Urteilskopf
86 III 53
16. Entscheid vom 23. August 1960 i.S. K.
Regeste
Pfändung des Rein-Einkommens aus selbständiger Berufstätigkeit (entsprechende Anwendung des
Art. 93 SchKG
).
1. Pflicht des Betreibungsamtes, die zur Ermittlung des allfällig pfändbaren Teilbetrages des Reinverdienstes wesentlichen Tatsachen abzuklären. Im Beschwerdeverfahren (
Art. 17-19 SchKG
) sind dagegen die unbeanstandet gebliebenen Elemente der Berechnung nicht nachzuprüfen (Erw. 1).
2. Arten der Verdienstpfändung. Unzulässig ist eine vorläufige Verdienstpfändung ohne zuverlässige Feststellungen mit Fristansetzung an den Gläubiger zur Strafanzeige (Erw. 2).
A.-
In der Betreibung des Rekurrenten gegen Sch. pfändete das Betreibungsamt Ennetbaden zuerst bloss eine Reihe beweglicher Sachen, die nicht genügende Deckung boten. Auf Beschwerde des Gläubigers wies die Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt an, den Nettoverdienst des (teilweise als Vertreter gegen Provision arbeitenden, hauptsächlich aber auf eigene Rechnung Zahnhandel treibenden und ein zahntechnisches Laboratorium führenden) Schuldners festzustellen, dessen Notbedarf zu bestimmen und allenfalls eine Lohnpfändung zu vollziehen. Laut ergänzender Pfändungsurkunde war eine Verdienstpfändung
BGE 86 III 53 S. 54
abzulehnen, weil dem monatlichen Notbedarf für ein Ehepaar mit einem Kind nebst Reisespesen von Fr. 600.--, zusammen Fr. 1'257.--, ein Nettoinkommen von bloss Fr. 1'230.70 gegenüber stehe. Zum Posten von Fr. 600.-- für Reisespesen ist in der Pfändungsurkunde bemerkt:
"An den Reisespesen in der Höhe von Fr. 600.-- pro Mt. hält der Schuldner nach wie vor fest. Er könne nicht auf ein Auto verzichten, da er mit der Bahn teilweise viel Wartezeit verliere und anderseits einen grossen Koffer und 2 Mappen mitführt. Er bereise die ganze Schweiz und muss pro Woche 2-3 x übernachten. Für die Miete des Autos bezahlt er 14 Rp. pro km... Fix besoldete Reisende sollen einen täglichen Reisezuschuss von Fr. 30.- und mehr erhalten..."
B.-
Nach Empfang dieser Pfändungsurkunde beschwerte sich der Gläubiger mit dem Antrag auf Anordnung einer festen Verdienstpfändung von Fr. 200.-- im Monat. Er beanstandete zwei Einnahmenposten in der Aufstellung des Betreibungsamtes als zu niedrig und gelangte auf Grund höherer Beträge zu einem pfändbaren Verdienstüberschuss von mehr als monatlich Fr. 200.--. Was die vom Betreibungsamt auf monatlich Fr. 600.-- bemessenen Reisespesen betrifft, äusserte er Zweifel, ob sie einer Anfechtung standzuhalten vermöchten. Doch "unter Vorbehalt einer näheren Prüfung der Einnahmenseite lasse ich sie vorläufig unangefochten gelten."
C.-
Die untere Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde abgewiesen, ebenso die obere Aufsichtsbehörde den vom Gläubiger eingereichten Rekurs, soweit einzutreten sei.
D.-
Mit vorliegendem Rekurs an das Bundesgericht hält der Gläubiger an der Beschwerde fest. Er stellt ferner folgenden Antrag:
"3. Es seien die vom Schuldner geltend gemachten und vom Betreibungsamt anerkannten Reisespesen auf mindestens Fr. 400.-- herabzusetzen."
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Auch bei der gleichfalls auf
Art. 93 SchKG
gestützten, der eigentlichen Lohnpfändung nachgebildeten Pfändung
BGE 86 III 53 S. 55
des Reineinkommens aus selbständiger Arbeit hat das Betreibungsamt von Amtes wegen die zur Ermittlung einer allfälligen pfändbaren Verdienstquote und zu deren Bemessung entscheidenden tatsächlichen Verhältnisse abzuklären (
BGE 81 III 149
,
BGE 85 III 38
,
BGE 86 III 16
). Das ist im vorliegenden Falle geschehen. Ob und wie weit die amtliche Untersuchung allenfalls mangelhaft und ihr Ergebnis unrichtig sei, war im Beschwerdeverfahren dann aber nur im Rahmen der vom Gläubiger beanstandeten Berechnungsgrundlagen nachzuprüfen; im übrigen wurde die betreibungsamtliche Verfügung rechtskräftig, wie die Vorinstanz mit Hinweis auf
BGE 73 III 33
zutreffend entschieden hat. Nun war die Beschwerde nur gegen zwei Posten der Roheinnahmen erhoben worden, und demgemäss hatte der Rekurrent denn auch seine Berechnung eines angeblichen pfändbaren monatlichen Verdienstüberschusses von mehr als Fr. 200.-- ausschliesslich auf eine Erhöhung dieser beiden Rechnungsposten (Einnahmen aus Zahnhandel und aus Reisetätigkeit) gestützt. Die Notbedarfsberechnung dagegen, welche die auf Fr. 600.-- bemessenen Reisespesen enthält, hatte er zwar in ihrer Richtigkeit bezweifelt, aber nicht förmlich angefochten, sondern auch seiner eigenen Berechnung zu Grund gelegt. Auf den erst in oberer kantonaler Instanz gestellten Antrag betreffend dieses Element des Notbedarfs ist daher die obere Aufsichtsbehörde mit Recht nicht eingetreten, und vollends muss das vor Bundesgericht gestellte Rekursbegehren 3 bei dieser Sachlage ausser Betracht fallen.
