Urteilskopf
145 IV 50
6. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen)
6B_598/2018 vom 7. November 2018
Regeste
Art. 55 Abs. 1 SVG
; Zuständigkeit zur Anordnung eines Vortests nach
Art. 10 Abs. 2 SKV
.
Die Polizei ist zuständig für die Anordnung eines Drogenschnelltests nach
Art. 10 Abs. 2 SKV
(E. 3.1-3.5).
A.
Die Polizei hat X. anlässlich einer Polizeikontrolle am 10. August 2016 aufgrund des starken Marihuanageruchs in seinem Personenwagen sowie der Tatsache, dass er sichtlich nervös und angetrieben wirkte, zu einem Drogenschnelltest aufgefordert. X. widersetzte sich der Durchführung eines sog. MAHSAN Drogenschnelltests anhand einer Urinprobe.
B.
Am 23. Mai 2017 verurteilte das Regionalgericht Bern-Mittelland X. wegen Widerhandlung gegen das SVG durch Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 90.-.
C.
Das Obergericht des Kantons Bern wies die dagegen von X. erhobene Berufung am 1. Februar 2018 ab. Zuvor hatte es zwei Ausstandsgesuche gegen die Gerichtsbesetzung abgewiesen, soweit es
BGE 145 IV 50 S. 51
darauf eingetreten war. Das Bundesgericht schützte Letzteres mit Urteil 1B_514/2017 vom 19. April 2018 und Urteil 1B_77/2018 vom 8. Mai 2018.
D.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X., das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und das Verfahren sei wegen nicht behebbarer Verstösse gegen
Art. 6 EMRK
einzustellen. Eventualiter sei er unter Kostenfolge freizusprechen. Subeventualiter sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen. X. lehnt ausserdem die Besetzung des bundesgerichtlichen Spruchkörpers insgesamt sowie insbesondere Bundesrichter Rüedi und Bundesrichterin Jametti wegen ihrer Parteizugehörigkeit ab.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer beanstandet seine Verurteilung wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit nach
Art. 91a Abs. 1 SVG
. Er wendet ein, der Drogenschnelltest sei fälschlicherweise von der Polizei anstatt der Staatsanwaltschaft angeordnet worden. Ferner macht er geltend,
Art. 91a SVG
verstosse gegen das Selbstbelastungsverbot nach
Art. 6 EMRK
.
3.1
Der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit gemäss
Art. 91a Abs. 1 SVG
macht sich schuldig, wer sich als Motorfahrzeugführer vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalkoholprobe oder einer anderen vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzogen hat oder den Zweck dieser Massnahmen vereitelt hat. Damit soll verhindert werden, dass der korrekt sich einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit unterziehende Fahrzeugführer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonst wie vereitelt (vgl. zu aArt. 91 Abs. 3 SVG:
BGE 126 IV 53
E. 2d S. 58 f.; Urteil 6B_307/2017 vom 19. Februar 2017 E. 1.2.1; je mit Hinweisen). In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt (vgl.
BGE 131 IV 36
E. 2.2.1 S. 39; Urteil 6B_307/2017 vom 19. Februar 2017 E.1.2.1; je mit Hinweisen).
Gemäss
Art. 55 Abs. 1 SVG
können Fahrzeugführer sowie an Unfällen beteiligte Strassenbenützer einer Atemalkoholprobe unterzogen werden. Weist die betroffene Person Anzeichen von Fahrunfähigkeit
BGE 145 IV 50 S. 52
auf und sind diese nicht oder nicht allein auf Alkoholeinfluss zurückzuführen, so kann sie weiteren Voruntersuchungen, namentlich Urin- und Speichelproben unterzogen werden (
Art. 55 Abs. 2 SVG
).
Gemäss Art. 10 Abs. 1 der Strassenverkehrskontrollverordnung vom 28. März 2007 (SKV; SR 741.013) kann die Polizei zur Feststellung des Alkoholkonsums Vortestgeräte verwenden, die Auskunft über die Alkoholisierung geben. Bestehen Hinweise dafür, dass die kontrollierte Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig ist und in diesem Zustand ein Fahrzeug geführt hat, so kann die Polizei zum Nachweis von Betäubungs- oder Arzneimitteln namentlich im Urin, Speichel oder Schweiss Vortests durchführen (
Art. 10 Abs. 2 SKV
).
