BGE 93 II 230 vom 12. Mai 1967

Datum: 12. Mai 1967

Artikelreferenzen:  Art. 679 ZGB, Art. 41 OR, Art. 58 OR, Art. 4 BV , Art. 88 OG

BGE referenzen:  85 II 580, 86 I 224, 92 I 264, 100 II 120, 143 III 242 , 86 I 225, 89 I 238, 92 I 264, 87 I 245, 89 I 264, 85 II 580, 86 I 224, 88 II 264, 91 II 484, 90 II 231, 82 II 28, 89 I 264, 85 II 580, 86 I 224, 88 II 264, 91 II 484, 90 II 231, 82 II 28

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

93 II 230


32. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung als Staatsrechtlicher Kammer vom 12. Mai 1967 i.S. Tarasp-Schulser-Gesellschaft AG gegen Politische Gemeinde Tarasp und Kantonsgericht von Graubünden.

Regeste

Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ( Art. 88 OG ). Erfordernis eines aktuellen und praktischen Interesses. Prüfung einer zivilrechtlichen Vorfrage, von deren Lösung abhängt, ob ein solches Interesse bestehe (Erw. 3 a).
Verantwortlichkeit des Grundeigentümers.
Begriff der Überschreitung des Eigentumsrechts im Sinne von Art. 679 ZGB . Eine solche liegt nicht schon im Bestehenlassen eines für die Nachbarn gefährlichen Zustands des Grundstücks, wenn dieser Zustand nicht infolge der gegenwärtigen oder frühern Bewirtschaftung oder Benützung des Grundstücks, sondern ausschliesslich infolge von Naturereignissen eingetreten ist. Fall eines Grundstücks, von dem verwittertes Gestein abzustürzen droht (Erw. 3 b).
Ist der Grundeigentümer kraft eines ungeschriebenen Rechtssatzes verpflichtet, einen ausschliesslich durch Naturereignisse geschaffenen Gefahrzustand zu beseitigen? (Erw. 3 c).

Sachverhalt ab Seite 231

BGE 93 II 230 S. 231
Aus dem Tatbestand:

A.- Die Tarasp-Schulser-Gesellschaft AG (TSG) nutzt auf Grund einer ihr von der Gemeinde Tarasp erteilten, letztmals im April 1933 erneuerten Konzession die in der Innschlucht auf dem rechten (südlichen) Ufer des Flusses entspringenden Mineralquellen. Ein ihr von der Gemeinde Tarasp eingeräumtes selbständiges und dauerndes Baurecht erlaubt ihr, auf dem in einem Plan umschriebenen, im Gelände vermarkten Boden die nötigen Bauten zu errichten oder beizubehalten. Auf diesem Boden stehen u.a. ein Kuppelbau und eine Trinkhalle.
Unmittelbar südlich dieser Gebäude erhebt sich eine ungefähr 10 m hohe, fast senkrechte Felswand, über der ein steiler Wald liegt. Das Gestein dieser Wand besteht aus basalen Bündnerschiefern, die infolge ihres Tongehalts zu Rutschungen neigen. Felsstürze vom 10. April 1947 und 26. April 1948 sowie ein Erdrutsch vom 24. April 1951 verursachten an den Gebäuden der TSG Schäden von insgesamt rund Fr. 17'000.--, die zum grössten Teil die kantonale Brandversicherungsanstalt deckte. Am 8. Dezember 1962 teilte diese Anstalt der TSG mit, sie lehne die Deckung weiterer solcher Schäden ab, bis ein loser Felskopf oberhalb der Trinkhalle, der später auf 35-40 m3 geschätzt wurde, entfernt sei.
Die TSG und die Gemeinde Tarasp stritten hierauf darüber, wer die Kosten dieser Sicherungsarbeit zu zahlen habe. Schliesslich vereinbarten sie, die Arbeit durch die TSG ausführen zu lassen und die Auseinandersetzung über die endgültige Tragung der Kosten zu verschieben. Die TSG zahlte für die Entfernung des Felskopfes Fr. 18'886.40.

B.- Die Klage, mit welcher die TSG von der Gemeinde Tarasp den Ersatz dieser Kosten verlangte, wurde vom Kantonsgericht Graubünden durch Urteil vom 15. Dezember 1966
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zur Hälfte geschützt mit der Begründung, die beklagte politische Gemeinde sei, soweit sie auf Grund von Art. 679 ZGB belangt werde, nicht passivlegitimiert, weil das Waldgrundstück über der Felswand im Eigentum der Bürgergemeinde stehe und dieses Eigentum auch den Felsen erfasse. Gemäss Art. 40 Abs. 2 der Bündner Kantonsverfassung stehe jedoch der Beklagten als Territorialgemeinde die sog. niedere Polizei zu. Sie wäre deshalb verpflichtet gewesen, die durch den Felskopf geschaffene Gefahr auf ihre Kosten zu beseitigen. Die Klägerin treffe indessen ein Selbstverschulden, weil sie es unterlassen habe, vor dem Bau der Trinkhalle ein Gutachten über die Festigkeit des Felsens einzuholen und gegebenenfalls die absturzbereiten Teile absprengen zu lassen. Es rechtfertige sich daher, die Beklagte nur für die Hälfte der Kosten der Abtragung des Felskopfes haften zu lassen.

C.- Gegen dieses Urteil hat die Klägerin neben einer Berufung staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV eingereicht.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Nach Art. 88 OG ist zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde nur berechtigt, wer durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt ist. Durch einen Erlass oder Entscheid verletzt ist jemand nach der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung nur dann, wenn er ein aktuelles und praktisches Interesse rechtlicher Art an der Gutheissung der Beschwerde hat ( BGE 86 I 225 mit Hinweisen, BGE 89 I 238 /239).
Von diesem Erfordernis wird abgesehen bei Beschwerden wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs ( BGE 92 I 264 oben mit Hinweisen), sowie dann, wenn sich die Beschwerde gegen ein Verhalten der Behörden richtet, das sonst überhaupt nie vom Bundesgericht auf seine Verfassungsmässigkeit überprüft werden und sich anderseits jederzeit in gleicher Weise wiederholen könnte ( BGE 87 I 245 mit Hinweisen, BGE 89 I 264 oben). Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde hängt also davon ab, ob die Beschwerdeführerin ein aktuelles und praktisches rechtliches Interesse an der Beschwerdeführung habe.
a) Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, das Kantonsgericht habe Art. 4 BV verletzt, indem es die Beschwerdegegnerin
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auf Grund des kantonalen öffentlichen Rechts, aus dem es die Pflicht der Beschwerdegegnerin zur Beseitigung des losen Felskopfs ableitete, nur zum Ersatz der halben Kosten dieser Arbeit verpflichtete.
Sie begründet die Beschwerde auch nicht damit, das Kantonsgericht hätte die Beschwerdegegnerin auf Grund der Konzession von 1933 zur Übernahme der vollen Kosten der Abtragung des Felskopfs verurteilen sollen. Es kann daher offen bleiben, ob die erwähnte Konzession dem Bundesprivatrecht oder dem kantonalen öffentlichen Recht unterliege und ob eine Verletzung der Konzessionsbestimmungen folglich mit der Berufung zu rügen wäre oder (nur) mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV gerügt werden könnte.
Die Beschwerde richtet sich nur gegen die auf der Anwendung kantonalen Rechts beruhende Annahme des Kantonsgerichtes, die Felswand hinter der Trinkhalle gehöre nicht der Beschwerdegegnerin, sondern der Bürgergemeinde Tarasp. Die Beschwerdeführerin ficht diese Annahme an, um darzutun, dass ihre Klage, soweit sie sich auf die Verantwortlichkeit der Beschwerdegegnerin als Grundeigentümerin stützt, nicht mangels Passivlegitimation der Beschwerdegegnerin abgewiesen werden dürfe. An der Widerlegung der Annahme, die Beschwerdegegnerin sei nicht Eigentümerin und daher hinsichtlich der ihr Eigentum voraussetzenden Ansprüche nicht passivlegitimiert, hat die Beschwerdeführerin kein aktuelles praktisches Interesse, wenn sich diese Ansprüche auch im Falle, dass die Felswand der Beschwerdegegnerin gehören sollte, als