Urteilskopf
98 II 199
30. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Juli 1972 i.S. Koradi und Mitbeteiligte gegen Printing Studio AG.
Regeste
Erstreckung des Mietverhältnisses (
Art. 267 a ff. OR
).
Berechnung des Streitwertes (Erw. 1).
Art. 677 ZGB
. Begriff der Fahrnisbaute (Erw. 2).
Art. 779 f. ZGB. Die Begründung eines Baurechtes ist nach
Art. 675 ZGB
nur für Dauerbauten möglich (Erw. 3).
Art. 267 a OR
. Die Miete unbebauten Landes kann nach einer Kündigung oder nach Ablauf der Mietdauer auch dann nicht erstreckt werden, wenn der Mieter auf dem Grundstück eine Fahrnisbaute errichtet hat. Ausnahmsweise analoge Anwendung des
Art. 267 a OR
in ganz besonders gelagerten Fällen (Erw. 4 a-b). Analoge Anwendung des
Art. 267 a OR
im konkreten Fall verneint (Erw. 4 c).
A.-
Die Erbengemeinschaft Binder vermietete am 3. Juli 1962 der Printing Studio AG bis 31. Dezember 1971 einen unüberbauten Teil des Grundstückes Kat. Nr. 7476, Letzigraben 93 in Zürich, damit sie darauf auf eigene Kosten das von der Bausektion II der Stadt Zürich bereits bewilligte Bauprojekt errichten könne. Am Ende des Mietvertrages hatte die Printing Studio AG diese Baute wieder zu entfernen und das Grundstück in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Der jährliche Mietzins betrug Fr. 9'000.--. Der Vertrag war für die Dauer des Mietverhältnisses im Grundbuch vorzumerken und der Bestand der von der Printing Studio AG erstellten Baute auf deren Begehren als Personaldienstbarkeit im Grundbuch einzutragen.
Am 13. Juli 1962 schlossen die Parteien eine als Baurechtsvertrag bezeichnete Vereinbarung. Danach wurde der Printing Studio AG das Recht eingeräumt, die im Mietvertrag erwähnte, behördlich bewilligte Baute zu errichten und bis 31. Dezember 1971 stehen zu lassen. Der Baurechtszins betrug jährlich Fr. 9'000.--. Dieses "Baurecht" wurde zugunsten der Klägerin als Last auf dem fraglichen Grundstück im Grundbuch eingetragen.
Mit Vereinbarung vom 25. Mai 1963 stellte die Erbengemeinschaft Binder der Printing Studio AG für die "Dauer des Mietvertrages vom 3. Juli 1962" einen Streifen Rasen "längs der Grenze des Mietobjektes" unentgeltlich zur Verfügung. Am 20. März 1967 schlossen die Parteien einen weitern Mietvertrag über eine Dreizimmerwohnung im Hause Letzigraben 93, die der Printing Studio AG zu Archiv- und Lagerzwecken dienen sollte.
Die Printing Studio AG vermietete am 4. Juli 1962 einen Teil des Gebäudes der Firma Welti-Furrer AG zu einem jährlichen Mietzins von Fr. 25'410.--.
B.-
Am 9. Dezember 1969 erwarben Heinrich Koradi, die Firma Schaeppi & Söhne, Walter Schultheiss und Paul May das Grundstück Kat. Nr. 7476, Letzigraben 93, in Zürich zu Miteigentum. Sie kündigten der Printing Studio AG den Mietvertrag auf 31. Dezember 1971 mit Schreiben vom 12. Februar 1970. Die Printing Studio AG stellte am 23. Dezember 1970 beim Mietgericht des Bezirkes Zürich das Gesuch, das Mietverhältnis gestützt auf
Art. 267 a ff. OR
vorläufig um zwei Jahre zu erstrecken. Das Mietgericht wies dieses Begehren am 23. Juni 1971 mit der Begründung ab, die Miete von unüberbauten Grundstücken unterstehe nicht den Bestimmungen über die Kündigungsbeschränkung.
Auf Rekurs der Beklagten hob das Obergericht des Kantons Zürich am 13. Januar 1972 diesen Entscheid auf und erstreckte die beiden Mietverhältnisse um ein Jahr bis zum 31. Dezember 1972.
C.-
Die Beklagten beantragen mit der Berufung, die Klage abzuweisen, eventuell eine Erstreckung nur mit Bezug auf die von der Klägerin selber benützten Räumlichkeiten zu bewilligen.
Die Klägerin beantragt, Abweisung der Berufung und verlangt mit einer Anschlussberufung, beide Mietverhältnisse um zwei Jahre, d.h. bis 31. Dezember 1973, zu erstrecken.
Die Beklagten beantragen Abweisung der Anschlussberufung.
D.-
Die Beklagten fochten den Entscheid des Obergerichts auch mit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde an, welche das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 11. April 1972 abwies.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Prozess über die Erstreckung eines Mietvertrages ist eine vermögensrechtliche Zivilstreitigkeit. Gegen kantonale Entscheide über solche Streitigkeiten ist die Berufung nur zulässig, wenn der Streitwert nach den Rechtsbegehren, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren, wenigstens 8'000 Franken beträgt (
Art. 46 OG
). Dieser Streitwert entspricht dem Mietzins, der für die Dauer der verlangten Erstreckung geschuldet ist (vgl.
BGE 88 II 59
, Erw. 1 und dort erwähnte Entscheide; JEANPRETRE, La prolongation des baux à loyer, in mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, 1970, S. 159).
Die Klägerin verlangte im kantonalen Rekursverfahren die Erstreckung der Mietverhältnisse um zwei Jahre. Sie hat für beide Mietobjekte gegenwärtig einen jährlichen Zins von insgesamt Fr. 13'000.-- zu entrichten. Der nach
Art. 46 OG
verlangte Streitwert ist somit erreicht, weshalb auf die Berufung einzutreten ist.
2.
Vor Obergericht war nicht mehr streitig, dass es sich bei der Baute, welche die Klägerin auf dem gemieteten Land errichtet hat, um eine Fahrnisbaute im Sinne des
Art. 677 ZGB
handelt. Zu diesem Schlusse gelangte man übrigens auch, wenn die Frage noch entschieden werden müsste, obwohl die Vorinstanz darüber keine besondern tatbeständlichen Feststellungen getroffen hat, weil die Klägerin zu Beginn des obergerichtlichen Augenscheins vom 20. Dezember 1971 ihren früheren Standpunkt, es liege eine Dauerbaute vor, aufgegeben hatte. Nach Ziffer 14 des Mietvertrages war die Miete zum vornherein auf den 31. Dezember 1971 befristet und gemäss Ziffer 6 hatte die Klägerin das Grundstück nach Beendigung des Mietverhältnisses innert zwei Monaten "abzuräumen" (vorbehältlich anderer schriftlicher Vereinbarung zwischen den Parteien) und das Land wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Gemäss Ziffer 12 wurde die Klägerin ausserdem verpflichtet, auf dem Baugrundstück keinerlei andere baulichen Vorkehren als die Verwirklichung des dem Vertrag (Ziffer 2) zugrunde liegenden Bauprojekts (das einen versetzbaren Stahlbau betraf) zu treffen. Keine Partei behauptet, dass anders als vorgesehen gebaut worden sei. Demzufolge liegen sowohl die subjektiven wie die objektiven Voraussetzungen des
Art. 677 ZGB
vor. Es sei im übrigen auf
BGE 92 II 227
ff. verwiesen. Dieser Entscheid wurde zu Unrecht von LIVER kritisiert (ZBJV 1968 S. 27-30), dagegen zustimmend besprochen von HUBER (ZBGR 1967 S. 183).
3.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Parteien am 13. Juli 1962 eine Vereinbarung schlossen, die sie als Baurechtsvertrag bezeichneten. Danach wurde der Klägerin als Baurechtsnehmerin das Recht eingeräumt, die im Mietvertrag erwähnte und bewilligte Baute zu errichten und bis 31. Dezember 1971 beizubehalten.
Darin liegt keine Begründung eines Baurechts im Sinne der
Art. 779 ff. ZGB
; denn ein solches kann nach
Art. 675 ZGB
nur für Dauerbauten begründet werden, die ohne Baurecht
BGE 98 II 199 S. 203
gemäss dem Akzessionsprinzip sonst ins Eigentum des Bodeneigentümers übergingen. Die Ansicht LEEMANNS (
Art. 679 ZGB
N. 9), auch eine Fahrnisbaute könne nach dieser Bestimmung Gegenstand eines nicht dauernden Baurechts sein, ist daher abzulehnen. Dagegen ist es ohne weiteres möglich, einer Person das dingliche Recht auf Errichtung einer Fahrnisbaute auf fremdem Grund und Boden einzuräumen und dieses Recht als irreguläre Personaldienstbarkeit im Sinne des
Art. 781 ZGB
im Grundbuch einzutragen (so HAAB, N. 5 zu Art. 675 und N. 2 zu
Art. 677 ZGB
; FREIMÜLLER, Die Stellung der Baurechtsdienstbarkeit im System der dinglichen Rechte, Diss. Bern 1967 S. 28). Das Bundesgericht wollte im Entscheid 92 II 234 keine andere Ansicht äussern (entgegen der Annahme HUBERS, ZBGR 1967, S. 183), sondern mit dem Satz: "Ein Baurecht kann überhaupt nicht für Fahrnisbauten, sondern nur für Dauerbauten eingeräumt werden" nur sagen, in jenem Fall habe sich die Eigentümerin des Bodens verpflichtet - wie dem Tatbestand (S. 228) entnommen werden kann -, dem Dienstbarkeitsberechtigten ein selbständiges und dauerndes Baurecht einzuräumen, was sie nicht hätte tun dürfen, wenn es sich um eine Fahrnisbaute gehandelt hätte. Die Kritik LIVERS (a.a.O. S. 30) stösst deshalb ins Leere.
Hier wurde die Dienstbarkeit, die sich mit dem vorher abgeschlossenen Mietvertrag ohne weiteres verträgt, ebenfalls bis 31. Dezember 1971 befristet. Sie hat daher für die Frage, ob das Mietverhältnis nach
Art. 267 a OR
zu erstrecken sei, keine Bedeutung.
4.
Dazu sind vielmehr hinsichtlich des Mietvertrages über das Grundstück Kat. Nr. 7476, Letzigraben 93, folgende Überlegungen anzustellen.
a) Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf
Art. 267 OR
, der in Abs. 2 Ziffer 1 für unmöblierte Wohnungen, Geschäftslokale, Werkstätten, Verkaufsläden, Magazine, Scheunen, Stallungen und ähnliche Räumlichkeiten (im Gegensatz zu möblierten Wohnungen und dergleichen sowie für bewegliche Sachen) eine längere gesetzliche Mietdauer und eine längere Kündigungsfrist vorsieht. Es kann ihr darin nur insoweit gefolgt werden, als diese Ziffer 1 überhaupt für unbewegliche Sachen, also auch für unbebauten Boden, massgebend ist, soweit es sich nicht um möblierte Wohnungen und dergleichen im Sinne der Ziffer 2 handelt. Dagegen lässt sich daraus nicht ableiten, die Bestimmungen
BGE 98 II 199 S. 204
der Art. 267 a-f über die Kündigungsbeschränkung im Mietrecht gelten schlechthin für alle unbeweglichen Sachen. Das hätte freilich aus dem Wortlaut des bundesrätlichen Entwurfs zu
Art. 267 a OR
(BBl 1968 II S. 860) geschlossen werden können; denn diese Vorschrift begann mit den Worten: "Hätte die Kündigung eines Mietverhältnisses an einer unbeweglichen Sache...". Die gesetzgebenden Behörden sind jedoch diesem Vorschlag nicht gefolgt und haben den Text in der Weise geändert, dass statt ein Mietverhältnis an unbeweglichen Sachen nunmehr ein solches an Wohnungen und Geschäftsräumen sowie mit solchen verbundenen Wohnungen geschützt wurde. Diese Änderung erfolgte absichtlich, wie sich aus dem Protokoll der Kommission des Ständerates vom 12. November 1969 S. 9 ergibt. Den Antrag dazu stellte der Kommissionsvorsitzende Amstad, der auf die Frage Heftis: "Aber ist an sich klar, dass die Möglichkeit der Kündigungsbeschränkung auf Wohnungen und Geschäftsräume beschränkt ist", antwortete: "Das geht schon aus der Fortsetzung von Abs. 1 hervor...". Die Kommission des Nationalrates stimmte dem zu, nachdem Bundesrat von Moos erklärt hatte, aus Abs. 1 von Art. 267 a gehe ohnehin unmissverständlich hervor, dass sich die vorgesehene Kündigungsbeschränkung nur auf Wohnungen und Geschäftsräume beziehe (Prot. KomNR vom 16./17. Februar 1970, S. 21). Gemäss dem Willen des Gesetzgebers kann somit die Miete unbebauten Landes nach einer Kündigung oder nach Ablauf der Mietdauer nicht erstreckt werden (gl. M. JEANPRETRE, a.a.O. S. 117).
b) In diesem Sinne hat das Bundesgericht dem Grundsatze nach am 20. Juni 1972 i.S. SBB c. Ramoni entschieden. Es wurde lediglich der Vorbehalt gemacht, Art. 267 a ff. analog auf die Vermietung von Grund und Boden anzuwenden in ganz besonders gelagerten Fällen, wenn z.B. ein unbefristeter Mietvertrag vorliegt und der Mieter mit Wissen des Vermieters eine kostspielige Fahrnisbaute zu Wohn- oder Geschäftszwecken errichtet und damit rechnen darf, dass der Mietvertrag auf absehbare Zeit nicht gekündigt wird. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Mietvertrag zwischen den Parteien war zum vornherein befristet und die Klägerin musste bei der heutigen Baukonjunktur gewärtigen, dass er nicht erneuert werde. Sie hatte fast 10 Jahre Zeit, um die Kosten der Fahrnisbaute zu amortisieren und sich nach etwas anderem umzusehen. Sie war
BGE 98 II 199 S. 205
verpflichtet, das Grundstück binnen zwei Monaten nach Beendigung des Mietverhältnisses abzuräumen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Das war auch selbstverständlich; denn zum Begriff der Fahrnisbauten gehört nach
Art. 677 ZGB
u.a., dass sie ohne Absicht bleibender Verbindung auf fremdem Boden aufgerichtet sind. Wer also Land zu diesem Zweck mietet, muss damit rechnen, dass die Bauten früher oder später entfernt werden müssen. Im vorliegenden Fall stand der Endtermin sogar zum vornherein fest.
c) Eine analoge Anwendung des
Art. 267 a OR
auf solche Fälle verbietet sich auch aus der Erwägung, dass diese Bestimmung einen Eingriff in das Eigentum bedeutet und deshalb einschränkend auszulegen ist. Das gilt um so mehr, als der Gesetzgeber, wie dargetan, den Schutz absichtlich auf Wohnungen und Geschäftsräume beschränkt hat.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Anschlussberufung der Klägerin wird teilweise abgewiesen, die Berufung der Beklagten teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich - II. Zivilkammer - vom 13. Januar 1972 aufgehoben und die Erstreckungsklage über die Miete des Grundstücks Kat. Nr. 7476, Letzigraben 93, 8003 Zürich, abgewiesen.
Im übrigen wird die Sache zu neuer Entscheidung der Erstreckungsklage betreffend die Miete der 3-Zimmer-Wohnung, Letzigraben 93, 8003 Zürich, im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.