Urteilskopf
150 II 308
26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Aufsichtskommission über die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des Kantons Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_164/2023 vom 25. März 2024
Regeste a
Art. 20 BGFA
; aArt. 369 Abs. 7 StGB; Berücksichtigung von im kantonalen Anwaltsregister bereits gelöschten Disziplinarmassnahmen bei der Bemessung von Sanktionen.
Bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Berücksichtigung von früheren Disziplinarmassnahmen bei der Bemessung von Sanktionen nach BGFA (E. 5.5). Das altrechtliche Verwertungsverbot von im Strafregister entfernten Vorstrafen nach aArt. 369 Abs. 7 StGB (E. 5.6) und die registerrechtliche Ordnung des BGFA (E. 5.7) stehen einer Berücksichtigung nicht entgegen. Rehabilitationsgedanke im Disziplinarrecht (E. 5.8). Interkantonales Verhältnis (E. 5.9). Die Aufsichtsbehörden können frühere Verfehlungen - darunter auch im kantonalen Anwaltsregister gelöschte Sanktionen - in die Bemessung von Disziplinarmassnahmen einbeziehen; im Rahmen der Bewertung des beruflichen Vorlebens verlieren zurückliegende Disziplinarmassnahmen jedoch in der Regel mit zunehmendem zeitlichen Abstand an Bedeutung (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 5.10).
Regeste b
Art. 17 BGFA
;
Art. 49 Abs. 1 BV
; § 23 Abs. 1 lit. d Einführungsgesetz des Kantons Zug zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte; Rechtmässigkeit der Publikation eines befristeten Berufsausübungsverbots im kantonalen Amtsblatt; Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts.
Das BGFA normiert die Disziplinarmassnahmen gegenüber Anwältinnen und Anwälten abschliessend (E. 7.4). Die Publikation von Disziplinarmassnahmen in amtlichen kantonalen Publikationsorganen ist im BGFA nicht vorgesehen (E. 7.5). Qualifikation der Publikation eines befristeten Berufsausübungsverbots als eigenständige repressive Sanktion (E. 7.6-7.8). Die Anordnung der Publikation eines befristeten Berufsausübungsverbots im kantonalen Amtsblatt ist bundesrechtswidrig. Sie stellt eine Disziplinarmassnahme dar und steht daher mit der abschliessenden Normierung des Disziplinarrechts im BGFA im Widerspruch (E. 7.9).
A.
Rechtsanwalt A. amtete seit September 2019 als Willensvollstrecker und seit Oktober 2019 zusätzlich als Erbschaftsverwalter im Nachlass von C. Am 3. November 2021 erhob die Alleinerbin F., vertreten durch Rechtsanwalt B., Aufsichtsanzeige gegen Rechtsanwalt A. bei der Aufsichtskommission über die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des Kantons Zug (nachfolgend: Aufsichtskommission) und beantragte die Anordnung von Disziplinarmassnahmen gegen Rechtsanwalt A. Anlass für die Aufsichtsanzeige war, dass Rechtsanwalt A. über Monate hinweg den Nachlass zurückbehalten, trotz Aufforderung keine Abrechnung über eine Akontozahlung von Fr. 3'885.- vorgelegt, eine Rechnung des Erbschaftsamtes über Fr. 783.- nicht bezahlt und weitere Dokumente nicht fristgerecht beim Erbschaftsamt eingereicht hatte. Mit Eingabe vom 2. März 2022 nahm Rechtsanwalt A. zu den Vorwürfen in der Aufsichtsanzeige Stellung und reichte gleichzeitig eine Aufsichtsanzeige gegen Rechtsanwalt B. ein.
B.
Mit Beschluss vom 23. November 2022 stellte die Aufsichtskommission fest, dass Rechtsanwalt A. gegen
Art. 12 lit. a, lit. h und lit. i des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61)
verstossen habe. Gegen ihn wurde ein befristetes Berufsausübungsverbot von vier Monaten ausgesprochen. Die Aufsichtskommission ordnete an, das befristete Berufsausübungsverbot sei nach Eintritt der Rechtskraft des Entscheids im Amtsblatt des Kantons Zug zu publizieren. Im gleichen Beschluss wurde seine Anzeige gegen Rechtsanwalt B. vom 2. März 2022 nicht an die Hand genommen.
