Urteilskopf
80 IV 173
36. Urteil des Kassationshofes vom 9. Dezember 1954 i. S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen H.
Regeste
1.
Art. 268 Abs. 2 BStP
. Ein Zwischenentscheid ist Urteil, wenn auf ihn nicht zurückgekommen werden kann (Erw. 1).
2.
Art. 21, 194 Abs. 1 StGB
. Versuch der Verführung Unmündiger zu widernatürlicher Unzucht, begonnen durch Aufforderung an die ausersehenen Opfer (Erw. 2).
A.-
H., der am 26. Januar 1951 wegen wiederholter widernatürlicher Unzucht zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt worden war, wollte sich am Nachmittag des 17. September 1953, während der Probezeit, erneut widernatürlich befriedigen. Er hielt auf einer Geschäftsreise seinen Motorwagen an und wandte sich an den auf dem Felde arbeitenden ihm nicht bekannten K., geb. 20. April 1937, in der Absicht, ihn zu unzüchtigen Handlungen zu gewinnen. Er bot K. einen Stumpen an und begann von Kirchgang und Beichte zu sprechen. Um in K. die Lust zu einem geschlechtlichen Erlebnis zu wecken, lenkte er hierauf das Gespräch auf die Mädchen. Er fragte den Jungen, ob er auch schon mit Weibern im Bett gewesen sei und ob er wisse, wie man Kinder mache. Er schilderte K. den Begattungsakt und hielt ihm vor, er, K., werde wohl auch schon im Walde mit Weibern "gevögelt" haben. Auf die Antwort, dazu sei er noch zu jung, sagte H., dann werde er, K., sich eben selber befriedigen, hiezu sei er alt genug. Der Jüngling verneinte. H. ermunterte ihn, es einmal zu versuchen, um zu empfinden, welchen Genuss das biete. Er fragte K., ob er sich mit ihm in den Wald hinauf begebe, er wisse schon zu welchem Zwecke. Auf den Einwand K.s, er habe keine Zeit, forderte H. ihn auf: "Komme doch in den Wald, es geht ja nur fünf Minuten." Als K. ihn an ein des Weges kommendes Mädchen verwies, erwiderte H., an Mädchen finde er nicht Gefallen, er gebe sich nur mit Buben ab. Eine erneute Aufforderung durch H., mit ihm in den Wald zu gehen, lehnte K. wiederum ab. Er machte H. auf den in der Nähe auf einem Traktor fahrenden Z., geb. 13. August 1935, aufmerksam. H. fuhr zu Z., den er
BGE 80 IV 173 S. 175
nicht kannte, und forderte ihn auf, mit ihm in den Wald hinauf zu gehen, um zu "vögeln". Er fügte bei, der weiter oben sich aufhaltende Bursche - darunter verstand er K. - habe gesagt'dass sie, K. und Z., solche Handlungen zusammen vorzunehmen pflegten. Z. lehnte ab und sagte, ohne es ernst zu meinen, wenn er, H., eine Frau wäre, würde er, Z., ihm vielleicht folgen. H. wiederholte seine ernst gemeinte Aufforderung mehrmals. Schliesslich gab er auf, weil Z. sich nicht überreden liess.
B.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau überwies H. zur Bestrafung wegen fortgesetzten Versuchs widernatürlicher Unzucht gemäss
Art. 194 Abs. 1 und
Art. 21 StGB
dem Richter.
Das Bezirksgericht Muri sprach den Angeklagten am 15. Februar 1954 frei.
Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Obergericht des Kantons Aargau am 3. September 1954 das Urteil auf und wies die Akten an das Bezirksgericht zurück "zum Freispruch des Beklagten von der Anschuldigung des Versuchs der widernatürlichen Unzucht gemäss
Art. 194 Abs. 1 StGB
und
Art. 21 Abs. 1 StGB
sowie zur Beurteilung der Frage, ob sich der Beklagte der Übertretung des
Art. 205 StGB
schuldig gemacht hat".
