BGE 98 II 346 vom 28. September 1972

Datum: 28. September 1972

Artikelreferenzen:  Art. 314 ZGB , Art. 314 Abs. 1 ZGB, Art. 317 Ziff. 2 ZGB, Art. 64 OG

BGE referenzen:  91 II 162, 91 II 159, 96 II 320, 91 II 164

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

98 II 346


51. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. September 1972 i.S. Ebe gegen Zubler.

Regeste

Vaterschaftsklage; negativer Abstammungsbeweis ( Art. 314 ZGB ).
Dem Beklagten steht von Bundesrechts wegen ein Anspruch auf die Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens zur Erbringung des negativen Abstammungsbeweises zu, auch wenn er keine Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter in der kritischen Zeit nachzuweisen vermag, sofern er alle andern Beweismittel, die ihm gegenüber der Vermutung seiner Vaterschaft zur Verfügung standen, erschöpft hat. Dieser Grundsatz erfährt insofern eine Einschränkung, als er nicht gelten kann, wenn Mutter und Beklagter verschiedenen Rassen angehören und als mutmassliche Erzeuger des Kindes nur Angehörige der noch nicht erforschten Rasse in Frage kommen.

Sachverhalt ab Seite 347

BGE 98 II 346 S. 347

A.- Die im Jahre 1950 geborene Judith Zubler, wohnhaft in Brugg, schenkte am 2. Januar 1969 einem ausserehelichen Sohn Roger das Leben. Als Vater bezeichnete sie den im Jahre 1942 geborenen Pierre Ebe, einen Schwarzen aus Kamerun, mit welchem sie im Jahre 1968 in einem Spital in Fribourg zusammengearbeitet hatte. Sie gab an, Mitte April 1968 sich einmal im Zimmer von Ebe aufgehalten zu haben, wobei dieser sie zum Geschlechtsverkehr genötigt habe. Pierre Ebe anerkannte, dass Judith Zubler ihn einmal in seinem Zimmer besucht habe, doch bestritt er, dass sie dabei mit ihm allein gewesen und es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Zur gleichen Zeit unterhielt die Kindsmutter ein Liebesverhältnis mit einem Jordanier namens Naji Awad.

B.- Mutter und Kind machten am 24. Dezember 1969 beim Bezirksgericht Brugg die Vaterschaftsklage anhängig. Pierre Ebe widersetzte sich der Klage. Im Laufe des Verfahrens vereinbarten die Parteien, eine Blutgruppenexpertise und ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten (AEG) einzuholen, weshalb der Prozess bis zum 15. Oktober 1970 sistiert wurde. Das Blutgruppengutachten ergab keinen Ausschluss der Vaterschaft
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des Beklagten. Im AEG wurde nur die Frage behandelt, ob das Kind Roger Zubler der Verbindung mit einem Angehörigen des negriden Rassenkreises oder mit einem Jordanier entstamme. Der Experte Dr. Sieg vom gerichtlich-medizinischen Institut der Universität Bern stellte fest, dass das Kind ein Mischling (Mulatte) sei, welches aus der Verbindung mit einem Angehörigen des negriden Rassenkreises hervorgegangen sei, und dass als Erzeuger ein Vertreter des mediterran-orientaliden Rassenkreises ausscheide.
Das Bezirksgericht Brugg hiess die Klage am 16. April 1971 gut und erklärte Pierre Ebe zum ausserehelichen Vater des Kindes Roger Zubler. Es verpflichtete den Beklagten zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 120.-- bis zum vollendeten 7. Altersjahr, von Fr. 150.-- bis zum vollendeten 12. Altersjahr und von Fr. 200.-- bis zum vollendeten 18. Altersjahr des Kindes. Ferner wurde der Beklagte verpflichtet, der Klägerin gestützt auf Art. 317 Ziff. 2 ZGB den Betrag von Fr. 560.-- zu bezahlen. Die Genugtuungsforderung der Klägerin wurde hingegen vollumfänglich abgewiesen.