Die dagegen erhobene Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zug wurde mit Entscheid vom 7. Februar 2023 abgewiesen. Rechtsanwalt A. wurde in Ziff. 5 des Dispositivs verpflichtet, Rechtsanwalt B. für die prozessualen Umtriebe mit Fr. 1'000.- zu entschädigen.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gelangt Rechtsanwalt A. an das Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Obergerichts Zug vom 7. Februar 2023 sei aufzuheben und es sei von einer Disziplinarsanktion ihm gegenüber abzusehen;
BGE 150 II 308 S. 311
eventualiter sei er höchstens mit einer Verwarnung oder einem Verweis zu disziplinieren. Demgegenüber sei Rechtsanwalt B. (Beschwerdegegner 2) wegen einer Verletzung von
Art. 12 lit. a BGFA
angemessen zu disziplinieren; eventualiter sei die Aufsichtskommission anzuweisen, gegen Rechtsanwalt B. ein Disziplinarverfahren wegen Verletzung von
Art. 12 lit. a BGFA
zu eröffnen und ihn angemessen zu disziplinieren. Aus der Beschwerdeschrift ergibt sich weiter der Antrag, die Ziff. 5 des vorinstanzlichen Urteils betreffend Parteientschädigung an den Beschwerdegegner 2 sei aufzuheben.
Die Abteilungspräsidentin hat der Beschwerde am 30. März 2023 in dem Sinne aufschiebende Wirkung erteilt, dass das gegen Rechtsanwalt A. ausgesprochene befristete Berufsausübungsverbot während der Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens nicht vollstreckt werden darf.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
5.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 20 BGFA
.
5.1
Die Vorinstanz bestätigte das von der Aufsichtskommission aufgrund der Berufsregelverletzungen ausgesprochene befristete Berufsausübungsverbot von vier Monaten. Sie listete in ihrem Urteil folgende frühere Disziplinarmassnahmen gegen den Beschwerdeführer auf, die zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils teilweise mehr als zehn bzw. fünf Jahre zurücklagen:
29. Juni 2007: Entzug von Beurkundungsbefugnis (vor über 15 Jahren angeordnet); 18. Dezember 2007: Busse von Fr. 300.- wegen Berufsregelverletzung (vor über 15 Jahren angeordnet); 16. September 2009: Löschung im Anwaltsregister wegen strafrechtlicher Verurteilung (vor über 13 Jahren angeordnet); 16. Dezember 2009: Busse von Fr. 1'500.- wegen Berufsregelverletzung (
Art. 12 lit. i BGFA
) (vor über 13 Jahren angeordnet); 27. November 2012: Busse von Fr. 800.- wegen Berufsregelverletzung (
Art. 12 lit. a BGFA
) (vor mehr als 10 Jahren angeordnet); 6. Juni 2017: Busse von Fr. 2'000.- wegen Berufsregelverletzung (
Art. 12 lit. a BGFA
) (vor über 5 Jahren angeordnet); 2. Juli 2020: Busse von Fr. 2'000.- wegen Berufsregelverletzung (
Art. 12 lit. a BGFA
) (vor über zwei Jahren angeordnet).
BGE 150 II 308 S. 312
Die Vorinstanz berücksichtigte diese früheren Massnahmen bei der Bemessung der Sanktion. Sie erwog, beim Beschwerdeführer zögen sich Disziplinierungen mit erheblicher Häufigkeit durch sein Berufsleben als Rechtsanwalt, was auf eine erschreckende Uneinsichtigkeit hinsichtlich der Einhaltung der Berufsregeln schliessen lasse. Aus dem Umstand, dass in der Vergangenheit mehrere Bussen beim Beschwerdeführer keinerlei Wirkung zeigten, sei vorliegend ein Berufsausübungsverbot die einzige Massnahme, welche geeignet sei, der zukünftigen Durchsetzung der Berufspflichten gemäss BGFA durch den Beschwerdeführer das nötige Gewicht zu verleihen.
