Urteilskopf
95 I 283
40. Urteil vom 23. Mai 1969 i.S. Organchemie AG gegen Schweiz. Eidgenossenschaft (PTT - Betriebe).
Regeste
Haftpflicht des Bundes aus dem Telephonverkehr.
1. Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Klage (Erw. 1).
2. Nach dem Telegraphen- und Telephonverkehrsgesetz vom 14. Oktober 1922 haftet die Eidgenossenschaft nicht für den Schaden, den ein Telephonabonnent deshalb erleidet, weil er auf den ihm zugeteilten Linien wegen eines technischen Hindernisses in der Telephonzentrale nur beschränkt erreichbar ist (Erw. 2).
3. Die Haftung des Bundes kann auch nicht aus dem Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 1958 abgeleitet werden (Erw. 3).
4. Bedeutung des "Legalitätsprinzips" (Erw. 4).
5. Gegenüber dem fehlbaren Beamten steht dem Geschädigten kein Anspruch zu (Erw. 5).
A.-
Die Organchemie AG betrieb ihr Geschäft bis am 12. August 1967 (Samstag) in Zürich. Sie war bis dahin Abonnentin eines Telephonanschlusses mit 10 Amtsleitungen Nr. 47 19 20 bis 47 19 29. Im Verzeichnis der Telephonabonnenten war nur die Nummer 47 19 20 angegeben. War diese Linie besetzt, so wurde der Anrufer automatisch auf eine freie Linie geschaltet.
Die Gesellschaft wollte in einen Neubau in Kilchberg (Zürich) übersiedeln und bestellte dafür einen Telephonanschluss mit 15 Amtsleitungen. Die Kreistelephondirektion Zürich teilte ihr die Nummern 91 19 20 bis 91 19 34 zu. Die Gesellschaft liess neues Briefpapier drucken, in welchem die Nummer 91 19 20 angegeben wurde. Am 14. August 1967 (Montag) nahm sie ihre Tätigkeit im neuen Gebäude auf. Dabei stellte sich heraus, dass die Anrufer, welche die Nummer 91 19 20 einstellten, nicht automatisch mit der nächstfolgenden freien Nummer verbunden werden konnten, wenn die gewählte Nummer besetzt war. Es wurde festgestellt, dass in der Telephonzentrale Kilchberg eine solche Umstellung einer angerufenen Nummer mit der Endzahl 0 nicht möglich war. Noch am Nachmittag des 14. August 1967
BGE 95 I 283 S. 285
schalteten die PTT-Betriebe daher die Nummer 91 19 20 provisorisch auf ein Sprechband, das den Anrufenden anwies, eine Nummer des telephonischen Auftragsdienstes einzustellen; tat er das, so wurde er aufgefordert, die Nummer 91 19 21 zu wählen. Ab 6. September 1967 wurde die Nummer 91 19 20 mit einem Sprechband verbunden, das den Anrufer direkt auf die Nummer 91 19 21 verwies.
B.-
Die Organchemie AG erklärt, sie habe infolge eines Fehlers, welcher der Telephondirektion bei der Zuteilung der Telephonnummern für den Neubau in Kilchberg unterlaufen sei, einen Schaden im Betrage von Fr. 19'919.15 (Druckkosten, Ausfall von Bestellungen usw.) erlitten. Sie meldete beim Eidg. Finanz-und Zolldepartement eine Forderung gegen den Bund in dieser Höhe an, wobei sie sich auf das BG vom 14. März 1968 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) berief. Die Generaldirektion PTT, welcher die Eingabe überwiesen wurde, lehnte die Forderung ab. Sie führte aus, nach dem BG vom 14. Oktober 1922 über den Telegraphen- und Telephonverkehr (Telegraphen- und Telephonverkehrsgesetz, TVG) hafteten die PTT-Betriebe nicht für Störungen und Hindernisse im Telephonbetrieb, und das Verantwortlichkeitsgesetz sei nicht anwendbar.
C.-
Mit der vorliegenden Klage vom 11. Juli 1968 gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) hält die Organchemie AG an ihrer Forderung fest.
Es wird geltend gemacht, das TVG lasse die Haftung des Bundes aus dem Telephonverkehr zu, soweit es sie nicht ausdrücklich ausschliesse.