3.2
Das Bundesgericht hat darauf hingewiesen, dass
Art. 10 SKV
eine Anordnungskompetenz der Polizei enthält (Urteil 6B_563/2017 vom 11. September 2017 E. 1.5). Was die Lehre betrifft, so hat JEANNERET die polizeiliche Zuständigkeit zur Anordnung der Vortests nach
Art. 10 Abs. 2 SKV
bejaht (YVAN JEANNERET, La poursuite des infractions routières et le CPP: quid novi?, Strassenverkehr 2/2011 S. 27 ff., 31). Gemäss WEISSENBERGER enthält
Art. 10 SKV
eine Anordnungskompetenz (PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl. 2015, N. 38 zu
Art. 55 SVG
). RIEDO vertritt die Auffassung, dass die Urin-, Speichel- und Schweissuntersuchungen als Zwangsmassnahmen durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden müssen, wobei er dies als wenig sinnvoll erachtet (CHRISTOF RIEDO, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 94 f. zu
Art. 91a SVG
).
3.3
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Polizei sei gemäss
Art. 10 Abs. 2 SKV
einzig zur Durchführung des Drogenschnelltests, nicht aber zu dessen Anordnung befugt. Es sei danach zu unterscheiden, ob der Untersuchung ein strafprozessualer oder polizeilicher Charakter zukomme. Dies sei davon abhängig, ob die Untersuchung einen konkreten Tatverdacht voraussetze. Ein solcher werde für den Drogenschnelltest verlangt, weswegen dieser als strafprozessuale Zwangsmassnahme von der Staatsanwaltschaft anzuordnen sei.
3.4
Die Polizei ist im Bereich des SVG Sicherheits- bzw. Verkehrspolizei sowie Strafverfolgungsbehörde im Sinne von
Art. 15 StPO
. Für die Zuordnung der polizeilichen Tätigkeit ist die Funktion im Einzelfall massgebend, wobei sich eine exakte Grenzziehung schwer vornehmen lässt (ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur
BGE 145 IV 50 S. 53
Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 4 zu
Art. 15 StPO
). Bei polizeilichen Kontrollen, die nicht auf einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von
Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO
beruhen, handelt es sich um Handlungen im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Kontrolltätigkeit (FAHRNI/HEIMGARTNER, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 2 zu
Art. 55 SVG
; RIEDO, a.a.O., N. 93 zu
Art. 91a SVG
). Fraglich ist, ob die nach Art. 10 Abs. 2 SVK erforderlichen Hinweise auf Fahrunfähigkeit im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts nach
Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO
auszulegen sind.
3.5
Die Lehre ist gespalten bezüglich der Frage, ob für die Durchführung eines Vortests nach
Art. 10 Abs. 2 SKV
ein hinreichender Tatverdacht erforderlich ist. Während FAHRNI/HEIMGARTNER dies verneinen (FAHRNI/HEIMGARTNER, a.a.O., N. 45 zu
Art. 55 SVG
), wird von RIEDO sowie BUSSY/RUSCONI/JEANNERET/KUHN/MIZEL/MÜLLER die gegenteilige Auffassung vertreten (RIEDO, a.a.O., N. 93 zu
Art. 91a SVG
; BUSSY/RUSCONI/JEANNERET/KUHN/MIZEL/MÜLLER, in: Code suisse de la circulation routière, 4. Aufl. 2015, N. 1.2 zu
Art. 55 SVG
).
Nach der Rechtsprechung genügen für die Durchführung eines Vortests nach
Art. 10 Abs. 2 SKV
bereits geringe Anzeichen für eine durch Betäubungs- oder Arzneimittel beeinträchtigte Fahrfähigkeit, wie beispielsweise ein blasser Teint und wässrige Augen (Urteil 6B_244/2011 vom 20. Juni 2011 E. 1.4). Nicht zulässig ist eine Voruntersuchung, welche einzig auf der Kenntnis des früheren Drogenkonsums basiert (
BGE 139 II 95
E. 2.2 S. 99).
Massgebend ist, dass mit den Kontrollmassnahmen nach
Art. 55 SVG
auch generalpräventive Motive verfolgt werden (vgl. zu den Motiven von
Art. 55 SVG
FAHRNI/HEIMGARTNER, a.a.O., N. 1 zu
Art. 55 SVG
). Mit
Art. 55 SVG
sollten Personen, welche ihre Fahrunfähigkeit durch Betäubungs- oder Arzneimittel herbeiführen, denjenigen Personen, die aufgrund ihres Alkoholkonsums fahrunfähig sind, grundsätzlich gleichgestellt werden (Botschaft vom 31. März 1999 zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes [SVG], BBl 1999 4462, 4473 Ziff. 121. 22). Aus Gründen der Verhältnismässigkeit wurde jedoch auf die systematische Durchführung von Kontrollen der Fahrunfähigkeit wegen Einflusses von Betäubungs- oder Arzneimittel verzichtet (
BGE 139 II 95
E. 2.1 S. 99 mit Hinweis auf die Botschaft).
Art. 55 Abs. 2 SVG
spricht indes ausdrücklich von Voruntersuchungen, während nach
Art. 307 Abs. 1 lit. a StPO
ein hinreichender Tatverdacht für die
BGE 145 IV 50 S. 54
Eröffnung einer Untersuchung erforderlich ist. Ferner sind die Vortests in ihrer Eingriffsintensität massgebend beschränkt. Sie erfordern keinen Eingriff in die körperliche Integrität und können rasch durchgeführt werden. Ihnen kommt im Übrigen lediglich eine Indikatorfunktion zu, da sie zwar ein positives oder negatives Ergebnis anzuzeigen vermögen, hingegen nicht geeignet sind, den relevanten medizinischen Zustand der betroffenen Person zum Abnahme- bzw. Fahrzeitpunkt exakt festzustellen (vgl. FAHRNI/HEIMGARTNER, a.a.O., N. 13 und 20 zu
Art. 55 SVG
).
Vor diesem Hintergrund sind die nach
Art. 10 Abs. 2 SKV
erforderlichen Hinweise dafür, dass die kontrollierte Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig ist und in diesem Zustand ein Fahrzeug geführt hat, nicht mit einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von
Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO
gleichzusetzen. Die Polizei ist im Rahmen ihrer sicherheitspolizeilichen Tätigkeit befugt, einen Vortest nach
Art. 10 Abs. 2 SKV
anzuordnen. Je nach konkreten Umständen und Ergebnis des Vortests kann indes ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von
Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO
vorliegen, welcher zu einer nach
Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO
durch die Staatsanwaltschaft anzuordnenden Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit aufgrund des Verdachts einer Widerhandlung gegen das SVG führen kann (vgl.
BGE 143 IV 313
E. 5.2 S. 315). Die Rüge des Beschwerdeführers erweist sich als unbegründet.
Inwiefern die Vorinstanz in diesem Zusammenhang den Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" nach
Art. 7 EMRK
verletzt haben soll, wie der Beschwerdeführer vorbringt, ist nicht ersichtlich.
3.6
Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer schliesslich, wenn er unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR geltend macht, die in
Art. 91a SVG
statuierte Verpflichtung von Strassenverkehrsteilnehmern, sich Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zu unterziehen, verstosse gegen das Verbot des Selbstbelastungszwanges nach
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
.
Der EGMR hat darauf hingewiesen, dass sich jeder Halter oder Lenker eines Motorfahrzeugs der Strassenverkehrsgesetzgebung unterwirft (Urteil
O'Halloran und Francis gegen Grossbritannien
vom 29. Juni 2007; eine Zusammenfassung der Rechtsprechung findet sich in § 53; teilweise veröffentlicht in: forumpoenale 1/2008 S. 2 mit Bemerkungen von WOLFGANG WOHLERS). Gemäss der neueren bundesgerichtlichen und konventionsrechtlichen Rechtsprechung
BGE 145 IV 50 S. 55
ergeben sich für Halter und Lenker von Motorfahrzeugen aus ihrer Akzeptanz der Strassenverkehrsgesetzgebung sowie der Fahrberechtigung gewisse Obliegenheiten. Darunter fallen neben Verhaltenspflichten auch vielfältige Auskunftspflichten gegenüber den Behörden (
BGE 144 I 242
E. 1.2 S. 244 mit Hinweisen).
Insbesondere hat der EGMR in seiner Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten, dass die Selbstbelastungsfreiheit nicht berührt ist, wenn es um die Entnahme von Beweismitteln wie Blut, Atem, Urin usw. geht, die auch ohne den Willen der beschuldigten Person erlangt werden können (Urteil
Saunder gegen das Vereinigte Königreich
vom 17. September 1996 § 69; vgl. dazu auch CHARLES HAENNI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 20 zu Art. 251/252 StPO). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung, auf welche der Beschwerdeführer selbst hinweist, ist sein Einwand, die Urinprobe erfordere eine aktive Mitwirkung seinerseits und verstosse deswegen gegen
Art. 6 EMRK
, unbehelflich.