5.2
Vor Bundesgericht ist die Grundsatzfrage umstritten, ob bei der Bemessung der Sanktion im kantonalen Anwaltsregister bereits gelöschte Disziplinarmassnahmen zu berücksichtigen sind.
5.3
Der Beschwerdeführer macht geltend, bis auf die jüngste Busse vom 2. Juli 2020 lägen die Disziplinarmassnahmen über zehn bzw. fünf Jahre zurück, weshalb sie gemäss
Art. 20 BGFA
im kantonalen Anwaltsregister gelöscht worden seien bzw. hätten gelöscht werden müssen. In
Art. 20 BGFA
seien die Entfernungsfristen so bemessen worden, dass zwischen den staatlichen Verfolgungsinteressen und dem Bedürfnis nach vollständiger Rehabilitation eines sanktionierten Anwaltes ein Ausgleich geschaffen werde. Es lasse sich daher nicht rechtfertigen, einem Anwalt auch Jahrzehnte nach Aussprache einer Sanktion diese noch vorzuhalten. Das für das Strafregister geltende Verwertungsverbot von gelöschten Registereinträgen (aArt. 369 Abs. 7 StGB) lasse sich auch für das Disziplinarverfahren nach BGFA heranziehen.
5.4
Gemäss
Art. 20 Abs. 1 BGFA
werden Verwarnungen, Verweise und Bussen fünf Jahre nach ihrer Anordnung im Register gelöscht. Ein befristetes Berufsausübungsverbot wird zehn Jahre nach seiner Aufhebung im Register gelöscht (
Art. 20 Abs. 2 BGFA
). Fraglich ist, ob die Löschung einer Disziplinarmassnahme ausschliesst, dass die Aufsichtsbehörde diese Sanktion zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen eines erneuten Disziplinarverfahrens berücksichtigt.
5.5
Das Bundesgericht befasste sich bereits verschiedentlich mit der Berücksichtigung von früheren Disziplinarmassnahmen nach BGFA:
In Urteil 2A.560/2004 liess das Bundesgericht die Frage, ob im Register gelöschte Sanktionen beachtet werden dürfen, noch offen. Es erwog, es sei
zweifelhaft
, ob die Aufsichtsbehörden an der Berücksichtigung von früheren Disziplinierungen eines Rechtsanwalts, die
BGE 150 II 308 S. 313
ihnen während der Ermittlungen bekannt werden, gehindert würden, wenn diese Disziplinierungen im kantonalen Anwaltsregister bereits gelöscht seien. Das Bundesgericht erwog, zwischen der ersten Disziplinierung des Rechtsanwalts und den Ereignissen, die zum Disziplinarverfahren geführt haben, seien kaum mehr als drei Jahre vergangen, was in jedem Fall kürzer sei als die Löschungsfrist von fünf Jahren, die in
Art. 20 Abs. 1 BGFA
für Bussen vorgesehen sei. Daher sei die Berücksichtigung der früheren Disziplinierung bei der Beurteilung des erneuten Fehlverhaltens des Rechtsanwalts nicht zu beanstanden (vgl. Urteil 2A.560/2004 vom 1. Februar 2005 E. 6). Das Urteil nimmt auf die damalige Rechtsprechung zur alten Fassung des StGB Bezug (vgl. E. 5.6 hiernach).
In Urteil 2C_167/2020 vom 13. Mai 2020 E. 4.2 kam das Bundesgericht mit Verweis auf das genannte Urteil 2A.560/2004 zum Schluss, die Berücksichtigung früherer Disziplinarmassnahmen gegen einen Rechtsanwalt sei zulässig. In Urteil 2C_354/2021 vom 24. August 2021 E. 5.1 erwog das Bundesgericht mit Verweis auf die beiden erwähnten Urteile, frühere Sanktionen könnten nicht nur, sondern
müssten
grundsätzlich in die Beurteilung einfliessen. Ob in den letztgenannten beiden Fällen die früheren Massnahmen im kantonalen Register bereits gelöscht gewesen waren, geht aus den Urteilen nicht hervor. Diese Rechtsprechung wurde in Urteil 2C_84/2023 vom 13. Februar 2024 E. 6.1.1 erneut bestätigt.
