Urteilskopf
82 I 196
29. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. September 1956 i.S. Vereinigte Carborundum- und Elektritwerke, Nationalunternehmen, gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum.
Regeste
Zwischenstaatliche Zuständigkeit zur Enteignung.
Ein fremder Staat kann das Recht an einer in der Schweiz hinterlegten Fabrik- oder Handelsmarke nicht enteignen.
A.-
Die Aktiengesellschaft Vereinigte Carborundum- und Elektritwerke in Nové Benátky (Tschechoslovakei) ist im schweizerischen Markenregister als Inhaberin der unter Nr. 85'313 eingetragenen Marke "Carborundum" ausgewiesen, deren Schutzdauer bis 15. Februar 1955 lief.
Unter Berufung auf eine Erklärung des Volksgerichtshofes in Zivilsachen in Prag vom 9. November 1954, wonach die Unternehmung dieser Gesellschaft nationalisiert und ihre "Eigentumsmasse" in das Nationalunternehmen Vereinigte Carborundum- und Elektritwerke in Nové Benátky eingegliedert worden sei, ersuchte die letzterwähnte Firma (Nationalunternehmen) das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum am 15. Dezember 1954, die Marke zu erneuern und auf ihren Namen zu übertragen. Das Amt antwortete ihr am 25. Januar 1955, die Nationalisierung eines privaten Betriebes könne als öffentlichrechtliche
BGE 82 I 196 S. 197
Massnahme keine extraterritoriale Wirkung entfalten und widerspreche, falls nicht volle Entschädigung geleistet werde, dem schweizerischen ordre public. Es legte ihr nahe, das Gesuch, dem nicht entsprochen werden könne, zurückzuziehen. Die Gesuchstellerin beharrte indessen auf ihren Begehren. Am 7. Mai 1955 wies das Amt sie endgültig ab.
B.-
Die Gesuchstellerin führt gegen diesen Entscheid gemäss
Art. 97 ff. OG
Beschwerde mit den Anträgen, er sei aufzuheben und das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum anzuweisen, dem Gesuch um Erneuerung und Übertragung der Marke zu entsprechen.
Das Amt beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin beansprucht Rechte an der Marke Nr. 85'313 als Nachfolgerin der Aktiengesellschaft Vereinigte Carborundum- und Elektritwerke. Sie begründet die Rechtsnachfolge damit, dass das Unternehmen dieser Gesellschaft durch Dekret Nr. 100 des Präsidenten der Tschechoslovakei vom 24. Oktober 1945 zufolge Enteignung verstaatlicht und gestützt auf die §§ 12 und 13 dieses Erlasses sowie in Anwendung der §§ 1 und 17 der Verordnung der tschechoslovakischen Regierung vom 15. Januar 1946 durch Verfügung des Industrieministers vom 7. März 1946 mit Wirkung ab. 1. Januar 1946 vom Staate auf die mit der gleichen Verfügung als selbständige Körperschaft (Nationalunternehmen) gegründete Beschwerdeführerin übertragen wurde.
Nach schweizerischer Auffassung, die für den schweizerischen Richter massgebend ist (
BGE 79 II 95
), enthalten diese Erlasse öffentliches Recht, da sie den Übergang des Vermögens auf den Staat bzw. die Beschwerdeführerin kraft staatlicher Hoheit verfügen. Solches Recht aber gilt nach einem allgemein anerkannten Satze des Völkerrechts grundsätzlich nur in jenem Staate, der es erlässt (Territorialitätsprinzip). Daher kann ausländisches öffentliches Recht in der Schweiz nicht angewendet oder
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vollzogen werden, es wäre denn, die schweizerische Rechtsordnung selbst verlange das, insbesondere weil die Schweiz sich hiezu durch Staatsvertrag verpflichtet habe oder weil das ausländische öffentliche Recht das von ihr als anwendbar anerkannte Privatrecht unterstütze, z.B. in das Privatrecht oder in privatrechtliche Verhältnisse vorwiegend oder ausschliesslich zum Schutze privater Interessen eingreife (
BGE 39 II 652
,
BGE 42 II 183
,
BGE 50 II 58
,
BGE 74 II 229
,
BGE 80 II 61
ff.).
