Urteilskopf
93 I 586
75. Urteil vom 9. Juni 1967 i.S. Knüsli gegen Schweiz. Eidgenossenschaft.
Regeste
Verkehrsunfälle von Radfahrern im Militärdienst.
1. Die Haftung des Bundes richtet sich nach
Art. 27 MO
, nicht nach dem SVG, bzw. OR (Erw. 1).
2. Versorgerschaden bei Verlust:
a) des Ehemannes (Erw. 2);
b) des Vaters, der dem Sohn bei landwirtschaftlichen Arbeiten mithilft (Erw. 3).
3. Genugtuungssumme bei Verlust des Ehemannes oder Vaters:
a) Ausschluss nach dem geltenden
Art. 27 MO
(Erw. 4);
b) Voraussetzungen bei allfälliger Haftung nach dem Verantwortlichkeitsgesetz. Verschulden einer Militärperson (Erw. 5);
c) Voraussetzungen bei Haftung nach dem revidierten
Art. 27 Abs. 1 MO
(AS 1968 S. 74). Würdigung der besonderen Umstände (Erw. 6).
A.-
In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1966 veranstaltete die Inf. RS 6 eine Mobilmachungsübung. Im Rahmen dieser Übung hatte Rekrut Hans Ruf auf unbeleuchtetem Fahrrad eine Meldung zu überbringen. Er fuhr auf der 3. Klass-Strasse Mönchaltorf-Uster. Dabei stiess er etwa um Mitternacht mit dem entgegenkommenden 79-jährigen Fussgänger Emil Knüsli zusammen und verletzte ihn schwer. Knüsli starb am frühen Morgen des 25. März. Am gleichen Tage (25. März 1966) befahl der Kommandant der Inf. RS 6 eine vorläufige Beweisaufnahme gegen Rekrut Ruf. Da sich Ruf nach dem Ergebnis der Untersuchung korrekt verhalten hat, wurde das Verfahren eingestellt (Verfügung des Kommandanten der Inf. RS 6 vom 13. Mai 1966).
Die Witwe Knüslis und sein Sohn Kurt meldeten dem Bund am 17. Mai 1966 eine Forderung von Fr. 25'000.-- an für Beerdigungskosten, als Ergänzung zur AHV-Witwenrente und als Ersatz für die entgangene Arbeitskraft des Vaters. Der Verunfallte hatte am 6. Mai 1958 sein landwirtschaftliches Heimwesen an den Sohn Kurt verkauft. Gemäss Kaufvertrag räumte dieser den Eltern ein lebenslängliches Wohnrecht mit Anspruch auf Kost und häusliche Pflege ein. Seither hat der Vater im Betriebe des Sohnes mitgearbeitet.
B.-
Die Direktion der Eidg. Militärverwaltung anerkannte grundsätzlich die Haftung des Bundes für den Schaden, der Höhe nach aber nur für Fr. 3'000.-- Beerdigungskosten. Sie überwies Knüsli Fr. 3'000.--, welche dieser als Anzahlung entgegennahm.
Mit Schreiben ihres Anwaltes vom 26. Juli 1966 erhoben die Hinterlassenen von Emil Knüsli folgende weitere Ansprüche: Fr. 5'904.-- Versorgerschaden Kurt Knüsli für die entgangene Arbeitsleistung des Vaters, sowie Genugtung von Fr. 8'000.-- für die Witwe und je Fr. 5'000.-- für den Sohn und die (verheiratete) Tochter.
Am 29. August 1966 lehnte die Direktion der Eidg. Militärverwaltung diese Ansprüche ab. Sie begründete diese Stellungnahme damit, die Arbeitsleistung des Vaters Knüsli für
BGE 93 I 586 S. 588
den Sohn habe nicht auf Unterstützungspflicht beruht, so dass ihr Ausfall keinen Versorgerschaden darstelle; ein Genugtuungsanspruch könne nicht auf Art. 27 der Militärorganisation der Schweiz. Eidgenossenschaft vom 12. April 1907 (MO) gegründet werden.
