Urteilskopf
94 IV 17
5. Urteil des Kassationshofes vom 11. März 1968 i.S. Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen A.
Regeste
Art. 91 und 92 StGB
.
Verhältnis dieser Bestimmungen zu
Art. 95 StGB
.
Der Richter darf nicht wegen Schwierigkeiten, die sich dem Vollzug entgegenstellen, von der Anordnung der gesetzlich vorgeschriebenen Massnahme absehen und an ihrer Stelle eine Strafe ausfällen.
A.-
Der am 27. Juli 1949 geborene A., der in ungünstigen Familienverhältnissen aufgewachsen ist, wurde 1966 bei der Scheidung seiner Eltern der erwerbstätigen Mutter zugeteilt,
BGE 94 IV 17 S. 18
die ihn jedoch gewähren liess. Trotz seiner Intelligenz musste er verschiedene Lehrstellen und Arbeitsplätze wegen ungenügender Leistung aufgeben. Er wich der Arbeit immer mehr aus, verfiel dem Alkohol und wurde arrogant. Nachdem er im Jahre 1966 die von ihm geschwängerte Freundin zu sich in die Wohnung genommen hatte, entstanden zwischen ihnen immer häufiger schwere und lärmige Auseinandersetzungen, so dass die Anwohner wiederholt die Polizei zu Hilfe riefen. Anlässlich eines solchen Vorfalles kam es zwischen A. und der Polizei zu einem Handgemenge, weshalb er am 22. Februar 1967 vom Jugendanwalt des Kantons Basel-Stadt wegen Gewalt gegen Beamte zu einer bedingt vollziehbaren Einschliessungsstrafe von 14 Tagen verurteilt und unter Schutzaufsicht gestellt wurde mit der Weisung, sich übermässigen Alkoholgenusses zu enthalten. A. liess sich aber nicht beeindrucken, ging keiner regelmässigen Arbeit nach, trank weiter und machte Schulden.
Als A. am späten Abend des 1. Juli 1967 in angetrunkenem Zustande seine Freundin schlug und bedrohte, ereignete sich zwischen ihm und der herbeigerufenen Polizei wiederum eine Rauferei, so dass er, weil er sich weigerte, auf den Polizeiposten zu folgen, aus dem Hause getragen werden musste. Der Psychiater, der sich schon früher mit A. wegen seines unbeherrschten Benehmens befasst hatte, stellte am 20. November 1967 bei ihm eine zunehmende Verwahrlosung fest.
B.-
Die Jugendstrafkammer des Kantons Basel-Stadt erklärte A. am 20. Dezember 1967 der Gewalt und Drohung gegen Beamte gemäss
Art. 285 StGB
schuldig und ordnete gestützt auf
Art. 91 StGB
seine Unterbringung in einem Erziehungsheim an.
A. erhob gegen diese Massnahme Beschwerde. Der Appellationsgerichtsausschuss des Kantons Basel-Stadt hob am 25. Januar 1968 die Einweisung in eine Erziehungsanstalt auf und wies die Sache zur Ausfällung einer Strafe nach
Art. 95 StGB
an die Jugendstrafkammer zurück.
C.-
Die Jugendanwaltschaft von Basel-Stadt führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei das Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben und dieses anzuweisen, über A. eine Massnahme im Sinne von
Art. 91 Ziff. 1 StGB
(Einweisung in eine Erziehungsanstalt) anzuordnen.
D.-
A. beantragt Abweisung der Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach Auffassung der Jugendstrafkammer ist A. im Sinne von
Art. 91 Ziff. 1 StGB
in hohem Grade gefährdet und bedarf dringend der Nacherziehung, die nur in einer Erziehungsanstalt Aussicht auf Erfolg habe.
Das Appellationsgericht stellt die Gefährdung von A. nicht in Abrede, noch legt es dar, dass eine andere Massnahme als die Einweisung in eine Erziehungsanstalt in Betracht zu ziehen sei. Es begründet seinen Entscheid, mit dem es statt diese Massnahme die Bestrafung des Jugendlichen nach
Art. 95 StGB
verfügt, lediglich damit, dass zurzeit kein Platz in einer geeigneten Erziehungsanstalt offen stehe und deshalb die erstinstanzlich angeordnete Erziehungsmassnahme nicht durchführbar sei. Diese Begründung hält vor dem Gesetz nicht stand.
Art. 95 StGB
hat im Verhältnis zu den
Art. 91 und 92 StGB
subsidiäre Bedeutung und erlaubt nach seinem ausdrücklichen Wortlaut die Bestrafung Jugendlicher erst, wenn von den Massnahmen, die in den beiden andern Bestimmungen vorgesehen werden, keine in Frage kommt. Sind daher, wie im vorliegenden Falle unbestritten ist, die Voraussetzungen zur Einweisung des Jugendlichen in eine Erziehungsanstalt im Sinne von Art. 91 Ziff. 1 erfüllt, so muss diese Massnahme angeordnet werden, und es darf nicht an deren Stelle eine Strafe ausgesprochen werden. Das gilt auch, wenn die zutreffende Massnahme aus irgendwelchen Gründen, namentlich bei einem ungenügenden Angebot passender Anstaltsplätze, nicht sofort vollzogen werden kann. Solche und ähnliche Vollzugsschwierigkeiten sind kein Grund, von der gesetzlich vorgeschriebenen Massnahme abzusehen und sie entweder durch eine andere, die im Gesetz nicht vorgesehen wird, oder durch die Bestrafung des Jugendlichen zu ersetzen. Es ist vielmehr Sache der Vollzugsbehörde, die sich dem Vollzug entgegenstellenden Hindernisse durch geeignete Hilfsmassnahmen solange zu überbrücken, bis die vom Richter angeordnete Massnahme vollstreckt werden kann (
BGE 91 IV 177
ff.).
2.
Der angefochtene Entscheid, der gegen das Gesetz verstösst, ist demzufolge aufzuheben. Das Appellationsgericht hat, nachdem im kantonalen Beschwerdeverfahren der von der Jugendstrafkammer festgestellte Sachverhalt nicht widerlegt
BGE 94 IV 17 S. 20
und eine andere als die von ihr vorgesehene Massnahme nicht in Erwägung gezogen worden ist, die Einweisung in eine Erziehungsanstalt zu bestätigen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichtsausschusses des Kantons Basel-Stadt vom 25. Januar 1968 aufgehoben und die Sache zur Anordnung der Einweisung des A. in eine Erziehungsanstalt an die Vorinstanz zurückgewiesen.