Art. 35 TVG
müsse in diesem Sinne verstanden werden. Einzig für Störungen und Hindernisse im Telephonbetrieb hafte der Bund nicht (
Art. 37 TVG
). Hier handle es sich nicht um einen solchen Tatbestand, wohl aber um einen Vorgang des Telephonverkehrs, nämlich um eine fehlerhafte "Abonnementsbearbeitung". Der gemeinsame Anschluss mehrerer Telephonlinien an das Ortsnetz sei im Gesetz vorgesehen und technisch möglich. Im vorliegenden Fall hätte es lediglich einer richtigen Anordnung des zuständigen Beamten bedurft. Die falsch eingerichtete Anlage habe gar nicht in Betrieb genommen werden können. Für die Folgen des vom Sachbearbeiter begangenen Fehlers hafte der Bund nach
Art. 35 TVG
.
Auf jeden Fall habe er dafür nach
Art. 3 Abs. 1 VG
einzustehen. Abs. 2 daselbst schliesse dies nicht aus. Der Geschädigte dürfe unter der Herrschaft des neuen Verantwortlichkeitsgesetzes nicht schlechter gestellt werden, als er es unter der Geltung des alten Gesetzes von 1850 gewesen sei. Das neue Gesetz habe seine Stellung verbessert, indem es ihm einen direkten Anspruch gegen den Bund eingeräumt habe.
D.-
Die Schweizerische Eidgenossenschaft beantragt die Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klage wird in erster Linie auf das TVG gestützt. Die Klägerin macht demnach einen in der Bundesgesetzgebung begründeten Anspruch gegen den Bund aus öffentlichem Recht geltend. Der in Art. 3 Abs. 3 des PTT-Organisationsgesetzes vom 6. Oktober 1960 bezeichnete Streitwert von 8000 Franken ist überschritten. Entsprechend Art. 13 der Vollziehungsverordnung vom 26. Mai 1961 zu diesem Gesetz ist die Klage gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) gerichtet. Das Bundesgericht ist als einzige Instanz im Sinne des
Art. 110 OG
zur Beurteilung einer solchen aus dem TVG abgeleiteten Klage zuständig (
BGE 94 I 171
/172).
In zweiter Linie wird die Klage auf das VG gestützt. Auch nach dieser Begründung ist das Bundesgericht als einzige Instanz gemäss
Art. 110 OG
zuständig (
Art. 10 Abs. 1 VG
). Die Klägerin hat den aus dem VG abgeleiteten Anspruch vorschriftsgemäss zunächst der Verwaltung und sodann rechtzeitig dem Bundesgericht unterbreitet (
Art. 10 Abs. 2,
Art. 20 VG
).
2.
Das TVG ordnet in seinem Abschnitt IV (Art. 35-37) die Haftpflicht der PTT-Betriebe aus dem Telegraphen- und Telephonverkehr. Art. 35 enthält allgemeine Bestimmungen, Art. 36 betrifft den Telegraphenverkehr und Art. 37 den Telephonverkehr. Im vorliegenden Fall kommen nur die Art. 35 und 37 in Betracht. Durch Art. 35 Abs. 1 wird die Haftpflicht der Verwaltung "auf den in diesem Gesetz umschriebenen Umfang beschränkt". Nach Art. 37 Abs. 1 haften die PTT-Betriebe "nicht für die Folgen von Störungen und Hindernissen im Telephonbetrieb". In
BGE 94 I 173
(oben) hat das Bundesgericht angenommen, das Wort "Telephonverkehr" in Art. 35 Abs. 1 bezeichne einen weiteren Begriff als das Wort
BGE 95 I 283 S. 287
"Telephonbetrieb" in Art. 37 Abs. 1. Dagegen liesse sich einwenden, dass auch im Randtitel des Art. 37 vom "Telephonverkehr" die Rede ist; es erscheint nicht als ausgeschlossen, dass der im Absatz 1 dieses Artikels verwendete Ausdruck "Telephonbetrieb" dasselbe bedeutet wie das im Randtitel stehende Wort. Doch kann dies dahingestellt bleiben. Denn auch wenn man mit der Klägerin annimmt, der Ausdruck "Telephonbetrieb" in
Art. 37 Abs. 1 TVG
habe einen engeren Sinn und bedeute dasselbe, was Art. 1 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung I zum TVG vom 1. Juni 1942 als "Betreiben" bezeichnet, so folgt daraus nichts zu ihren Gunsten. Unter dem "Betrieb" ist dann der "Gebrauch" der Anlage "zum Senden oder Empfangen von Zeichen, Bildern oder Lauten" zu verstehen. Auch wenn von diesem Begriff auszugehen ist, war das, was sich bei der Klägerin am 14. August 1967 gezeigt hat, eine Störung im Sinne des
Art. 37 Abs. 1 TVG
. Es trifft nämlich nicht zu, dass die neue Anlage damals überhaupt nicht in Betrieb genommen werden konnte. Sie konnte vom Personal der Klägerin für ausgehende Gespräche in vollem Umfang benützt werden. Sie konnte aber auch für eingehende Gespräche benützt werden. Wie die Klägerin in der Replik selber darlegt, war die Linie 91 19 20 am 14. August 1967 "für die eingehenden Gespräche praktisch ständig besetzt". Die Störung bestand darin, dass Anrufer, welche die Klägerin über die Nummer 91 19 20 erreichen wollten, das Besetzt-Zeichen vernahmen, wenn auf dieser Linie bereits ein Gespräch geführt wurde, statt dass sie automatisch auf eine der übrigen Linien geschaltet worden wären. Es handelt sich um eine Störung im Telephonbetrieb, die auf ein technisches Hindernis in der Anlage der PTT zurückzuführen war. Das Hindernis bewirkte, dass für die eingehenden Gespräche nur eine einzige Linie funktionierte, während für die ausgehenden Gespräche 14 weitere Linien benützbar waren. Das ist aber ein Sachverhalt, für dessen Folgen die PTT-Betriebe nach
Art. 37 Abs. 1 TVG
- auch bei enger Auslegung des Ausdrucks "Telephonbetrieb" - nicht haften.
