Urteilskopf
83 IV 137
37. Urteil des Kassationshofes vom 20. September 1957 i.S. Schüssler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug.
Regeste
Art. 125 Abs. 1StGB.Fahrlässige Körperverletzung.
a) Verhältnis zu Art. 11 des Bundesgesetzes über die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben (Erw. 1).
b) Die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit ist Gesundheitsschädigung (Erw. 2).
c) Kausalzusammenhang zwischen körperlicher Überanstrengung und Verschlimmerung der Krankheit (Erw. 3).
d) Fahrlässigkeit des Dienstherrn (Erw. 4).
A.-
Carlo Himmelrich, geb. 5. September 1933, konnte in Faido, wo er während drei Jahren in einer Bäckerlehre war, nicht viel lernen. Um sich vor der Abschlussprüfung weiter auszubilden, trat er anfangs Juli 1951 eine Aushilfsstelle in der Bäckerei Siegfried Schüssler in Kriens an. Obschon seine Leistungsfähigkeit ungenügend war, nahm ihn am 29. Juli 1951 Bäckermeister Hans Schüssler in Cham, ein Bruder des bisherigen Arbeitgebers, in Dienst. Die Arbeitszeit begann hier regelmässig morgens um 0200 oder 0230 Uhr und betrug, vom freien Mittwochnachmittag abgesehen, 12-13 Stunden im Tag, wöchentlich 74-75 Stunden. Den Mitangestellten fiel bald auf, dass Himmelrich immer Durst hatte und viel Wasser trank, immer müde war, etwas hüstelte und nicht gut aussah; ihre Aufforderungen, einen Arzt aufzusuchen, waren jedoch umsonst. Schüssler seinerseits glaubte, Himmelrich sei, weil dessen Leistungen nicht befriedigten, entweder krank oder faul. Am 18. August 1951 kehrte Himmelrich nach Hause zurück. Es wurde festgestellt, dass er an einer über beide Lungenflügel sich ausbreitenden Miliartuberkulose litt, die zu einer Hirnhautentzündung führte, an der er am 1. August 1952 starb.
Am 25. August 1951 hatte der Vater des Verstorbenen Strafklage gegen Schüssler eingereicht. Die im Untersuchungsverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten kamen zum Schluss, dass Himmelrich schon vor dem letzten Stellenantritt an Tuberkulose erkrankt sei und dass die körperlichen Anstrengungen, denen er sich in Cham unterziehen musste, den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflusst hätten.
B.-
Das Strafobergericht des Kantons Zug erklärte am 12. Juli 1957 Schüssler der fahrlässigen Körperverletzung gemäss
Art. 125 Abs. 1 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 500.--. Es warf Schüssler vor, er habe durch die Verletzung der Vorschriften des Gesamtarbeitsvertrages für das schweizerische Bäcker- und Konditorengewerbe über die Beschränkung der Arbeitszeit auf 12 Stunden pro Werktag bezw. auf 56 Stunden in der Woche und durch die Missachtung des in Art. 3 des Bundesgesetzes über die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben vom 31. März 1922 aufgestellten Verbots der Nachtarbeit die Krankheit Himmelrichs verschlimmert. Er habe aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit die mögliche Gesundheitsschädigung nicht bedacht und die erkennbaren Anzeichen eines krankhaften Zustandes nicht richtig gewürdigt.
C.-
Der Verurteilte beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde, er sei freizusprechen. Er bestreitet, dass zwischen seinem Verhalten und der Verschlimmerung der Krankheit ein Kausalzusammenhang bestehe und dass ihn ein Verschulden treffe; zudem stelle die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit rechtlich keine Gesundheitsschädigung dar.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer macht mit Recht nicht geltend, die Tat falle ausschliesslich unter die Strafbestimmung des Bundesgesetzes über die Beschäftigung jugendlicher und weiblicher Personen in Gewerben und
BGE 83 IV 137 S. 140
sei als blosse Übertretung wegen absoluter Verjährung nicht mehr verfolgbar. Das Nachtarbeitsverbot, das auch vom Fabrikgesetz übernommen wurde, will allgemein die Gesundheit Jugendlicher vor nachteiligen Auswirkungen unangemessener Arbeit schützen. Zuwiderhandlungen werden in Art. 11, der darin
Art. 88 FG
entspricht (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 10.12.1920, BBl 1920, V S. 469), der abstrakten Gefährdung wegen mit Busse oder Haft bedroht. Auf Grund dieses Bundesgesetzes ausgefällte Strafen geltend tatsächlich eingetretene Schädigungen der Gesundheit nicht ab. Auf solche sind daher die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die Körperverletzung anzuwenden.
2.
