BGE 98 IV 241 vom 26. Oktober 1972

Datum: 26. Oktober 1972

Artikelreferenzen:  Art. 28 StGB, Art. 141 StGB, Art. 922 ZGB, Art. 923 ZGB, Art. 924 ZGB, Art. 965 OR, Art. 966 OR, Art. 967 OR , Art. 28 Abs. 1 und Art. 141 Abs. 4 StGB, Art. 141 Abs. 4 StGB, Art. 967 Abs. 1 OR, Art. 922 Abs. 2 ZGB

BGE referenzen:  123 IV 9 , 87 IV 117, 87 IV 119, 93 II 479, 93 II 480

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

98 IV 241


48. Urteil des Kassationshofes vom 26. Oktober 1972 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt.

Regeste

Art. 28 Abs. 1 und Art. 141 Abs. 4 StGB ; Strafantrag bei Unterschlagung.
Derjenige, welchem der Besitz der Urkunde eines auf seinen Namen lautenden Checks nicht übertragen wird, ist nicht zur Stellung des Strafantrages wegen Unterschlagung berechtigt.

Sachverhalt ab Seite 241

BGE 98 IV 241 S. 241

A.- X. ist Inhaber eines Postfachs beim Postamt Basel 2. Infolge Irrtums eines Postbeamten wurde ihm Anfang Juli 1971 eine an Y. adressierte Sendung, welche einen auf diesen lautenden Check der Bank of New York über US-Dollar 1'841.24 enthielt, ins Fach gelegt. Obschon er wusste, dass die Sendung nicht für ihn bestimmt war, sprach er am 12. Juli 1971 beim Schweizerischen Bankverein in Basel vor, gab sich dem Kassier als Y. aus und bat um Einlösung des Checks. Nachdem die Bank fernschriftlich in New York angefragt hatte, ob Deckung bestehe, und obschon sie darauf keine schlüssige Antwort erhalten hatte, zahlte sie X. auf sein Drängen hin schliesslich am 11. August 1971 den Gegenwert des Checks im Betrag von Fr. 7'539.20 aus. X. verwendete das Geld für private Zwecke.

B.- Am 17. März 1972 verurteilte das Strafgericht Basel-Stadt X. wegen Unterschlagung zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von drei Monaten.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, an welches der Verurteilte die Sache u.a. mit der Begründung weitergezogen
BGE 98 IV 241 S. 242
hatte, dass kein gültiger Strafantrag vorliege, bestätigte am 9. August 1972 den erstinstanzlichen Entscheid im Schuld- und Strafpunkt.

C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zur Einstellung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt beantragt Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Strafantrag nach Art. 141 Abs. 4 StGB von Y. gestellt worden ist, für welchen der Check, den der Beschwerdeführer sich angeeignet hatte, bestimmt gewesen war. Die Vorinstanz hat diesen Antrag als rechtsgültig anerkannt. Die Unterschlagung gehöre zu den strafbaren Handlungen gegen das Eigentum. Das durch Art. 141 StGB geschützte Rechtsgut sei also das Eigentum, und die Antragsberechtigung komme demzufolge zunächst dem Eigentümer als dessen Träger zu. Indessen sei diese systematische Einreihung der Bestimmung für das Antragsrecht nicht entscheidend ( BGE 74 IV 7 ). Es sei vielmehr auf die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen. Art. 141 StGB wolle vor allem die rechtswidrige Aneignung irrtümlich bezahlten Geldes erfassen ( BGE 87 IV 119 ). Tatobjekt sei im vorliegenden Fall ein auf Y. und dessen Order gestellter Check gewesen, dessen wirtschaftliche Bedeutung derjenigen des Geldes nahekomme. Da aber der Tatbestand des Art. 141 StGB nicht auf Wertpapiere zugeschnitten sei, müsse dem Sinn der Bestimmung durch entsprechende Auslegung Rechnung getragen werden. Nach diesem und der wirtschaftlichen Bedeutung des Checks sei es naheliegend, nicht nur den Berechtigten am Papier, als welcher hier nur der Aussteller oder die bezogene Bank in Betracht komme, sondern auch den Berechtigten aus dem Papier als den unmittelbar in seinen Vermögensrechten Verletzten zum Strafantrag befugt zu erachten. Dieser Schluss dränge sich auf, nachdem das Bundesgericht in BGE 87 IV 117 Forderungen den beweglichen Sachen gleichgestellt habe.
Demgegenüber wendet der Beschwerdeführer ein, Y. habe die Legitimation zur Stellung des Strafantrags gefehlt, weil er nicht unmittelbar Verletzter im Sinne des Art. 141 in Verbindung
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mit Art. 28 StGB gewesen sei. Wer antragsberechtigt sei, bestimme sich nach dem Zweck der Norm und dem von ihr geschützten Rechtsgut. Dieses sei jedoch nach Art. 141 StGB nur das Eigentum und nicht das Vermögen schlechthin. Eigentümer des Checks sei jedoch Y. nie gewesen, und was BGE 87 IV 117 angehe, so sei dieses Urteil nicht unangefochten geblieben.
Die Frage, ob unmittelbar geschütztes Rechtsgut des unter den Eigentumsdelikten eingeordneten Art. 141 StGB in Anwendung der in BGE 87 IV 117 ausgesprochenen Grundsätze nicht nur das Eigentum, sondern weiter das Vermögen sei und ob demgemäss im Fall der Unterschlagung eines Wertpapiers ausser dem Berechtigten am Papier, d.h. dem Papiereigentümer, auch der Berechtigte aus dem Papier als unmittelbar Verletzter zu gelten habe und zur Stellung des Strafantrages befugt erscheine, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Vorinstanz und übrigens auch der Beschwerdeführer selber haben nämlich übersehen, dass Y. zur Zeit der Unterschlagung des Checks nicht nur nicht Berechtigter am Papier, sondern auch nicht Berechtigter aus dem Papier gewesen ist.
a) Dass Y. kein Eigentum am Papier gehabt hat, wurde auch von der Vorinstanz mit der Begründung angenommen, Y. habe den Check nie in Händen gehabt. In der Tat wäre dieses Recht auch bei gültiger Indossierung des auf seine Person und deren Ordre gestellten Checks (Art. 967 Abs. 2 und 1108 Abs. 1 OR) nur übergegangen, wenn der Besitz an der Urkunde auf ihn übertragen worden wäre ( Art. 967 Abs. 1 OR ). Ob eine solche Besitzesübertragung stattgefunden habe, entscheidet sich nach den sachenrechtlichen Regeln, wobei als Besitz der reine Sachbesitz an der Urkunde zu verstehen ist ( BGE 93 II 479 ; JÄGGI, Kommentar, N. 31 zu Art. 967 OR ). Nach jenen Regeln wird im Normalfall der Besitz durch Übergabe der Urkunde übertragen, die sich in einer qualifizierten Ortsveränderung (Änderung des Gewahrsams mit Willen des Veräusserers), also in einem körperlichen Vorgang äussert. Es kann jedoch unter bestimmten Umständen die Übertragung auch ohne Übergabe des Papiers geschehen, nämlich bei offener Besitzlage ( Art. 922 Abs. 2 ZGB ), bei der Besitzwandlung (brevi manu traditio), beim Besitzeskonstitut und der Besitzesanweisung ( Art. 924 ZGB in BGE 93 II 480 ; JÄGGI, op.cit. N. 33 ff. und 38 ff. zu Art. 967 OR ). In casu ist weder den Akten noch dem angefochtenen
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Urteil etwas zu entnehmen, was auf eine solche besondere Besitzlage und damit auf eine Besitzesübertragung ohne Übergabe des Papiers vor der Unterschlagung schliessen liesse. Vielmehr steht fest, dass der Aussteller oder die bezogene Bank den Check per Post an die Adresse des Y. abgesandt hat, was erkennen lässt, dass der Besitz an der Urkunde durch deren Übergabe übertragen werden sollte. Tatsächlich hat dann aber die Übertragung auf Y. infolge eines Irrtums der Post nicht stattgefunden. Denn für die Post ist der Absender Auftraggeber. Sie tritt deshalb während des Transports nicht als Mittlerin des Adressaten, sondern als Besitzesdienerin des Absenders auf, für den sie den Besitz an der Sendung bis zu deren Ablieferung ausübt. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der Absender Besitzer, der Adressat wird es erst mit der Inempfangnahme der Sendung (HOMBERGER, Kommentar, N. 16 zu Art. 923 ZGB ; TUOR/SCHNYDER, ZGB, 8. A. S. 439). Da im vorliegenden Fall die Sendung irrtümlich nicht dem Adressaten, sondern dem Beschwerdeführer abgeliefert wurde, hat Y. vor der Unterschlagung des Checks durch X. am Wertpapier keinen Besitz und damit auch kein Eigentum an der Urkunde erlangt. Er ist - wie die Vorinstanz im Ergebnis richtig angenommen hat - zur Zeit der Tat nicht Berechtigter am Papier gewesen.
b) Hieraus folgt des weitern, dass Y. auch nicht Berechtigter aus dem Papier hat sein können. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz verkennt, dass gemäss Art. 965 OR , welche Bestimmung für alle Wertpapiere und namentlich auch für den auf eine Person und deren Ordre gestellten Check gilt, die (vertragliche) Übertragung des darin verbrieften Rechtes (nebst der Indossierung, Art. 967 Abs. 2 und 1108 Abs. 1 OR) die Übertragung des Besitzes an der Urkunde voraussetzt. Die dem Wertpapier eigene Verkörperung des Rechts in der Urkunde hat zur Folge, dass der Eigentümer der Urkunde stets mit dem Gläubiger des verurkundeten Rechts identisch ist, mit anderen Worten, das Recht am Papier und das Recht aus dem Papier immer den gleichen Träger haben (JÄGGI, op.cit. N. 306 zu Art. 965). Wo deshalb - wie im vorliegenden Fall - eine Übertragung des Besitzes und damit des Eigentums an der Urkunde nicht stattgefunden hat, da kann auch das in der Urkunde verbriefte Recht nicht seinen Träger gewechselt haben. Ist demnach Y. zur Zeit der Unterschlagung des Checks durch X. auch nicht Berechtigter aus dem Papier gewesen, so fehlte ihm
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jede rechtliche Beziehung zum Handlungsgegenstand des genannten Deliktes, die ihn - selbst bei weiter Umschreibung des durch Art. 141 StGB geschützten Rechtsgutes ( BGE 87 IV 117 ) - als unmittelbar verletzten Träger desselben erscheinen liesse. Dieser Schluss rechtfertigt sich umso mehr, als seine Forderung aus dem Grundverhältnis bestehen blieb, weil bei Fehlleistung aufgrund eines Irrtums über die Identität des Ansprechers der Schuldner grundsätzlich nicht befreit wird (JÄGGI, op.cit. N. 198 und 199 zu Art. 966 OR ).
Somit ist Y. hier nicht antragsberechtigt gewesen. Sein Strafantrag war ungültig, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. Der Beschwerdeführer ist bezüglich der Anklage wegen Unterschlagung entsprechend dem kantonalen Prozessrecht entweder ausser Strafverfolgung zu setzen oder freizusprechen. Eine allfällige Forstetzung der Strafverfolgung unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt hängt vom kantonalen Verfahrensrecht ab.

Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

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