Das Obergericht ging davon aus, das Vergehen des Art. 194 Abs. 1 sei vollendet, wenn das Opfer die unzüchtige Handlung vorgenommen oder geduldet habe und es vom Täter dazu verführt worden sei. Versuch liege vor, wenn nach dem Plane, den der Täter sich gemacht habe und der der Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale entspreche, der letzte entscheidende Schritt, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gebe, bei dem also normalerweise nur noch mit der Vollendung zu rechnen sei, getan sei. Diesen Schritt habe H. gegenüber Z. nicht unternommen, denn hier habe er sich damit begnügt, ziemlich direkt einen Antrag auf gemeinsame Unzucht im Walde zu stellen, wobei er von der Weiterverfolgung seines Vorhabens abgesehen habe, als Z. abgelehnt habe. Der Antrag sei so primitiv gestellt gewesen, dass Z. denn auch bezeichnenderweise
BGE 80 IV 173 S. 176
"spasseshalber" geantwortet habe, er würde H. vielleicht folgen, wenn er eine Frau wäre. Es sei also nicht einmal zu einer für den angestrebten Zweck wirklich tauglichen Anreizung gekommen, habe diese doch bloss Heiterkeit ausgelöst. Im Ernste könne daher von einem "Verführen" Z.s zu gleichgeschlechtlichen Unzuchtshandlungen, d.h. von dessen Bestimmung zu solchem Tun, nicht die Rede sein. Noch weniger könne natürlich vom Beginn der Vornahme solcher Handlungen gesprochen werden. Weniger einfach liege der Fall K. Nicht nur sei K. jünger als Z., also fremden Einflüssen zugänglicher gewesen, sondern H. sei ihm gegenüber bei der psychologischen Beeinflussung auch weit raffinierter vorgegangen. Die psychologische Behandlung des Opfers bis zur inneren Bereitschaft zur Unzucht sei eine wichtige Phase des Vergehens des Art. 194 Abs. 1, und diesen wichtigen Schritt habe H. gegenüber K. im Hinblick auf das Endziel auf routinierte Art gemacht. Nicht ganz klar sei freilich, welchen Erfolg er dabei erzielt habe; es stehe nicht fest, ob H. sein Vorhaben aufgegeben habe, weil K. sich dazu nicht habe bestimmen lassen, oder aber weil der Täter, wie er behaupte, das Opfer nach dem Alter gefragt habe und durch die Auskunft von der Tat abgehalten worden sei. Sei dem wie ihm wolle, habe aber H. auch gegenüber K. nicht den letzten, entscheidenden Schritt auf dem Wege zum Erfolg getan, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gebe. Entweder habe er sich mit dem Misserfolg der ersten Phase, nämlich des Verführens, abgefunden, oder er habe die Perspektiven, die ihm ein bezüglicher angeblicher Erfolg geöffnet hätte, nicht weiter ausgenützt. Blosse Einladung durch Worte oder Ausforschung einer Gelegenheit sei auch nach der subjektiven Theorie noch kein strafbarer Versuch zu widernatürlicher Unzucht. Sei der Freispruch schon aus diesen Gründen zu bestätigen, so könne die von der Verteidigung aufgeworfene Frage, ob H. sich über das Alter K.s und Z.s geirrt habe, offen bleiben.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt
BGE 80 IV 173 S. 177
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der freisprechende Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung H.s wegen wiederholter versuchter widernatürlicher Unzucht an das Obergericht zurückzuweisen.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, wer in der Verfolgung des Zieles solche Beharrlichkeit an den Tag lege, wie H. es getan habe, trete erfahrungsgemäss nicht freiwillig von seinem Vorhaben zurück, sondern sei tatreif. Wenn H. trotz der Bewährungsprobe, unter der er wegen der Verurteilung vom 26. Januar 1951 gestanden habe, so beharrlich die Absicht weiteren Rechtsbruchs kundgegeben habe, müsse daraus geschlossen werden, er habe sich über alle Bedenken hinweggesetzt gehabt und sei um jeden Preis zum Handeln entschlossen gewesen. Wer bereits solche Hindernisse überwunden habe, sei nicht geneigt, wieder umzukehren. Die Persönlichkeit des Beklagten spreche eindeutig für die Annahme eines Versuches. Äussere Hindernisse hätten der Vollendung des Deliktes nicht im Wege gestanden. Der Tatort befinde sich in unmittelbarer Nähe eines Waldes, wohin der Beklagte sich mit dem verführten Opfer ohne Schwierigkeit hätte begeben können. Verführung und unzüchtige Handlung wären weder zeitlich noch örtlich auseinandergefallen. Wo so ungehinderte und ununterbrochene Verwirklichung der deliktischen Absicht möglich sei, stelle ein Hinarbeiten auf dieses Ziel den letzten entscheidenden Schritt dar.
