BGE 95 II 37 vom 11. Februar 1969

Datum: 11. Februar 1969

Artikelreferenzen:  Art. 110 StGB, Art. 421 ZGB, Art. 20 OR, Art. 66 OR, Art. 175 OR, Art. 176 OR , Art. 20 Abs. 1 OR, Art. 110 Ziff. 4 StGB, Art. 315 StGB, Art. 316 StGB, Art. 288 StGB, Art. 413 Abs. 1, 426 ZGB, Art. 421 Ziff. 1 ZGB, Art. 175 Abs. 1 OR, Art. 63 Abs. 2 OG

BGE referenzen:  121 IV 216 , 94 II 156

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

95 II 37


6. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Februar 1969 i.S. E. Hasler und R. Spirig gegen B. und E. Gerwer.

Regeste

Art. 20 Abs. 1 OR : Nichtigkeit eines Schmiergeldversprechens an einen Vormund wegen Verstosses gegen die guten Sitten.
Art. 175/76 OR: Übernahme und Tilgung der nichtigen Verbindlichkeit durch einen Dritten, der Schuldner des ursprünglichen Schuldners ist.
Art. 66 OR : Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die vom ursprünglichen Schuldner dem Schuldübernehmer für die Übernahme und Tilgung der nichtigen Verbindlichkeit erbrachte Gegenleistung.

Sachverhalt ab Seite 38

BGE 95 II 37 S. 38
Aus dem Tatbestand:
Hasler und Spirig liessen sich durch die Eigentümer von fünf Grundstücken in Zürich im Hinblick auf eine gesamthafte Neuüberbauung Kaufsrechte einräumen. Diese übertrugen sie an die Architekten Bernhard und Eugen Gerwer, die sich verpflichteten, ihnen "Aufpreise" von insgesamt Fr. 305 000.-- zu zahlen und hieran eine Anzahlung von Fr. 50 000.-- leisteten. Eines der erwähnten Grundstücke gehörte dem bevormundeten Ehrentreich. Hasler hatte dessen Vormund Zuppinger für den Fall des Zustandekommens des Geschäftes über den Kaufpreis von Fr. 507 000.-- hinaus eine "Entschädigung" von Fr. 100 000.-- angeboten, "um ihn an sich zu binden". Unmittelbar vor der Verurkundung des Verkaufs an die Brüder Gerwer zum erwähnten Preis willigte Zuppinger auf Begehren Haslers in die Herabsetzung seiner "Entschädigung" auf Fr. 55 000.-- ein, verlangte aber, mit den Brüdern Gerwer abrechnen zu können, weil Hasler und Spirig das nötige Geld nicht besassen und ihm "die ganze Sache nicht sicher vorkam". Hasler vereinbarte daher mit den Brüdern Gerwer, dass die Entschädigung an Zuppinger von den "Aufpreisen" abgezogen werden solle. Die Brüder Gerwer bezahlten in der Folge die Fr. 55 000.-- an Zuppinger, der den Betrag für sich behielt.
Im Abrechnungsprozess zwischen Hasler und Spirig und den Brüdern Gerwer nahmen die Kläger den Standpunkt ein, die Beklagten könnten ihnen die Zahlung von Fr. 55 000.-- an Zuppinger nicht belasten, weil es sich dabei um eine rechts- und sittenwidrige Schmiergeldzahlung gehandelt habe. Das Bundesgericht verwirft in Übereinstimmung mit dem Obergericht Zürich diesen Standpunkt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Der Vormund ist nicht Beamter im Sinne von Art. 110 Ziff. 4 StGB ( BGE 76 IV 150 ). Das Obergericht hat deshalb zu
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Recht angenommen, Zuppinger habe weder im Sinne des Art. 315 StGB sich bestechen lassen, noch das Vergehen der Annahme eines Geschenkes ( Art. 316 StGB ) begangen, indem er sich vom Kaufliebhaber Hasler persönlich eine Geldleistung versprechen liess, falls er jenem die Liegenschaft seines Mündels Ehrentreich zuhalte, und diese Geldleistung in der Folge annahm. Es trifft auch zu, dass Hasler und Bernhard Gerwer durch die Zusicherung bzw. Leistung dieses Vorteils Zuppinger nicht gemäss Art. 288 StGB bestochen haben. Das Versprechen war deshalb nicht wegen Verstosses gegen Strafnormen widerrechtlich und nichtig.

