Urteilskopf
92 IV 128
33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Oktober 1966 i.S. Schiesser gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
Regeste
Art. 148 Abs. 1 StGB
.
1. Die schweizerischen Goldmünzen zu 100, 20 und 10 Franken sind kein Geld mehr im Sinne des Gesetzes.
2. Der gutgläubige Käufer, der eine gestohlene Münze dieser Art erwirbt, ist geschädigt, weil er seine eigene Leistung erbringt, ohne eine von Drittansprüchen freie Gegenleistung zu erhalten, worauf er nach Vertrag Anspruch hätte (Erw. a und b).
3. Die unrechtmässige Bereicherung des Verkäufers liegt im Verwertungserlös der gestohlenen Münze (Erw. c).
Aus dem Tatbestand:
Schiesser hielt sich am Abend des 12. Januar 1964 in einem Gasthof in Igis auf. Gegen 23 Uhr verliess er die Gaststube und
BGE 92 IV 128 S. 129
drang in das Schlafzimmer der Wirtin ein, wo er sich aus ihrem Schmuckkästchen einen Goldring, eine Halskette im Werte von etwa Fr. 300.-- und ein deutsches Geldstück aneignete. An der Kette hing eine schweizerische Goldmünze zu 20 Franken, die er am folgenden Tag aus der Fassung ausbrach und der Graubündner Kantonalbank in Landquart für Fr. 39.- verkaufte.
Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden erklärte Schiesser am 21. Dezember 1965 des Diebstahls sowie des Betruges schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von einem Monat. Den Betrug erblickte das Gericht im Verkauf der gestohlenen Goldmünze.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten, der Freispruch von der Anklage des Betruges verlangte, wurde vom Kassationshof abgewiesen.
Aus den Erwägungen:
Wie der Kassationshof in
BGE 72 IV 9
entschieden hat, ist sowohl wegen Diebstahls als auch wegen Betruges strafbar, wer eine Sache stiehlt und sie als die seinige einem gutgläubigen Dritten verkauft. Der Beschwerdeführer bestreitet dies nicht, macht aber sinngemäss geltend, dass diese Rechtsprechung nicht auf Fälle wie den vorliegenden bezogen werden dürfe. Geld könne gemäss
Art. 935 ZGB
vom gutgläubigen Empfänger nicht zurückgefordert werden. Der Grund dafür liege in der Schwierigkeit, Geldstücke nach Vermischung mit andern wieder zu individualisieren. Diese Schwierigkeit bestünde auch bei Goldmünzen üblicher Prägung, wenn sie mit andern gleicher Art vermengt würden. Obschon die schweizerischen Goldmünzen zu 20 Franken nicht mehr als gesetzliche Zahlungsmittel verwendet würden, rechtfertige es sich, sie als Geld im Sinne von
Art. 935 ZGB
und damit im Falle des gutgläubigen Erwerbes als unvindizierbare Sachen zu behandeln. So gesehen sei die Bank aber nicht verpflichtet gewesen, das gekaufte Goldstück wieder herauszugeben, folglich auch nicht geschädigt worden.
a) Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil
Art. 935 ZGB
den gutgläubigen Erwerber, ausser bei Inhaberpapieren, bloss bei Geld schützt und ein 20-Franken-Goldstück kein Geld im Sinne des Gesetzes ist. Die alten schweizerischen Goldmünzen zu 100, 20 und 10 Franken, die sogenannten "Vreneli", sind unter der Herrschaft des früheren Münzgesetzes vom 3. Juni 1931 (BS 6, 51) zwar
BGE 92 IV 128 S. 130
gesetzlich anerkanntes Zahlungsmittel geblieben; sie haben aber nach der Auskunft der Schweizerischen Nationalbank ihre Eigenschaft als Kurantmünzen praktisch schon durch die Abwertung des Frankens im Jahre 1936 eingebüsst. In Art. 3 des neuen Münzgesetzes vom 17. Dezember 1952 (AS 1953, 209) sind sie denn auch nicht mehr aufgeführt. Sie stellen daher keine gesetzlichen Zahlungsmittel mehr dar. Art. 17 des neuen Gesetzes ändert daran nichts. Nach dieser Bestimmung sollen die alten Goldmünzen zu 100, 20 und 10 Franken lediglich weiterhin den gleichen strafrechtlichen Schutz geniessen wie die kursfähigen Münzen (
BGE 80 IV 263
; StenBull NR 1952 S. 466, 472/73, StR 1952 S. 337).