C.-
Mit verwaltungsrechtlicher Klage beantragen die Witwe und die beiden Kinder des Emil Knüsli, die Eidgenossenschaft habe ihnen Fr. 22'000.--, allenfalls einen Betrag nach richterlichem Ermessen, nebst Zins zu 5% seit dem 24. März 1966, zu bezahlen.
Die Erben des Verunfallten machen geltend, die Untersuchung gegen Rekrut Ruf sei zu Unrecht eingestellt worden; ein Soldat, der nachts ohne Licht mit dem Velo fahre, sei zu besonderer Vorsicht verpflichtet. An dieser habe es Ruf fehlen lassen. Die Beklagte sei der Ansicht, sie hafte nur nach
Art. 27 MO
. In Art. 101 Abs. 2 des Beschlusses der Bundesversammlung über die Verwaltung der schweizerischen Armee vom 30. März 1949 sei die Haftung des Bundes nach Spezialgesetzen vorbehalten; insbesondere werde auf das Motorfahrzeuggesetz (MFG) verwiesen, das nun durch das Strassenverkehrsgesetz (SVG) ersetzt sei; dieses gehe somit der Militärorganisation vor. Gemäss
Art. 70 SVG
hafteten die Radfahrer nach Obligationenrecht (OR); deshalb sei im vorliegenden Fall das OR anwendbar und der Schaden nach den allgemeinen Grundsätzen des Haftpflichtrechtes zu berechnen. Danach umfasse er die Todesfallkosten, den Versorgerschaden und den immateriellen Schaden, d.h. die Genugtuung. Hier seien nur noch die beiden letzteren streitig, da die Todesfallkosten anerkannt und bereits bezahlt seien.
Nach
Art. 45 Abs. 3 OR
sei bei Tötung eines Menschen für den Versorgerschaden Ersatz zu leisten. Art. 28 (recte 27) Abs. 2 MO beschränke diesen Anspruch auf die unterstützungsberechtigten Angehörigen. Zu diesen seien die Ehefrau und der Sohn des getöteten Knüsli zu zählen. Unterstützungsbedürftig sei jemand schon dann, wenn eine Beeinträchtigung der bisherigen standesgemässen Lebensweise eintrete; das treffe hier zu. Die Witwe erhalte von der AHV noch eine monatliche Rente von Fr. 192.--, gegenüber der bisherigen Ehepaarrente von monatlich Fr. 307.--. Es sei eine Tatsache, dass zwei Personen zusammen billiger leben könnten als eine allein. Deshalb bedeute die Reduktion der AHV-Rente, dass die Witwe
BGE 93 I 586 S. 589
sich vermehrt einschränken müsse und in ihrer Lebensweise beeinträchtigt werde. Unter diesem Titel verlange sie Fr. 4'022.70.
Dem Sohne fehle die bisherige Mitarbeit des Vaters; insbesondere könne er die Felder nicht mehr gleich bewirtschaften, weshalb die Einnahmen sinken würden. Die Auffassung der Beklagten, das sei ein indirekter Schaden, sei unrichtig. Richtig sei dagegen, dass die Mithilfe des Vaters bei der Festsetzung des Entgeltes für das Wohnrecht mit Kost- und Unterhaltsanspruch (Fr. 5'000.-- gemäss Kaufvertrag vom 6. Mai 1958) berücksichtigt worden sei. Gerade deshalb sei dem Sohn durch den Wegfall jener Mithilfe ein Schaden (von Fr. 5'904.--) entstanden, der ihm als Versorgerschaden ersetzt werden müsse.