Die bisherige Rechtsprechung lässt sich demnach dahingehend zusammenfassen, dass Disziplinarmassnahmen unter Berücksichtigung des gesamten beruflichen Vorlebens auszusprechen sind. Das Bundesgericht hat sich dabei aber nicht vertieft mit der Frage befasst, wie im Anwaltsregister gelöschte Sanktionen zu behandeln sind. Die Literatur vertritt, soweit sie sich dazu äussert, die Auffassung, aus dem Register nicht mehr ersichtliche Massnahmen hätten unberücksichtigt zu bleiben (BRUNNER/HENN/KRIESI, Anwaltsrecht, 2015, S. 251). Vor diesem Hintergrund ist die dargelegte Rechtsprechung zu überprüfen.
5.6
Sowohl der Beschwerdeführer als auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung (so im erwähnten Urteil 2A.560/2004) stellen Quervergleiche zwischen dem Eintrag einer Sanktion im Anwaltsregister und im Strafregister an. Ansatzpunkt dafür ist aArt. 369 Abs. 7 StGB. Diese Bestimmung ist für die vorliegend umstrittene Rechtsfrage daher relevant und erfuhr in den letzten 20 Jahren
BGE 150 II 308 S. 314
massgebliche Änderungen und Einschränkungen, weshalb die Entwicklung dieser Norm nachfolgend kurz darzustellen ist:
5.6.1
Vor 2007 konnten die Gerichte ihnen bekannte Vorstrafen zulasten des Betroffenen berücksichtigen, auch wenn diese aus dem Strafregister entfernt worden waren (vgl.
BGE 121 IV 3
E. 1c/dd; ARNOLD/GRUBER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2019, N. 7 zu
Art. 369 StGB
). Nach der damals ergangenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung durften Vorstrafen, die aus dem Strafregister bereits entfernt worden waren, die dem Gericht jedoch aus beigezogenen Vorakten, älteren Gutachten, Zeugen- und Parteiaussagen oder aufgrund früherer Tätigkeit der Gerichtsmitglieder bekannt wurden, berücksichtigt werden (
BGE 121 IV 3
E. 1c/cc und dd). Der Gesetzgeber änderte diese Rechtslage per 1. Januar 2007 mit der Einführung von aArt. 369 Abs. 7 StGB: Aus dem Strafregister entfernte Urteile durften dem Betroffenen nicht mehr entgegengehalten werden, weshalb im Sinne eines Verwertungsverbots an solche Urteile generell keine Rechtsfolgen mehr geknüpft werden konnten (
BGE 135 I 71
E. 2.10; Urteile 2C_861/2018 vom 21. Oktober 2019 E. 3.2; 2C_477/2008 vom 24. Februar 2009 E. 3.2.1; Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [...], BBl 1999 II 1979, 2168). Mit aArt. 369 Abs. 7 StGB wurde zwischen den staatlichen Verfolgungsinteressen und dem Bedürfnis nach vollständiger Rehabilitation eines Straffälligen ein Ausgleich geschaffen (
BGE 135 I 71
E. 2.10; Urteil 5A_440/2020 vom 5. November 2020 E. 6.4.1).
5.6.2
Dieses Verwertungsverbot galt indes nicht umfassend. Das Bundesgericht liess einerseits Ausnahmen zu bei Prognoseentscheiden im Massnahmerecht (vgl.
BGE 150 IV 103
E. 2.2.1;
BGE 135 IV 87
E. 2.5; Urteil 1B_589/2021 vom 19. November 2021 E. 5.2 ff. mit Hinweisen zur Entwicklung der Rechtsprechung). Andererseits relativierte die höchstrichterliche Rechtsprechung das Verwertungsverbot im Ausländerrecht. Migrationsbehörden dürfen zwar eine aufenthaltsbeendende Massnahme nicht direkt gestützt auf eine bereits gelöschte Straftat verfügen (Urteile 2C_534/2022 vom 21. April 2023 E. 4.7; 2C_861/2018 vom 21. Oktober 2019 E. 3.2; 2C_255/2021 vom 2. August 2021 E. 4.3), es ist ihnen jedoch nicht verwehrt, strafrechtlich relevante Daten, die sich in ihren Akten befinden oder ihnen anderweitig bekannt sind, nach deren Löschung im Strafregister in die Beurteilung des Verhaltens des Ausländers während seiner gesamten Anwesenheit in der Schweiz einzubeziehen (vgl. Urteile 2C_41/2023
BGE 150 II 308 S. 315
vom 1. März 2024 E. 6.4.2; 2C_378/2022 vom 22. Mai 2023 E. 4.4.1; 2C_861/2018 vom 21. Oktober 2019 E. 3.2 mit Hinweisen).
