BGE 144 IV 168 vom 25. April 2018

Dossiernummer: 6B_1379/2017

Datum: 25. April 2018

Artikelreferenzen:  Art. 66a StGB , Art. 66a Abs. 3 StGB, Art. 66a Abs. 1 StGB, Art. 66a Abs. 1 und 3 StGB, Art. 66a Abs. 1 lit. d und Abs. 3 StGB, Art. 66a Abs. 2 StGB, Art. 121 Abs. 3-6 BV

BGE referenzen:  137 IV 290, 137 IV 249, 139 IV 57, 145 IV 146, 146 IV 105, 146 IV 311 , 139 IV 57, 137 IV 290, 137 IV 249

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

144 IV 168


21. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
6B_1379/2017 vom 25. April 2018

Regeste

Art. 66a Abs. 1 und 3 StGB ; obligatorische Landesverweisung bei versuchter Katalogtat.
Art. 66a Abs. 1 StGB erfasst auch den Versuch einer Katalogtat (E. 1.4.1).
Art. 66a Abs. 3 StGB enthält eine abschliessende Aufzählung der Strafmilderungsgründe, bei deren Vorliegen von einer Landesverweisung abgesehen werden kann (E. 1.4.2).

Sachverhalt ab Seite 168

BGE 144 IV 168 S. 168

A. Das Bezirksgericht Rheinfelden sprach X. am 21. Februar 2017 schuldig des versuchten Diebstahls, der Sachbeschädigung und des versuchten Hausfriedensbruchs. Es verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten bei einer Probezeit von 2 Jahren und sprach eine Landesverweisung von 5 Jahren aus.

B. Das Obergericht des Kantons Aargau hiess die von X. gegen die ses Urteil eingelegte Berufung am 17. Oktober 2017 teilweise gut und stellte fest, dass das Beschleunigungsgebot verletzt worden sei. Für die bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldsprüche verhängte es eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 10.- bei einer Probezeit von 2 Jahren. Es sprach ebenfalls eine Landesverweisung von 5 Jahren aus.

C. X. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 17. Oktober 2017 sei hinsichtlich der Landesverweisung aufzuheben. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Der Beschwerdeführer rügt mit der unrichtigen Anwendung von Art. 66a Abs. 1 lit. d und Abs. 3 StGB die Verletzung von Bundesrecht. Zur Begründung führt er aus, das Gesetz müsse in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisse nach dem Wortlaut ausgelegt werden. Entgegen dem Dafürhalten der Vorinstanz dürfe die obligatorische Landesverweisung nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Bestimmung, die als Katalogtat nur die vollendete strafbare Handlung nenne, nicht ausgesprochen werden. Hätte der Gesetzgeber auch den Versuch in den Katalog aufnehmen wollen, hätte er dies getan. Ausserdem sehe Art. 66a Abs. 3 StGB ausdrücklich die Berücksichtigung von Strafmilderungsgründen vor. Diese Bestimmung sei nicht nur im Fall von entschuldbarer Notwehr oder entschuldbarem Notstand anzuwenden, sondern auch, um den Besonderheiten des Einzelfalles gerecht zu werden. Bereits die Einheitlichkeit der strafrechtlichen Rechtsordnung gebiete es, dass im Rahmen der Prüfung einer Landesverweisung als einer besonderen strafrechtlichen Massnahme alle Strafmilderungsgründe gleichermassen berücksichtigt würden. Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung signalisiere der Gesetzeswortlaut mit dem Begriff "ferner", dass es sich hierbei um eine nicht abschliessende Aufzählung von Strafmilderungsgründen handle. Von besonderer Bedeutung sei schliesslich, dass der Gesetzesentwurf, welcher der bundesrätlichen Botschaft zugrunde lag, eine Mindeststrafgrenze gekannt habe, die aber im Gesetzgebungsverfahren ersatzlos gestrichen worden sei. Nach der Fassung des Vorentwurfs hätte eine Verurteilung wegen eines versuchten Einbruchdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten keine Landesverweisung nach sich gezogen.

1.2 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen
BGE 144 IV 168 S. 170
Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben ( BGE 139 IV 57 E. 1.3.3; BGE 137 IV 290 E. 3.3, BGE 137 IV 249 E. 3.2; je mit Hinweisen).