Da das SVG als Spezialgesetz dem
Art. 27 MO
vorgehe und gemäss
Art. 70 SVG
der Radfahrer nach OR hafte, komme
Art. 47 OR
zur Anwendung, der bei Tötung eines Menschen eine Genugtuung vorsehe. Ein Verschulden des Schädigers sei danach nicht erforderlich. Vom plötzlichen Tod Knüslis seien die Witwe, der Sohn und die Tochter tief betroffen. Die in Dübendorf verheiratete Tochter habe den Vater oft besucht. Trotzdem werde ihr Genugtuungsanspruch von Fr. 5'000.-- auf Fr. 3'000.-- herabgesetzt. Die Genugtuungen seien demnach auf gesamthaft Fr. 16'000.-- festzusetzen.
Versorgerschaden und Genugtuungsansprüche beliefen sich somit zusammen auf Fr. 25'926.70 (Fr. 4'022.70 + Fr. 5'904.-- + Fr. 16'000.--). Doch würden nur Fr. 22'000.-- nebst Zins eingeklagt, weil seinerzeit total (die Beerdigungskosten inbegriffen) Fr. 25'000.-- verlangt und hieran Fr. 3'000.-- bezahlt worden seien.
D.-
Für die Eidgenossenschaft beantragt das Eidg. Militärdepartement, die Klage sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Nichteintreten wird beantragt, soweit die Kläger ihre Ansprüche auf andere Haftpflichtbestimmungen als
Art. 27 MO
stützen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die vorliegende Klage ist auf Ersatz des Schadens gerichtet und zwar mit Einschluss der Genugtuung. Der Schaden, wie ihn die Kläger verstehen, ist durch die Tötung einer Zivilperson infolge einer militärischen Übung verursacht worden. Deshalb ist darauf
Art. 27 MO
nebst den ihn ergänzenden Bestimmungen von Art. 101-107 des Beschlusses der
BGE 93 I 586 S. 590
Bundesversammlung über die Verwaltung der schweizerischen Armee vom 30. März 1949 (BVA; AS 1949 S. 1118) anwendbar. Die Klage ist demnach gemäss Art. 105 Abs. 1 BVA und
Art. 110 Abs. 1 lit. b OG
vom Bundesgericht als einziger Instanz zu beurteilen. Hierüber sind die Parteien an sich einig.
Die Kläger machen aber geltend, da Art. 101 Abs. 2 BVA die Haftung des Bundes nach Spezialgesetzen vorbehalte und gemäss
Art. 70 SVG
die Radfahrer nach dem Obligationenrecht haften, sei im vorliegenden Falle das OR anzuwenden. Soweit sie damit sagen wollen, dieses trete hier an die Stelle von
Art. 27 MO
und schliesse dessen Anwendung aus, kann ihnen nicht gefolgt werden. Der Vorbehalt in Art. 101 Abs. 2 BVA ist beschränkt auf die Haftung des Bundes nach Spezialgesetzen; er bezweckt, den Bund wegen gewisser Betriebsgefahren zugunsten der Geschädigten weitergehend haften zu lassen. Das gilt insbesondere für das dort ausdrücklich erwähnte MFG, an dessen Stelle das SVG getreten ist. Dieses erklärt in Art. 70 Abs. 1, dass die Radfahrer nach OR haften. Die Radfahrer unterstehen somit dem allgemeinen Recht und nicht einer Haftung nach Spezialgesetzen; von ihnen verursachte Unfälle fallen deshalb nicht unter den Vorbehalt von Art. 101 Abs. 2 BVA. Wenn die Voraussetzungen von
Art. 27 MO
erfüllt sind, ist dieser darauf anzuwenden. Das hat seinen guten Grund darin, dass die MO wegen der mit militärischen Übungen verbundenen Gefahren zum Schutze der Betroffenen die Kausalhaftung des Bundes eingeführt hat; dieser weitreichende Schutz würde versagen, wenn bei Verursachung des Schadens durch Radfahrer statt dessen das Obligationenrecht anwendbar wäre, das nur die Haftung aus Verschulden vorsieht. Wo neben
Art. 27 MO
nicht eine Spezialhaftpflicht, sondern die allgemeine des OR in Frage kommt, ist nicht diese, sondern
Art. 27 MO
anzuwenden (vgl. dazu insbesondere die Ausführungen von OFTINGER, Haftpflichtrecht, Bd. II/2, S. 865/66 über das Verhältnis der
Art. 27 ff. MO
zum SVG).
