BGE 81 II 593 vom 8. Dezember 1955

Datum: 8. Dezember 1955

Artikelreferenzen:  Art. 2 ZGB, Art. 602 ZGB, Art. 607 ZGB, Art. 652 ZGB , Art. 620 ZGB, Art. 652 ff. ZGB, Art. 621 ZGB, Art. 602 ff. ZGB, Art. 607 Abs. 1 und Art. 610 ZGB

BGE referenzen:  80 II 211

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

81 II 593


90. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Dezember 1955 i.S. Gisiger gegen Eberhard.

Regeste

Bäuerliches Erbrecht.
Verliert ein Erbe den Anspruch auf Zuweisung des Heimwesens zum Ertragswert gemäss Art. 620 ZGB , wenn er einen andern Bewerber durch eine Abfindung zum Verzicht bewegt?

Sachverhalt ab Seite 593

BGE 81 II 593 S. 593
Der am 31. August 1952 gestorbene Ferdinand Eberhard hinterliess ein landwirtschaftliches Heimwesen im Umfange von nahezu 12 ha, dessen Ertragswert von der zuständigen Behörde auf Fr. 74'000.-- geschätzt wurde. Der Nachlass fiel an die voll- und halbbürtigen Geschwister des Erblassers bezw. an deren Nachkommen. Hans Eberhard, ein Sohn des vorverstorbenen Halbbruders des Erblassers, sowie Gottfried und Werner Gisiger, Söhne
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einer vorverstorbenen vollbürtigen Schwester des Erblassers, erhoben - ein jeder für sich - Anspruch auf Zuweisung des ungeteilten Heimwesens zum Ertragswert, wogegen die übrigen Erben die Erklärung abgaben, sich am Streit über die Zuweisung nicht beteiligen und das Urteil in diesem Prozess gegen sich gelten lassen zu wollen.
Am 18. März 1955 wies das Amtsgericht Fraubrunnen das streitige Heimwesen zum Betrage von Fr. 74'000.-- ungeteilt dem Kläger Hans Eberhard zu. Die einlässliche Begründung lässt sich dahin zusammenfassen, es sei unbestritten, dass das Heimwesen eine wirtschaftliche Einheit bilde und eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz biete. Alle drei Bewerber seien an sich zur Übernahme geeignet und auch gewillt, das Gewerbe selber zu betreiben. Ein Ortsgebrauch, der einen Anhaltspunkt für die Zuteilung geben könnte, bestehe nicht. Unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Verhältnisse, auf die es bei dieser Sachlage ankomme ( Art. 621 ZGB ), falle Werner Gisiger als Übernehmer ausser Betracht und verdiene Eberhard gegenüber Gottfried Gisiger den Vorzug.
Gottfried und Werner Gisiger erklärten die Appellation. Am 17. Mai 1955 schloss indes Gottfried Gisiger mit Eberhard eine Vereinbarung, die bestimmte, dass Gottfried Gisiger gegenüber Eberhard auf die "Zuschatzung" des Heimwesens verzichte und dass Eberhard an Gottfried Gisiger Fr. 4000.-- zahle und auf die Einforderung desjenigen Teils seiner Prozesskosten verzichte, den gemäss dem amtsgerichtlichen Urteil Gottfried Gisiger zu tragen gehabt hätte (Fr. 1348.80). Auf Grund dieser Vereinbarung zog Gottfried Gisiger seine Appellation zurück, so dass nur noch Eberhard und Werner Gisiger im Streit blieben.
Am 4. Juli 1955 hat der Appellationshof des Kantons Bern das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
Gegen dieses Urteil hat Werner Gisiger die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, die Klage Eberhards sei abzuweisen und das Heimwesen sei zum
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Ertragswert ungeteilt ihm (dem Beklagten Werner Gisiger) zuzuweisen.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (Widerlegung der Rüge, dass der angefochtene Entscheid Art. 621 ZGB verletze.)