3.
Allerdings unterliegt keinem Zweifel, dass für die Betriebsstörung das Personal der PTT-Betriebe verantwortlich ist. Die zuständigen Beamten waren nach der gesetzlichen Ordnung verpflichtet, der Klägerin eine für die ein- und ausgehenden Gespräche gleichermassen brauchbare Linien- und
BGE 95 I 283 S. 288
Nummernreihe zuzuteilen. Sie hätten die Zuteilung so vornehmen müssen, dass die technische Besonderheit der Telephonzentrale Kilchberg sich nicht zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt hätte. Wenn sie dies getan hätten, wäre die Betriebsstörung vermieden worden.
Enthielte das TVG keine Bestimmungen über die Haftpflicht der Verwaltung, so würde daher der Bund laut
Art. 3 Abs. 1 VG
für die Folgen des von den PTT-Beamten begangenen Fehlers haften. Nun bestimmt aber
Art. 3 Abs. 2 VG
, dass "bei Tatbeständen, welche unter die Haftpflichtbestimmungen anderer Erlasse fallen, die Haftung des Bundes sich nach jenen besonderen Bestimmungen richtet". Das bedeutet, dass das VG in allen Bereichen nicht anwendbar ist, für welche das übrige Bundesrecht eine Haftung des Bundes vorsieht oder ausschliesst (StenBull StR 1956 S. 325;
BGE 94 I 172
Erw. 3). Da der vorliegende Tatbestand unter die Haftpflichtbestimmungen des TVG fällt, lässt sich der Anspruch der Klägerin auch nicht auf das VG stützen.
4.
Der Klägerin hilft auch der Einwand nicht, dass das "missverstandene Legalitätsprinzip" mit einer "modernen rechtsstaatlichen Auffassung" nicht vereinbar sei. Das Legalitätsprinzip besagt, dass der Staat für Schaden, den seine Beamten einem Bürger rechtswidrig zufügen, nur einzustehen hat, wenn ein Rechtssatz dies ausdrücklich vorsieht (
BGE 63 II 30
/31,
BGE 68 II 217
/218,
BGE 77 I 95
; dazu O. K. KAUFMANN, Verhandlungen des Schweizerischen Juristenvereins 1953, ZSR 72 S. 352 a ff., und P. GRAFF, daselbst S. 465 a, ferner O. K. KAUFMANN in "Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe", 1967, S. 559). Hier geht es nicht um dieses Prinzip, sondern darum, ob eine Haftung des Staates für eine rechtswidrige Schädigung eines Privaten durch Beamte bestehe, obwohl zwei verfassungsmässig zustande gekommene Bundesgesetze sie ausdrücklich aus schliessen. Diese Frage stellen heisst sie verneinen. Nach
Art. 113 Abs. 3 und
Art. 114 bis Abs. 3 BV
ist das Bundesgericht an die Bundesgesetze gebunden.
5.
Richtig ist, dass die Klägerin als Geschädigte unter der Herrschaft des VG schlechter gestellt ist, als sie es unter der Geltung des BG vom 9. Dezember 1850 über die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Behörden und Beamten gewesen wäre. Damals hätte sie von den fehlbaren Beamten Schadenersatz fordern können. Nach
Art. 3 Abs. 3 VG
ist das nunmehr ausgeschlossen.
Dies zu ändern kann nicht Aufgabe des Richters sein.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird abgewiesen.