Urteilskopf
150 V 273
25. Auszug aus dem Urteil der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen EGK Grundversicherungen AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_385/2023 vom 8. Mai 2024
Regeste
Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 3,
Art. 25a Abs. 1,
Art. 35 Abs. 2 lit. e KVG
;
Art. 7 Abs. 1 lit. b,
Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV
; Hauspflege.
Laut
BGE 145 V 161
E. 5 können Familienangehörige der versicherten Person, die bei einer zugelassenen Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause angestellt sind, auch ohne pflegerische Fachausbildung allgemeine Grundpflege gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erbringen. Diese Rechtsprechung ist sinngemäss auch auf die psychiatrische Grundpflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV anwendbar (E. 4.3.5 und 4.3.6).
Eine Autismus-Spektrum-Störung mit erheblichen kognitiven Defiziten ist ein psychischer Gesundheitsschaden mit Krankheitswert, der grundsätzlich geeignet ist, Anspruch auf Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV zu begründen (E. 4.4.3).
A.
Der 2000 geborene A. ist für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (nachfolgend: OKP) der EGK Grundversicherungen AG (nachfolgend: EGK) angeschlossen. Er leidet an einem Fragilen-X-Syndrom mit Autismus-Spektrum-Störung und wird (auch) von seiner Mutter als Angestellte der C. GmbH betreut und gepflegt. Er bezieht resp. bezog von der Invalidenversicherung namentlich eine Entschädigung für schwere Hilflosigkeit, eine Invalidenrente und Assistenzbeiträge; die Ausgleichskasse Glarus richtet(e) Ergänzungsleistungen aus und die EGK gewährt(e) insbesondere allgemeine Grundpflege. A. machte im Rahmen von Ansprüchen auf Krankenversicherungsleistungen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_839/2018 vom 28. Juni 2019; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus VG.2020.00094 vom 17. Dezember 2020), auf Assistenzbeiträge (vgl. Urteil 9C_219/2020 vom 28. Januar 2021) und auf Ergänzungsleistungen (vgl. Urteil 9C_607/2021 vom 11. März 2022) erfolglos erhebliche Kosten für (hauptsächlich) durch seine Mutter erbrachte "psychiatrische Grundpflege" geltend.
Im Mai 2022 ersuchte A. die EGK um Übernahme von "psychiatrischer Grundpflege" im Umfang von insgesamt 102'075 Minuten für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 2022 (d.h. täglich rund 9,3 Stunden). Die EGK wies das Gesuch mit Verfügung vom 6. Oktober 2022 resp. mit Einspracheentscheid vom 28. Dezember 2022 ab.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 4. Mai 2023 ab. Gleichzeitig verweigerte es A. die unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale Verfahren.
C.
A. lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, unter Aufhebung des Urteils vom 4. Mai 2023 sei die EGK zu verpflichten, die geltend gemachten psychiatrischen Grundpflegeleistungen zu vergüten; eventuell sei die Angelegenheit an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Ausserdem sei ihm die unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale Verfahren zu
BGE 150 V 273 S. 275
gewähren. Ferner lässt er um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ersuchen und einen medizinischen Bericht nachreichen.
Die EGK beantragt die Abweisung der Beschwerde; eventualiter die Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet auf eine Vernehmlassung. A. und die EGK reichen je eine weitere Eingabe ein.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Aus den Erwägungen:
2.2.2
Die OKP übernimmt namentlich Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die aufgrund der Bedarfsabklärung nach
Art. 7 Abs. 2 lit. a und
Art. 8 KLV
(SR 832.112.31) auf ärztliche Anordnung hin oder im ärztlichen Auftrag von Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause erbracht werden (
Art. 7 Abs. 1 lit. b KLV
). Gemäss
Art. 7 Abs. 2 KLV
umfassen die Leistungen im Sinne dieser Bestimmung Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination (lit. a), der Untersuchung und der Behandlung (lit. b) sowie der Grundpflege (lit. c).