Nur zur Ergänzung der auf einige Grundsätze beschränkten Ordnung in
Art. 27-29 MO
sind die Begriffe und Regeln des allgemeinen Haftpflichtrechts heranzuziehen, wie sie namentlich in den
Art. 42 ff. OR
niedergelegt sind. Das und nichts anderes sagt auch OFTINGER an der von den Klägern angerufenen Stelle in Band II/2 S. 847. Er vertritt keineswegs die Ansicht, dass das OR anstelle von
Art. 27 ff. MO
trete und
BGE 93 I 586 S. 591
deren Anwendung ausschliesse (vgl. auch seine Darstellung des Verhältnisses von
Art. 27 ff. MO
zum Obligationenrecht S. 869 ff. und desjenigen zwischen Spezialgesetz und OR Bd. I S. 428 ff.). Insbesondere sind gemäss der ausdrücklichen Vorschrift von Art. 102 BVA bei der Festsetzung der Entschädigung die Art. 42, 43 Abs. 1 und 44 Abs. 1 OR sinngemäss anwendbar. Darüber hinaus sind, obwohl sie dort nicht genannt sind, auch die Art. 45 und 46 heranzuziehen, die den Schaden umschreiben, der im Falle der Tötung eines Menschen bzw. der Körperverletzung zu ersetzen ist. Hier kommen davon nur die Bestattungskosten und der Versorgerschaden in Frage. Die Bestattungskosten sind bezahlt und nicht mehr streitig. Auch ihre Pflicht, einen Versorgerschaden zu ersetzen, anerkennt die Beklagte im Grundsatz; doch bestreitet sie, dass die Kläger einen solchen erlitten haben. Das ist nachstehend - und zwar getrennt für die Witwe und den Sohn Kurt Knüsli, die mit verschiedener Begründung einen Versorgerschaden geltend machen - zu prüfen. Sodann bestreitet die Beklagte, dass in den Fällen von
Art. 27 MO
ein Anspruch auf Genugtung entstehen könne.
2.
Ein Versorgerschaden der Witwe wurde erstmals im Schreiben vom 17. Mai 1966 geltend gemacht. Darin meldeten diese und der Sohn zusammen unter drei Titeln ohne ziffermässige Ausscheidung eine Gesamtforderung von Fr. 25'000.-- an. Nachdem die Direktion der Eidg.Militärverwaltung am 6. Juli 1966 diesen Anspruch abgelehnt hatte, nahmen ihn die Kläger in ihrem Schreiben vom 26. Juli 1966 nicht wieder auf, und jene befasste sich in ihrer Stellungnahme vom 29. August 1966 nicht mehr damit. In der Klage verlangt nun die Witwe Fr. 4'022.70 als Ersatz für den Schaden, den sie erleide, weil ihre Witwenrente gegenüber der früheren Ehepaarrente gekürzt sei.
Man kann sich fragen, ob unter diesen Umständen die Voraussetzungen einer Klage, die beim Bundesgericht aus öffentlichem Recht gegen den Bund erhoben wird, erfüllt seien. Die Beklagte erhebt keine diesbezügliche Einrede; sie scheint ihre Antwort vom 6. Juli 1966 als Stellungnahme im Sinne von
Art. 114 OG
zu betrachten. Da sich die Beklagte materiell mit der Klage auseinandersetzt, genügt diese Stellungnahme.