5.6.3
Am 23. Januar 2023 trat das Bundesgesetz vom 17. Juni 2016 über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA (Strafregistergesetz, StReG; SR 330; AS 2022 600) in Kraft. Dabei wurde das Verwertungsverbot in aArt. 369 Abs. 7 StGB aufgehoben (vgl.
BGE 150 IV 103
E. 2.2.1 f.). Gemäss Botschaft des Bundesrats hat das Verwertungsverbot seine sachliche Rechtfertigung verloren und sei angesichts der zahlreichen Ausnahmen nicht mehr konsistent anwendbar (Botschaft vom 20. Juni 2014 zum Strafregistergesetz, BBl 2014 5713, 5724). Das neue Strafregisterrecht ist folglich bei der Berücksichtigung von gelöschten Vorstrafen weniger restriktiv, was den Willen des Gesetzgebers widerspiegelt, die Bedeutung des Rechts auf Vergessen einzuschränken (
BGE 150 IV 103
E. 2.2.3).
5.6.4
Mit Blick auf die dargelegte Entwicklung kann aus dem Verwertungsverbot nach aArt. 369 Abs. 7 StGB nichts für das Disziplinarverfahren nach BGFA abgeleitet werden. Zum einen galt dieses schon vor dem Inkrafttreten des Strafregistergesetzes nicht umfassend. Zum anderen offenbart die Streichung des Verwertungsverbots die gesetzgeberische Wertung, die Berücksichtigung des Vorlebens trotz Löschung im Register bereichsspezifisch zuzulassen.
5.7
Aus der bundesrechtlichen Ordnung des Registerrechts im BGFA lässt sich nicht ableiten, die Aufsichtsbehörden seien verpflichtet, gelöschte Massnahmen zu ignorieren. Gemäss
Art. 5 Abs. 2 lit. e BGFA
enthält das kantonale Register die nicht gelöschten Disziplinarmassnahmen. Die kantonalen Aufsichtsbehörden über die Anwältinnen und Anwälte erhalten Einsicht in das Register (
Art. 10 Abs. 1 lit. c BGFA
). Das Einsichtsrecht wird den kantonalen Aufsichtsbehörden auf Antrag eingeräumt, um im interkantonalen Verhältnis eine angemessene Information über Disziplinarmassnahmen sicherzustellen (vgl.
BGE 148 I 226
E. 5.3.4).
Art. 10 BGFA
regelt indes lediglich die
Einsicht
in die Register. Wie sich aus der Botschaft zum BGFA ergibt, bezwecken die registerrechtlichen Vorgaben des BGFA eine blosse Vereinheitlichung zwischen den Kantonen (vgl. Botschaft vom 28. April 1999 zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte, BBl 1999 6013, 6045 und 6061;
BGE 130 II 270
E. 3).
5.8
In teleologischer Hinsicht ist zu beachten, dass ein analog zu aArt. 369 Abs. 7 StGB verstandenes Verwertungsverbot im
BGE 150 II 308 S. 316
Disziplinarrecht es den Aufsichtsbehörden erschweren würde, sich ein Gesamtbild der beruflichen Aktivität einer betroffenen Person zu machen. Dem Rehabilitationsgedanken kann im Disziplinarrecht nicht derselbe Stellenwert zukommen wie im Strafrecht, denn disziplinarrechtliche Massnahmen haben in erster Linie zum Ziel, das Publikum vor problematischen Verhaltensweisen zu schützen (E. 7.6 hiernach). Insofern erscheint es erforderlich, dass die kantonalen Aufsichtsbehörden auch zeitlich zurückliegende Verfehlungen in ihre Beurteilung miteinbeziehen können. Allerdings nimmt die Bedeutung von einmal verhängten Sanktionen mit zunehmender Zeit ab. Je länger sich eine Person tadellos verhält, desto weniger kann ihr im Rahmen eines erneuten Disziplinarverfahrens eine frühere Verfehlung entgegengehalten werden.