Erstere bestehen u.a. in der Beratung der Patienten sowie gegebenenfalls der nichtberuflich an der Krankenpflege Mitwirkenden bei der Durchführung der Krankenpflege, insbesondere im Umgang mit Krankheitssymptomen, bei der Einnahme von Medikamenten oder beim Gebrauch medizinischer Geräte, und Vornahme der notwendigen Kontrollen (Art. 7 Abs. 2 lit. a Ziff. 2 KLV). Die Massnahmen der Untersuchung und der Behandlung beinhalten namentlich pflegerische Vorkehren zur Umsetzung der ärztlichen Therapie im Alltag, wie Einüben von Bewältigungsstrategien und Anleitung im Umgang mit Aggression, Angst oder Wahnvorstellungen (Art. 7 Abs. 2 lit. b Ziff. 13 KLV), und Unterstützung für psychisch kranke Personen in Krisensituationen, insbesondere zur Vermeidung von akuter Selbst- oder Fremdgefährdung (Art. 7 Abs. 2 lit. b Ziff. 14 KLV). Die allgemeine Grundpflege umfasst etwa Beine einbinden, Kompressionsstrümpfe anlegen; Betten, Lagern; Bewegungsübungen, Mobilisieren; Dekubitusprophylaxe, Massnahmen zur Verhütung oder Behebung von behandlungsbedingten Schädigungen der Haut; Hilfe bei der Mund- und Körperpflege, beim An- und Auskleiden, beim Essen und Trinken (Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV). Zur psychiatrischen Grundpflege zählen Massnahmen zur Überwachung
BGE 150 V 273 S. 276
und Unterstützung psychisch kranker Personen in der grundlegenden Alltagsbewältigung, wie: Erarbeitung und Einübung einer angepassten Tagesstruktur, zielgerichtetes Training zur Gestaltung und Förderung sozialer Kontakte, Unterstützung beim Einsatz von Orientierungshilfen und Sicherheitsmassnahmen (Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV).
(...)
2.3.1
Zur Tätigkeit zu Lasten der OKP sind u.a. Personen zugelassen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin Leistungen erbringen, und Organisationen, die solche Personen beschäftigen (
Art. 35 Abs. 2 lit. e KVG
). Als Leistungserbringer bei der Pflege zu Hause kommen gemäss
Art. 7 Abs. 1 lit. a und b KLV
Pflegefachfrauen und -männer sowie Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause in Frage. Die entsprechenden Zulassungsvoraussetzungen sind aufgrund der Kompetenznorm von
Art. 36a KVG
durch den Bundesrat in
Art. 49 KVV
(SR 832.102; Pflegefachpersonen) und in
Art. 51 KVV
(Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause) festgesetzt.
2.3.2
Familienangehörige von Versicherten, die bei einer (zugelassenen) Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause angestellt sind, können grundsätzlich auch ohne pflegerische Fachausbildung Massnahmen der allgemeinen Grundpflege gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV zulasten der OKP erbringen. Demgegenüber erfordern die Vorkehren der Untersuchung und Behandlung nach
Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV
(wie auch solche der Abklärung, Beratung und Koordination nach
Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV
) entsprechende berufliche Fähigkeiten (
BGE 145 V 161
E. 5).
3.1
Es ist unbestritten, dass die fragliche Kostenübernahme durch die EGK einzig im Rahmen der psychiatrischen Grundpflege (im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV) in Betracht fällt. Fest steht auch, dass der Streit nur Leistungen betrifft, die die Mutter des Versicherten als Angestellte der C. GmbH, mithin einer Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause, im Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 2022 erbrachte. Dass Grundpflegeleistungen anderer Personen - etwa der vom Beschwerdeführer angestellten Assistenzpersonen - zulasten der OKP gehen sollten, ist nicht ersichtlich und macht(e) der Beschwerdeführer auch nicht geltend.