C.- Gegen das Urteil des Bezirksgerichtes erklärte der Beklagte Appellation an das Obergericht des Kantons Aargau. Er beantragte, das angefochtene Urteil aufzuheben, ein vollständiges AEG einzuholen und den Entscheid bis zur Vorlage des Gutachtens auszusetzen.
Das Obergericht wies die Appellation mit Urteil vom 5. November 1971 ab und bestätigte den Entscheid des Bezirksgerichtes. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, der Beweis, dass der Beklagte der Klägerin während der kritischen Zeit beigewohnt habe, sei erbracht und damit die Vaterschaftsvermutung im Sinne von Art. 314 Abs. 1 ZGB erstellt. Die formelle Parteiversicherung der Klägerin, wonach sie mit dem Beklagten einmal Geschlechtsverkehr gepflogen habe, werde durch entscheidende Indizien gestützt. In erster Linie sei der Brief der Klägerin an ihren Freund Awad vom 10. Juli 1968 zu erwähnen, in welchem sie diesem die Schwangerschaft gestanden und den Beklagten als Schwängerer angegeben habe. Dazu komme die durch das vorläufige AEG erstellte Tatsache, dass der Knabe Roger ein Mischlingskind aus der Verbindung mit einem Angehörigen des negriden Rassenkreises sei; die Zahl der möglichen Schwängerer sei dadurch äusserst gering. Es sei nicht anzunehmen, dass der Beklagte oder Awad es nicht
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bemerkt hätten, wenn sich die Klägerin mit einem weiteren Neger eingelassen hätte. Sie hätten aber nichts dergleichen vorgebracht. Es erübrige sich daher, dem vom Beklagten erhobenen Antrag auf Durchführung eines vollständigen AEG stattzugeben. Dasselbe gelte für den erst vor Obergericht gestellten Antrag auf Anordnung einer serostatistischen Begutachtung. Ausserdem sei die serologische Struktur der afrikanischen Bevölkerung zu wenig bekannt, als dass ein solches Gutachten mit Erfolg eingeholt werden könnte.

D.- Der Beklagte erhob Berufung an das Bundesgericht, in welcher er beantragte, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 5. November 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell die Sache gestützt auf Art. 64 OG an die Vorinstanz zur Einholung eines vollständigen AEG und zur neuen Entscheidung zurückzuweisen.
Die Kläger stellen den Antag auf Abweisung der Berufung.