D.-
H. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Da das Obergericht den Beschwerdegegner nicht selber freigesprochen, sondern das Urteil des Bezirksgerichtes aufgehoben und die Sache an diese Instanz zur Freisprechung zurückgewiesen hat, ist das kantonale Verfahren in dem Gegenstand der Beschwerde bildenden Punkte nicht abgeschlossen; es liegt ein blosser Zwischenentscheid vor. Dieser ist indessen nicht blosse Verfügung
BGE 80 IV 173 S. 178
prozessleitenden Charakters, auf die zurückgekommen werden könnte. Das Obergericht hat über die Frage, ob der Beschwerdegegner sich des Versuchs des in
Art. 194 Abs. 1 StGB
normierten Vergehens schuldig gemacht habe, endgültig entschieden. Auch kann sein Urteil nicht durch ein kantonales Rechtsmittel wegen Verletzung eidgenössischen Rechtes angefochten werden. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher zulässig (
BGE 72 IV 89
).
2.
Einen Versuch begeht, wer mit der Ausführung des Verbrechens beginnt (
Art. 21 Abs. 1 StGB
).
Die Ausführung fängt nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes nicht erst mit jener Handlung an, die, wenn sie beendet wird und auch die übrigen Voraussetzungen zutreffen, das Delikt ausmacht, wie z.B. das Wegnehmen den Diebstahl, die Täuschung den Betrug, sondern schon mit jener Tätigkeit, die nach dem Plane des Täters den letzten, entscheidenden Schritt ins Verbrechen bildet, von dem in der Regel nicht mehr zurückgetreten wird, es sei denn wegen äusserer Umstände, die die Weiterverfolgung der Absicht erschweren oder verunmöglichen (
BGE 71 IV 211
,
BGE 74 IV 133
,
BGE 75 IV 177
).
Im vorliegenden Falle liegt schon nach der objektiven Theorie, die den Versuch erst mit einer zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Ausführungshandlung beginnen lässt, auf der Hand, dass der Beschwerdegegner das Vergehen der Verführung eines Unmündigen zu widernatürlicher Unzucht sowohl gegenüber K. als auch gegenüber Z. zu begehen versucht hat.
Art. 194 Abs. 1 StGB
umschreibt es dahin, dass strafbar sei, "wer eine unmündige Person des gleichen Geschlechtes im Alter von mehr als sechzehn Jahren zur Vornahme oder zur Duldung unzüchtiger Handlungen verführt". Die Verführung durch den Täter ist also Tatbestandsmerkmal (
BGE 70 IV 30
). Wie der Beschwerdegegner zutreffend geltend macht, genügt sie freilich nicht, und zwar auch dann nicht, wenn der Täter beabsichtigt, selber den Verführten zu widernatürlicher Unzucht zu missbrauchen. Aber dennoch gehört die Verführung
BGE 80 IV 173 S. 179
wie der Vollzug der Unzucht zur Ausführung des Vergehens. Wer also mit dem Willen, das Opfer zur Vornahme oder zur Duldung unzüchtiger Handlungen zu bestimmen, zu verführen beginnt, begeht einen Versuch, und wenn er ihn weiterführt, bis das Opfer die unzüchtigen Handlungen vornimmt oder duldet, ist das Vergehen vollendet. Das hat der Kassationshof bereits in einem nicht veröffentlichten Urteil vom 27. April 1951 i.S. R. entschieden. Dabei ist er auch davon ausgegangen, dass die Aufforderung an den Unmündigen zur Unzucht Beginn der Verführung sei. Das war sie auch im vorliegenden Falle; denn der Beschwerdegegner sah darin ein Mittel, K. und Z. tatsächlich zur widernatürlichen Unzucht zu bestimmen. Seine Behauptung, er habe die beiden Unmündigen bloss befragt, um vorgängig der gewünschten Unzucht pflichtgemäss festzustellen, wie sie zum Geschlechtsleben im allgemeinen und zur homosexuellen Betätigung im besondern eingestellt seien, ist angesichts der verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, wonach er sie aufforderte, ihm zur Vornahme der Unzucht in den Wald zu folgen, und wonach er K. auch auf andere Weise in gewandter Art "psychologisch behandelte", um zum Ziele zu kommen, nicht zu hören. Dass die Aufforderungen erfolglos blieben, ändert nichts. Dieser Umstand könnte höchstens zu der Frage Anlass geben, ob der Versuch im Sinne des