BGE 150 V 273 S. 277
3.2
Die Vorinstanz hat u.a. erwogen, für den Anspruch auf psychiatrische Grundpflege bedürfe es einer psychischen Erkrankung des Versicherten. Bei diesem sei aber bislang keine validierte psychiatrische Diagnose gestellt worden. Dass die EGK diesbezüglich keine Abklärungen getroffen habe, scheine hinsichtlich der Untersuchungspflicht ungenügend, sei aber nicht entscheidend und deshalb nicht weiter zu beachten. Die Leistungspflicht des Krankenversicherers setze zusätzlich voraus, dass nicht nur die Bedarfsabklärung, sondern auch die psychiatrische Grundpflege durch spezifisch geschultes Fachpersonal erfolge. Die Mutter des Beschwerdeführers verfüge nicht über eine entsprechende Qualifikation. Folglich hat das kantonale Gericht eine diesbezügliche Leistungspflicht der EGK im Rahmen der OKP verneint.
4.3.4
Es steht fest, dass die Mutter des Beschwerdeführers hinsichtlich psychiatrischer Leistungen nicht über "die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten" (vgl. SVR 2019 KV Nr. 20 S. 115, 9C_839/ 2018 E. 6.2.2) resp. das berufliche Anforderungsprofil einer Pflegefachperson verfügt. Fraglich und näher zu untersuchen ist, ob die Rechtsprechung von
BGE 145 V 161
E. 5 betreffend Leistungserbringung durch angestellte Angehörige (vgl. vorangehende E. 2.3.2) - deren Änderung (vgl. zu den Voraussetzungen
BGE 145 V 304
E. 4.4;
BGE 141 II 297
E. 5.5.1) hier nicht zur Diskussion steht - nur auf die allgemeine oder (sinngemäss) auch auf die psychiatrische Grundpflege anwendbar ist.
4.3.5.1
Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV gilt nach seinem Wortlaut lediglich für psychisch kranke Personen ("malades psychiques"; "persone malate psichicamente"; SVR 2019 KV Nr. 20 S. 115, 9C_839/ 2018 E. 6.2.2). Die Bestimmung in der bis Ende 2006 geltenden Fassung erwähnte lediglich "psychiatrische oder psychogeriatrische Grundpflege" ("soins de base des maladies psychiatriques et psycho-gériatriques"; "cure di base di turbe psichiatriche e psicogeriatriche") ohne nähere Konkretisierung. Damit sollte die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 2 lit. a, b und c Ziff. 1 KLV auf psychisch beeinträchtigte Personen sichergestellt und "darüber hinaus" eine Kostenübernahmepflicht für besondere Massnahmen bei psychisch Erkrankten statuiert werden. Das Leistungsspektrum von aArt. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV umfasste in gleicher Weise wie Ziff. 1 (alle) Verrichtungen, die der Überwachung und Unterstützung psychisch erkrankter
BGE 150 V 273 S. 278
Personen bei der Alltagsbewältigung dienen. Dabei ging es (im Sinne einer "Hilfe zur Selbsthilfe") vorab darum, dass die psychisch erkrankte Person die alltäglichen Lebensverrichtungen wieder selbst zu besorgen vermag (
BGE 131 V 178
E. 2.2.3).
Die aktuelle (seit dem 1. Januar 2007 geltende) Fassung von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV enthält eine nähere Umschreibung des Leistungsbereichs (vgl.
BGE 131 V 178
E. 2.3), womit eine Verbesserung der Rechtssicherheit sowie der Gleichbehandlung von körperlich und psychisch Kranken bezweckt wurde (vgl. Ziff. 1.1 der vom BAG angeforderten Erläuterungen zu den Änderungen der KLV vom 20. Dezember 2006). Dazu hielt das Bundesgericht fest, dass nicht verlangt ist, dass die Massnahmen die grundlegenden Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung verbessern müssen. In vielen Fällen muss es genügen, dass die Bewältigung des Alltags mit Hilfe möglich bleibt, indem die Selbstpflege gefördert und unterstützt und eine - gesundheitsgefährdende - Selbstvernachlässigung verhindert wird. Dementsprechend können unter Umständen Anleitungen und Ermunterungen dazu, bestimmte alltägliche Lebensverrichtungen (vollständig oder zeitgerecht) auszuführen, als Massnahmen der Grundpflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV versichert sein. Dies gilt insbesondere, wenn es der versicherten Person dadurch ermöglicht wird, (weiterhin) in ihrem eigenen Zuhause zu wohnen (SVR 2019 KV Nr. 20 S. 115, 9C_839/2018 E. 6.2.1).