Art. 27 Abs. 2 MO
beschränkt den Anspruch auf Versorgerschaden auf die "unterstützungsberechtigten Angehörigen",
BGE 93 I 586 S. 592
macht ihn also von einer familienrechtlichen Unterstützungspflicht abhängig. Diese Voraussetzung ist bei Witwe Knüsli erfüllt, da der Getötete als Ehemann gemäss
Art. 160 Abs. 2 ZGB
für ihren Unterhalt zu sorgen hatte. Ein Schaden tritt indessen nur ein, wenn der Getötete den Ansprecher tatsächlich unterstützt hat und beim Fortleben in Zukunft unterstützt hätte, d.h. wenn der Tod des Versorgers eine Beeinträchtigung der bisherigen standesgemässen Lebensweise des Ansprechers zur Folge hat (
BGE 82 II 39
und dort aufgeführte frühere Urteile). Das ist bei Frau Knüsli nicht der Fall. Ihr Lebensunterhalt ist zur Hauptsache gesichert durch das Wohnrecht mit Anspruch auf Kost und häusliche Pflege, das ihr gegenüber dem Sohne zusteht; er hat diese Verpflichtung bisher erfüllt. Für ihre zusätzlichen Bedürfnisse verfügt die Witwe über die AHV-Rente von Fr. 192.-- monatlich, während vorher die beiden Ehegatten zusammen eine solche von Fr. 307.-- bezogen. Der Einwand, der Unterhalt eines Ehepaares komme billiger zu stehen als der einer Einzelperson, dringt nicht durch; denn das gilt vor allem für Kost und Wohnung - diese erhält Frau Knüsli unentgeltlich vom Sohne -, nicht aber für die weiteren Bedürfnisse. Es ist daher nicht anzunehmen, dass vor dem Ableben des Verunfallten mehr als die Hälfte der Ehepaarrente für die Frau verwendet worden ist. Da sie jetzt über mehr als jene Hälfte verfügt, wird sie finanziell durch den Tod des Ehemannes nicht beeinträchtigt, erleidet also keinen Versorgerschaden. Ihr unter diesem Titel erhobener Anspruch ist unbegründet.
3.
Auch der Sohn gehört an sich zum Kreise der unterstützungsberechtigten Personen, da die Unterstützungspflicht der Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie gemäss
Art. 328 ZGB
gegenseitig und nicht vom Alter abhängig ist. Doch erscheint es als höchst unwahrscheinlich, dass dieser 35-jährige und gesunde Eigentümer eines billig übernommenen landwirtschaftlichen Heimwesens je der Unterstützung seines betagten Vaters bedürftig geworden wäre, also durch dessen Tod einen Versorgerschaden erlitten hat.
Der Sohn Knüsli macht indessen geltend, entscheidend sei der tatsächliche Verlust, und durch den Tod seines Vaters entgehe ihm die Mitarbeit seines trotz der 79 Jahre noch rüstigen Vaters, die dieser sonst voraussichtlich im Rahmen der Tafel I von Stauffer/Schätzle weiter erbracht hätte. Diese
BGE 93 I 586 S. 593
Arbeitsleistung erfolgte jedoch nicht in Erfüllung einer familienrechtlichen Unterstützungspflicht; die Kläger behaupten denn auch nicht, der Sohn wäre ohne diesen Beistand in Not geraten oder doch in seiner standesgemässen Lebenshaltung beeinträchtigt worden. Die Leistung des Verstorbenen beruhte vielmehr auf der durch den Kaufvertrag vom 6. Mai 1958 begründeten Hausgemeinschaft; sie erscheint als ein teilweises Entgelt für das den Eltern eingeräumte Wohnrecht mit Anspruch auf Kost und Pflege, wofür nur Fr. 5'000.-- auf den Kaufpreis angerechnet worden sind. War die Leistung des Verstorbenen keine familienrechtliche Unterstützung, so stellt ihr Wegfall - gleichviel, ob sie auf Grund einer vertraglich übernommenen Pflicht oder freiwillig erbracht wurde - keinen Versorgerschaden dar, für welchen der Bund aus
Art. 27 Abs. 2 MO
haften würde. Damit erübrigt es sich, die Schadensberechnung zu prüfen, und es ist nur noch zu untersuchen, ob die Genugtuung, welche die Kläger nach ihren Beziehungen zum Getöteten abgestuft verlangen, zuzusprechen sei.
