Urteilskopf
88 IV 77
23. Urteil des Kassationshofes vom 30. Mai 1962 i.S. Polizeirichteramt der Stadt Zürich gegen Furer.
Regeste
Art. 45 Abs. 2 MFV
.
Verboten ist nach dieser Bestimmung nicht nur das seitliche Überfahren der Sicherheitslinie, sondern auch deren senkrechtes Kreuzen zum Zwecke des Wendens.
A.-
Am 27. April 1961, um 23.25 Uhr, führte der Taxihalter Furer einen Taxameter in Zürich durch die Theaterstrasse Richtung Limmatquai. In der Nähe des mit Taxis besetzten Standplatzes vor dem Hause Nr. 12 hielt er an, nahm einen Fahrgast auf, steuerte sodann seinen Wagen nach links über die längs der stadteinwärts führenden Tramschienen angebrachte Sicherheitslinie und fuhr in der Anfahrtrichtung davon.
B.-
Der Polizeirichter der Stadt Zürich verfällte Furer am 24. Mai 1961 wegen Übertretung von
Art. 45 Abs. 2 MFV
(Überfahren der Sicherheitslinie) und Art. 33 Abs. 2 der städtischen Taxiverordnung (Aufnahme von Fahrgästen in der Nähe eines mit Taxis besetzten Standplatzes) in eine Busse von Fr. 30.-.
Der Gebüsste verlangte gerichtliche Beurteilung.
Am 15. Februar 1962 bestätigte der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich die Verfügung des Polizeirichters insoweit, als Furer damit wegen Übertretung der städtischen Taxiverordnung bestraft wurde. Er sprach ihn dagegen von der Anklage der Widerhandlung gegen
Art. 45 Abs. 2 MFV
frei, weil sich diese Bestimmung nur auf den Verkehr längs der Sicherheitslinie beziehe und daher das senkrechte Kreuzen dieser Linie nicht erfasse.
C.-
Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Einzelrichters sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung
BGE 88 IV 77 S. 78
des Beschwerdegegners auch wegen Übertretung von
Art. 45 Abs. 2 MFV
an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Der Beschwerdegegner hat auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde verzichtet.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach
Art. 45 Abs. 2 MFV
haben die Führer auf Strassen mit Sicherheitslinien rechts dieser Linien zu fahren. Damit nimmt die Verordnung den bereits im Gesetz (Art. 26 Abs. 1 MFG) enthaltenen Grundsatz des Rechtsfahrens auf, verleiht ihm aber für den besonderen Fall, dass die Strasse mit einer Sicherheitslinie markiert ist, absolute Bedeutung. Der Führer hat sich somit strikte rechts dieser Linie zu halten und darf sie nicht überfahren. Von diesem Gebot darf nach ständiger Rechtsprechung nur aus zwingenden Gründen abgewichen werden (
BGE 79 IV 84
,
BGE 81 IV 298
,
BGE 86 IV 114
).
Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdegegner in der Theaterstrasse in Zürich ein Wendemanöver ausgeführt und dabei die dortige Sicherheitslinie überfahren. Das war unzweifelhaft regelwidrig. Denn dass Furer die Linie nicht in der Längsrichtung überfuhr, sondern senkrecht kreuzte, ist unter dem Gesichtspunkte von
Art. 45 Abs. 2 MFV
ohne Belang. Zwar gilt diese Bestimmung ihrem Wortlaute nach vor allem für den Längsverkehr. Wo aber um der Verkehrssicherheit willen ein seitliches Überfahren durch ein in der Längsrichtung verkehrendes Fahrzeug untersagt ist, kann auch ein senkrechtes Kreuzen der Linie nicht zulässig sein. Die Gefahren, welche durch die Sicherheitslinie vermieden werden wollen, sind bei solcher Fahrweise in der Regel nicht geringer als bei einem seitlichen Überfahren. Hieran ändert auch nichts, dass der Beschwerdegegner die Sicherheitslinie gequert hat, um seinen Wagen zu wenden, und dass der Verkehr dadurch nicht in konkreter Weise gestört wurde. Darauf, welches Manöver der Führer mit dem Überfahren der
BGE 88 IV 77 S. 79
Sicherheitslinie ausführen will, ob es zum Zwecke des Wendens oder in anderer Absicht geschieht, kann nichts ankommen. Das Überfahren der Sicherheitslinie ist, zwingende Gründe vorbehalten, allgemein und insbesondere auch dann verboten, wenn ein Wenden des Fahrzeugs an dieser Stelle ohne die Sicherheitslinie zulässig wäre.
Furer ist infolgedessen wegen Widerhandlung gegen
Art. 45 Abs. 2 MFV
zu bestrafen. Denn dass er gezwungen gewesen sei, die Sicherheitslinie zu überfahren, hat der Beschwerdegegner im kantonalen Verfahren nie behauptet und nimmt auch die Vorinstanz nicht an.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Einzelrichters in Strafsachen des Bezirkes Zürich vom 15. Februar 1962 aufgehoben und die Sache zur Verurteilung des Beschwerdegegners auch wegen Verletzung von
Art. 45 Abs. 2 MFV
an die Vorinstanz zurückgewiesen.