4.3.5.2
Bei den Massnahmen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV - namentlich Erarbeitung und Einübung einer angepassten Tagesstruktur, zielgerichtetes Training zur Gestaltung und Förderung sozialer Kontakte, Unterstützung beim Einsatz von Orientierungshilfen und Sicherheitsmassnahmen - handelt es sich per definitionem um solche der
Grund
pflege ("soins de base"; "cure di base") im Sinne des Ingresses von
Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV
. Sie sind auf die grundlegende Alltagsbewältigung gerichtet ("pour accomplir les actes ordinaires de la vie"; "nel quadro delle attività fondamentali quotidiane"). Inwiefern sie entsprechend der vorinstanzlichen Auffassung "nicht mehr nur relativ einfach" sein, sich von vornherein nicht auf "einfache Situationen" beziehen resp. sich "regelmässig komplexer gestalten" sollen, erschliesst sich nicht und wird auch nicht weiter begründet. Es leuchtet denn auch nicht ein, weshalb eine hinreichend instruierte und überwachte Familienangehörige zu Lasten der OKP nur die allgemeine, nicht aber die hier interessierende psychiatrische Grundpflege erbringen können soll. Auch für
BGE 150 V 273 S. 279
diese ist keine hochstehende pflegerische Fachausbildung vorausgesetzt und genügt ein "gewisses Anlernen" (vgl.
BGE 145 V 161
E. 5.1). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus
Art. 7 Abs. 2
bis
lit. b KLV
: Die in dieser Bestimmung enthaltenen fachlichen Anforderungen beziehen sich nach ihrem klaren Wortlaut - zumindest in der hier interessierenden Konstellation (vgl. nicht publ. E. 4.3.3) - auf die Abklärung, ob psychiatrische Grundpflege durchgeführt werden soll, und nicht auf die Durchführung selbst.
4.3.5.3
Zwar ist im Zusammenhang mit Leistungen pflegender Familienangehöriger ein Missbrauchspotenzial vorhanden. Indessen ist nicht ersichtlich, dass dieses in Bezug auf die allgemeine und die psychiatrische Grundpflege unterschiedlich ausfallen soll. Im Übrigen kann dem Missbrauchspotenzial in atypischen Konstellationen, insbesondere wo die Tätigkeit als Angestellte einer Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause einzig in der Pflege von Familienangehörigen besteht, begegnet werden, indem die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen nach
Art. 32 Abs. 1 KVG
durch den Vertrauensarzt (vgl.
Art. 57 Abs. 4 KVG
) überprüft werden (
Art. 8c KLV
;
BGE 145 V 161
E. 3.3.2).
4.3.6
Nach dem Gesagten steht fest, dass die Rechtsprechung von
BGE 145 V 161
E. 5 betreffend Leistungserbringung durch Familienangehörige, die bei einer für die Leistung zugelassenen Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause angestellt sind, sinngemäss auch auf die psychiatrische Grundpflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV anwendbar ist. Dass die Mutter des Beschwerdeführers hinreichend instruiert und überwacht wird sowie grundsätzlich fähig ist, die fraglichen Leistungen in genügender Qualität zu erbringen, steht ausser Frage. Die Vorinstanz hat Recht verletzt, indem sie die umstrittene Leistungspflicht der EGK mit dem Argument der ungenügenden fachlichen Qualifikation der Mutter des Beschwerdeführers verneint hat.