unbegründet erweisen. Diese bundesrechtliche Frage, von deren Beantwortung die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerin abhängt, ist im vorliegenden Verfahren als Vorfrage zu prüfen. Es ist nicht möglich, sie durch eine vorweggenommene Beratung über die Berufung abzuklären, wie es in den Fällen BGE 85 II 580 ff. (585 Erw. 2) und BGE 86 I 224 ff. mit Bezug auf die Frage der Erheblichkeit einer bestimmten Tatsache für die Sachentscheidung geschehen ist; denn im hängigen Berufungsverfahren ist, da das Bundesgericht als Berufungsinstanz die Anwendung des kantonalen Rechts nicht überprüfen kann, davon auszugehen, dass die Felswand hinter der Trinkhalle der Bürgergemeinde gehöre.
b) Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein
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Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er nach Art. 679 ZGB auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
Hatte die Beschwerdeführerin nach dieser Bestimmung gegenüber der Beschwerdegegnerin Anspruch auf Schutz gegen den Schaden, der ihr infolge des Vorhandenseins eines losen Felskopfs an der Felswand hinter der Trinkhalle drohte, so ist die Beschwerdegegnerin verpflichtet, ihr die Kosten zu ersetzen, die ihr aus der mit Zustimmung der Beschwerdegegnerin von ihr besorgten Abtragung des Felskopfs entstanden sind.
Auf Schutz gegen den vom Felskopf her drohenden Schaden hatte die Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin, deren Eigentum an der Felswand vorausgesetzt, nach Art. 679 ZGB nur dann Anspruch, wenn die Beschwerdegegnerin dadurch, dass sie den Felskopf bestehen liess, ihr Eigentumsrecht überschritt.
Eine Überschreitung des Eigentumsrechts kann nur in einem menschlichen Verhalten liegen, das mit der Ausübung der tatsächlichen Herrschaft über das Grundstück, d.h. mit dessen Bewirtschaftung oder sonstigen Benützung zusammenhängt ( BGE 73 II 154 , BGE 88 II 264 ; HAAB N. 5 und 6, MEIER-HAYOZ N. 78, 79 und 90 zu Art. 679 ZBG; STARK, Das Wesen der Haftpflicht des Grundeigentümers nach Art. 679 ZGB , 1952, S. 200 f.; L'HUILLIER, La responsabilité du propriétaire foncier selon l'art. 679 du CCS, ZSR 1952 S. 17 a; KOLB ebenda S. 135 a ff.; WALDIS, Das Nachbarrecht, 4. Aufl. 1953, S. 22; OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, 2. Aufl. 1958 ff., II/1 S. 15). Einwirkungen, die ausschliesslich durch Naturereignisse verursacht werden, fallen daher nicht unter den Begriff der Eigentumsüberschreitung ( BGE 91 II 484 Erw. 6 und das dort angeführte Urteil der II. Zivilabteilung des Bundesgerichtes vom 4. Februar 1965 i.S. Commune de Fribourg gegen Cuennet und Mitbeteiligte, Erw. 2). Ebenso vermag ein rein passives Verhalten die Verantwortlichkeit aus Art. 679 ZGB mangels eines Zusammenhanges mit der Bewirtschaftung oder Benützung des Grundstücks in der Regel nicht zu begründen. Ein Unterlassen kann unter dem Gesichtspunkte von Art. 679 ZGB nur erheblich sein, wenn ein Grundeigentümer die Vorkehren nicht trifft, die nötig sind, um zu verhindern, dass infolge von gegenwärtigen oder frühern Bewirtschaftungs- oder Benützungshandlungen
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Gefahren für die Nachbarn entstehen (vgl. den von STARK auf S. 83 in Fussnote 172 und von L'HUILLIER auf S. 20 a in Fussnote 52 angeführten, vom zuletzt genannten Autor aber nicht richtig wiedergegebenen Entscheid der I. Zivilabteilung des Bundesgerichts vom 16. Dezember 1941 i.S. Genossenschaft Friedheim gegen Beckermuss und Glass, wo eine Eigentumsüberschreitung darin erblickt wurde, dass die Beklagte den durch ungenügende Fundierung ihres Hauses geschaffenen, das Nachbargrundstück gefährdenden Zustand duldete und es unterliess, die Sicherheitsmassnahmen zu treffen, die notwendig waren, um die auf das Nachbargrundstück übergreifende Bewegung ihres Hauses zu verhindern; vgl. auch die von STARK auf S. 292 erwähnten Beispiele: jemand lässt sein Haus "verlottern" und gefährdet damit seine Nachbarn, oder unterhält einen störenden Betrieb, ohne die möglichen und nötigen Schutzmassnahmen zugunsten der Nachbarn zu ergreifen). Das blosse Bestehenlassen des ausschliesslich durch die Natur geschaffenen Zustandes einer Liegenschaft fällt dagegen nicht unter Art. 679 ZGB , weil eben ein Zusammenhang zwischen diesem Verhalten und der Benützung oder Bewirtschaftung des Grundstücks fehlt (anderer Meinung scheinbar MEIER-HAYOZ N. 91 und 101 zu Art. 679 ZGB ).
InBGE 73 II 155wurde freilich erklärt, eine Unterlassung könne die Verantwortlichkeit des Grundeigentümers begründen, wenn die unterlassene Handlung zu den Vorkehren gehöre, die ein die Interessen der Nachbarn bedenkender Eigentümer normalerweise treffe. Demzufolge wurde angenommen, der Beklagte wäre für den dem Kläger infolge einer Rutschung entstandenen Schaden u.a. dann haftbar, wenn ihm die Lage oder die Natur des Geländes (also mit der Benützung und Bewirtschaftung des Grundstücks nicht zusammenhängende Momente) den Bau einer Stützmauer geboten hätten. Damit wurde jedoch der Begriff der Eigentumsüberschreitung überdehnt, was sich indes auf den gefällten Entscheid nicht auswirkte. Anderseits wurden Kriterien angewendet (Erkennbarkeit der Gefahr, Handlungsweise eines sorgfältigen Eigentümers), die für die Verschuldenshaftung gelten (STARK S. 82/83, MEIER-HAYOZ N. 104 am Ende zu Art. 679 ZGB ; Urteil i.S. Commune de Fribourg).
Im vorliegenden Fall ist die Felswand hinter den Gebäuden der Beschwerdeführerin ausschliesslich infolge von Naturereignissen
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(Verwitterung des wenig festen Gesteins) in den Zustand geraten, der diese Gebäude gefährdete. Die Entstehung dieser Gefahr hängt in keiner Weise mit der Bewirtschaftung oder Benützung des betreffenden Grundstücks zusammen. Die Beschwerdegegnerin war daher, auch wenn sie Eigentümerin der Felswand sein sollte, auf Grund von Art. 679 ZGB nicht verpflichtet, den absturzbereiten Felskopf auf ihre Kosten abzutragen.
c) Im erwähnten Urteil i.S. Commune de Fribourg hat das Bundesgericht die Haftung der Gemeinde für den durch einen Erdrutsch von ihrem Grundstück aus verursachten Schaden im wesentlichen mit der Begründung bejaht, wer einen Zustand schaffe, der einen andern schädigen könnte, sei nach einem Grundsatz des ungeschriebenen Rechts verpflichtet, die zur Vermeidung eines Schadens erforderlichen Vorsichtsmassnahmen zu treffen, soweit sie nicht Kosten verursachen, die zum Umfang und zur Häufigkeit der Gefahr und zur wirtschaftlichen Lage des Pflichtigen (vgl. BGE 90 II 231 lit. c) in einem Missverhältnis stehen ( BGE 79 II 69 Erw. 2, BGE 82 II 28 , je mit Hinweisen); die Verletzung dieses Gebots bedeute eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 41 OR ; im Falle eines Grundeigentümers sei die Verantwortlichkeit für die geschaffene Gefahr auf das Bestehenlassen eines gefährlichen Zustandes auszudehnen, selbst wenn dieser durch ein Naturereignis entstanden sei; gleich wie ein Werkeigentümer, der für Schäden infolge fehlerhafter Anlage oder mangelhafter Unterhaltung seines Werks hafte ( Art. 58 OR ), sei auch der Grundeigentümer verpflichtet, einen gefahrdrohenden Zustand zu beseitigen, wenn das ohne unverhältnismässige Kosten möglich sei; im Unterschied zum Eigentümer eines vom Menschen geschaffenen Werks hafte er jedoch nur bei schuldhafter Nichterfüllung der Sorgfaltspflicht, weil nicht er oder sein Vorbesitzer, sondern ein Naturereignis den gefährlichen Zustand geschaffen habe; der Gemeinde, die auf Verlangen der Kläger gewisse Sicherungsmassnahmen getroffen habe, wäre zuzumuten gewesen, die Arbeiten im Kostenbetrag von rund Fr. 20'000.--, durch welche die Gefahr wenn nicht ganz beseitigt, so doch stark herabgesetzt worden wäre, ausführen zu lassen.
Diese Erwägungen wecken bei erneuter Prüfung jedenfalls insofern Bedenken, als sie darin, dass Art. 58 OR den Werkeigentümer für Schaden infolge fehlerhafter Anlage oder Herstellung