Die Enteignung des Vermögens der Aktiengesellschaft Vereinigte Carborundum- und Elektritwerke bildet keinen solchen Ausnahmefall. Es besteht keine schweizerische Norm, insbesondere keine staatsvertragliche Bestimmung, welche die Schweiz verpflichten würde, die tschechoslovakischen Enteignungserlasse auf Vermögen anzuwenden, das in der Schweiz liegt, und es kann auch keine Rede davon sein, dass diese Erlasse dem Schutze des Privatrechts oder privater Rechtsverhältnisse dienten. Die Enteignung von Vermögen, das ausserhalb des Gebietes des enteignenden Staates liegt, gilt denn auch in der Lehre als unzulässig (NEUMEYER, Internationales Verwaltungsrecht 4 101, 256, 436; SCHINDLER, in Schweiz. Jahrb. f. internat. Recht 3, 1946, 65 ff.; BINDSCHEDLER, Verstaatlichungsmassnahmen und Entschädigungspflicht nach Völkerrecht, 1950, 86; SCHAUMANN, in Schweiz. Jahrb. f. internat. Recht 10, 1953, 168 f.; RAAPE, Internationales Privatrecht, 4. Aufl., 1955, 614 ff.). Ob sie im vorliegenden Falle gegen Entschädigung erfolgte oder nicht, ist unerheblich. Zwar wird in neuerer Zeit vereinzelt gelehrt, der Staat sei berechtigt, auch ausserhalb seines Gebietes liegendes Vermögen gegen angemessene Entschädigung zu enteignen, wenn dieser Eingriff nicht gegen die "public policy", d.h. gegen das Interesse des Staates, in dessen Gebiet das Vermögen liegt, verstosse (WOLFF, Private international law, 1945, S. 536 ff.; DICEY, Conflict of laws, 6. Aufl., 1949, S. 155/7; vgl. dazu SEIDL-HOHENVELDERN, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht,1952,
BGE 82 I 196 S. 199
179 ff.). Dieser Auffassung ist aber mit Recht widersprochen worden (siehe z.B. BEITZKE, Probleme der Enteignung im internationalen Privatrecht, in Festschrift für Raape, 1948, 110 f., SCHAUMANN a.a.O.). Sie verkennt, dass jeder Vermögenswert der Hoheit jenes Staates unterworfen ist, in dem er liegt, und dass die Enteignung durch einen anderen Staat in diese Hoheit eingreift. Es besteht denn auch kein Bedürfnis, solche Eingriffe als allgemein rechtmässig zu erklären. Hält der Staat, in dessen Gebiet das Vermögen sich befindet, dafür, die Enteignung verletze seine Interessen nicht oder sie solle aus besondern Erwägungen oder Rücksichten anerkannt werden, so mag er dazu durch Erlass entsprechender Bestimmungen Hand bieten. Von Völkerrechts wegen kann er dazu nicht verhalten werden, wenn er sich nicht durch Staatsvertrag verpflichtet hat, die Enteignung durch den fremden Staat anzuerkennen.
Übrigens ist nicht daran zu zweifeln, dass hier nicht eine Enteignung gegen angemessene Entschädigung, sondern eine entschädigungslose Aneignung (Konfiskation) vorliegt. Zwar sieht das Dekret Nr. 100 vom 24. Oktober 1945 in §§ 7 ff. vor, dass die Enteignung in gewissen Fällen - nicht in allen - gegen Entschädigung erfolge. Aber die Verfügung des Industrieministers vom 7. März 1946 enthält kein Wort über eine Entschädigung der Enteigneten. Auch beschränkt die Beschwerdeführerin sich darauf, auf die Dekretsbestimmungen hinzuweisen. Über Einzelheiten, welche die Entschädigungen des vorliegenden Falles beträfen, insbesondere über die Namen der entschädigten Aktionäre, Höhe, Art und Zeitpunkt der Entschädigungen, schweigt sie sich aus, obschon das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum schon im Schreiben vom 25. Januar 1955 der Entschädigungsfrage Bedeutung beigelegt und den Entscheid vom 7. Mai 1955 damit begründet hat, dass über eine allfällige Entschädigung der früheren privaten Geschäftsinhaber keine näheren Angaben gemacht worden seien.
