Urteilskopf
96 IV 39
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. April 1970 i.S. Staatsanwaltschaft Oberwallis gegen Georgen
Regeste
Art. 90 SVG
,
Art. 117 und 125 StGB
.
Durch die Strafe wegen fahrlässiger Tötung einer Person wird die konkrete Gefährdung einer weiteren, nur verletzten Person nicht mitabgegolten. Neben
Art. 117 StGB
ist daher
Art. 90 SVG
anwendbar, wenn die verletzte Person auf den Strafantrag gemäss
Art. 125 Abs. 1 StGB
verzichtet hat.
A.-
Am 1. April 1968 um 20 Uhr fuhr Karl Wyssen mit einem Traktor mit Anhänger auf der 7,6 m breiten, mit Leitlinien versehenen Rhonetalstrasse von Turtmann gegen Agarn. Auf dem Anhänger, der 33 cm breiter als der Traktor war und hinten links ein rot gestrichenes, dreieckiges und nur schwach rückstrahlendes Blech von 19 cm Seitenlänge aufwies, befand sich der Mitfahrer Anselm Dirren. Dieser leuchtete mit einer in der Hand gehaltenen Taschenlampe nach rückwärts.
Hinter dem Traktor folgte Yvon Georgen mit einem Lieferwagen. Seine Geschwindigkeit betrug mindestens 90-100 km/Std. Wegen des Gegenverkehrs fuhr er mit abgeblendeten Scheinwerfern.
Infolge des Abblendlichts und der ungenügenden Kennzeichnung des Traktoranhängers erblickte Yvon Georgen das vor ihm fahrende Gefährt zu spät. Beim Versuch, im letzten Moment nach links auszuweichen, prallte er mit der rechten Vorderfront seines Lieferwagens gegen den Anhänger. Der Traktorzug geriet ins Schleudern und kam quer auf der Strasse zum Stillstand. Der Lieferwagen konnte kurz nach dem Aufprall auf der
BGE 96 IV 39 S. 40
rechten Fahrbahnhälfte zum Stehen gebracht werden. Durch die Wucht des Anpralls wurde der Mitfahrer Georgens, Giovanni Niro, so schwer verletzt, dass er am folgenden Tag starb. Die übrigen in den Unfall verwickelten Personen wurden leichter verletzt.
B.-
Mit Urteil vom 28. Februar 1969 verurteilte das Kreisgericht Oberwallis (Leuk):
Yvon Georgen wegen fahrlässiger Tötung (
Art. 117 StGB
) und grober Verletzung von Verkehrsregeln (
Art. 90 Ziff. 2 SVG
) zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 20 Tagen;
Karl Wyssen wegen fahrlässiger Tötung, Führens eines nichtbetriebssicheren Fahrzeugs und Fahrens ohne Fahrzeugausweis zu einer Busse von Fr. 300.--;
Markus Ammann, Eigentümer des Traktorenanhängers, wegen Gebrauchenlassens eines nichtbetriebssicheren Fahrzeuges und fahrlässiger Tötung zu einer Busse von Fr. 80.-.
C.-
Auf Berufung des Yvon Georgen erklärte ihn das Kantonsgericht des Kantons Wallis am 3. Februar 1970 lediglich der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer nach einer Probezeit von 2 Jahren vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 500.--.
D.-
Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft Oberwallis Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Yvon Georgen wegen grobfahrlässiger Tötung sowie wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG
an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Yvon Georgen beantragt Abweisung der Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
2.
Im Gegensatz zum Antrag auf Schuldigerklärung wegen grobfahrlässiger Tötung ist das Begehren, der Beschwerdegegner sei ausser der fahrlässigen Tötung auch der groben Verletzung von Verkehrsregeln gemäss
Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG
schuldig zu erklären, begründet.
Wohl kommt eine Verurteilung nach
Art. 90 SVG
neben derjenigen wegen fahrlässiger Tötung insoweit nicht in Betracht, als der Unfall Giovanni Niros in Frage steht. In dieser Hinsicht werden sowohl die Verstösse des Beschwerdegegners gegen
BGE 96 IV 39 S. 41
Art. 31 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SVG wie die allgemeine Verkehrsgefährdung und die konkrete Gefährdung Niros im Sinne von
Art. 90 SVG
durch die Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung vollumfänglich abgegolten (
BGE 91 IV 32
E 3 und 213)
Für die dem Karl Wyssen und dem Anselm Dirren zugefügten einfachen Körperverletzungen ist der Beschwerdegegner nicht zur Rechenschaft gezogen worden, weil beide auf einen Strafantrag verzichtet haben. Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall der Täter nicht wegen der konkreten Gefährdung der Verletzten zur Verantwortung gezogen werden soll. Die Vorinstanz verneint sie mit der Begründung, es würde sonst derselbe allgemeine und konkrete Gefährdungstatbestand zweimal bestraft. Dem kann nicht beigepflichtet werden.
Hätten Wyssen und Dirren Strafantrag gestellt, so wäre der Beschwerdegegner der fahrlässigen Tötung und zudem der fahrlässigen Körperverletzung schuldig befunden worden. Damit wäre die Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit und die konkrete Gefährdung der verletzten Personen abgegolten gewesen (
BGE 91 IV 32
und 213). Im vorliegenden Fall konnte mangels Strafantrags keine Abgeltung der Gefährdung Wyssens und Dirrens stattfinden. Diese hat deshalb nach
Art. 90 SVG
zu erfolgen, denn die Gefahr hat sich voll ausgewirkt (ebenso HAEFLIGER, ZStR 1965 S. 264). Würde anders entschieden, dann müsste der Täter, welcher durch Übertretung von Verkehrsvorschriften eine einzige Person fahrlässig verletzt oder tötet, im selben Strafrahmen von
Art. 125 Abs. 1 oder 117 StGB
bestraft werden wie der andere Täter, der ausser dem Tod einer Person auch noch die Verletzung zweier weiterer Menschen auf dem Gewissen hat, sofern er für diese Körperverletzungen mangels Strafantrags nicht verurteilt werden kann; für die konkrete Gefährdung von zwei weitern Personen, die nach
Art. 90 Ziff. 2 SVG
ein Delikt ist, bliebe der Täter also straflos.