Urteilskopf
95 II 407
57. Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Juni 1969 i.S. Erben Ragettli gegen Mühlemann.
Regeste
Unverbindlichkeit eines Kaufvertrages, wenn die Baubewilligung für ein unerschlossenes, als Bauland veräussertes Grundstück abgelehnt wurde? (Erw. 1)
Bei Berufung auf Grundlagenirrtum erübrigt es sich zu prüfen, ob die Veräusserung als Bauland eine Zusicherung ist (Erw. 2).
A.-
Engalina Ragettli-Jost veräusserte am 3. Juli 1962 dem Alfred Mühlemann das Grundstück Nr. 322, Plan Nr. 2, in Flims-Vitgé von ca. 1000 m2 als Bauland zum Preis von Fr. 40.-/
BGE 95 II 407 S. 408
m2. Vor Abschluss des Kaufvertrages hatte der Ehemann der Verkäuferin den Gemeinderat Flims ersucht, die Zuleitung von Wasser auf das zu überbauende Grundstück zu bewilligen. Der Gemeinderat nahm zu diesem Gesuch in seiner Sitzung vom 26. Juni 1962, somit vor Abschluss des Kaufvertrages, wie folgt Stellung:
"Der Rat ist grundsätzlich mit der Wasserabgabe in Vitgé einverstanden. Bevor jedoch der Anschluss getätigt werden darf, sind dem Rat die Baupläne einzureichen, damit die Dimensionen berechnet werden können."
Am 13. Juli 1962 reichte Mühlemann ein Baugesuch ein, welches vom Gemeinderat Flims mit der Begründung abgewiesen wurde, der geplante Bau sei zu gross und passe nicht in das Gelände. Im Herbst 1963 oder anfangs 1964 reichte Mühlemann ein neues Baugesuch ein. Dieses wurde am 11./18. Februar 1964 vom Gemeinderat Flims und auf Rekurs Mühlemanns am 29. März/20. April 1966 vom Kleinen Rat des Kantons Graubünden abgelehnt, weil die Zufahrt zum fraglichen Grundstück unzureichend sei.
Mühlemann stellte sich mit Rücksicht auf diesen Ausgang des Baubewilligungsverfahrens auf den Standpunkt, dass das erworbene Grundstück nicht überbaut werden könne. Am 26. Mai 1966 teilte er den Erben der inzwischen verstorbenen Verkäuferin mit, er betrachte den Vertrag wegen Grundlagenirrtums als unverbindlich, und verlangte die Rückerstattung des Kaufpreises. Die Erben der Verkäuferin lehnten am 10. Juli 1966 dieses Ansinnen ab.
B.-
Mühlemann reichte beim Bezirksgericht Imboden gegen die Erben der Verkäuferin Klage ein. Er beantragte, die Unverbindlichkeit des Kaufvertrages festzustellen, die Beklagten zur Rückerstattung des Kaufpreises von Fr. 40 000.-- nebst 5% Zins seit 26. Mai 1966 zu verpflichten und das Grundbuchamt Flims anzuweisen, die Beklagten als Eigentümer der streitigen Parzelle einzutragen.
Das Bezirksgericht Imboden hiess am 27. Februar 1968 die Klage gut.
Das Kantonsgericht Graubünden bestätigte am 20. Januar 1969 den erstinstanzlichen Entscheid.
C.-
Die Beklagten beantragen mit der Berufung, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen; eventuell
BGE 95 II 407 S. 409
die Sache zur Ergänzung der Akten und zu neuem Entscheid an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Kantonsgericht erklärte den angefochtenen Kaufvertrag als unverbindlich, weil die streitige Parzelle als Bauland veräussert und die infolgedessen von beiden Parteien vorausgesetzte Erteilung der Baubewilligung von den Behörden abgelehnt worden sei.
Die Beklagten rügen diese Auffassung als Verstoss gegen Bundesrecht.
Der Kläger darf sich auf Grundlagenirrtum berufen, wenn die Überbaubarkeit der erworbenen Parzelle für ihn eine notwendige Voraussetzung des Vertrages bildete und nach den Regeln von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als solche betrachtet werden durfte (
BGE 87 II 138
mit Hinweisen,
BGE 91 II 278
). Dieser Rechtsbehelf steht ihm auch zu, wenn das Grundstück nach Vertragsabschluss aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht überbaut werden konnte. Das ergibt sich daraus, dass sich der Grundlagenirrtum auch auf einen künftigen Sachverhalt beziehen kann, dessen Verwirklichung beide Parteien als sicher angesehen haben, der dann aber tatsächlich nicht eintritt, wie z.B. die Erteilung des Wirtschaftspatentes an den Käufer einer Wirtschaftsliegenschaft (
BGE 55 II 188
Erw. 5,
BGE 53 II 154
f.).
a) Die Vorinstanz stellt nicht ausdrücklich fest, dass der Kläger die Überbaubarkeit der Parzelle als unerlässliche Grundlage des Vertrages betrachtet habe. Diese Auffassung liegt aber dem angefochtenen Urteil unzweifelhaft zu Grunde. Das folgt aus der verbindlichen Feststellung, dass der Kläger für ein landwirtschaftliches Grundstück nicht Fr. 40.-/m2 bezahlt hätte; ferner daraus, dass auch die Verkäuferin mit der Erteilung der Baubewilligung gerechnet habe. Angesichts des vereinbarten Preises bildete die Überbaubarkeit der Parzelle auch von objektiven Gesichtspunkten aus betrachtet, nach den Regeln von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr, eine unerlässliche Voraussetzung des abgeschlossenen Vertrages (vgl.
BGE 91 II 278
Erw. 2 a/b).
b) Zu prüfen ist, was die Vertragschliessenden unter "Bauland" verstanden haben.
Das angefochtene Urteil stellt nicht fest und der Kläger behauptet auch nicht, dass die streitige Parzelle zu irgend einem Zeitpunkt sich in einer Bauverbotszone befand (wie dies in Sachen Hossle gegen Schenker,
BGE 91 II 275
ff., und Costa gegen Fracke, unveröffentlichtes Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Februar 1967, der Fall war) oder wegen der Bodenbeschaffenheit für eine Überbauung nicht taugte (vgl.
BGE 87 II 137
ff., wo Grundlagenirrtum wegen fehlender Tragfähigkeit des veräusserten Grundstückes angenommen wurde). Die Parzelle durfte somit grundsätzlich überbaut werden.
Die Parzelle war aber beim Vertragsabschluss mangels Kanalisation, Wasserzuleitung und hinreichender Zufahrt nicht erschlossen, somit nicht Bauland im engeren Sinne. Das wusste der Kläger beim Vertragsabschluss. Es wurde ihm somit nicht baureifes Land versprochen. Trotzdem hat der Gemeinderat von Flims das erste Baugesuch nicht vorbehaltlos abgelehnt, sondern bloss deshalb zurückgewiesen, weil der geplante Bau zu gross sei und nicht ins Gelände passe. Es ist daher anzunehmen, dass er die Bewilligung für ein abgeändertes Projekt erteilt hätte und dass somit im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die streitige Parzelle überbaut werden konnte.
Richtig ist, dass das zweite Baugesuch aus einem anderen Grunde, d.h. wegen der ungenügenden Zufahrt zum Grundstück abgelehnt wurde. Ob dieser Entscheid auf die infolge der baulichen Entwicklung in Flims notwendig gewordene Verschärfung der Baubewilligungspraxis zurückzuführen ist, kann dahingestellt bleiben. Zwar erklärte sich der Gemeinderat von Flims vor Vertragsbschluss mit der Wasserzuleitung grundsätzlich einverstanden und äusserte die Bereitschaft, das Projekt zur Überprüfung der Ausmasse entgegenzunehmen. Damit sicherte er aber nicht verbindlich zu, er werde im Baubewilligungsverfahren auf die baupolizeilichen Anforderungen verzichten und die Überbauung einer unerschlossenen Parzelle gestatten. Nichts hätte ihn daran gehindert, bereits das erste Baugesuch wegen der ungenügenden Zufahrt abzulehnen. Die irrtümliche Annahme des Klägers, er werde die Baubewilligung ohne weiteres erhalten, obwohl das Grundstück nur über einen Feldweg erreichbar war, betraf keinen Sachverhalt, der nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als wesentliche Grundlage des Vertrages angesehen werden konnte. Vielmehr handelte es sich um eine falsche Vorstellung über die Rechtsfolgen der baupolizeilichen
BGE 95 II 407 S. 411
Vorschriften, die vom Parteiwillen unabhängig sind und - wie die Beweggründe des Vertragsschlusses - ausserhalb des streitigen Rechtsgeschäftes stehen. Der Irrtum über die Rechtslage ist somit nicht wesentlich, weshalb die Anfechtung des Vertrages ausgeschlossen ist. Wollte der Kläger unter den gegebenen Umständen den Bestand oder Nichtbestand des Vertrages vom Ausgang des Baubewilligungsverfahrens abhängig machen, so hatte er bei der Beurkundung eine entsprechende Bedingung in den Vertrag aufnehmen zu lassen (vgl.
BGE 79 II 275
Erw. 5 lit. b). Zudem hat der Kläger nicht dargetan, dass die technischen Voraussetzungen für einen genügenden Weg fehlten und daher die Überbauung der Parzelle nicht möglich gewesen wäre.
2.
Das Kantonsgericht erklärt, die Verkäuferin habe die Parzelle als Bauland veräussert und damit eine unbefristete Zusicherung hinsichtlich ihrer Überbaubarkeit abgegeben.
Der Kläger stellt keine Gewährleistungsansprüche (Wandelung oder Preisminderung). Daher kann offen bleiben, ob eine Zusicherung im Sinne von
Art. 197 OR
vorliegt (vgl.
BGE 91 II 277
/78 Erw. 1).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung der Beklagten wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 20. Januar 1969 aufgehoben und die Klage abgewiesen.