4.
Die Beklagte erachtet die Genugtuungsansprüche als unzulässig, weil
Art. 27 MO
wohl Ersatz für den Schaden, aber keine Genugtuung vorsehe. Diese Stellungnahme entspricht der bisherigen, jahrzehntelangen Praxis. Sie stützt sich darauf, dass in
Art. 27 MO
in keiner Weise auf
Art. 47 OR
hingewiesen ist, obwohl andere Haftpflichtgesetze neben dem Schadenersatz die Genugtuung vorsehen (
Art. 8 EHG
, Art. 42 MFG, neuerdings
Art. 62 SVG
). Diese Betrachtungsweise wurde vom Bundesgericht in einem nicht veröffentlichten Urteil vom 14. Juli 1943 i.S. Cordazzi gedeckt. Ihr stimmte OFTINGER schon 1942 zu (vgl. Haftpflichtrecht II, 1. Aufl., S. 1092/93). Seither wird diese Ansicht noch dadurch gestützt, dass
Art. 47 OR
auch in Art. 102 des BVA, welchen Beschluss die Bundesversammlung 1949 erlassen hat, nicht erwähnt wird, obwohl auf andere Bestimmungen des OR verwiesen ist. OFTINGER hat denn auch in der zweiten Auflage seines Werkes über das Haftpflichtrecht, die 1962 erschien, an seiner Ansicht festgehalten (Bd. II/2, S. 912) und bemerkt, nur eine Gesetzesrevision könne zu einer - an sich wünschbaren - Änderung führen.
5.
Seit dem Erlass des BVA (1949) haben sich die Ansichten im Sinne der Forderung OFTINGERS gewandelt. Davon zeugt die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über
BGE 93 I 586 S. 594
die Reorganisation des Militärdepartementes und die Änderung der Militärorganisation vom 19. September 1966 (BBl 1966 II S. 378 ff.). So wird auf S. 424 ausgeführt, die Genugtuung sei nicht mehr ein nur dem Privatrecht vorbehaltenes Institut. Sie habe im Verantwortlichkeitsgesetz (vom 14. März 1958) und im Militärversicherungsgesetz (seit 19. Dezember 1963, AS 1964 S. 261) Eingang gefunden. Die Billigkeit gebiete, die Genugtuung auch ins Militärhaftpflichtrecht einzuführen. Dies ist selbst nach dem positiven Recht an sich möglich, wenn man den Begriff "Schaden" des
Art. 27 MO
- entgegen der bisherigen Praxis - so verstände, dass er neben den materiellen Einbussen auch immaterielle Nachteile umfasst. In dieser Weise legte das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement in einem Gutachten vom 1. Februar 1923 (vgl. BURCKHARDT, Schweiz. Bundesrecht, 1931, Bd. IV, S. 886) diesen Begriff tatsächlich aus. Anderseits müsste der Zuspruch der Genugtuung bei einer solchen Betrachtungsweise davon abhängen, ob die Anforderungen erfüllt seien, die das in der Botschaft erwähnte Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten voraussetzt.
Prüft man die Rechtslage unter dem Gesichtswinkel des Verantwortlichkeitsgesetzes, so ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1, dass für den Zuspruch einer Genugtuung zwei Voraussetzungen gegeben sein müssen, nämlich: die besonderen Umstände und das Verschulden des Beamten. Entfällt eine dieser Bedingungen, kann der immaterielle Schaden nicht ersetzt werden. Dies trifft hier zu, da es am Verschulden irgendeiner Militärperson fehlt.