2.
Die Einkommensberechnung des Betreibungsamtes ist, wie sich aus Erw. 1 und 2 des angefochtenen Entscheides ergibt, rechtlich einwandfrei. Der Rekurrent will sich freilich mit den Ergebnissen der amtlichen Erhebungen nicht zufrieden geben, weil sie teilweise aufblossen Angaben des Schuldners beruhen. Angesichts der nicht restlos abgeklärten Verhältnisse muss nach seiner Ansicht vorerst einmal eine Verdienstpfändung, wie er sie bereits im Fortsetzungsbegehren beantragt habe, vollzogen werden. Sollte
BGE 86 III 53 S. 56
der Schuldner alsdann nicht entsprechende Monatsbeträge abliefern, so hätte der vom Gläubiger anzurufende Strafrichter den eigentlichen Verdienstumfang und damit auch die pfändbare Quote zu ermitteln. Zur Begründung beruft sich der Rekurrent auf die Rechtsprechung, wonach bei der eigentlichen Lohnpfändung unter Umständen ein vom Schuldner und vom Arbeitsgeber nicht anerkannter Lohnbetrag als bestrittener zu pfänden ist, mit der Folge, das er vom Gläubiger kraft Anweisung nach
Art. 131 Abs. 2 SchKG
oder von einem Ersteigerer vor dem Zivilrichter eingeklagt werden kann.
Dieser Betrachtungsweise ist nicht beizutreten. Die Pfändung eines nach Abzug der Gewinnungskosten sich ergebenden Einkommens aus selbständiger Arbeit nach Art einer Lohnpfändung, d.h. hinsichtlich eines den Notbedarf der Familie übersteigenden Betrages, ist nicht Pfändung einer Forderung. Daher kommt nicht in Frage, über die feste Pfändung hinaus einen Mehrbetrag als "bestrittene Forderung" zu pfänden. Vielmehr ist Gegenstand dieser Einkommenspfändung entweder ein auf Grund von Feststellungen über den durchschnittlichen Aufwand und Ertrag einerseits und den Notbedarf anderseits zu bestimmender Monatsbetrag (sofern sich ein derart pfändbares Einkommen ergeben hat), oder es ist auf künftige monatliche Abrechnung hin der jeweilen erzielte Überschuss der Roheinnahmen über den Geschäftsaufwand und den Notbedarf als veränderlicher Überschuss, jedoch ebenfalls fest, zu pfänden (
BGE 85 III 40
Erw. 3). Im vorliegenden Falle durfte auf das durchschnittliche Reineinkommen abgestellt werden, wie es sich nicht bloss auf Grund von Angaben des Schuldners, sondern hauptsächlich an Hand von Belegen über den Zeitraum der vorausgegangenen vier Monate ermitteln liess. Da dieses Reineinkommen den Notbedarf (nebst den Reisespesen, die eigentlich bereits als Geschäftsaufwand hätten eingesetzt werden sollen) nicht erreicht, war eine Verdienstpfändung abzulehnen. Unter den gegebenen Verhältnissen kam nicht etwa
BGE 86 III 53 S. 57
in Frage, nach der soeben erwähnten zweiten Methode allfällige künftige Einkommensüberschüsse gemäss monatlich vorzunehmender Abrechnung zu pfänden. Denn mit derartigen Überschüssen war nicht mit etwelcher Sicherheit zu rechnen (ganz abgesehen davon, dass vereinzelte Überschüsse zurückbehalten werden müssten, um mit Ausfällen anderer Monate ausgeglichen zu werden; vgl.
BGE 68 III 158
,
BGE 69 III 54
).
Zu Unrecht glaubt der Rekurrent endlich eine vorläufige Verdienstpfändung ohne zuverlässige Feststellungen verlangen zu dürfen, um gestützt darauf bei Nichteingang der vorläufig gepfändeten Beträge den Strafrichter anrufen zu können, der dann die Einkommens- und Bedarfsverhältnisse endgültig festzustellen hätte. Ein solches Vorgehen lässt sich nicht auf
Art. 93 SchKG
gründen. Im übrigen erscheint ein solches Zwischenstadium der vorläufigen Pfändung mit Fristansetzung zur Strafklage als zwecklos. Dem Gläubiger steht frei, ohne weiteres Strafanzeige wegen unwahrer Angaben des Schuldners zu erheben, wenn er dies verantworten zu können glaubt.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.