5.9
Dieses Ergebnis erweist sich auch im interkantonalen Verhältnis als praktikabel. Nach
Art. 16 Abs. 2 BGFA
räumt die Aufsichtsbehörde, die beabsichtigt, eine Disziplinarmassnahme anzuordnen, der Aufsichtsbehörde des Registerkantons die Möglichkeit ein, zum Ergebnis der Untersuchung Stellung zu nehmen. Damit erhalten auch ausserkantonale Aufsichtsbehörden die Gelegenheit, von im Anwaltsregister bereits gelöschten früheren Disziplinarmassnahmen Kenntnis zu erlangen und zu berücksichtigen.
5.10
Demnach kann sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung, die sich für die Berücksichtigung auch gelöschter Massnahmen ausspricht, auf teleologische Erwägungen stützen. Die registerrechtliche Ordnung des BGFA spricht nicht dagegen, ebenso wenig das strafrechtliche Verwertungsverbot. Daher ist an der Rechtsprechung festzuhalten und sie ist dahingehend zu präzisieren, dass die Aufsichtsbehörden zwar frühere Verfehlungen - darunter auch im Register gelöschte Sanktionen - in die Beurteilung einbeziehen können; im Rahmen der Bewertung des beruflichen Vorlebens verlieren zurückliegende Disziplinarmassnahmen jedoch in der Regel mit zunehmendem zeitlichen Abstand an Bedeutung.
5.11
Entsprechend ist es vorliegend nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz die früheren, teilweise über 15 Jahre zurückliegenden Disziplinarmassnahmen gegen den Beschwerdeführer bei der Anordnung der Sanktion berücksichtigte. Eine andere Frage ist, ob die Vorinstanz die bereits gelöschten Disziplinarmassnahmen bundesrechtskonform gewichtete und in die Wahl sowie in die Bemessung der Sanktion einfliessen liess (dazu nicht publ. E. 6).
BGE 150 II 308 S. 317
(...)
7.
Vor Bundesgericht ist schliesslich umstritten, ob die Aufsichtsbehörde die Anordnung des viermonatigen Berufsausübungsverbots im kantonalen Amtsblatt publizieren durfte.
7.1
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die gesetzliche Grundlage für die Publikation nach kantonalem Recht (§ 23 Abs. 1 lit. d Einführungsgesetz des Kantons Zug vom 25. April 2002 zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [EG BGFA/ZG; BGS 163.1]). Er macht aber geltend, die Publikation des befristeten Berufsverbots im Amtsblatt gestützt auf kantonales Recht verstosse gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts.
Art. 17 BGFA
regle die Disziplinarmassnahmen abschliessend. Bei der Publikation im kantonalen Amtsblatt handle es sich um eine weitere Disziplinarmassnahme, die im Katalog von
Art. 17 BGFA
nicht vorgesehen sei.
7.2
Der Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts nach
Art. 49 Abs. 1 BV
schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt, eine Rechtsetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln (
BGE 148 I 210
E. 4.2;
BGE 146 I 20
E. 4.1;
BGE 145 I 26
E. 3.1;
BGE 144 I 113
E. 6.2).
7.3
Das BGFA stützt sich auf
Art. 95 Abs. 1 und 2 BV
.
Art. 95 Abs. 1 BV
räumt dem Bund die Kompetenz ein, Vorschriften über die privatwirtschaftliche Tätigkeit zu erlassen. Dabei handelt es sich um eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Verhältnis zu den Kantonen. Bereiche oder Teilbereiche, die bundesrechtlich nicht geregelt sind, fallen weiterhin in die kantonale Kompetenz (Urteil 2C_897/2015 vom 25. Mai 2016 E. 6.1).