Erwarb die Bank somit kein Geld, so durfte die Wirtin, der das gestohlene Goldstück gehörte, es wie eine andere bewegliche Sache während fünf Jahren von jedem Empfänger zurückfordern (
Art. 934 Abs. 1 ZGB
). Daraus erhellt, dass die Kaufsache für die Bank nicht frei von Drittansprüchen war, wie sie es auf Grund des vorgespiegelten Sachverhaltes hätte sein müssen. Die Käuferin durfte nach den Umständen annehmen, dass der Beschwerdeführer rechtmässig über die Goldmünze verfüge, sie daher durch den Kauf Eigentum an der Münze erlange. In Wirklichkeit erhielt sie jedoch eine gestohlene Sache, an der ihr der Beschwerdeführer das Eigentum nicht verschaffen konnte und die deshalb der Entwehrung durch den rechtmässigen Eigentümer ausgesetzt blieb. Lief die Käuferin aber Gefahr, die Sache entschädigungslos zurückerstatten zu müssen, so war sie geschädigt. Das gälte selbst dann, wenn die Bank das Goldstück nur gegen Vergütung des ausgelegten Kaufpreises hätte hergeben müssen (
Art. 934 Abs. 2 ZGB
); denn im einen wie im andern Fall war die Käuferin schon dadurch geschädigt, dass sie ihre eigene Leistung erbrachte, ohne die Gegenleistung zu erhalten, auf die sie nach Vertrag Anspruch hatte (
BGE 72 IV 11
, 130;
BGE 76 IV 96
;
BGE 87 IV 11
).
b) Der Beschwerdeführer wendet freilich ein, die Münze hätte, weil mit andern Goldstücken gleicher Art vermischt, gar nicht mehr bestimmt werden können; die Bank sei daher unbekümmert darum, dass er ihr kein Eigentum übertragen habe, Eigentümer der Kaufsache geworden. Es verhalte sich diesfalls gleich wie bei Geldstücken.
Ob die Käuferin die Goldmünze mit gleichartigen vermengt habe, ist nicht abgeklärt worden und kann dahingestellt bleiben.
BGE 92 IV 128 S. 131
Der Beschwerdeführer entginge der Bestrafung wegen Betruges auch dann nicht, wenn seine Behauptung zutreffen sollte. Bei Vermengung von Geld oder andern vertretbaren Sachen gleicher Art, die einzeln nicht mehr bestimmbar sind, wird zwar, wie die Beschwerde richtig annimmt, der Besitzer der Gesamtmenge auch deren Eigentümer (
BGE 47 II 270
Erw. 2,
BGE 90 IV 188
). Dieser kann aber vom bisherigen Eigentümer, dessen Recht auf eine Sache zufolge der Vermengung untergegangen ist, auf Schadenersatz belangt oder aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch genommen werden (Komm. LEEMANN, N. 21 zu
Art. 727 ZGB
; WIELAND, N. 6 zu
Art. 727 ZGB
). Daraus folgt, dass der Erwerb der Münze selbst dann, wenn sie zusammen mit andern aufbewahrt wurde und aus der Menge nicht mehr herauszufinden war, mit (obligatorischen) Drittansprüchen belastet blieb. Dann hatte sie für die Bank aber nicht den Wert, den der Beschwerdeführer vortäuschte. Diesen Wert erhielt die Münze erst, als die Mutter des Beschwerdeführers die gestohlene Halskette zurückerstattete und das fehlende Goldstück durch ein anderes ersetzte. Bis dahin war die Bank um den ausbezahlten Betrag, den sie ohne die Irreführung nicht erlegt hätte, im Sinne von
Art. 148 Abs. 1 StGB
geschädigt. Die betrügerische Verwertung der gestohlenen Münze führte somit so oder anders zu einem Schaden, der durch die Strafe wegen Diebstahls nicht abgegolten wird.
c) Mit dem Tatbestandsmerkmal der unrechtmässigen Bereicherung verhält es sich nicht anders. Durch den Diebstahl verschaffte der Beschwerdeführer sich erst die Möglichkeit, die Münze verwerten zu können. Dieser Vorteil stellte für ihn eine Bereicherung dar, die aber nicht mit dem Verwertungserlös gleichgesetzt werden darf. Mag eine Goldmünze dem rechtmässigen Besitzer auch gleich viel bedeuten wie ein Barbetrag in der Höhe ihres Handelspreises, so ist sie für den Dieb doch minderen Wertes, weil sie nicht in seinem Eigentum steht (
BGE 72 IV 10
). Um den Vorteil, den ihm die gestohlene Münze bot, nutzbar machen zu können, musste der Beschwerdeführer noch eine weitere Handlung begehen. Indem er sie zum Verkaufe vorwies, handelte er daher in der Absicht, sich eine neue Bereicherung zu verschaffen (vgl.
BGE 72 IV 118
).