BGE 86 III 26 vom 20. Januar 1960

Datum: 20. Januar 1960

BGE referenzen:  94 III 83, 102 III 78, 120 III 36

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

86 III 26


11. Auszug aus dem Entscheid vom 20. Januar 1960 i.S. Bürgisser & Cie.

Regeste

Admassierung im Konkurs.
Das Konkursamt ist nicht befugt, einen Dritten, der an einer in seinem Besitz befindlichen Sache das Eigentum oder ein anderes die Verwertung im Konkurs ausschliessendes Recht beansprucht, unter Androhung von Strafe zur Herausgabe dieser Sache aufzufordern oder ihm gegenüber polizeilichen Zwang anzuwenden.
Fall, dass eine Bank behauptet, die bei ihr liegenden Wertschriften des Gemeinschuldners seien der Verwertung im Konkurs entzogen, weil sie Bestandteile einer dem Gemeinschuldner zugefallenen Erbschaft seien, die zu verwalten und über die zu verfügen sie als Willensvollstreckerin allein berechtigt sei.

Sachverhalt ab Seite 27

BGE 86 III 26 S. 27

A.- In dem am 10. März 1959 eröffneten Konkurs über Erich Pflugfelder nahm das Konkursamt Bassersdorf ein "Guthaben" des Gemeinschuldners bei der Zürcher Kantonalbank von Fr. 68'000, bestehend aus drei bei dieser Bank liegenden Schuldbriefen und einem Kontokorrentguthaben bei dieser Bank von Fr. 13'000, ins Inventar auf. Die Bank weigerte sich, diese Vermögenswerte dem Konkursamte zur Verfügung zu stellen. Sie berief sich auf das Testament des am 3. August 1954 gestorbenen Vaters des Gemeinschuldners, der sie mit der Vollstreckung seines Willens beauftragt und angeordnet hatte:
"Mein Sohn Erich erhält von seinem Erbteil lediglich die Hälfte zur freien Verfügung, während die andere Hälfte der Verwaltung und Verfügung durch meine Willensvollstreckerin untersteht. Die Willensvollstreckerin verfügt über Zinsen und Kapital im Interesse meines Sohnes Erich. Sie entscheidet nach freiem Ermessen, wann und in welcher Form meinem Sohn Erich Beträge in nutzbringender Weise zur Verfügung gestellt werden sollen."
Auf Grund dieser Testamentsbestimmung machte die Bank geltend, der Betrag von Fr. 68'000, der den Rest des ihrer Verwaltung und Verfügung unterliegenden Nachlassvermögens bilde, falle nicht in die Konkursmasse.

B.- In der am 27. Mai 1959 versandten Einladung zur 2. Gläubigerversammlung beantragte das Konkursamt, die Konkursmasse solle darauf verzichten, den Anspruch gegen die Kantonalbank namens der Gläubigergesamtheit geltend zu machen, weil keine genügenden Mittel für die Prozessführung vorhanden seien. Gleichzeitig setzte es den Gläubigern gemäss Art. 48 KV Frist zur Stellung von Abtretungsbegehren in Sinne von Art. 260 SchKG .
BGE 86 III 26 S. 28
Hierauf führte die Firma Bürgisser & Cie. in ihrer Eigenschaft als Konkursgläubigerin Beschwerde. Soweit noch streitig, lauten ihre Begehren:
"Im Konkurs des Erich Pflugfelder sei das Konkursamt Bassersdorf anzuweisen,
a) die bei der Zürcher Kantonalbank liegenden Aktiven (Wertpapiere, Guthaben etc.) des Konkursiten von ca. Fr. 68'000. zur Konkursmasse zu ziehen, ...
b) die Zürcher Kantonalbank unter Strafdrohung aufzufordern, die erwähnten Massaaktiven dem Konkursamte zur Verfügung zu stellen zwecks Verwertung zugunsten der Konkursgläubiger,
c) im Weigerungsfalle gegenüber der Zürcher Kantonalbank die Polizeigewalt in Anspruch zu nehmen."