2. Werner Gisiger legt denn auch weniger Gewicht auf diese Rüge als auf die Behauptung, dass der Anspruch Eberhards im Hinblick auf die Vereinbarung mit Gottfried Gisiger vom 17. Mai 1955 abgewiesen werden müsse. Er macht geltend, es bedeute eine krasse Verletzung des Art. 620 ZGB sowie der Bestimmungen über das Gesamteigentum ( Art. 652 ff. ZGB ) und stelle einen offenbaren Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 ZGB dar, wenn zwei zur Übernahme des Heimwesens geeignete Erben die Differenz zwischen Verkehrswert und Ertragswert unter sich teilen und die übrigen Erben mit dem blossen Ertragswert abspeisen, wie es hier geschehen sei. Tatsache sei, dass Eberhard "das Heimwesen gegenüber 15 Miterben zum Ertragswert zu erhalten verlangt, gegenüber dem 16. Miterben jedoch zum Ertragswert, plus Fr. 4000.--, plus die dem Gottfried Gisiger erlassene Prozessentschädigung." Damit habe er auf die Zuteilung des Heimwesens zum reinen Ertragswert verzichtet. Er sei deshalb nicht mehr berechtigt, sich auf Art. 620 ff. ZGB zu berufen.
Diese Argumente sind nicht stichhaltig.
a) Indem Eberhard mit Gottfried Gisiger die streitige Vereinbarung abschloss, hat er nicht gegenüber den andern Erben rechtsgeschäftlich auf die Zuweisung des Heimwesens zum Ertragswert verzichtet. Jene Vereinbarung, an der die andern Erben nicht beteiligt waren, verfolgte im Gegenteil unzweifelhaft den Zweck, den Kläger Eberhard durch Abfindung des gefährlichsten Konkurrenten in seinem Bestreben zu fördern, das Heimwesen bei der Erbteilung zum Ertragswert zugewiesen zu erhalten. Unter diesen Umständen kann sich einzig noch fragen, ob Eberhard mit dem Abschluss jener Vereinbarung
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den Anspruch aus Art. 620 ZGB von Gesetzes wegen verwirkt habe.
b) Ein Verstoss gegen die Vorschriften über das Gesamteigentum ( Art. 652 ff. ZGB ) ist im Vorgehen Eberhards keinesfalls zu erblicken. Die Art. 652 ff. ZGB spielen im vorliegenden Fall überhaupt keine Rolle, weil dort hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Gesamteigentümer und insbesondere mit Bezug auf die Teilung des Gesamteigentums die für die verschiedenen Gesamthandsverhältnisse bestehenden Sonderregeln vorbehalten werden und das Gesetz die Rechtsverhältnisse unter den Miterben sowie die Erbteilung in den Art. 602 ff. ZGB abschliessend ordnet.
c) Die Art. 620 ff. ZGB schaffen eine Ausnahme von dem in Art. 607 Abs. 1 und Art. 610 ZGB aufgestellten Grundsatze der Gleichberechtigung der Erben. Sie gewähren dem Erben, der sich um die Übernahme des Heimwesens bewirbt und hiefür geeignet ist, das Vorrecht auf Zuweisung zum Ertragswert. Das Gesetz hindert den Übernehmer jedoch nicht, Leistungen auf sich zu nehmen, die den Ertragswert übersteigen ( BGE 73 II 23 ). Das am 1. Januar 1947 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 12. Dezember 1940 hat an diesem Rechtszustande so wenig etwas geändert wie am Verhältnis zwischen Art. 608 und 620 ff. ZGB (vgl. BGE 80 II 211 Erw. 2). Werner Gisiger nimmt denn auch selber an, dass der Übernehmer eine Mehrleistung versprechen dürfe, die allen andern Erben zugute kommt. Er beanstandet die von Eberhard erbrachte Leistung nur deshalb, weil sie allein Gottfried Gisiger zufloss. Auch dieser Umstand lässt jedoch die streitige Vereinbarung nicht als gesetzwidrig erscheinen. Gottfried Gisiger war wie Eberhard für die Übernahme des Heimwesens geeignet und hatte nächst ihm die besten Aussichten auf die Zuweisung. Wenn nun von zwei als Übernehmer ernsthaft in Betracht kommenden Konkurrenten der eine den andern durch eine finanzielle Abfindung zum
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Verzicht bewegt, so handelt es sich dabei um einen Interessenausgleich zwischen diesen beiden Konkurrenten, der die übrigen Erben nicht berührt (vgl. BGE 73 II 20 ff., wo ebenfalls eine Sonderleistung des Übernehmers an einen einzelnen Miterben, der als Bewerber in Frage gekommen wäre, zur Diskussion stand). Eine solche Abfindungsleistung entzieht den übrigen Erben keinen Vermögenswert, der ihnen beim Unterbleiben einer derartigen Vereinbarung zugefallen wäre, und verursacht ihnen folglich keinen Nachteil. Ihre Lage ist im Falle, dass zwei ernsthafte Bewerber sich auf die Abfindung des einen von ihnen einigen, genau die gleiche, wie wenn die fraglichen Konkurrenten sich dahin verständigt hätten, die Liegenschaft gemeinsam zu übernehmen, was ihnen gemässBGE 43 II 578freigestanden wäre. Sie erhalten im einen wie im andern Falle den ihrer Erbquote entsprechenden Anteil am Ertragswert. Auf mehr haben sie nicht Anspruch. Die streitige Vereinbarung erweist sich demnach vor Art. 620 und Art. 2 ZGB als durchaus zulässig und kann deshalb keinen Grund dafür bilden, dem Kläger Eberhard das Recht auf Zuweisung des ungeteilten Heimwesens zum Ertragswert gemäss Art. 620 ZGB abzuerkennen.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern, III. Zivilkammer, vom 4. Juli 1955 bestätigt.
Vgl. auch Nr. 94. - Vois aussi no 94.

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