7.4
Das BGFA normiert die Disziplinarmassnahmen gegenüber Anwältinnen und Anwälten
abschliessend
(
BGE 132 II 250
E. 4.3.1;
BGE 130 II 270
E. 1.1;
BGE 129 II 297
E. 1.1; Urteile 6B_629/2015 vom 7. Januar 2016 E. 4.3.3; 2C_897/2015 vom 25. Mai 2016 E. 5.3; 2C_257/2012 vom 4. September 2012 E. 1.1; 2C_665/2010 vom 24. Mai 2011 E. 6.1). Es können somit keine anderen und keine milderen oder schärferen Massnahmen verhängt werden, als in
Art. 17 BGFA
erwähnt (TOMAS POLEDNA, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 1 zu
Art. 17 BGFA
; BAUER/BAUER, in: Commentaire romand,
BGE 150 II 308 S. 318
Loi sur les avocats, 2. Aufl. 2022, N. 1 zu
Art. 17 BGFA
).
7.5
Die Publikation von Disziplinarmassnahmen in amtlichen kantonalen Publikationsorganen ist im BGFA nicht vorgesehen (vgl. im Gegensatz dazu die Veröffentlichung der Eintragung im Register gemäss
Art. 6 Abs. 3 BGFA
). Zu prüfen ist, ob es sich um eine zusätzliche Disziplinarmassnahme handelt, die aufgrund der abschliessenden bundesrechtlichen Ordnung unzulässig ist.
7.6
Disziplinarmassnahmen gegen Berufsangehörige von freien Berufen, die der staatlichen Aufsicht unterliegen, dienen in erster Linie dazu, die Ordnung im betreffenden Berufsstand aufrechtzuerhalten, eine ordnungsgemässe Arbeitsweise zu gewährleisten, das gute Ansehen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand zu wahren und die Öffentlichkeit vor Vertretern des Berufs zu schützen, welchen es an den erforderlichen Eigenschaften mangelt (
BGE 143 I 352
E. 3.3;
BGE 108 Ia 230
E. 2b). Disziplinarmassnahmen wirken repressiv; sie sanktionieren die Verletzung von gesetzlich normierten Berufsregeln. Sie haben in der Regel keinen pönalen Charakter (
BGE 128 I 346
E. 2.2;
BGE 125 I 417
E. 2a; Urteil 2C_897/2015 vom 25. Mai 2016 E. 5.2), sondern sollen den Bewilligungsinhaber von weiteren Verfehlungen abhalten. Dadurch wird mittelbar auch das Publikum geschützt (vgl. Urteile 2C_897/2015 vom 25. Mai 2016 E. 5.2; 2P.159/2005 vom 30. Juni 2006 E. 3.3).
7.7
Die höchstrichterliche Rechtsprechung befasste sich bereits mehrfach mit ähnlich gelagerten Rechtsfragen in anderen Rechtsgebieten.
In
BGE 143 I 352
erwog das Bundesgericht, die Publikation einer Disziplinarmassnahme gegen eine Person, die einen universitären Medizinalberuf ausübt, stelle eine eigenständige Sanktion dar. Mit Blick auf den Vorrang des Bundesrechts kann eine Person, die ihren Medizinalberuf selbständig ausübt, nur mit den im Medizinalberufegesetz abschliessend aufgeführten Massnahmen diszipliniert werden. Die im Gesundheitsgesetz des Kantons Waadt vorgesehene Publikation der Disziplinarmassnahme im kantonalen Amtsblatt ist daher bundesrechtswidrig (
BGE 143 I 352
E. 4.1).
Das Bundesgericht qualifiziert sodann die Veröffentlichung einer aufsichtsrechtlichen Verfügung nach
Art. 34 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 2007 über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG; SR 956.1)
als verwaltungsrechtliche Sanktion (vgl.
BGE 147 I 57
E. 2.2 f.; Urteil 2C_1055/2014 vom 2. Oktober 2015 E. 4.2). Die Reputationsstrafe des sog. "naming
BGE 150 II 308 S. 319
and shaming" soll Personen, die Verletzungen des Aufsichtsrechts begangen haben, davon abhalten, weitere Verstösse zu begehen, andere Personen warnend in präventiver Hinsicht davon abschrecken, ähnliche Verstösse zu begehen, und in allgemeiner Hinsicht die Vorteile rechtskonformen Verhaltens herausstreichen (
BGE 147 I 57
E. 3). Die Publikationsanordnung im Sinne von
Art. 34 FINMAG
stellt daher eine repressive verwaltungsrechtliche Sanktion und eine präventive Massnahme zum Schutz des Publikums dar (
BGE 147 I 57
E. 4.2; Urteile 2C_122/2014 vom 19. Juli 2014 E. 6.1; 2C_71/2011 vom 26. Januar 2012 E. 5; 2C_30/2011 vom 12. Januar 2012 E. 5.2.2).
