Urteilskopf
94 II 119
18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. März 1968 i.S. Gerber & Mitbeteiligte gegen Müller & Mitbeteiligte
Regeste
Art. 545 OR
sieht bei Vorliegen wichtiger Gründe nur die Auflösung der einfachen Gesellschaft und nicht auch die Ausschliessung (eines oder mehrerer Gesellschafter) vor.
Diese ist nur auf vertraglicher Grundlage zulässig.
Aus den Erwägungen:
a) Im Gegensatz zu
Art. 577 OR
wird in
Art. 545 OR
für die einfache Gesellschaft die Möglichkeit, einen oder mehrere Gesellschafter auszuschliessen, nicht erwähnt. Daraus darf nach Ansicht der Kläger nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe den Ausschluss bei der einfachen Gesellschaft von Gesetzes wegen abgelehnt und nur auf Grund einer entsprechenden Vereinbarung als zulässig erklärt. Zudem wollen die Kläger
Art. 577 OR
auch auf das Recht der einfachen Gesellschaft angewendet wissen.
Diese Auffassung ist mit der Vorinstanz auf Grund der Entstehungsgeschichte, welche über den Willen des Gesetzgebers klaren Aufschluss gibt, abzulehnen.
Die Kommissionsentwürfe von 1869/72 und 1876 sehen in Art. 545 vor, dass ein Gesellschafter die Auflösung der Gesellschaft verlangen kann, wenn "wichtige Ursachen" vorhanden sind; liegt die Ursache vorwiegend in der Person eines Gesellschafters,
BGE 94 II 119 S. 120
so kann vom Richter, sofern alle übrigen Gesellschafter darauf antragen, auch bloss auf Ausschliessung jenes Gesellschafters erkannt werden. Der Entwurf des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom Jahre 1879 sieht indessen für die einfache Gesellschaft nur noch die Auflösung aus "wichtigen Ursachen" vor (Art. 557), für die Kollektivgesellschaft dagegen zusätzlich die "Ausschliessung" des von den "wichtigen Ursachen .... vorwiegend" betroffenen "Gesellschafters" (Art. 586). Diese inhaltliche Unterscheidung fand den entsprechenden Niederschlag in Art. 547 (einfache Gesellschaft) und Art. 576 (Kollektivgesellschaft) des OR von 1881. Bei der Revision des OR von 1911 wurde Art. 547 des OR von 1881 in Art. 545 Abs. 2 - der heute geltenden Bestimmung - untergebracht. Art. 576 des OR von 1881 wurde erst von der grossen Revision im Jahre 1936 (
Art. 552 ff. OR
) erfasst und durch den Zusatz ergänzt, dass der Richter nicht nur auf Ausschliessung eines, sondern "mehrerer Gesellschafter" ... "und auf Ausrichtung ihrer Anteile am Gesellschaftsvermögen erkennen" könne. Der Gesetzgeber hat somit die Ausschlussmöglichkeit in
Art. 545 OR
bewusst abgelehnt und nicht - wie die Kläger behaupten - zu erwähnen unterlassen.
Die Auffassung,
Art. 545 OR
sehe bei Vorliegen wichtiger Gründe nur die Auflösung der Gesellschaft und nicht auch die Möglichkeit des Ausschlusses vor, stützt sich nicht nur auf die Entstehungsgeschichte, sondern wird auch im Schrifttum einhellig vertreten (BECKER, N. 27 e zu
Art. 545 OR
, FUNK, N. 8 zu Art. 545/46 OR, GLATTFELDER, Die Aktionärbindungs-Verträge, ZSR 78 II 346 a, GUHL/KUMMER, SJK Nr. 678, STUBER, Aktionär-Consortien, Diss. Zürich 1944 S. 60, FRAEFEL, Die Auflösung der Gesellschaft aus wichtigem Grunde, Diss. Zürich 1929, S. 107/108, ZOELLY, Die rechtliche Behandlung der Kartelle in der Schweiz, Diss. Zürich 1916, S. 77/78, VOGELSANG, Essai d'une étude dogmatique de la société simple en droit suisse, Diss. Lausanne 1931, S. 139/40).
Auch SIEGWART (Das Obligationenrecht, 4. Teil: Die Personengesellschaften, Art. 530-619) bietet für die Ansicht der Kläger,
Art. 577 OR
sei auf die einfache Gesellschaft anzuwenden, keine hinreichende Stütze. Zwar hält er es nicht für ausgeschlossen, die Sonderordnung der Kollektiv- und Kommanditgesellschaft in einzelnen Teilen auf die einfache Gesellschaft zu übertragen (N. 5 der Vorbemerkungen zu
Art. 530-551
BGE 94 II 119 S. 121
OR
). Doch lässt er keine Zweifel darüber offen, dass bei der einfachen Gesellschaft die Ausschlussmöglichkeit nicht von Gesetzes wegen bestehe, sondern nur auf vertraglicher Grundlage zulässig sei. Wenn er demnach von Ausschliessung spricht, so unter der Voraussetzung, dass der Gesellschaftsvertrag das Ausscheiden vorsieht oder wenigstens bestimmt, dass bei Eintritt eines Ausscheidungstatbestandes die davon nicht Betroffenen das Ausscheiden einstimmig oder mit Mehrheit beschliessen können (vgl. N. 39 zu Art. 545/47 OR). Die Besonderheit der Kollektivgesellschaft liegt nach SIEGWART gerade darin, dass der Ausschluss auch ohne darauf hin abzielende Vertragsbestimmung möglich sei (N. 43 zu Art. 545/47 OR). Allerdings ist nach seinem Dafürhalten "eine analoge Anwendung des Kollektivgesellschaftsrechtes auf gewisse einfache Gesellschaften nicht ausgeschlossen" (N. 39 zu Art. 545/47 OR). Welche Gesellschaften gemeint sind, sagt SIEGWART aber nicht, noch begründet er diese abweichende Auffassung. Es ist denn auch schwerlich einzusehen, inwiefern in der streitigen Frage die Ordnung der einfachen Gesellschaft trotz des eindeutigen gesetzgeberischen Willens für "gewisse einfache Gesellschaften" nicht gelten sollte (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 346 zu
Art. 1 ZGB
).
b) Die Kläger wenden ferner unter Hinweis auf
BGE 88 II 482
/83 ein, die Absicht des Gesetzgebers sei für den Richter auch dann nicht verbindlich, wenn sie klar feststehe; vielmehr sei zu prüfen, ob triftige Gründe für eine Rechtsfortbildung sprechen. Gerade die einfache Gesellschaft habe im Wirtschaftsleben (z.B. als Baukonsortium, Aktionärkonsortium) eine ungeahnte Entwicklung durchgemacht. Es sei daher nicht mehr zeitgemäss, dass dem vertragstreuen Gesellschafter nur bei einer entsprechenden Vereinbarung das Recht zustehe, den Ausschluss des fehlbaren Partners zu verlangen.
Ob die einfache Gesellschaft tatsächlich die behauptete Bedeutung im Wirtschaftsleben erlangt hat, kann dahingestellt bleiben; denn dieser Umstand ist für die Frage, ob die Ausschlussmöglichkeit von Gesetzes wegen anzuerkennen sei, belanglos. Insbesondere ist nicht zu verstehen, weshalb ein solches Bedürfnis ausgerechnet bei einem Aktionärkonsortium bestehen sollte. Denn wie jede andere einfache Gesellschaft kann auch dieses Zweckgebilde nach erfolgter Auflösung von den dazu entschlossenen Vertragspartnern formlos wieder hergestellt werden.