4.4.3
Das Bundesgericht hielt in SVR 2019 KV Nr. 20 S. 115, 9C_839/2018 E. 6.2.2 fest, dass Massnahmen nach Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV - unabhängig von der Art der zugrunde liegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung (körperlich, geistig oder psychisch) - psychiatrischer Natur sind. Anders als der Beschwerdeführer glauben machen will, hat es damit für den umstrittenen
BGE 150 V 273 S. 280
Leistungsanspruch keineswegs auf das Erfordernis einer psychischen Beeinträchtigung verzichtet; vielmehr hat es daraus die Notwendigkeit der Zulassung zur Erbringung entsprechender Leistungen abgeleitet. Diese Voraussetzung erfüllt die Leistungserbringerin im hier interessierenden Zeitraum (vgl. nicht publ. E. 4.3.3).
Die vorinstanzliche Feststellung betreffend die vom Chefarzt der Psychiatrie des Spitals D. gestellten Diagnosen bleibt für das Bundesgericht verbindlich (vgl. nicht publ. E. 1.2). Abgesehen davon ist es (auf Kantons- und Bundesebene) gerichtsnotorisch, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Fragilen-X-Syndrom an einer Autismus-Spektrum-Störung mit erheblichen kognitiven Defiziten leidet (vgl. Sachverhalt). Autismus-Spektrum-Störungen werden im Klassifizierungssystem ICD-10 mit dem Code F84 und Intelligenzminderungen mit einem Code F70-F79 erfasst, die im Kapitel V "Psychische und Verhaltensstörungen" eingeordnet sind. Damit liegt beim Versicherten ein psychischer Gesundheitsschaden mit Krankheitswert vor, der grundsätzlich geeignet ist, Anspruch auf Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV zu begründen. Anders als die Vorinstanz anzunehmen scheint, statuierte das Bundesgericht diesbezüglich im Urteil 9C_307/2020 vom 10. August 2020 E. 3.2 (vgl. nachfolgende E. 4.5.2) weder eine besondere Anspruchsvoraussetzung (in Form bestimmter Untersuchungen oder Testungen) noch eine über den im Sozialversicherungsrecht geltenden Regelbeweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl.
BGE 138 V 218
E. 6) hinausgehende Beweisvorschrift. Demzufolge lässt sich die umstrittene Leistung nicht allein mit dem Argument verweigern, dass bislang eine ("validierte") psychiatrische Diagnose fehle. Das hat auch das kantonale Gericht erkannt, indem es in diesem Zusammenhang auf die Untersuchungspflicht der EGK (vgl.
Art. 43 ATSG
) verwiesen hat.
4.5.1
Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass der umstrittene Anspruch auf psychiatrische Grundpflege weder zufolge Ausführung durch die Mutter des Versicherten noch aufgrund einer fehlenden Diagnose verneint werden kann.
4.5.2
Entscheidend für die Leistungspflicht des Krankenversicherers ist insbesondere, dass es sich um krankheitsbedingte Pflegemassnahmen und nicht um Vorkehren handelt, die aus anderen persönlichen oder sozialen Gründen erbracht werden (
BGE 131 V 178
E. 2.2).
BGE 150 V 273 S. 281
Für die Anordnung von Massnahmen der ambulanten psychiatrischen Krankenpflege resp. - genauer - für die Festlegung deren Umfangs ist eine überprüfbare zuverlässige Grundlage in Form einer nachvollziehbaren aktuellen psychiatrischen Statuserhebung und Diagnosestellung erforderlich, mit anderen Worten ist eine genügende fachärztliche Abstützung (Befund, Diagnose, Therapie) notwendig. Genügen die vorhandenen Angaben (in der Pflegedokumentation) nicht, um die Leistungspflicht in zuverlässiger Weise beurteilen zu können, hat der Krankenversicherer ergänzende Unterlagen einzuverlangen. Wird dieser Aufforderung nicht oder nur ungenügend nachgekommen, kann er die Vergütung der geltend gemachten Leistungen ablehnen (
BGE 131 V 178
E. 2.4; Urteil 9C_307/2020 vom 10. August 2020 E. 3.2; vgl. auch
Art. 43 ATSG
).