Urteilskopf
98 V 245
61. Auszug aus dem Urteil vom 1. Dezember 1972 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen Walz und Wenger sowie AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich
Regeste
Beiträge vom Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit (
Art. 8 AHVG
).
- Festsetzung im ausserordentlichen Verfahren gemäss
Art. 25 AHVV
: Auslegung dieser Bestimmung; Begriff der "nächsten ordentlichen Beitragsperiode".
- Liquidationsgewinne aus der Umwandlung einer Kollektivgesellschaft in eine Aktiengesellschaft sind von den Kollektivgesellschaftern zu verabgaben.
Aus den Erwägungen:
2.
Das ausserordentliche Verfahren der Beitragsfestsetzung gemäss Art. 24 bis 27 AHVV findet unter anderem Anwen dung, wenn der Beitragspflichtige eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnimmt. In diesem Falle ermittelt die Ausgleichskasse das massgebende reine Erwerbseinkommen für die Zeit von der Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit bis zum
BGE 98 V 245 S. 246
Beginn der nächsten ordentlichen Beitragsperiode und setzt die entsprechenden Beiträge fest (
Art. 25 Abs. 1 AHVV
). Dabei sind die Beiträge in der Regel für jedes Kalenderjahr auf Grund des jeweiligen Jahreseinkommens zu bestimmen. Hingegen ist für die Beiträge des Vorjahres der nächsten ordentlichen Beitragsperiode in jedem Falle das reine Erwerbseinkommen massgebend, welches der Beitragsbemessung für diese Periode zugrunde zu legen ist (
Art. 25 Abs. 2 AHVV
).
Um den Sinn dieser Regelung für das "Vorjahr" zu erläutern, ist zunächst klarzustellen, was in diesem Zusammenhang unter der "nächsten ordentlichen Beitragsperiode" zu verstehen ist. Offensichtlich kann es sich nur um eine Beitragsperiode handeln, für welche die Beiträge nach dem ordentlichen Veranlagungsverfahren für Selbständigerwerbende, d.h. nach
Art. 22 und 23 AHVV
festzusetzen sind. In der Fassung der Vollzugsverordnung vom 30. Dezember 1953, in Kraft ab 1. Januar 1954 (AS 1954 S. 219), war dies ausdrücklich gesagt: Art. 25 Abs. 1 lit. c bestimmte nämlich, im ausserordentlichen Verfahren erfolge die Beitragsbemessung "für das Vorjahr der nächsten ordentlichen Beitragsperiode, für welche die Beiträge gemäss Art. 24 berechnet werden können, auf Grund des Einkommens, welches der Beitragsbemessung für diese nächste Beitragsperiode zugrunde zu legen ist"; der genannte Art. 24 normierte das ordentliche Veranlagungsverfahren für die Beiträge der Selbständigerwerbenden. Diese damaligen Verordnungsbestimmungen galten immer als gesetzeskonform (vgl. EVGE 1959 S. 133). Als dann der Bundesrat am 19. November 1965 die Vollzugsverordnung zum AHVG erneut revidierte und die betreffenden Bestimmungen in die heute noch geltende systematischere und straffere Fassung brachte, fiel die oben erwähnte (kursiv gesetzte) Präzisierung weg. Damit war jedoch keine inhaltliche Änderung beabsichtigt. Vielmehr war jener Nebensatz offenbar als unnötige Selbstverständlichkeit betrachtet und lediglich aus diesem Grunde gestrichen worden. Daraus folgt, dass als "nächste ordentliche Beitragsperiode" diejenige Beitragsperiode gilt, für welche das Jahr der Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit Teil der gemäss
Art. 22 Abs. 2 AHVV
massgebenden Berechnungsperiode bildet, wobei mindestens 12 Monate der selbständigen Erwerbstätigkeit in diese Berechnungsperiode fallen müssen (vgl. die Anwendungsfälle
BGE 98 V 245 S. 247
ZAK 1971 S. 443 ff. und das nicht veröffentlichte Urteil vom 6. September 1972 i.S. Minder; ferner EVGE 1959 S. 130 ff. = ZAK 1959 S. 383).
Welche Bedeutung hat nun - aus dieser Sicht - die Regelung für das "Vorjahr" der nächsten ordentlichen Beitragsperiode gemäss
Art. 25 Abs. 2 Satz 2 AHVV
? Nach ständiger Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts stellt
Art. 25 AHVV
eine Ausnahmebestimmung dar, die nicht extensiv auszulegen und anzuwenden ist. Deshalb soll vom ausserordentlichen Verfahren der Beitragsfestsetzung so bald als möglich zum ordentlichen Verfahren übergegangen werden, auch wenn noch nicht eine volle zweijährige Berechnungsperiode zur Verfügung steht, genügt doch - wie gesagt - für die ordentliche Beitragsberechnung eine Steuerveranlagung, die ein während mindestens 12 Monaten innerhalb der Berechnungsperiode erzieltes Einkommen ausweist (ZAK 1971 S. 443, 1969 S. 296). Da im Rahmen des ordentlichen Verfahrens aber nicht die beiden unmittelbar der Beitragsperiode vorangehenden Jahre, sondern das zweit- und drittletzte Jahr vor der Beitragsperiode die Berechnungsperiode bilden, musste für den Übergang vom ausserordentlichen Verfahren, in welchem Berechnungs- und Beitragsjahr identisch sind (Gegenwartsbemessung), zum ordentlichen Verfahren eine Regelung für das Jahr unmittelbar vor der ordentlichen Beitragsperiode getroffen werden, in welcher das ordentliche Verfahren erstmals zur Anwendung gelangen kann. Diese notwendige Regelung für das Vorjahr ist nun nach der einheitlichen Zweckbestimmung des gesamten
Art. 25 AHVV
ausgerichtet: Es soll möglichst bald zum ordentlichen Verfahren gewechselt werden und allfällige anfängliche Unebenheiten können in der späteren Konstanz des ordentlichen Verfahrens ihren Ausgleich finden; deshalb sollen für das Vorjahr die gleichen Berechnungsgrundlagen gelten wie für die nächste bzw. erste ordentliche Beitragsperiode. Daraus erhellt, dass die Regelung betreffend das Vorjahr nur dort Sinn und Berechtigung hat, wo in den folgenden Jahren eine Veranlagung im ordentlichen Verfahren stattfinden kann; gibt es keine "nächste ordentliche Beitragsperiode", so gibt es auch kein "Vorjahr" dazu. Ist der Pflichtige in der auf das "Vorjahr" folgenden ordentlichen Beitragsperiode nicht mehr als Selbständigerwerbender zu erfassen und ist mithin ein Übergang vom ausserordentlichen zum ordentlichen Verfahren
BGE 98 V 245 S. 248
der Beitragsfestsetzung aus diesem Grunde unmöglich, so kann auch die "Übergangs"-Regelung über das Vorjahr nicht Anwendung finden. Vielmehr ist in diesen Fällen (Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit vor dem Übergang zum ordentlichen Verfahren) das ausserordentliche Verfahren bis zum Ausscheiden aus der Beitragspflicht als Selbständigerwerbender beizubehalten.
3.
Angewendet auf den vorliegenden Fall führen diese Erwägungen zu folgenden Ergebnissen:
a) Am 1. Januar 1966 nahmen die beiden Beschwerdegegner eine selbständige Erwerbstätigkeit auf. Mit Recht hat die Kasse daher das ausserordentliche Verfahren gemäss
Art. 25 AHVV
angewendet. Ab 1. Januar 1968 waren die Beschwerdegegner wiederum in unselbständiger Stellung erwerbstätig. Im gleichen Zeitpunkt begann die nächste ordentliche Beitragsperiode 1968/69. Für diese konnten jedoch die Beiträge infolge Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit nicht nach dem ordentlichen Verfahren für Selbständigerwerbende gemäss
Art. 22 und 23 AHVV
berechnet werden. Folglich ist die Sonderregel für das "Vorjahr" nach dem Gesagten nicht anwendbar. Das bedeutet, dass die Ausgleichskasse das massgebende reine Erwerbseinkommen für die Zeit von der Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit bis zu deren Aufgabe (bzw. bis zum Beginn der nächsten ordentlichen Beitragsperiode) gemäss Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AHVV zu ermitteln und gestützt darauf die Beiträge für jedes Kalenderjahr auf Grund des jeweiligen Jahreseinkommens (also einzeln für 1966 und 1967) festzusetzen hat.
Der Vorinstanz kann somit nicht beigepflichtet werden, wenn sie annimmt (Erw. 2 b in fine), das im Jahre 1966 erzielte Einkommen müsse nicht nur als Grundlage für das Beitragsjahr 1966 selbst, sondern auch für das Beitragsjahr 1967 betrachtet werden. Vielmehr sind die persönlichen Beiträge der Beschwerdegegner für das Jahr 1967 nach dem in diesem Jahr tatsächlich erzielten Einkommen festzusetzen.
b) Zum gleichen Ergebnis gelangen auch die Ausgleichskasse in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde und das Bundesamt für Sozialversicherung in seiner Vernehmlassung an das Eidg. Versicherungsgericht, jedoch mit anderer Begründung. Sie möchten
Art. 22 Abs. 3 AHVV
analog auf den vorliegenden Sachverhalt anwenden; nach dieser Bestimmung wird der
BGE 98 V 245 S. 249
Jahresbeitrag vom reinen Einkommen aus einer nebenberuflichen, gelegentlich ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit für das Kalenderjahr festgesetzt, in dem es erzielt wurde. Das Bundesamt übersieht dabei zwar nicht, dass
Art. 22 Abs. 3 AHVV
sich seinem Wortlaut nach auf Einkommen aus einer nebenberuflichen, gelegentlich ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit bezieht; aber es meint, diese Bestimmung sollte "naturgemäss auf jedes während nur verhältnismässig kurzer Zeit erzielte Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit anwendbar sein"; denn wesentlich sei das Zeitmoment: bei relativ kurzer Dauer der Erwerbstätigkeit sei ein Ausgleich der Einkommensschwankungen nicht möglich.
Dieser Auffassung kann jedoch nicht beigepflichtet werden; die Präjudizien, auf welche sich die Verwaltung stützen zu können glaubt (
BGE 96 V 58
= ZAK 1971 S. 270, ZAK 1970 S. 398 und das nicht veröffentlichte Urteil vom 26. Mai 1970 i.S. Paterlini) beziehen sich ausschliesslich auf nebenberuflich ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeiten. Eine analoge Anwendung des
Art. 22 Abs. 3 AHVV
ist umso weniger geboten, als nach den Ausführungen in Erwägung 2 die historische und teleologische Auslegung des direkt anwendbaren
Art. 25 Abs. 1 und 2 AHVV
das Problem in befriedigender und systemgetreuer Weise löst.
4.
Was die materielle Einkommensermittlung betrifft, so ist davon auszugehen, dass die Ausgleichskasse gemäss
Art. 26 Abs. 1 AHVV
das reine Erwerbseinkommen auf Grund aller ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen einzuschätzen hat.
a) Die aktenmässigen Unterlagen über den ordentlichen Reingewinn der Beschwerdegegner in den Jahren 1966 und 1967 bestehen in den beiden Meldungen der kantonalen Wehrsteuerverwaltung und in einigen Angaben aus den Geschäftsabschlüssen der Kollektivgesellschaft, die der Steuerveranlagung gedient haben. Auf Grund dieser Belege hat die Ausgleichskasse die vorne wiedergegebenen Zahlen des ordentlichen Reingewinnes für 1966 und 1967 zusammengestellt. Es ist nicht Sache des letztinstanzlichen Richters, dieses Zahlenmaterial in allen Einzelheiten auf seine Übereinstimmung mit den vorhandenen Unterlagen hin zu überprüfen; er hat denn auch nicht selber eine berichtigte Beitragsverfügung zu erlassen, sondern zu entscheiden, nach welchen Grundsätzen dies im konkreten Fall zu geschehen habe. So ist es auch hier zu
BGE 98 V 245 S. 250
halten. Die Kasse wird die von ihr in der Beschwerde zusammengestellten ordentlichen Reingewinne der Jahre 1966 und 1967, aufgeteilt auf die Beschwerdegegner im Verhältnis 2 (Walter Walz) zu 3 (Heinz Wenger), nochmals genau überprüfen und alsdann der Veranlagung des für die Beitragspflicht massgebenden Erwerbseinkommens im Sinne der vorstehenden Erwägungen zugrunde legen. Weiter wird die Kasse abklären, wie es mit der Aufrechnung der persönlichen Sozialversicherungsbeiträge steht, d.h. ob solche noch zu berücksichtigen oder ob sie allenfalls schon eingerechnet sind. Es bleibt der Kasse anheimgestellt, die vorhandenen Belege zu verwerten, diese zu ergänzen oder zu bereinigen, soweit sie dies für notwendig erachtet. Die Rückweisung soll überdies den Beschwerdegegnern Gelegenheit verschaffen, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur definitiven Berechnung einlässlich Stellung nehmen zu können.
b) Aus den Akten ergibt sich sodann, dass anlässlich der Umwandlung der Kollektivgesellschaft in eine Aktiengesellschaft Ende 1967 ein Liquidationsgewinn erzielt wurde, der gemäss Gesellschaftsvertrag zu 2/5 Walter Walz und zu 3/5 Heinz Wenger zufloss. Diese Liquidationsgewinnanteile wurden von der Steuerbehörde im Jahre 1967 mit der Jahressteuer gemäss Art. 43 WStB erfasst.
Gemäss
Art. 17 lit. d AHVV
gelten eingetretene und verbuchte Wertvermehrungen und Kapitalgewinne von zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichteten Unternehmungen als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Diese Bestimmung wurde stets als gesetzeskonform betrachtet (letztmals in
BGE 96 V 58
Erw. 2 = ZAK 1971 S. 270). Darunter fallen auch die Liquidationsgewinne, welche sich bei Auflösung oder Umwandlung eines buchführungspflichtigen Unternehmens ergeben; sie sind wirtschaftliches Ergebnis selbständiger Erwerbstätigkeit. Gemäss dem erwähnten
BGE 96 V 58
ist die Rz. 84 der Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen (gültig ab 1. Januar 1970), welche solche - wehrsteuerrechtlich mit der sogenannten Jahressteuer nach Art. 43 WStB erfassten - Kapitalgewinne nicht zum massgebenden Erwerbseinkommen zählt, nicht gesetzeskonform.
Im vorliegenden Fall war die von den Beschwerdegegnern bis Ende 1967 geführte Kollektivgesellschaft schon auf Grund
BGE 98 V 245 S. 251
des Umsatzes buchführungspflichtig. Der in den Steuerakten ermittelte Liquidationsgewinn ist Ergebnis selbständiger Erwerbstätigkeit, das buchmässig erst anlässlich der Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft erfasst wurde. Die Beschwerdegegner haben diesen Gewinn, wie ausgeführt, nach
Art. 17 lit. d und
Art. 20 Abs. 1 AHVV
sowie gemäss der einschlägigen Rechtsprechung zu verabgaben. Die gegenteilige - auch von den Beschwerdegegnern angerufene - Auffassung der Vorinstanz war bereits durch die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts überholt, als der angefochtene Rekursentscheid erging. Was die Vorinstanz im übrigen zur Begründung ihrer Auffassung ausführt, ist zudem durch das betreffend Nichtanwendung der Sonderregelung über das Vorjahr (in Erwägung 2 und 3) Gesagte widerlegt. Danach muss das für die Beitragspflicht massgebende Erwerbseinkommen für die beiden Jahre 1966 und 1967 nach der Gegenwartsbemessung veranlagt werden; demgemäss sind die genannten Anteile am Liquidationsgewinn zum Erwerbseinkommen des Jahres 1967 zu zählen, wie es die Kasse in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt.