Urteilskopf
93 II 242
34. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. September 1967 i.S. Schwinger gegen Stauber.
Regeste
Art. 371 OR
.
Ist die Instandstellung der Fassaden eines Hauses (Malerarbeiten) als "Werk" oder "unbewegliches Bauwerk" zu betrachten? Verjährung der Gewährleistungsansprüche des Bestellers gegen den Unternehmer.
A.-
Eugen Stauber übertrug Malermeister Max Schwinger gestützt auf dessen Angebot vom 5. Februar 1962 die Instandstellung des Äussern seines Hauses Hadlaubstrasse 36 in Zürich. Schwinger führte die Arbeiten, die im Reinigen und Anstreichen der Mauern, Balkone, Fensterrahmen, Rolladen usw. bestanden, aus und stellte dem Besteller dafür am 20. September 1962 mit Fr. 9228.85 Rechnung. Stauber rügte erstmals am 23. April und 22. September 1965 gewisse Mängel. Im ersten Schreiben beanstandete er nur bestimmte Einzelheiten, im zweiten machte er dagegen geltend, die Fassade sei teilweise abgeblichen und daher zweifarbig geworden. Schwinger wies die Rügen als unbegründet zurück und lehnte es ab, die Mängel zu beheben.
B.-
Stauber klagte beim Bezirksgericht Zürich gegen Schwinger. Er beantragte, diesen zu verpflichten, das ganze Haus (Fassade sowie Balkonuntersichten und -brüstungen) neu anzustreichen, eventuell dem Kläger Fr. 12 000.-- nebst Zins zu 5% seit 18. Oktober 1962 zu bezahlen.
Das Bezirksgericht schützte am 28. September 1966 die Verjährungseinrede des Beklagten auf Grund von
Art. 371 Abs. 1 OR
und wies die Klage ab.
Auf Appellation des Klägers hin verwarf das Obergericht am 3. Februar 1967 die Verjährungseinrede, hob das angefochtene Urteil auf und wies den Prozess zur Durchführung des Beweisverfahrens und zu neuer Entscheidung an die erste Instanz zurück.
Das Obergericht ist der Auffassung, die Gewährleistungsansprüche des Klägers seien nach
Art. 371 Abs. 2 OR
zu beurteilen. Diese Bestimmung sei "auf alle Werkleistungen anwendbar, für welche die Voraussetzungen erfüllt sind, dass sie einerseits zu einem unbeweglichen Bauwerk gehören und andererseits von jenem Umfang und jener Bedeutung sind, welche die Anwendung der fünfjährigen Verjährungsfrist nach deren Zweck als notwendig erscheinen lässt". Die Arbeiten des Beklagten hätten "einerseits nach dem Rechnungsbetrag, vor allem aber nach ihrem gesamten Ausmass und der Vielfalt der einzelnen Leistungen einen solchen Umfang, dass sie nicht leicht überblickbar und nicht leicht kontrollierbar sind".
C.-
Der Beklagte hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das angefochtene Urteil ist ein selbständiger Vorentscheid über die Verjährung der eingeklagten Forderung, gegen den die Berufung nach
Art. 50 OG
ausnahmsweise zulässig ist. Die Gutheissung der Verjährungseinrede würde unter Vermeidung eines weitläufigen Beweisverfahrens unmittelbar zur Abweisung der Klage und damit zu einem Endentscheid führen (vgl.
BGE 91 II 62
Erw. 3 und dort erwähnte Entscheide).
2.
Die Ansprüche des Bestellers wegen Mängel des Werkes verjähren gleich den entsprechenden Ansprüchen des Käufers, also grundsätzlich mit Ablauf eines Jahres seit Ablieferung (
Art. 371 Abs. 1, 210 OR
). Eine Ausnahme gilt gemäss
Art. 371 Abs. 2 OR
für die Ansprüche des Bestellers eines "unbeweglichen Bauwerkes"; sie verjähren erst mit Ablauf von fünf Jahren seit dessen Abnahme.
a) Während Art. 362 aoR die längere Verjährungsfrist einfach dem Besteller eines "Bauwerkes" zugute kommen liess, spricht
Art. 371 Abs. 2 OR
verdeutlichend von einem unbeweglichen Bauwerk (construction immobilière, costruzione immobiliare). Das heisst nicht, jedes unbewegliche Arbeitsergebnis, das Gegenstand eines Werkvertrages ist, falle unter diese Bestimmung. Der Begriff des unbeweglichen Bauwerkes ist enger als der des unbeweglichen Werkes schlechthin.
Art. 371 Abs. 2 OR
unterscheidet sich in dieser Hinsicht vom österreichischen Recht, das in § 933 ABGB die längere Gewährleistungsfrist (drei Jahre) vorsieht, wenn das Werk "unbewegliche Sachen betrifft", was dahin ausgelegt wird, dassjede Arbeit an einem Grundstück dieser Frist unterstehe (KLANG/ADLER, § 1167 Anm. 4 d). Dagegen stimmt
Art. 371 Abs. 2 OR
mit dem deutschen Recht überein, denn auch dieses kennt die fünfjährige Verjährungsfrist nur für Ansprüche aus Arbeiten "bei Bauwerken" und lässt die Gewährspflicht aus "Arbeiten an einem Grundstück" in den übrigen Fällen nach einem Jahr verjähren (§ 638 BGB). Die schweizerische Lösung wurde wie die deutsche vom Dresdener Entwurf und mittelbar vom französischen Code civil beeinflusst. Letzterer trifft die verjährungsrechtliche Sonderregelung - sie besteht nicht in der Verlängerung, sondern in der Verkürzung der ordentlichen Verjährungsfrist von dreissig Jahren auf zehn Jahre - nicht schlechthin für Ansprüche aus Arbeiten an Grundstücken, sondern nur für Ansprüche aus der
BGE 93 II 242 S. 245
Herstellung von "gros ouvrages" (Art. 2270 Cc), zu denen er unter anderem die "édifices" rechnet (Art. 1792 Cc). Ungefähr auf gleichem Boden wie das französische, das deutsche und das schweizerische Recht steht Art. 1669 Cci, der die zehnjährige Verjährungsfrist für Ansprüche des Bestellers aus Werkverträgen nur anwendbar erklärt, "quando si tratta di edifici o di altre cose immobili destinate per loro natura a lunga durata".
Die Auffassung, der Unternehmer sei für alle Werkleistungen, für die er Anspruch auf Eintragung des in Art. 837 Ziff. 3 vorgesehenen Grundpfandrechtes hat, während fünf Jahren gewährspflichtig (GAUTSCHI, N. 12 a und b zu
Art. 371 OR
), hält nicht stand.
Art. 371 Abs. 2 OR
trifft nur zu, wenn der Gegenstand des Werkvertrages ein (unbewegliches) Bauwerk ist, während der Unternehmer das Pfandrecht beanspruchen kann, wenn er "zu Bauten oder andern Werken auf einem Grundstücke Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert" hat.
Art. 837 Ziff. 3 ZGB
dient der Sicherung der Forderung des Unternehmers,
Art. 371 Abs. 2 OR
will dagegen vermeiden, dass Ansprüche des Bestellers früher verjähren, als es die besondere Natur des Werkes und der Mängel, die es aufweisen kann, rechtfertigte. Zwischen den beiden Fällen besteht kein sachlicher Zusammenhang. Jeder Unternehmer hat Anspruch auf die Sicherung seiner Forderung, weil es ihm nicht möglich ist, das auf fremdem Boden errichtete Werk dem Besteller erst Zug um Zug gegen die Zahlung zu übertragen oder sich daran das Eigentum vorzubehalten. Dagegen rechtfertigt es sich nicht, jeden Unternehmer, der Arbeiten an einem Grundstück ausführt, während der fünfjährigen Frist für Mängel einstehen zu lassen. Der Grund, aus dem
Art. 371 Abs. 1 OR
die Gewährspflicht des Unternehmers auf ein Jahr beschränkt, trifft bei unbeweglichen Werken grundsätzlich in gleicher Weise zu wie bei beweglichen. Die kurze Verjährungsfrist soll verhüten, dass der Besteller seine Ansprüche erst in einem Zeitpunkt geltend mache, in dem der Unternehmer nicht mehr auf seine Gewährsleute, besonders auf die Materiallieferanten, zurückgreifen kann (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 27. November 1879, BBl 1880 I 197). Diese Überlegung hat nur bei (unbeweglichen)Bauwerken vor einer andern dahingehenden Erwägung zurückzutreten, dass oft erst nach längerer Zeit erkennbar wird, ob das Werk den Anforderungen der Festigkeit oder den geologischen und atmosphärischen Verhältnissen standhält. Das ist auch der Grund, weshalb
BGE 93 II 242 S. 246
Art. 219 Abs. 3 OR
die Pflicht des Verkäufers zur Gewährleistung für die Mängel eines Gebäudes erst mit dem Ablauf von fünf Jahren, vom Erwerb des Eigentums an gerechnet, verjähren lässt.
b) Der Grundgedanke des
Art. 371 Abs. 2 OR
verbietet auch, in jeder Arbeit an einem unbeweglichen Bauwerk ohne weiteres ein "unbewegliches Bauwerk" zu sehen, also die Ansprüche aus Mängeln von Arbeiten, die z.B. dem gewöhnlichen Unterhalt eines Gebäudes dienen, immer erst nach fünf Jahren verjähren zu lassen. Eine Leistung ist nur dann (unbewegliches) Bauwerk, wenn der Gegenstand des Werkvertrages, durch den sie versprochen wird, nach seiner Natur selber als Bauwerk angesprochen werden kann. Wer z.B. einen Neubau oder eine bedeutende Stützmauer einer Strasse erstellt, erhebliche Teile der Fundamente, der Mauern oder des Daches eines bestehenden Gebäudes erneuert oder ein Haus erweitert oder umbaut, hat allenfalls während fünf Jahren dafür einzustehen, dass das Ergebnis seiner Arbeit mängelfrei sei. Es hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab, ob eine werkvertragliche Leistung, die dem Umbau oder dem Unterhalte eines unbeweglichen Bauwerkes dient, selber als solches gelten kann. Der Wert der Leistung und die Höhe des Werklohnes sind dabei für sich allein nicht entscheidend. Nicht der Umfang des Schadens, den die Mängel dem Besteller verursachen können, sondern nur die Natur des Werkes kann die fünfjährige Verjährung rechtfertigen. Das ergibt sich daraus, dass bewegliche Werke, z.B. Maschinen, oft einen weit grössern Aufwand an Arbeit und Material erfordern als unbewegliche Bauwerke, aber dennoch der einjährigen Verjährungsfrist unterstehen.
3.
Gegenstand des vorliegenden Werkvertrages waren ausschliesslich Malerarbeiten zum Unterhalt der Aussenseiten eines Hauses. Sie können, obwohl an einem (unbeweglichen) Bauwerk ausgeführt, für sich allein nicht als Bauwerk betrachtet werden. Der Grundgedanke der längern Verjährungsfrist trifft auf sie nicht zu. Die in Frage stehenden Arbeiten sind nicht so beschaffen, dass in der Regel erst nach Ablauf der einjährigen Verjährungsfrist festgestellt werden könnte, ob sie den Anforderungen der Festigkeit oder den geologischen und atmosphärischen Bedingungen gewachsen seien; ihre Mangelhaftigkeit tritt gewöhnlich unabhängig von solchen Verhältnissen in Erscheinung.
Malerarbeiten an einem Hause gelten denn auch nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht als Bauwerk.
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 3. Februar 1967 aufgehoben und die Klage abgewiesen.