Die Beschwerdeführerin hat somit die Rechte an der schweizerischen Marke Nr. 85'313 nur erwerben können, wenn sie zur Zeit der Enteignung als in der Tschechoslovakei liegendes Vermögen zu gelten hatten.
2.
a) Ob das zutrifft, hängt in erster Linie von der Rechtsfrage ab, deren Entscheidung die Ortsbestimmung dient. Im vorliegenden Falle ist es die Frage nach der zwischenstaatlichen Zuständigkeit zur Enteignung. Unter diesem Gesichtspunkt ist entscheidend, in welchem Staate tatsächlich auf das Recht an der Marke gegriffen werden kann. Denn von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieses Zugriffs hängt es ab, ob das Markenrecht der Hoheit eines bestimmten Staates unterworfen oder entrückt ist, gleich wie das z.B. für Sachen zutrifft. Tatsächliche Macht über die Rechte an einer Marke aber hat nur jener Staat, der die Marke gewährt. Von ihm hängt es ab, ob die Marke innerhalb seines Gebietes Schutz geniesst und wer ihn beanspruchen kann; mit seinem Entscheide steht und fällt das Recht an der Marke. Wo das Unternehmen, für dessen Erzeugnisse sie bestimmt ist, seinen Sitz oder seinen Geschäftsbetrieb hat, ist hier unerheblich. Die zwischenstaatliche Zuständigkeit zur Enteignung lässt sich ermitteln, ohne dass an einen bestimmten geographischen Ort angeknüpft werden muss; es genügt, das Recht an der Marke länderweise zu lokalisieren, entsprechend der länderweisen Begrenzung des Schutzes, den es geniesst.
Unter diesen Gesichtspunkten "liegt" somit die schweizerische Marke Nr. 85'313 in der Schweiz. Ohne Mitwirkung der schweizerischen Behörden ist ihre Erneuerung und Übertragung auch gar nicht möglich (
Art. 8, 16 MSchG
). Anders entscheiden, hiesse den Grundsatz missachten, dass kein Staat gehalten ist, öffentlichrechtliche Erlasse eines anderen Staates anzuwenden oder zu vollziehen, wenn er sich nicht hiezu verpflichtet hat. Es liefe in der Tat auf die Anwendung und Vollstreckung der tschechoslovakischen Enteignungsbestimmungen und -verfügungen durch schweizerische Behörden hinaus, wenn angenommen
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würde, die streitige Marke habe am Sitze des enteigneten Unternehmens in der Tschechoslovakei gelegen, wie die Beschwerdeführerin geltend macht (vgl.
BGE 32 I 156
f.).
b) Die Natur des Rechtes an der Marke führt zu keinem anderen Schlusse.
Dass dieses Recht, wie z.B. das Eigentum, ein absolutes, gegenüber jedermann durchsetzbares ist, bedeutet nicht, es liege am Wohnsitze des Berechtigten, wie gewisse Autoren annehmen, auf welche die Beschwerdeführerin sich beruft (so TROLLER, Das internationale Privat- und Zivilprozessrecht im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht 52 Anm. 5; TROLLER, Internationale Zwangsverwertung und Expropriation von Immaterialgütern 43 ff.; TRÜEB, Das Belegensein des Markenrechtes, in Schweiz. Mitteilungen über gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht 1953 134 ff.). Das Recht an einer Marke lässt sich, was die Zuständigkeit zur Enteignung betrifft, nicht dem Eigentum gleichsetzen, da es nicht wie dieses eine körperliche Sache zum Gegenstande hat. Aus dem Vergleiche mit dem Eigentum kann aber auch schon deshalb nichts für obige Lehrmeinung abgeleitet werden, weil auch eine körperliche Sache sich nicht notwendigerweise am Wohnsitze des Eigentümers befindet.
Unerheblich ist, dass die Marke dem Berechtigten einen Nutzen abwirft, den er vorwiegend - nicht notwendigerweise immer - am Sitze seines Unternehmens zieht. Dieser Nutzen ist nicht Gegenstand, sondern nur Folge des Schutzes der Marke. Er wird ermöglicht, weil der Inhaber im Staate der Hinterlegung zum Gebrauch der Marke berechtigt ist und gegen den, der sein Recht verletzt, Klage einreichen kann. Gegenstand der Übertragung oder Enteignung ist das Recht auf Gebrauch und Schutz, nicht der zusätzliche Ertrag ("Umsatznutzen"; vgl. TROLLER, Gewerblicher Rechtsschutz 21; TRÜEB a.a.O.), den der Berechtigte dank des Markenschutzes durch Herstellung oder Verkauf der Ware erzielt.