Art. 125 StGB
verlangt gleich wie Art. 123 eine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit. Diese Bestimmungen setzen nicht einen Zustand absoluter Gesundheit voraus. Wäre es so, müsste sogar die vorsätzliche Verletzung eines bereits kranken Menschen nach
Art. 123 StGB
straflos bleiben. Massgebend ist allein, ob der Gesundheitszustand, wie er vor der Einwirkung war, beeinträchtigt worden ist. Daher fällt unter den Begriff der Gesundheitsschädigung nicht bloss die Bewirkung eines krankhaften Zustandes, sondern auch die Verschlimmerung einer schon bestehenden Krankheit.
3.
Die Vorinstanz stellt fest, dass Himmelrich während seiner Anstellung beim Beschwerdeführer regelmässig Nacht- und Überzeitarbeit leisten musste und dass sich sein Krankheitszustand auch aus diesem Grunde verschlimmert hat. Soweit sie den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen körperlicher Überanstrengung und Krankheitsverlauf bejaht, liegt darin eine Tatsachenfeststellung, die den Kassationshof bindet und mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden kann (
Art. 277 bis Abs. 1,
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
). Rechtsfrage und damit überprüfbar ist nur, ob die emgetretene Verschlimmerung der Krankeit als adäquate Folge der Überanstrengung erscheint (
BGE 82 IV 33
).
Die regelmässige Arbeit in einem Gewerbebetrieb, die morgens spätestens um 0230 Uhr beginnt und täglich mindestens 12-13 Stunden dauert, ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet, einen noch im Entwicklungsstadium befindlichen, darum der Nachtruhe bedürftigen Jugendlichen an der Gesundheit zu schädigen. Gerade weil es allgemeiner Lebenserfahrung entspricht, dass solche Überanstrengungen gesundheitliche Schäden herbeizuführen pflegen, schreibt das Gesetz vor, dass Personen unter 18 Jahren während der Nacht nicht beschäftigt werden dürfen, sondern dass ihnen eine Nachtruhe von wenigstens 11 aufeinanderfolgenden Stunden eingeräumt werden muss. Himmelrich hätte unter den gegebenen Umständen schon bei voller Gesundheit einen Schaden davontragen können. Um so näher lag es, dass sich sein krankhafter Gesundheitszustand durch die Überanstrengungen verschlimmert hat. Dass möglicherweise noch andere Ursachen zur Verschlimmerung der Krankheit beigetragen haben, ist ohne Belang. Für die Bejahung der Rechtserheblichkeit des Kausalzusammenhangs genügt es, dass eine nachteilige Beeinflussung der Tuberkulose durch das Verhalten des Beschwerdeführers im Bereiche des normalen Geschehens lag (
BGE 73 IV 232
).
4.
Auch der Vorwurf der Fahrlässigkeit ist begründet. Pflichtwidrig ist ein Verhalten, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (
Art. 18 Abs. 3 StGB
). Schon die allgemein bekannte Tatsache, dass ungenügende Nachtruhe und zu lange Arbeitszeiten die Gesundheit Jugendlicher gefährden und bei längerer Dauer zu körperlichen Schädigungen führen, hätten den Beschwerdeführer davon abhalten sollen, den noch nicht 18 Jahre alten Gehilfen Himmelrich regelmässig von morgens 0200 oder 0230 Uhr an und täglich mehr als 12 Stunden im Bäckereibetrieb arbeiten zu lassen. Die möglichen Folgen seines Verhaltens zu bedenken, war er um so mehr verpflichtet, als er sich nach der verbindlichen Feststellung
BGE 83 IV 137 S. 142
der Vorinstanz bewusst war, dass sein Betrieb dem Bundesgesetz über die Beschäftigung Jugendlicher in den Gewerben und damit dem Verbot der Nachtarbeit unterstand. Der Umstand, dass die Arbeitsleistungen Himmelrichs denjenigen eines durchschnittlich befähigten Arbeiters nicht entsprachen, berechtigte ihn nicht, die gesetzlichen Schutzbestimmungen zu missachten. Nach der ebenfalls verbindlichen Feststellung der Vorinstanz konnte der Beschwerdeführer überdies sehen, dass Himmelrich von schwächlicher Körperkonstitution war, und nach kurzer Zeit konnte er auch erkennen, dass sich bei ihm sogar Anzeichen eines krankhaften Zustandes bemerkbar machten. Dass Himmelrich entgegen den Aufforderungen keinen Arzt aufsuchte, nicht krank sein wollte und selbst seinen Vater, mit dem er in telephonischer Verbindung stand, über den wirklichen Sachverhalt nicht aufklärte, entschuldigt den Beschwerdeführer keineswegs. Als Arbeitgeber war er gehalten, einen jugendlichen Untergebenen, ob er gesund oder krank sei, vor Überanstrengung zu schützen, und bei pflichtgemässer Überlegung hätte er sich sagen müssen, dass sich die Gefahr einer Gesundheitsschädigung verwirklichen könne, ja sogar, dass diese Möglichkeit nahe lag. Nicht notwendig war, dass er Art und schwere der Krankheit erkannte oder dass er voraussehen konnte, in welchem Grad sich die körperliche Überanstrengung auf den Krankheitsverlauf schädlich auswirken werde.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.