C.- Von der untern und am 27. November 1959 auch von der obern kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen, rekurriert die Firma Bürgisser & Cie. an das Bundesgericht. Sie beruft sich aufBGE 72 III 77und den Entscheid der II. Zivilabteilung vom 4. April 1959 i.S. Bürgisser & Cie. gegen Zürcher Kantonalbank, wo zur Begründung dafür, dass die Berufungsklägerin die Kosten des Berufungsverfahrens in dem durch die Konkurseröffnung gegenstandslos gewordenen Widerspruchsprozess über das streitige Guthaben zu tragen habe, unter Hinweis auf das eben erwähnte Präjudiz u.a. gesagt worden war, diese Kostenverlegung rechtfertige sich um so eher, als die Berufungsklägerin "den Prozess möglicherweise hätte vermeiden können, indem sie die vor den Gerichten diskutierte Frage, ob der von der Beklagten geltend gemachte Anspruch im Falle seiner Begründetheit die Pfändung und Verwertung des streitigen Guthabens ausschlösse, durch Beschwerde gegen die Fristansetzung zur Klage den Aufsichtsbehörden unterbreitet hätte."
Das Bundesgericht weist den Rekurs ab.

Erwägungen

Erwägungen:

1. (Gründe, aus denen die Beschwerde abzuweisen ist, soweit sie sich auf das Kontokorrentguthaben des Gemeinschuldners bezieht.)
BGE 86 III 26 S. 29