Es ist denn auch herrschende Lehre und Rechtsprechung,
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dass die Marke, sei sie nur national oder sei sie auch beim internationalen Bureau hinterlegt, in jedem Lande ein besonderes Recht mit eigenem Schicksal verleiht, dass sie daher selbständig in jedem Lande liegt, in dem sie geschützt wird, und dass nur das Schutzland selbst sie für sein Gebiet enteignen kann (BUSSMANN, Zwangsmassnahmen gegenüber Unternehmenskennzeichen, in Festschrift für Raape 1948 139 ff.; ULMER, Warenzeichen und Firma zwischen Ost und West, GRUR 51, 1949, 63 ff.; SEIDLHOHENVELDERN a.a.O. 99 ff.; RAAPE a.a.O. 645 ff.; NIEDERER, in Schweiz. Jahrb. f. internat. Recht 11, 1954, 96).
Diese Auffassung lässt sich nicht mit der Begründung widerlegen, der Schutz der Marke im Auslande sei vom Schutze im Ursprungslande abhängig. Die Abhängigkeit erschöpft sich darin, dass die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums, revidiert in London am 2. Juni 1934, keinen Verbandsstaat verpflichtet, die Hinterlegung von Marken zuzulassen, die nicht im Ursprungslande eingetragen sind (Art. 6 lit. A). Ist die Marke im Ursprungslande und nachher in einem oder mehreren anderen Verbandsländern hinterlegt worden, so gilt, wie Art. 6 lit. D ausdrücklich bestimmt, jede dieser nationalen Marken, sofern sie der innern Gesetzgebung des Einfuhrlandes entspricht, vom Tage ihrer Eintragung an als unabhängig von der Marke im Ursprungsland (vgl. auchBGE 39 II 650f.).
Auch die Bindung an den Gewerbebetrieb des Berechtigten hindert nicht, dass das Recht an der Marke in jedem Lande seinen eigenen Weg gehe. Diese Bindung bedeutet nur, dass eine Marke lediglich mit dem Geschäfte übertragen werden kann, dessen Erzeugnisse sie zur Unterscheidung dient (
Art. 11 Abs. 1 MSchG
), nicht auch, dass die Übertragung (Enteignung) des Geschäftes notwendigerweise den Übergang des Rechts an der Marke zur Folge habe oder dass jedenfalls die Befugnis zur Enteignung des Geschäftes das Recht zur Enteignung der Marke in sich
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schliesse. Das Recht an der Marke ausserhalb des Staates, der das Hauptgeschäft enteignet, kann ein selbständiges Schicksal haben, sei es, dass der Berechtigte den Betrieb in einem Zweiggeschäft im Auslande weiterführt und die Marke für die dort erzeugten oder in den Handel gebrachten Waren weiterverwendet, sei es, dass die Marke im Auslande mangels eines Geschäftsbetriebes erlischt. Das gilt selbst dann, wenn der Staat des Hauptsitzes des Geschäftes das Recht auf die Marke in seinem Hoheitsgebiet mit "enteignet". Die Aufteilung des Markenrechtes nach Gebieten derart, dass es fortan nicht mehr in allen Staaten dem gleichen Berechtigten zusteht, wird durch Art. 6quater der Pariser Verbandsübereinkunft und
Art. 11 Abs. 1 Satz 2 MSchG
zugelassen.
3.
Konnte demnach die Tschechoslovakei die durch die schweizerische Eintragung Nr. 85'313 vermittelten Rechte nicht enteignen und auf die Beschwerdeführerin übertragen, so kann diese weder ihre Eintragung als neue Berechtigte noch die Erneuerung der Marke verlangen. Die Frage, ob die Enteignung (Konfiskation) durch die tschechoslovakischen Behörden der schweizerischen öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspräche und von den schweizerischen Behörden auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden dürfte, stellt sich nicht.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.