E.- Das Bundesgericht holte von Prof. Ritter, dem Direktor des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Universität Tübingen, einen Bericht ein über die Frage, ob die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung die Vaterschaft eines dem negriden Rassenkreis angehörenden Beklagten mit hinlänglicher Sicherheit auszuschliessen vermöge, wenn die Mutter eine Weisse und das Kind ein Mischling ist und als weitere Schwängerer nur Neger in Frage kommen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Die nach Art. 314 Abs. 1 ZGB erstellte Vaterschaftsvermutung fällt gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung weg, wenn gegenüber der Vaterschaft des Beklagten erhebliche Zweifelsgründe nachgewiesen werden. Statt jedoch Zweifelsgründe geltend zu machen, und ebenso beim Scheitern einer dahingehenden Einrede, kann der Beklagte den direkten Beweis führen, dass das Kind nicht von ihm stamme ( BGE 91 II 162 ). Dieser negative Abstammungsbeweis kann nur mit naturwissenschaftlichen Gutachten erbracht werden (HEGNAUER, N. 40 zu Art. 314/15 ZGB).
a) Das Obergericht hat den Antrag des Beklagten auf Anordnung einer serostatistischen Begutachtung abgelehnt mit der Begründung, dass die serostatistische Auswertung nur möglich sei, wenn die Beteiligten einer Bevölkerung angehören, deren serologische Struktur bekannt sei, was bei einem Angehörigen
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des negriden Rassenkreises nicht zutreffen dürfte (HEGNAUER, N. 157 zu Art. 314/15 ZGB). Im Berufungsverfahren wird das kantonale Urteil in dieser Beziehung nicht angefochten. Die Frage, ob der Beklagte die Anordnung einer derartigen Untersuchung verlangen könne, braucht daher nicht geprüft zu werden.
b) Hingegen macht der Beklagte geltend, die Vorinstanz habe ihm verunmöglicht, den direkten Beweis seiner Nichtvaterschaft zu erbringen, indem sie seinen Antrag auf Anordnung eines vollständigen AEG abgelehnt habe. Sie habe dadurch Bundesrecht verletzt, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Vornahme dieser Aktenergänzung an das Obergericht zurückzuweisen sei. Der Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang auf BGE 91 II 159 ff. In diesem Urteil hat das Bundesgericht festgehalten, dass dem Beklagten im Vaterschaftsprozess von Bundesrechts wegen ein Anspruch auf die Einholung eines AEG zur Erbringung des negativen Abstammungsbeweises zusteht, auch wenn er keine Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter in der kritischen Zeit nachzuweisen vermag, sofern er alle anderen Beweismittel, die ihm gegenüber der Vermutung seiner Vaterschaft zur Verfügung standen, erschöpft hat (insbesondere S. 168). In seinem Entscheid BGE 96 II 320 Erw. 6 a hat das Bundesgericht allerdings eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem AEG als Beweismittel an den Tag gelegt, ohne indessen auf seine Rechtsprechung im Urteil BGE 91 II 164 , worin dem AEG der Rang eines vollwertigen Beweismittels zuerkannt wurde, zurückzukommen.
Im Hinblick auf diese Rechtsprechung, wonach der Beklagte grundsätzlich Anspruch auf die Anordnung eines AEG erheben kann, gelangte das Bundesgericht an Prof. Ritter, Direktor des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Universität Tübingen, mit der Frage, ob ein AEG auch dann über die Vaterschaft Klarheit verschaffen könne, wenn der Beklagte dem negriden Rassenkreis angehört und das Kind ein Mulatte ist. Dem von Prof. Ritter am 7. September 1972 erstatteten Bericht ist zu entnehmen, dass die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung nicht den genügenden Sicherheitsgrad vermittelt im Falle, dass als Erzeuger des Kindes einer weissen Mutter nur Neger in Frage kommen. Der Experte führt aus, unter diesen Umständen sei die Variabilität zwischen den Männern sehr viel kleiner als die Variabilität zwischen der weissen Mutter
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und einem jeden der Männer. Da das Kind eine Mittelstellung zwischen dem europiden und dem negriden Rassenkreis einnehme, könne es wegen dieser grossen Variabilität zwischen den Erwachsenen nicht eindeutig nur einem der Männer zugeordnet werden. Eine zusätzliche Schwierigkeit bestehe darin, dass die Gültigkeit der erbbiologischen Gutachten weitgehend abhänge von der Erfahrung des Experten, heute aber unter den Sachverständigen bezüglich des negriden Rassenkreises die nötige Erfahrung fehle. Auch sei wissenschaftlich nicht geprüft, inwieweit Mulattenkinder bei definierter Neger-Weissen-Kombination überhaupt variieren können. Prof. Ritter vertrat daher die Ansicht, dass das AEG als Beweismittel abgelehnt werden sollte, wenn zwei oder mehr Neger als Erzeuger des Kindes einer weissen Mutter in Betracht kommen.
Demgegenüber reichte der Beklagte ein Schreiben von Prof. Läuppi vom gerichtlich-medizinischen Institut der Universität Bern vom 5. Juni 1972 zu den Akten ein, in welchem eine Stellungnahme von Dr. Sieg, der die vorläufige anthropologisch-erbbiologische Begutachtung vorgenommen hatte, wiedergegeben wurde. Dr. Sieg vertrat die Meinung, es sei nicht von Belang, dass es sich beim Beklagten um einen Afrikaner handle, da für die im Ähnlichkeitsvergleich zu berücksichtigenden Merkmale die gleichen Erbgesetzmässigkeiten für die gesamte Menschheit gelten würden. Es bestehe daher eine reelle Chance, dass sich mittels eines AEG feststellen lasse, ob der Beklagte der Erzeuger des Kindes Roger sei oder nicht.
Diese nicht weiter begründete Meinungsäusserung von Prof. Läuppi bzw. Dr. Sieg vermag aber im Hinblick auf den detaillierten und fundierten Bericht von Prof. Ritter nicht zu überzeugen. Wird in Betracht gezogen, dass Erblichkeit und Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung die wichtigsten Bewertungsgrundlagen für die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung darstellen (BEITZKE/HOSEMANN/DAHR/SCHADE, Vaterschaftsgutachten für die gerichtliche Praxis, 2. Aufl., S. 158), so muss es in Übereinstimmung mit dem Bericht von Prof. Ritter als fraglich erscheinen, ob die Experten in Vaterschaftsgutachten über genügende Erfahrung verfügen, um den Ähnlichkeitsvergleich zwischen einem Mulattenkind und einem Angehörigen des negriden Rassenkreises als mutmasslichen Erzeuger vorzunehmen. Sie werden kaum in der Lage sein, die spezifischen, individuellen Kennzeichen von den Rassenmerkmalen
BGE 98 II 346 S. 352
zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist aber nach BEITZKE/HOSEMANN/DAHR/SCHADE, a.a.O., wesentlich, was Dr. Sieg übersehen hat; denn dem Vergleich zwischen dem Kind und dem mutmasslichen Vater kommt nur dann Beweiskraft zu, wenn er sich auf die spezifischen und nicht nur auf die rassischen Merkmale bezieht.
Nach dem Ausgeführten steht zum vornherein fest, dass das Ergebnis der anthropologisch-erbbiologischen Begutachtung des Beklagten ungewiss sein wird. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Regeln, wonach ein Beklagter im Vaterschaftsprozess grundsätzlich den Beizug eines AEG verlangen kann, beziehen sich nur auf den Normalfall, in dem sämtliche Beteiligten zur gleichen Rasse gehören und die Begutachtung weitgehend sichere Resultate verspricht; sie haben jedoch keine Geltung für den vorliegenden Fall, wo Mutter und Erzeuger verschiedenen Rassen angehören und als mutmassliche Erzeuger nur Angehörige der unbekannten Rasse in Frage kommen. Wenn die Vorinstanz unter diesen Umständen den Antrag des Beklagten auf Einholung eines vollständigen AEG auf dem Wege der antizipierten Beweiswürdigung abgelehnt hat, so kann ihr keine Verletzung von Bundesrecht zur Last gelegt werden.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau (1. Zivilabteilung) vom 5. November 1971 bestätigt.

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