1.3 Die Vorinstanz erwägt, das Gesetz äussere sich nicht ausdrücklich dazu, ob eine obligatorische Landesverweisung im Sinne von Art. 66a Abs. 1 StGB auch angeordnet werden müsse, wenn die Anlasstaten im Versuchsstadium blieben. Ausser bei Härtefällen und bei in entschuldbarer Notwehr oder entschuldbarem Notstand begangenen Delikten sehe es keine weiteren Gründe für ein Absehen von der Landesverweisung vor. Grundsätzlich sei deshalb bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts davon auszugehen, dass die Landesverweisung auch beim blossen Versuch einer oder mehrerer Katalogtaten zwingend auszusprechen sei.
Aufgrund der Gesetzesmaterialien lasse sich die vom Beschwerdeführer vertretene Ansicht nicht aufrechterhalten, dass Art. 66a Abs. 3 StGB auf alle Fälle von Strafmilderungen, insbesondere auch auf den Versuch, anwendbar sei. Bereits die Botschaft halte klar fest, dass ein versuchter Diebstahl im Zusammenhang mit einer Sachbeschädigung als Anlasstat in Betracht komme. In den parlamentarischen Beratungen sei diese Frage nie thematisiert worden, weshalb keine Hinweise darauf bestünden, dass der Gesetzgeber die Ansicht des Bundesrats nicht geteilt hätte.
Ebenfalls nichts zu seinen Gunsten ableiten könne der Beschwerdeführer aus dem Wort "ferner" in Art. 66a Abs. 3 StGB . Zwar treffe zu, dass die fragliche Bestimmung im Rahmen der parlamentarischen Beratungen aus der "Durchsetzungsinitiative" übernommen worden sei, die das Wort "ferner" noch nicht enthalten habe. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers deute diese Änderung aber nicht darauf hin, dass sich der Anwendungsbereich der genannten Bestimmung auch auf alle übrigen, nicht explizit genannten Strafmilderungsgründe erstrecke. Vielmehr lasse sich die Änderung ohne weiteres mit dem - ebenfalls erst im Rahmen der parlamentarischen Beratungen erfolgten - Einfügen der sogenannten Härtefallklausel ( Art. 66a Abs. 2 StGB ) erklären, bei der in Ausnahmefällen von einer Landesverweisung abgesehen werden könne. Das Wort "ferner" stelle in diesem Zusammenhang einzig klar, dass auch in anderen Fällen als in Härtefällen, nämlich in den in Art. 66a Abs. 3 StGB explizit genannten, ein Absehen von der Landesverweisung möglich sei. Die übrigen Strafmilderungsgründe seien somit von der
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gesetzlichen Regelung nicht erfasst, womit es dabei bleibe, dass die Landesverweisung bei Vorliegen einer auch nur versuchten Anlasstat zwingend auszusprechen sei.
Schliesslich könne der Beschwerdeführer auch daraus, dass eine Landesverweisung gemäss dem Entwurf des Bundesrats bei einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bzw. einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen aufgrund der Mindeststrafgrenze ausgeschlossen gewesen wäre, nichts zu seinen Gunsten ableiten, da die Mindeststrafgrenze keinen Eingang in das Gesetz gefunden habe und somit für den vorliegenden Fall nicht beachtlich sei.

1.4 Diese Ausführungen der Vorinstanz sind nicht zu beanstanden.

1.4.1 Dass der Versuch in Art. 66a Abs. 1 StGB nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht entscheidend. Der Botschaft vom 26. Juni 2013 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes (Umsetzung von Art. 121 Abs. 3-6 BV über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer; BBl 2013 5975) ist ausdrücklich zu entnehmen, dass die Landesverweisung entsprechend den allgemeinen Regeln des StGB nicht nur bei einer Verurteilung als Allein- und Haupttäter greife, sondern bei sämtlichen Täterschafts- und Teilnahmeformen ausgesprochen werden müsse sowie unabhängig davon, ob es beim Versuch geblieben sei und ob die Strafe bedingt, unbedingt oder teilbedingt ausfalle (BBl 2013 6020 f. Ziff. 2.1.1). Dass sich die Erläuterung hinsichtlich des Versuchs einer Katalogtat an dieser Stelle auf Fälle bezieht, in denen die im Gesetzesentwurf ursprünglich vorgesehene Mindeststrafgrenze erreicht wird, steht der vorinstanzlichen Auffassung nicht entgegen. Indem der Gesetzgeber die fragliche Mindeststrafgrenze nicht ins Gesetz übernahm, brachte er klar zum Ausdruck, dass er im Vergleich zum Entwurf eine Verschärfung der Bestimmung beabsichtigte. Deshalb ist davon auszugehen, dass er den Versuch auch nach der Eliminierung einer erforderlichen Mindeststrafe von Art. 66a StGB erfasst haben wollte.

1.4.2 Der Einwand des Beschwerdeführers, entgegen der Vorinstanz signalisiere der Gesetzeswortlaut mit dem Begriff "ferner", dass es sich hierbei um eine nicht abschliessende Aufzählung von Strafmilderungsgründen handle, greift nicht. Die entsprechenden Ausführungen der Vorinstanz sind zutreffend. Es ist klar und eindeutig, dass der Anfang von Art. 66a Abs. 3 StGB ("Von einer Landesverweisung kann ferner abgesehen werden, wenn") sich auf den
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vorangehenden Absatz 2 bezieht ("Das Gericht kann ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn") und nicht andeuten soll, dass nebst den ausdrücklich genannten noch weitere Strafmilderungsgründe berücksichtigt werden könnten. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er die Formulierung in Art. 66a Abs. 3 StGB zusätzlich mit einem "namentlich" oder "insbesondere" versehen. In der bestehenden Fassung aber ist der Begriff "ferner" nicht anders zu verstehen, als die Vorinstanz dies tut.

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