Nach der Darstellung, die Rekrut Ruf dem Untersuchungsrichter des Divisionsgerichtes 6 abgegeben hat, erblickte er trotz der Nacht auf der übersichtlichen Strasse rechtzeitig den ihm entgegenkommenden Fussgänger. Er habe ein Glockenzeichen gegeben, worauf jener gegen die Mitte der 3,5 m breiten Strasse gegangen sei. Er habe angenommen, der Fussgänger habe ihn bemerkt und gebe ihm die Fahrbahn frei. Er sei daher weitergefahren; im letzten Augenblick sei der Fussgänger nach links geschwenkt, weshalb sie zusammenprallten. Diese Schilderung ist glaubhaft und entspricht einem natürlichen Verlauf. Danach hat Ruf alles getan, was ihm in diesem Augenblick zuzumuten war. Das unvorhersehbare Verhalten Knüslis hat somit den Zusammenstoss herbeigeführt. Er hätte
BGE 93 I 586 S. 595
von Ruf nur verhindert werden können, wenn er vom Fahrrad abgestiegen wäre. Dazu hatte er aber keinen Anlass; denn er durfte davon ausgehen, der Fussgänger habe ihn bemerkt.
Das Fahren ohne Licht begründet kein Verschulden des Ruf, da es durch die militärische Übung bedingt war. Es war ihm zwar nicht ausdrücklich befohlen worden; doch hatte ihm sein Postenchef auf die Frage, ob er die Beleuchtung benützen dürfe, geantwortet, es sei besser, wenn es ohne gehe. Das entsprach dem Sinn der Übung, da bei Kriegsmobilmachungen mit feindlichen Fliegern zu rechnen und alles nicht notwendige Licht zu vermeiden ist. Deshalb kann auch Kpl. Aeschlimann kein Verschulden zur Last gelegt werden, weil er jene Weisung gab. Wohl verpflichtete das Fahren ohne Licht Ruf zu erhöhter Vorsicht; doch genügte sein oben geschildertes Verhalten auch dieser Anforderung, da er den Fussgänger sah und aus dessen Verhalten schliessen durfte, dieser habe ihn bemerkt.
Es kann sich somit höchstens fragen, ob die Übungsleitung für die Mobilmachungsübung etwas über die Beleuchtung der Fahrräder von Meldefahrern hätte anordnen müssen. Zur Zeit des Unfalles galt der (seither aufgehobene) Art. 7 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses über Beleuchtung der Fahrräder und Fahrradanhänger vom 29. Oktober 1963, der bestimmte: "Militärfahrräder und ihre Anhänger müssen während der Verwendung bei der Truppe nicht mit Lichtern versehen sein. Das Fahren ohne Licht ist gestattet, wenn die erforderlichen Sicherheitsmassnahmen getroffen sind." Hinsichtlich der "erforderlichen Sicherheitsmassnahmen" bestand im Zeitpunkt des Unfalles lediglich eine Weisung an die Radfahrertruppe vom 1. Oktober 1965. Deren Anhang 5 verfügt, dass in Friedenszeiten beim Fahren in der Dunkelheit jeder Einzelfahrer und der Vorderste der Gruppe eine eingeschaltete Taschenlampe tragen müsse. Da der Bundesrat diese Vorschrift erst mit Wirkung ab 1. Juli 1967 auf alle Radfahrer ausgedehnt hat, kann der Leitung der Mobilmachungsübung der Inf. RS 6 kein Vorwurf gemacht werden, dass sie entsprechende Weisungen unterlassen hat.
6.
Aber selbst wenn man davon ausginge, es sei - in Anlehnung an das in der Botschaft erwähnte Militärversicherungsgesetz (vgl. Art. 40 bis) - bereits die vorgesehene gesetzliche Regelung anzuwenden, müsste der Anspruch auf Genugtuung abgewiesen werden. Richtig ist, dass nach Art. 27
BGE 93 I 586 S. 596
Abs. 1 des Entwurfes zu einem Bundesgesetz über die Änderung der Militärorganisation bei der Festsetzung der Entschädigung u.a.