2. Die bei der Kantonalbank liegenden Schuldbriefe sind als Wertpapiere bewegliche Sachen, so dass sie nur verwertet werden können, wenn das Konkursamt sich den Besitz daran verschaffen kann (vgl. BGE 72 III 76 Erw. 1).
Gemäss Art. 232 Ziff. 4 SchKG enthält die Konkurspublikation "die Aufforderung an diejenigen, welche Sachen des Gemeinschuldners als Pfandgläubiger oder aus andern Gründen besitzen, dieselben ohne Nachteil für ihr Vorzugsrecht binnen der Eingabefrist dem Konkursamte zur Verfügung zu stellen, mit Strafandrohung für den Unterlassungsfall...". Gegen Dritte, die von dieser Aufforderung betroffen werden, ihr aber nicht nachkommen, kann das Konkursamt gemässBGE 51 III 135ff. polizeilichen Zwang anwenden.
Wenn die erwähnte Vorschrift von "Sachen des Gemeinschuldners" spricht, die ein Dritter "als Pfandgläubiger oder aus andern Gründen besitzt", und wenn sie dem Dritten, welcher der Aufforderung nachkommt, die Erhaltung seines Vorzugsrechts gewährleistet, so setzt sie voraus, dass es sich um Sachen handelt, deren Zugehörigkeit zur Konkursmasse der Drittbesitzer nicht bestreitet, sondern an denen er höchstens ein Pfandrecht oder ein anderes die Verwertung im Konkurs nicht hinderndes, aber bei der Verwertung oder Verteilung zu berücksichtigendes Recht (z.B. die Nutzniessung, vgl. JAEGER N. 16 zu Art. 232 SchKG ) beansprucht. Für Dritte, die an den in ihrem Besitz befindlichen, vom Konkursamt als Bestandteile der Masse betrachteten Gegenständen das Eigentum oder ein sonstiges die Verwertung im Konkurs ausschliessendes Recht geltend machen, gilt Art. 232 Ziff. 4 SchKG nicht (vgl. BGE 51 III 136 , 138). Solche Drittbesitzer können weder unter Androhung von Strafe zur Herausgabe der in Frage stehenden Gegenstände aufgefordert werden, noch darf das Konkursamt ihnen gegenüber polizeilichen Zwang anwenden. Vielmehr sind Zwangsmassnahmen gegen sie erst zulässig, wenn ihnen durch Gerichtsurteil das von ihnen beanspruchte Recht aberkannt und die Herausgabe
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der Sache an die Konkursmasse befohlen worden ist (und zwar richten sich diese Massnahmen gegebenenfalls nach den kantonalen Vorschriften über die Realvollstreckung).
Im vorliegenden Falle hat die Kantonalbank ausdrücklich geltend gemacht, der in ihrem Besitz befindliche Teil des Vermögens des Gemeinschuldners falle mit Rücksicht darauf, dass ihr als Willensvollstreckerin gemäss letztwilliger Verfügung das ausschliessliche Recht zu dessen Verwaltung und zur Verfügung darüber zustehe, nicht in die Konkursmasse. Ob das von der Bank behauptete eigene Recht, sein Bestehen vorausgesetzt, die Verwertung der davon erfassten Vermögenswerte im Konkurs Pflugfelders (oder in einem Betreibungsverfahren gegen ihn) ausschliesse, ist nicht einfach eine Frage des Vollstreckungsrechts. Vielmehr spielt bei der Beurteilung dieses Punktes die Auslegung der Vorschriften des ZGB über die Willensvollstreckung eine entscheidende Rolle. Wie die erwähnte Frage auf Grund dieser Vorschriften zu beantworten sei, ist nicht etwa ohne weiteres liquid (vgl. ESCHER, 3. Aufl., N. 22/23 zu Art. 518 ZGB ). Insbesondere lässt sich nicht sagen, es stehe ausser jedem Zweifel, dass diese Frage verneint werden müsse. Unter diesen Umständen kann es nicht Sache der Vollstreckungsbehörden sein, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, und sind diese Behörden auf jeden Fall nicht befugt, auf Grund der Annahme, dass das von der Kantonalbank beanspruchte Recht die Zwangsverwertung der streitigen Schuldbriefe auch im Falle seines Bestehens nicht hindern könne, den Anspruch der Bank kurzerhand als unbeachtlich zu erklären und die Bank auf Grund der Tatsache, dass sie das Eigentum des Gemeinschuldners als solches anerkennt, zur Herausgabe der von ihr verwahrten Titel zu zwingen. Vielmehr muss es dem ordentlichen Richter vorbehalten bleiben, über die Existenz und die Wirkungen des von der Bank behaupteten Rechts zu befinden. Der abweichenden Auffassung, welche die II. Zivilabteilung im Urteil vom 4. April 1959 in einer
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für ihre Entscheidung nicht ausschlaggebenden Erwägung als möglich bezeichnet hat (oben C), kann nicht gefolgt werden.
Diese Lösung steht mitBGE 72 III 77Erw. 2 nicht im Widerspruch. In jenem Falle hatte die Zürcher Kantonalbank an den bei ihr hinterlegten Titeln kein eigenes, der Verwertung der Titel in der Betreibung gegen den Schuldner entgegenstehendes Recht beansprucht, sondern deren Herausgabe lediglich mit der Begründung verweigert, sie seien Gegenstand eines dem Schuldner zugefallenen Vermächtnisses, das gemäss Testament bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Schuldners gesperrt bleibe. Damit hatte sie der Sache nach bloss geltend gemacht, sie dürfe die Titel nicht herausgeben, weil diese kraft testamentarischer Anordnung unpfändbar seien. (Auf jeden Fall konnte ihre Haltung in diesem Sinne gedeutet werden). Über diesen Punkt zu entscheiden, stand den Aufsichtsbehörden zu. Auf Grund der Feststellung, dass die behauptete Unpfändbarkeit nicht bestehe, war es in jenem Falle auch zulässig, die Bank zur Herausgabe der anerkanntermassen dem Schuldner gehörenden Titel anzuhalten, während dies eben im vorliegenden Falle, wo sich die Bank der Verwertung unter Berufung auf ein eigenes Recht an den Titeln widersetzt, nicht möglich ist.

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