2. Das Zivilrecht schreibt dem Vormund vor, in der Ausübung seiner Obliegenheiten, besonders in der Verwaltung des Vermögens des Mündels, sorgfältig zu sein ( Art. 413 Abs. 1, 426 ZGB ). Hiezu gehört, dass er beim Verkauf eines Grundstücks des Mündels alle Kaufsangebote sorgfältig prüfe und ohne Rücksicht auf Vorteile, die allenfalls ihm persönlich erwachsen können, jenes annehme, das für das Mündel am vorteilhaftesten ist. Auch hat er der Vormundschaftsbehörde, wenn er ihre Zustimmung zum Kaufvertrag einholt ( Art. 421 Ziff. 1 ZGB ), von allen Kaufsangeboten Kenntnis zu geben, damit sie in Würdigung aller Umstände ihren Entscheid ausschliesslich im Hinblick auf die Interessen des Mündels treffen kann. Wenn er wegen persönlicher Vorteile, die ihm ein Kaufliebhaber versprochen oder gewährt hat, andere Kaufangebote nicht prüft, sie ablehnt oder sie der Vormundschaftsbehörde vorenthält, verletzt er seine Pflichten, gleichgültig ob daraus seinem Mündel ein Schaden erwächst. Wer ihn zu einem solchen Verhalten zu bewegen versucht, indem er ihm den Vorteil anbietet, verspricht oder leistet, verstösst gegen die guten Sitten.
Das tat im vorliegenden Falle der Kläger Hasler, indem er Zuppinger für den Fall der Annahme seines Kaufsangebotes persönlich Fr. 100 000.-- versprach. Nach der verbindlichen Feststellung des Obergerichts wollte er dadurch Zuppinger an sich binden, d.h. ihn davon abhalten, aufallfällige Kaufsangebote Dritter einzutreten. Er wollte ihn also bewegen, bei der Fassung eines Entschlusses über den Verkauf des Grundstückes des Mündels um eines persönlichen Vorteils willen dem Angebot der Kläger den Vorzug zu geben. Dass die Vorinstanz davon ausgeht, Zuppinger habe das Versprechen nicht in der Absicht angenommen, die Interessen des Bevormundeten zu verletzen, und Hasler habe nicht materielle Pflichtverletzungen des Vormundes,
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d.h. eine Schädigung des Mündels fördern wollen, ist unerheblich. Es ändert auch nichts, dass die Beteiligten sich kurz vor der Beurkundung des Kaufvertrages einigten, die für Zuppinger persönlich bestimmte Leistung auf Fr. 55 000.-- herabzusetzen, und nicht feststeht, dass damals Kaufsangebote Dritter tatsächlich vorlagen. Hasler hielt sich an das Versprechen von Fr. 100 000.--- für gebunden und wollte durch das Herabmarkten auf Fr. 55 000.-- am Zwecke desselben nichts ändern.
Mit Recht erachtet daher das Obergericht das Versprechen wegen Verstosses gegen die guten Sitten gemäss Art. 20 Abs. 1 OR als nichtig.

3. Am 4. März 1963 vereinbarte Bernhard Gerwer namens beider Beklagten mit Hasler und Zuppinger, die Beklagten übernähmen die Bezahlung der Fr. 55 000.-- an den letzteren. Durch dieses Versprechen verpflichteten sich die Beklagten, die Kläger von der Schuld gegenüber Zuppinger zu befreien ( Art. 175 Abs. 1 OR ). Das war im Verhältnis zu den Klägern eine sogenannte interne Schuldübernahme. Dieses Versprechen wurde sogleich dadurch vollzogen, dass Zuppinger, wie das Obergericht annimmt und unbestritten ist, die Kläger aus der Schuldpflicht entliess. Im Verhältnis zu Zuppinger lag in der Vereinbarung eine sogenannte externe Schuldübernahme ( Art. 176 OR ).
Die Kläger machen unter Berufung auf Becker, OR Art. 175 N. 6 geltend, eine nichtige Schuld könne nicht übernommen werden. Sie behaupten, die Parteien hätten schon damals um die Nichtigkeit gewusst, und halten die gegenteilige Feststellung des Obergerichts für unverbindlich, weil sie nicht auf Beweiswürdigung beruhe und willkürlich sei. Aus der Nichtigkeit der Schuld und dem angeblichen Wissen der Beklagten darum leiten sie ab, diese hätten freiwillig eine Nichtschuld bezahlt und könnten daher nicht auf die Kläger zurückgreifen.
Dem ist in erster Linie entgegenzuhalten, dass die Feststellung des Obergerichts, die Nichtigkeit der Forderung Zuppingers sei damals beiden Parteien nicht bewusst gewesen, tatsächliche Verhältnisse betrifft. Sie bindet daher das Bundesgericht, da sie weder unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen ist, noch offensichtlich auf Versehen beruht ( Art. 63 Abs. 2 OG ). Das verfassungsrechtliche Verbot der Willkür ist nicht eine bundesrechtliche Beweisvorschrift im Sinne dieser Bestimmung ( BGE 94 II 156 ) und ist übrigens nicht verletzt, da das Gefühl, gegen die guten Sitten zu verstossen, den
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juristisch nicht gebildeten Parteien nicht notwendigerweise gesagt haben muss, die Schuld sei nichtig.
Die Kläger verkennen sodann, dass eine Verbindlichkeit, die gegen die guten Sitten verstösst, nicht jeglicher Wirkung ententbehrt. Besteht der Verstoss gegen die guten Sitten darin, dass der Geber mit der versprochenen Leistung einen unsittlichen oder rechtswidrigen Erfolg herbeiführen will, so kann das in dieser Absicht Geleistete nicht zurückgefordert werden ( Art. 66 OR ). Das gilt unabhängig davon, ob auch der Empfänger diesen Erfolg herbeizuführen beabsichtigte und ob das unsittliche oder rechtswidrige Ziel tatsächlich erreicht wurde. Art. 66 OR will den Geber für seine unsittliche oder rechtswidrige Absicht massregeln und den Staat der Pflicht entheben, ihm zur Rückgängigmachung der unsauberen Vermögensverschiebung beizustehen ( BGE 74 II 27 Erw. 3). Daher konnten die Beklagten die Fr. 55 000.-- weder von Zuppinger persönlich zurückfordern, noch können sie, nachdem dieser inzwischen verstorben ist, gegenüber seinen Erben einen solchen Rückerstattungsanspruch geltend machen.
Im Verhältnis zwischen den beiden Prozessparteien sodann ist davon auszugehen, dass auch die Kläger gegen die guten Sitten verstiessen. Statt sich auf die Nichtigkeit der unsittlichen Schuld zu berufen, muteten sie den Beklagten zu, diese zu übernehmen und zu erfüllen, und erbrachten sie für dieses Entgegenkommen eine Gegenleistung, indem sie ihnen erlaubten, die auszulegenden Fr. 55 000.-- von den "Aufpreisen" abzuziehen. Diese Vereinbarung war wegen ihres gegen die guten Sitten verstossenden Zwecks nichtig. Die Kläger haben aber ihre Gegenleistung schon am 4. März 1963 erbracht. Durch die Abrede, die Beklagten dürften die Fr. 55 000.-- von den Aufpreisen abziehen, verzichteten die Kläger auf einen entsprechenden Teil ihrer Forderung auf Zahlung von Aufpreisen. Da die Beklagten an diese erst die am 20. Dezember 1962 angezahlten Fr. 50 000.-- geleistet hatten, belief sich die Forderung der Kläger am 4. März 1963 noch auf Fr. 255 000.--. Sie war also noch hoch genug, um durch Teilverzicht um Fr. 55 000.-- herabgesetzt werden zu können. Die Beklagten nehmen heute nicht Rückgriff für die ausgelegten Fr. 55 000.--, sondern sind in diesem Umfang bereits befriedigt, indem die Kläger ihre Aufpreisforderung um soviel herabgesetzt haben. Die Kläger können nicht auf ihren Verzicht zurückkommen und die Wiederherstellung der vollen
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Aufpreis-Forderung verlangen. Das widerspräche dem Sinn des Art. 66 OR . Der Grundsatz "in pari turpitudine melior est causa possidentis" gilt nicht nur zu Lasten der Beklagten im Verhältnis zu Zuppinger, sondern auch zu Lasten der Kläger im Verhältnis zu den Beklagten, um so mehr als die Kläger den Verstoss gegen die guten Sitten angezettelt hatten und die Beklagten die unsittliche Schuld nur deshalb übernahmen und tilgten, weil die Kläger die nötigen Mittel nicht besassen und Zuppinger einen leistungsfähigen Schuldner verlangte.

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