Art. 47 OR
angewendet werden soll. Nach
Art. 47 OR
kann der Richter bei Tötung eines Menschen unter Würdigung der besonderen Umstände den Angehörigen eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen. Nach der Botschaft soll für ihren Zuspruch die Praxis der Zivilgerichte massgebend sein (a.a.O., S. 424).
Im Unterschied zu
Art. 49 OR
und zu
Art. 7 EHG
führt
Art. 47 OR
das Verschulden nicht als Tatbestandsmerkmal auf. Die neuere Rechtsprechung hat - entgegen OFTINGER (Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. I, 2. Aufl., S. 262) - dieses Schweigen dahin ausgelegt, dass die Frage nach dem Verschulden gemäss den Regeln über die Haftung an sich zu beantworten sei. Wenn es sich also um eine Verschuldenshaftung handle, so könne eine Genugtuung nur beim Vorliegen eines Fehlers zugesprochen werden. Stehe dagegen eine Kausalhaftung in Frage, könne eine Genugtuung selbst ohne Verschulden zuerkannt werden (GILLIARD F., Vers l'unification du droit de la responsabilité, in ZSR 1967 S. 247/48;
BGE 74 II 202
,
BGE 81 II 512
,
BGE 88 II 516
). Ob diese Auslegung auch im Bereich des auf Kausalhaftung gründenden Militärhaftpflichtrechtes zutreffe, kann indessen offen bleiben, wenn es im vorliegenden Fall an besonderen Umständen fehlt, die es rechtfertigten, den Klägern eine Genugtuung zuzusprechen.
Nach OFTINGER (a.a.O., Bd. I, 2. Aufl., S 263) hat eine konkrete Beurteilung aller Umstände einzutreten. Was die Art und Intensität der Unbill betreffe, so sei eine Genugtuung umso eher angezeigt, je schmerzlicher der Vorfall für den Ansprecher gewesen sei; so z.B. wenn eine Person auf der Strasse, fern von den Angehörigen, gestorben oder umgekehrt vor deren Augen getötet worden sei, oder wenn das Bewusstsein den Ansprecher quäle, dass der Getötete noch habe leiden müssen. Ferner spiele das Verschulden des Haftpflichtigen oder der Person, für welche dieser einstehen müsse, eine bedeutende Rolle; je grösser seine Leichtfertigkeit oder je niedriger seine sich in der schädigenden Tat offenbarende Gesinnung, desto eher sei auf eine Genugtuung zu erkennen.
Geht man hievon aus, so kann der Tod des Verunfallten nicht als Spezialfall betrachtet werden, der sich aus den unfallbedingten Todesfällen heraushebt und ihm ein besonderes
BGE 93 I 586 S. 597
Gewicht gäbe. Freilich war der Tod für die drei Angehörigen schmerzlich. Indessen war bei dem 79-jährigen Verunfallten ein Ableben jederzeit möglich. Die Sektion der Leiche ergab, dass Knüsli - unabhängig vom Unfall - an einer stenosierenden Sklerose der rechten Kranzarterie litt, welche seine mittlere Lebenserwartung verminderte. Der Verunfallte konnte auf ein erfülltes Leben blicken und hinterliess Angehörige in finanziell gesicherten Verhältnissen. Der Unfall war auf sein falsches Manöver zurückzuführen. Er wurde sofort geborgen und in den Spital überführt, wo er am frühen Morgen des folgenden Tages gestorben ist. Es sind also weder in der Person des Verunfallten noch im Ablauf des Unfalles Umstände zu erblicken, die sich auf die Hinterbliebenen seelisch besonders nachhaltig ausgewirkt hätten. Überdies kann weder dem Radfahrer noch der Übungsleitung eine Unachtsamkeit vorgeworfen werden. Der Unfall erfolgte im Verlaufe einer für die Schlagkraft der Armee unerlässlichen Mobilmachungsübung, die mit dem notwendigen Ernst vorbereitet worden war.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird abgewiesen.