Die Publikation einer Disziplinarmassnahme im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens schliesslich ist nach der Rechtsprechung als eigenständige Sanktion einzuordnen (vgl. Urteil 2D_8/2021 vom 7. Juli 2022 E. 4.3.2, nicht publ. in:
BGE 148 I 226
).
7.8
Von ihren Wirkungen her vermag die Publikation eines befristeten Berufsausübungsverbots für eine Anwältin oder einen Anwalt eine abschreckende und präventive Wirkung zu entfalten, die sogar stärker als die Sanktion selbst sein kann (vgl. Urteil 2D_8/2021 vom 7. Juli 2022 E. 4.3.2, nicht publ. in:
BGE 148 I 226
). In der kantonalen Praxis ist teils die Rede von einer "Prangerwirkung" (Urteile des Kantonsgerichts St. Gallen BR.2006.1 vom 7. September 2006 E. IV.2; AW.2015.59 vom 29. Oktober 2015 E. 7b). Zu diesem zumindest faktisch repressiv wirkenden Element kommt hinzu, dass die mit der Veröffentlichung geschaffene Publizität über das zur Durchsetzung des Berufsausübungsverbots Erforderliche hinaus geht. Eine sanktionierte Person kann trotz Berufsausübungsverbot noch beratend tätig sein (BBl 1999 6013, 6060; FELLMANN, Anwaltsrecht, 2. Aufl. 2017, Rz. 740). Diese beratende Tätigkeit wird durch die Publikation jedoch empfindlich beeinträchtigt. Die Veröffentlichung hat nachhaltige Auswirkungen auf das berufliche Ansehen (vgl. aus der kantonalen Praxis bezüglich eines Notars: Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 11. Dezember 2002 E. 7, in: Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide [AGVE] 2002 S. 373). Zur Durchsetzung des Berufsausübungsverbots ist dies nicht erforderlich. Das Verbot muss nach
Art. 18 Abs. 2 BGFA
den Aufsichtsbehörden sämtlicher Kantone mitgeteilt werden. Die eidgenössischen und kantonalen Gerichts- und Verwaltungsbehörden, vor denen die Anwältinnen und Anwälte auftreten, sowie weitere Behörden erhalten nach
Art. 10 Abs. 1 BGFA
Einsicht in das Anwaltsregister, wo die Disziplinarmassnahmen erscheinen (
Art. 5 Abs. 2 lit. e BGFA
).
BGE 150 II 308 S. 320
Damit verfügen die Behörden schweizweit über die notwendigen Infomationen, um einen Verstoss gegen das Berufsausübungsverbot zu verhindern.
Aus diesen Gründen ist die Publikation als zur eigentlichen Sanktion hinzutretende, repressive Massnahme zu qualifizieren. Die Ausgangslage verhält sich damit nicht anders als in den bereits von der Rechtsprechung beurteilten Fällen (E. 7.7 hiervor, so auch CHAPPUIS/GURTNER, La profession d'avocat, 2021, S. 302 Rz. 1144; Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Waadt GE.2017.0188 vom 16. Januar 2020 E. 3c).
7.9
Demnach ergibt sich, dass eine im kantonalen Recht vorgesehene Publikation des befristeten Berufsausübungsverbots im kantonalen Amtsblatt eine Disziplinarmassnahme darstellt und daher mit der abschliessenden Normierung des Disziplinarrechts im BGFA im Widerspruch steht. Sie verletzt den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts nach
Art. 49 Abs. 1 BV
. Die Publikationsanordnung ist damit bundesrechtswidrig und ist aufzuheben.
Die Beschwerde ist insofern begründet und gutzuheissen.