.
3.5.2
Nicht gerechtfertigt ist die Verdoppelung der Urteilsgebühr aufgrund des blossen Umstands, dass die erstinstanzliche Hauptverhandlung auf zwei Tage verteilt stattgefunden hat. Die Anzahl Verhandlungstage hat grundsätzlich keinen Einfluss auf den Begründungsaufwand eines Entscheids. Dies zeigt gerade der vorliegende Fall, wo am ersten Tag nach rund vier Stunden und Abschluss der Parteiverhandlungen ein separater Termin für die Urteilseröffnung am nächsten Tag angesetzt wurde. Letztere hat in der Folge gemäss Protokoll lediglich etwas mehr als eine halbe Stunde gedauert. Wäre die Hauptverhandlung an einem Tag abgehalten worden, was angesichts deren Gesamtdauer durchaus möglich gewesen sein dürfte, hätte die Urteilsgebühr inklusive schriftlicher Begründung gemäss dem ordentlichen Gebührenrahmen höchstens Fr. 5'000.- betragen dürfen. Bei einer willkürfreien Auslegung der Gebührenverordnung kann bei mehrtägigen Verhandlungen daher lediglich der Aufwand
BGE 141 I 105 S. 111
für die zusätzlichen Verhandlungstage erhoben werden. Hingegen besteht kein vernünftiger Grund, eine den ordentlichen Rahmen sprengende Gebühr für die schriftliche Begründung des Entscheids zu erheben, bloss weil die Verhandlung mehr als einen Tag gedauert hat. Dies ist mit dem Äquivalenzprinzip unvereinbar und führt überdies zu einer ungerechtfertigen Ungleichbehandlung. Dass eine andere Ausnahme gemäss § 10 Ziff. 3.2 der Gebührenverordnung vorliegt (aussergewöhnlicher Fall, Zweiteilung der Hauptverhandlung), aufgrund welcher der ordentliche Rahmen verlassen und die Gebühr für die schriftliche Begründung des Entscheids verdoppelt werden dürfte, macht die Vorinstanz nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Indem sie die erstinstanzliche Urteilsgebühr dennoch stützt, überschreitet sie somit ihr Ermessen.
In der vorliegenden Konstellation erscheint überdies fraglich, ob überhaupt von einer mehrtägigen Verhandlung im Sinne von § 10 Ziff. 3.2 der Gebührenverordnung gesprochen werden kann. Die Erhöhung des Gebührenrahmens erscheint sachlich gerechtfertigt, wenn sich die Hauptverhandlung als solche, z.B. wegen Zweiteilung oder aufwendigen Beweiserhebungen, über zwei oder mehrere Tage erstreckt. Wird nach Abschluss der Parteiverhandlungen (vgl.
Art. 347 Abs. 2 StPO
) indes lediglich ein separater Termin für die im Anschluss an die geheime Beratung erfolgende (kurze) Urteilseröffnung festgelegt, liegt tendenziell keine mehrtägige Verhandlung vor. Die Frage braucht jedoch nicht abschliessend geprüft zu werden.
3.5.3
Schliesslich erscheint die erhobene Gebühr von Fr. 11'000.- für den schriftlich begründeten erstinstanzlichen Entscheid auch im Ergebnis stossend, wenn man berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer ein Gesuch um amtliche Verteidigung stellte und geltend machte, mittellos zu sein. Hinzu kommt, dass der zu beurteilende Fall keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufwies und somit entgegen dem Vorbringen der Vorinstanz keinen überdurchschnittlichen Aufwand erfordert haben dürfte. Nicht ersichtlich ist schliesslich, inwiefern die grosse Differenz zwischen der erstinstanzlichen Gebühr und derjenigen der Vorinstanz, die Fr. 800.- betrug, sachlich zu rechtfertigen wäre. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass die Gebühr für das schriftlich begründete erstinstanzliche Urteil unter den vorliegenden Umständen geeignet war, eine prohibitive Wirkung zu entfalten und seinen Anspruch auf Zugang zum Gericht übermässig zu erschweren.
BGE 141 I 105 S. 112
3.6
Nach dem Vorstehenden erweist sich die vom erstinstanzlichen Gericht festgesetzte und von der Vorinstanz bestätigte Urteilsgebühr von Fr. 11'000.- als willkürlich. Sie verletzt das Äquivalenzprinzip und das Gleichbehandlungsgebot. Durch die Höhe der Gerichtsgebühr wurde dem Beschwerdeführer zusätzlich in Verletzung von
Art. 29a BV
und
Art. 6 EMRK
i.V.m.
Art. 13 EMRK
der Rechtsweg ungebührlich erschwert. Ob darüber hinaus auch das rechtliche Gehör bzw. der Anspruch auf einen begründeten Entscheid des Beschwerdeführers verletzt wurde, kann offengelassen werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ebenfalls nicht zu prüfen ist, ob die internen Richtlinien des Strafgerichts des Kantons Basel-Stadt zur Festsetzung der Urteilsgebühren verfassungswidrig sind, wie der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Replik vorbringt.