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oder mangelhafter Unterhaltung des Werks ohne Verschulden haften lässt, ein Argument für die Annahme sehen, der Grundeigentümer sei allgemein verpflichtet, einen gefährlichen Zustand seines Grundstücks zu beseitigen, soweit das ohne unverhältnismässig hohe Kosten möglich ist, selbst wenn dieser Zustand ohne sein Zutun infolge von Naturereignissen eingetreten ist, und er hafte nach Art. 41 OR für die Folgen einer schuldhaften Nichterfüllung dieser Pflicht. Angesichts der wesentlichen Unterschiede zwischen den in Frage stehenden Haftungsarten (Kausalhaftung einerseits, Verschuldenshaftung anderseits) und zwischen den verglichenen Tatbeständen (Mängel eines von Menschen geschaffenen Werks einerseits, auf Naturereignisse zurückzuführender gefahrdrohender Zustand eines Grundstücks anderseits) ist ein solcher Analogieschluss nicht zulässig. Es kann sich nur fragen, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen der Grundeigentümer unabhängig von solchen Überlegungen kraft eines ungeschriebenen Rechtssatzes zur Beseitigung eines die Nachbarn bedrohenden, ausschliesslich durch Naturereignisse bewirkten Zustands seines Grundstücks verpflichtet sei.
Diese Frage braucht hier nicht umfassend geprüft zu werden. Auch wenn man nämlich das Bestehen einer solchen Pflicht und einer an ihre schuldhafte Verletzung geknüpften Haftung nach Art. 41 OR nicht im Gegensatz zum zitierten Entscheid schon grundsätzlich ausschliessen wollte, kann doch im vorliegenden Falle nicht davon die Rede sein, dass ein ungeschriebener Rechtssatz den Eigentümer der Felswand hinter der Trinkhalle der Beschwerdeführerin zur Beseitigung des losen Felskopfs verpflichtet habe.
Im Falle Commune de Fribourg hatte die Beklagte auf Mahnungen der Kläger hin gewisse Sicherungsarbeiten auf ihrem Grundstück ausgeführt, was die Kläger davon abhalten konnte, ihrerseits rechtzeitig solche Vorkehren zu treffen. Ein solcher besonderer Umstand ist im vorliegenden Falle nicht gegeben; denn die Beschwerdegegnerin hat es stets abgelehnt, Schutzmassnahmen gegen Felsabstürze zu ergreifen, weil das Sache der Beschwerdeführerin sei.
Wesentlich ist aber vor allem, dass der Felsabhang, von dem aus der Felskopf abzustürzen drohte, in einer Gebirgsgegend liegt, wo ähnliche Verhältnisse sehr häufig vorkommen. In den Alpen finden sich auch innerhalb des kulturfähigen, im Privateigentum
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stehenden Landes zahllose brüchige Felspartien und zum Abgleiten neigende Erdmassen, welche die darunter liegenden Grundstücke mit Steinschlag und Rutschungen bedrohen. Den Eigentümern der von solchen Stellen durchsetzten, im allgemeinen geringwertigen Grundstücke ist nicht zuzumuten, die von diesen Stellen her ohne ihr Zutun drohenden Gefahren zu beseitigen. Sie würden durch eine solche Pflicht in untragbarer Weise belastet. Wer im Bereich solcher naturbedingter Gefahren Bauten errichtet, muss grundsätzlich selber für die nötigen Schutzvorkehren sorgen. Für die Sicherung von Gebirgsstrassen und -bahnen gegen Steinschlag und ähnliche Naturgefahren sorgen denn auch regelmässig nicht die Eigentümer der Grundstücke, von denen aus diese Gefahren drohen, sondern die Strasseneigentümer bezw. die Bahnunternehmungen. (Eine andere Frage ist es, ob die Grundeigentümer nach Art. 41 OR haftbar werden, wenn sie wahrnehmen, dass sich infolge von Naturereignissen auf ihren Grundstücken ein gefährlicher Zustand entwickelt, es aber unterlassen, die bedrohten Nachbarn zu warnen.)
War somit die Beschwerdegegnerin, auch wenn der Felsabhang hinter der Trinkhalle der Beschwerdegegnerin in ihrem Eigentum stehen sollte, weder auf Grund von Art. 679 ZGB noch auf Grund eines ungeschriebenen Rechtssatzes verpflichtet, den an diesem Hang befindlichen losen Felskopf zu beseitigen, so hat die Beschwerdeführerin kein aktuelles praktisches Interesse daran, dass der das Eigentum der Beschwerdegegnerin an diesem Felsabhang verneinende Entscheid des Kantonsgerichtes aufgehoben werde. Auf die Beschwerde ist daher mangels Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerin nicht einzutreten.

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