Art. 23 StGB
untauglich gewesen sei. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Aufforderung an einen Unmündigen, dem Täter zur Vornahme widernatürlicher Unzucht in den Wald zu folgen, ist nicht ein Mittel, mit dem eine Verführung überhaupt nicht möglich wäre; sie war hier nur relativ untauglich, weil K. und Z. sich auf diese Weise nicht beeinflussen liessen.
Liegt Versuch schon nach der objektiven Theorie vor, so kann die Frage, ob er auch nach der vom Bundesgericht anerkannten subjektiven Theorie gegeben sei, sich nicht stellen; diese verlegt den Beginn des Versuches nie nach den Beginn einer im objektiven Tatbestand erwähnten
BGE 80 IV 173 S. 180
Ausführungshandlung, sondern in der Regel vor eine solche und lässt ihn spätestens mit ihr beginnen, wenn der entscheidende Schritt ins Verbrechen erst mit ihr getan wird. Denn wer bereits Handlungen vornimmt, die das Gesetz in der Umschreibung des Tatbestandes zur Begehung des Verbrechens verlangt, hat auch subjektiv, d.h. nach dem gefassten Plane, das Stadium der Vorbereitung verlassen und den entscheidenden Schritt getan. Gewiss kann er auch jetzt noch aus eigenem Antrieb von der Weiterverfolgung des Planes absehen, ein Sachverhalt, dem
Art. 21 Abs. 2 StGB
durch die Möglichkeit der Strafbefreiung Rechnung trägt. Dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspricht dieses Zurück aber nicht. In der Regel sind es äussere Schwierigkeiten, die den Täter von der Vollendung abhalten, wenn er mit einer objektiven Ausführungshandlung schon begonnen hat. So war es denn auch im Falle Z., da der Beschwerdegegner nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz seine Bemühungen hier nur abbrach, weil der Unmündige nicht gefügig war. Wie es sich im Falle K. verhielt, kann dahingestellt bleiben, da der Beginn des Versuchs auch nach der subjektiven Theorie nicht davon abhängt, ob der Täter unbeeinflusst von äusseren Schwierigkeiten zurückgetreten ist, sondern bloss davon, ob nach der Lebenserfahrung in solcher Lage nur noch unter dem Einfluss äusserer Schwierigkeiten zurückgetreten zu werden pflegt.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Das Obergericht hat davon auszugehen, dass der objektive Tatbestand des Versuchs der Verführung zur widernatürlichen Unzucht gegenüber K. wie gegenüber Z. erfüllt ist. Vorbehalten bleibt ihm der Entscheid der Fragen, ob der Beschwerdeführer gewusst hat, dass die ausersehenen Opfer unmündig waren, und gegebenenfalls, ob der Versuch gegenüber K. vollendet (
Art. 22 Abs. 1 StGB
) oder unvollendet war (
Art. 21 StGB
) und, wenn letzteres angenommen werden sollte, ob der Beschwerdegegner die strafbare Tätigkeit
BGE 80 IV 173 S. 181
aus eigenem Antrieb nicht zu Ende geführt habe (Art. 21 Abs. 2).
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 3. September 1954 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückgewiesen.