Urteilskopf
98 II 276
40. Urteil der II. Zivilabteilung als Staatsgerichtshof vom 9. November 1972 i.S. X. gegen B.-K. und Mitbeteiligte und Obergericht des Kantons Zürich.
Regeste
Willkürliche Weigerung, dem Willensvollstrecker die Erbschaftsverwaltung zu übertragen (
Art. 554 Abs. 2 ZGB
,
Art. 4 BV
).
1. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 Abs. 2, 86 Abs. 2 und 87 OG; Erw. 1-3).
2. Die Übertragung der Erbschaftsverwaltung an den Willensvollstrecker darf nicht schon deshalb abgelehnt werden, weil zwischen ihm und den Erben Spannungen bestehen und die Erben erklären, dass er ihr Vertrauen nicht geniesse. Das Misstrauen der Erben gegen den Willensvollstrecker kann seine Ernennung zum Erbschaftsverwalter nur dann hindern, wenn Tatsachen dargetan sind, die ernstliche Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit rechtfertigen (Erw. 4).
Tatbestand:
Siehe lit. A und B des vorstehend (unter Nr. 39) abgedruckten Urteils, mit welchem das Bundesgericht auf die Berufung des Willensvollstreckers Dr. X. gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 5. Juni 1972 nicht eingetreten ist.
Im Anschluss an dieses Urteil hat das Bundesgericht die staatsrechtliche Beschwerde des Dr. X. gegen den eben erwähnten Entscheid gutgeheissen und diesen Entscheid aufgehoben.
Erwägungen:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
) ist nach
Art. 84 Abs. 2 OG
nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Falle erfüllt, da der angefochtene Entscheid der Berufung an das Bundesgericht nicht unterliegt und die geltend gemachte Rechtsverletzung auch nicht durch einen andern Rechtsbehelf beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann.
2.
Die Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger ist nach
Art. 86 Abs. 2 OG
unter Vorbehalt
BGE 98 II 276 S. 278
der dort genannten Ausnahmefälle, von denen keiner vorliegt, erst zulässig, nachdem von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist.
Die Anordnung einer Erbschaftsverwaltung ist als solche vor Obergericht nicht angefochten worden. Der Beschwerdeführer hat gegen diese vom Einzelrichter getroffene Massnahme nicht an das Obergericht rekurriert. Soweit sich die vorliegende Beschwerde gegen diese Massnahme richtet, ist sie also nach
Art. 86 Abs. 2 OG
nicht zulässig.
Hinsichtlich der Frage, ob die Erbschaftsverwaltung dem Willensvollstrecker oder einer andern Person zu übertragen sei, sind die kantonalen Rechtsmittel erschöpft; denn gegen Rekursentscheide des Obergerichts in nichtstreitigen Rechtssachen ist nach der zürcherischen Praxis (ZR 61 Nr. 101) die Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht nicht gegeben.
3.
Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
ist nach
Art. 87 OG
erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben.
Ein kantonaler Entscheid, der das Verfahren abschliesst, in welchem er zustande gekommen ist, stellt einen Endentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
dar, mag er sich als Sachentscheid erweisen oder das Verfahren aus prozessualen Gründen beenden (
BGE 94 I 368
Erw. 3 mit Hinweisen). Der angefochtene Entscheid beendet das Verfahren, das durch die Einsprache der Frau K. gegen das sie enterbende Testament veranlasst worden ist und zur Anordnung einer Erbschaftsverwaltung sowie zu deren Übertragung an einen Notar geführt hat. Dieses Verfahren ist nicht etwa derart auf ein anderes Verfahren bezogen und ihm untergeordnet, dass beide Verfahren ihrem Gegenstande nach als Einheit erschienen (vgl. hiezu
BGE 94 I 369
). Insbesondere steht dieses Verfahren, das eine Massnahme zur Sicherung des Erbgangs (vgl. die Überschrift der
Art. 551-559 ZGB
), also eine Angelegenheit der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit zum Gegenstand hat, nicht etwa zu einem allfälligen Prozess über die Gültigkeit der Enterbung oder die Teilung der Erbschaft in einer solchen Beziehung. Der angefochtene Entscheid, der dem Beschwerdeführer die Befugnis zur Verwaltung der Erbschaft nicht etwa bloss für die Dauer des erwähnten Verfahrens, sondern für die ganze Dauer der Erbschaftsverwaltung
BGE 98 II 276 S. 279
entzieht, ist also ein Endentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
.
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten, soweit sie sich dagegen richtet, dass anstelle des Beschwerdeführers ein Notar zum Erbschaftsverwalter ernannt worden ist.
4.
Das Bundesgericht kann die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen, welche die kantonale Instanz ihrem Entscheid zugrunde gelegt hat, auf staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
hin nicht frei, sondern nur auf das Vorliegen von Willkür oder Rechtsungleichheit überprüfen (
BGE 90 I 139
). Willkür ist nach der Rechtsprechung namentlich dann anzunehmen, wenn der angefochtene Akt eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (vgl. den eben angeführten Entscheid).
Hat der Erblasser einen Willensvollstrecker bezeichnet, so ist die Erbschaftsverwaltung nach
Art. 554 Abs. 2 ZGB
ihm zu übergeben. Diese Vorschrift gilt freilich nicht absolut. Die zuständige Behörde muss vielmehr die Möglichkeit haben, eine andere Person zum Erbschaftsverwalter zu ernennen, wenn der Willensvollstrecker die zur Besorgung der Verwaltung notwendigen Eigenschaften nicht besitzt (ESCHER, 3. Aufl., N. 9, und TUOR/PICENONI, N. 12 zu
Art. 554 ZGB
). Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn dem Willensvollstrecker die erforderlichen Fähigkeiten abgehen oder wenn er nicht vertrauenswürdig ist.
Im angefochtenen Entscheid hat das Obergericht dem Willensvollstrecker weder die nötigen Fähigkeiten noch die Vertrauenswürdigkeit abgesprochen. Es begründet seinen Entscheid vielmehr nur damit, dass zwischen dem Willensvollstrecker und den Erben starke Spannungen bestünden und dass er das Vertrauen der Erben nicht geniesse. Ob die ablehnende Haltung der Erben gegenüber dem Willensvollstrecker objektiv begründet sei, hat es als unerheblich offen gelassen. Damit hat es sich offensichtlich über den Sinn des
Art. 554 Abs. 2 ZGB
und der übrigen Vorschriften über die Stellung und die Befugnisse des Willensvollstreckers hinweggesetzt. Der Willensvollstrecker ist nämlich nicht Beauftragter der Erben, sondern hat diesen gegenüber eine selbständige Stellung (
BGE 90 II 380
f. Erw. 2). Die Erfüllung seiner Aufgabe, den letzten Willen des Erblassers zur
BGE 98 II 276 S. 280
Geltung zu bringen (
Art. 518 Abs. 2 ZGB
), kann zu Meinungsverschiedenheiten mit den Erben führen und zwischen ihm und den Erben starke Spannungen hervorrufen. Wäre das Bestehen solcher Spannungen für sich allein ein genügender Grund, ihm die Erbschaftsverwaltung nicht zu übertragen, so würde die Regel des
Art. 554 Abs. 2 ZGB
in vielen Fällen illusorisch und würden die dem Willensvollstrecker zustehenden Befugnisse in einer dem Zweck dieser Institution klar widersprechenden Weise eingeschränkt. Das gleiche gälte auch dann, wenn die blosse Tatsache, dass die Erben dem Willensvollstrecker nicht vertrauen, die Übertragung der Erbschaftsverwaltung an eine andere Person zu rechtfertigen vermöchte. Die Erben könnten in diesem Falle die Anwendung von
Art. 554 Abs. 2 ZGB
mit der blossen Behauptung verhindern, sie hätten kein Vertrauen zum Willensvollstrecker. Das kann unmöglich die Meinung des Gesetzes sein. Das Misstrauen der Erben lässt sich der Ernennung des Willensvollstreckers zum Erbschaftsverwalter, soll
Art. 554 Abs. 2 ZGB
nicht in missbräuchlicher Weise umgangen werden können, nur dann entgegenhalten, wenn es begründet ist, d.h. wenn Tatsachen dargetan sind, die ernstliche Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Willensvollstreckers rechtfertigen. Indem das Obergericht die Erbschaftsverwaltung einem Notar übertrug, ohne zu prüfen, ob die Vorwürfe der Erben gegen den Willensvollstrecker stichhaltig seien oder nicht, hat es sich also in willkürlicher Weise über die Regel des
Art. 554 Abs. 2 ZGB
hinweggesetzt.
Ist der angefochtene Entscheid aus diesem Grunde aufzuheben, so kann dahingestellt bleiben, ob das Obergericht den
Art. 4 BV
auch dadurch verletzt habe, dass es ohne Begründung von seiner bisherigen Praxis in solchen Fällen abwich, wie in der Beschwerdeschrift ebenfalls behauptet wird.