BGE 99 II 159 vom 29. Mai 1973

Datum: 29. Mai 1973

Artikelreferenzen:  Art. 9 ZGB, Art. 52 ZGB, Art. 55 ZGB, Art. 657 ZGB, Art. 959 ZGB, Art. 16 GBV, Art. 32 OR, Art. 35 OR, Art. 216 OR , Art. 68 Abs. 1 lit. a OG, Art. 32 ff. und 216 Abs. 2 OR, Art. 55 SchlT ZGB, Art. 46 OG, Art. 216 Abs. 2 OR, Art. 55 Abs. 1 SchlT ZGB, Art. 16 Abs. 1 GBV, Art. 52 Abs. 3 SchlT ZGB, Art. 683 und 959 ZGB, Art 73 Abs. 2 OG

BGE referenzen:  140 III 200 , 90 II 281, 86 II 36, 84 II 640, 84 II 157

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

99 II 159


22. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1973 i.S. B und X gegen Erben A.

Regeste

Öffentliche Beurkundung, Stellvertretung.
1. Art. 68 Abs. 1 lit. a OG . Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde (Erw. 1).
2. Art. 32 ff. und 216 Abs. 2 OR . Das kantonale Recht darf die Gültigkeit eines formbedürftigen Vertrages nicht von der Beurkundung einer Tatsache abhängig machen, die von Bundesrechts wegen keiner besonderen Form bedarf (Erw. 2 und 3).

Sachverhalt ab Seite 159

BGE 99 II 159 S. 159

A.- Durch Vertrag vom 28. März 1968, den X öffentlich beurkundete, räumte A dem B an dem in Niederrohrdorf gelegenen Grundstück Nr. 1635 ein bis zum 31. Dezember 1977
BGE 99 II 159 S. 160
befristetes Kaufsrecht ein. Die Parteien setzten den Kaufpreis für die Parzelle, die bloss 280 m2 umfasst, im Vertrag auf Fr. 5'600.-- fest. Gemäss schriftlicher Vollmacht vom 25. März 1968 liess sich A bei der Verurkundung durch seinen Sohn vertreten.
X führte dazu in der Urkunde aus, dass der Grundeigentümer laut beglaubigter Vollmacht rechtsgültig durch seinen Sohn vertreten sei. In Wirklichkeit beglaubigte er die Unterschrift auf der Vollmachtsurkunde erst einige Tage nach dem 28. März, nachdem A sie am Telephon als die seinige anerkannt hatte.
A starb am 21. September 1968. Auf Anmeldung des X vom 28. Januar wurde das Kaufsrecht am 30. Januar 1969 im Grundbuch vorgemerkt.
Mit Schreiben vom 10. Juni 1969 teilte B den Erben des A mit, dass er von seinem Kaufsrecht Gebrauch mache. Diese weigerten sich indes, ihm das Grundstück zu Eigentum zu übertragen.

B.- Im August 1969 klagte B gegen die Erben des A insbesondere auf Feststellung, dass er gestützt auf sein Kaufsrecht rechtmässiger Eigentümer der Parzelle Nr. 1635 geworden sei.
Das Bezirksgericht Baden wies die Klage entsprechend den Begehren der Beklagten ab und befahl dem Grundbuchamt, das zugunsten des B vorgemerkte Kaufsrecht zu löschen.
B und der als Nebenintervenient am Verfahren teilnehmende X appellierten an das Obergericht des Kantons Aargau, das die Appellation am 28. Januar 1972 abwies. Das Obergericht ist der Auffassung, der Kläger könne schon deshalb nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen werden, weil das Kaufsrecht erst nach dem Tode des A beim Grundbuchamt zur Vormerkung angemeldet worden sei. Dazu komme, dass die Unterschrift des A auf der Vollmachtsurkunde unter einem falschen Datum beglaubigt worden sei, was den Vertrag nach §§ 7 und 13 des aarg. EG zum ZGB ungültig mache.

C.- B und X führen gegen dieses Urteil zivilrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und das Obergericht anzuweisen, dem Kläger das Eigentum an der Parzelle Nr. 1635 gerichtlich zuzusprechen.
Die Beklagten halten die Beschwerde für unbegründet und beantragen, sie abzuweisen.
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Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die vorliegende Sache unterliegt, wie die I. Zivilabteilung am 10. Mai 1973 entschieden hat, mangels des in Art. 46 OG vorgesehenen Streitwertes nicht der Berufung. Die Rüge der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe die Gültigkeit des Vertrages über das Kaufsrecht zu Unrecht von der Vorschrift des § 7 EG abhängig gemacht, kann dagegen gemäss Art. 68 Abs. 1 lit. a OG Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde bilden. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

2. Nach Art. 216 Abs. 2 OR bedarf ein Vertrag, durch den ein Kaufsrecht an einem Grundstück begründet wird, zu seiner Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung.
a) Die öffentliche Beurkundung ist die Aufzeichnung rechtserheblicher Tatsachen oder rechtsgeschäftlicher Erklärungen durch eine vom Staat mit dieser Aufgabe betraute Person, in der vom Staate geforderten Form und in dem dafür vorgesehenen Verfahren. Das Bundesrecht sagt selber nicht, in welcher Weise und in welchem Verfahren die öffentliche Beurkundung bei Kaufverträgen über Grundstücke, zu denen auch der Kaufsrechtsvertrag gehört ( BGE 86 II 36 ), vorzunehmen ist, noch wer solche Verträge verurkunden darf; das im einzelnen zu regeln, ist durch Art. 55 Abs. 1 SchlT ZGB vielmehr den Kantonen überlassen worden.
Der kantonalen Regelung sind indes durch das Bundesrecht Schranken gesetzt. Nach diesem Recht beurteilt sich, was unter der öffentlichen Beurkundung zu verstehen ist und welchen Mindestanforderungen sie zu genügen hat ( BGE 84 II 640 Erw. 1, BGE 90 II 281 Erw. 5 mit Zitaten). Das Bundesrecht schreibt die öffentliche Beurkundung im Verkehr mit Grundstücken insbesondere vor, weil es die Vertragsparteien vor unüberlegten Entschlüssen bewahren und dafür sorgen will, dass sie die Tragweite ihrer Verpflichtungen erkennen und dass ihr Wille in der Urkunde klar und vollständig zum Ausdruck kommt ( BGE 90 II 281 /2). Mit der öffentlichen Beurkundung will es zudem eine sichere Grundlage für den Grundbucheintrag schaffen. Mit Rücksicht auf diese Ziele muss von Bundesrechts wegen verlangt werden, dass die Urkundsperson in der von ihr zu errichtenden Urkunde alle Tatsachen und Willenserklärungen feststellt, die für den materiellrechtlichen Inhalt des zu beurkundenden Rechtsgeschäftes wesentlich sind (BGE 94 II
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272/3 und 95 II 310 mit Zitaten; MUTZNER, Die öffentliche Beurkundung im schweizerischen Privatrecht, ZSR 1921 S. 118a; BECK, N. 6 zu Art. 55 SchlT ZGB ; MEIER-HAYOZ, N. 92 zu Art. 657 ZGB ; HANS HUBER, Die öffentliche Beurkundung als Begriff des Bundesrechts, ZBJV 1967 S. 249 ff.).
Muss die kantonale Regelung einerseits die sich aus dem Begriff und Zweck der öffentlichen Beurkundung ergebenden Mindestanforderungen erfüllen, so darf sie anderseits auch nicht so weit gehen, dass sie die Wirksamkeit des Bundeszivilrechts beeinträchtigt oder verunmöglicht (MUTZNER, a.a.O. S. 113a; BECK, N. 4 zu Art. 55 SchlT ZGB ; KUMMER, N. 32a zu Art. 9 ZGB ; HUBER, a.a.O. S. 259). Sie darf insbesondere nicht die Gültigkeit eines formbedürftigen Vertrages von der Beurkundung einer Tatsache abhängig machen, die von Bundesrechts wegen keiner besonderen Form bedarf.
b) Nach Art. 32 ff. OR kann die Ermächtigung zur Stellvertretung formlos erteilt werden. Auch die Vollmacht zum Abschluss eines Rechtsgeschäftes über Eigentum oder beschränkt dingliche Rechte an Grundstücken ist formlos gültig; sie kann sogar stillschweigend, durch schlüssiges Verhalten gegeben werden ( BGE 84 II 157 mit Zitaten). Art. 16 Abs. 1 GBV ändert daran nichts; er bezieht sich nicht auf den Vertragsabschluss, sondern bloss auf die Anmeldung beim Grundbuchamt. Die Kantone dürfen. diese Regelung nicht dadurch erschweren oder unwirksam machen, dass sie die Gültigkeit der Beurkundung an Voraussetzungen knüpfen, von denen der Bundesgesetzgeber selber bewusst abgesehen hat (MUTZNER, a.a.O. S. 115a). Gewiss muss die öffentliche Urkunde über Verträge, die Rechte an Grundstücken zum Inhalt haben, die Vertragsschliessenden und allfällige Stellvertreter richtig angeben; denn diese Angaben betreffen wesentliche Punkte des Rechtsgeschäftes ( BGE 45 II 564 ff.). Daraus folgt indes nicht, die Kantone dürften die Wirksamkeit der Stellvertretung und damit die Gültigkeit des öffentlich beurkundeten Vertrages von der Einhaltung besonderer Formvorschriften abhängig machen, die dem Bundeszivilrecht widersprechen.
Soweit die Kantone die Urkundsperson im Interesse der Rechtssicherheit verpflichten, sich von der zivilrechtlichen Legitimation der Vertragsparteien und namentlich von der Befugnis ihrer allfälligen gesetzlichen oder gewillkürten Stellvertreter zu überzeugen, kann es sich somit bloss um Ordnungsvorschriften
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handeln. Ihre Missachtung macht die Urkundsperson disziplinarisch verantwortlich, die Beurkundung aber nicht ungültig. Diese Auffassung wird auch im Schrifttum vertreten (H. MARTI, Bernisches Notariatsrecht, S. 209; E. BLUMENSTEIN, Motive zum Vorentwurf eines bern. Notariatsgesetzes, S. 150; A. BURRI, Öffentliche Beurkundung nach luzernischem Recht, Diss. Zürich 1966 S. 60/1; A. SCHELLENBERG, Öffentliche Beurkundung von Rechtsgeschäften, insbesondere nach zürcherischem Recht, Diss. Zürich 1930 S. 22/3).

3. Mit § 7 des aarg. EG zum ZGB verhält es sich nicht anders. Nach dieser Bestimmung muss eine beglaubigte Vollmacht vorgewiesen und deren Vorlage in der Urkunde bescheinigt werden, wenn eine Partei sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lässt. X setzte sich darüber hinweg, indem er das Rechtsgeschäft beurkundete und in der Urkunde das Vorliegen einer beglaubigten Vollmacht bescheinigte, obwohl er die Unterschrift des Vollmachtgebers erst einige Tage später beglaubigen konnte. Die Auffassung des Obergerichts, solche Verstösse gegen § 7 machten die öffentliche Beurkundung gemäss § 13 EG unwirksam, widerspricht dem Bundesrecht, das für die Stellvertretung keine besondere Form vorsieht, die Gültigkeit der Beurkundung folglich nicht vom Vorliegen einer beglaubigten Vollmacht abhängig machen kann. Dass die Vorschriften des EG gemäss Art. 52 Abs. 3 SchlT ZGB vom Bundesrat genehmigt worden sind, steht der Prüfung der Frage, ob sie sich mit dem Bundesrecht vertragen, nicht im Wege ( BGE 63 II 294 ; BECK, N. 11 zu Art. 52 SchlT zum ZGB).
Das Obergericht hat somit statt des massgebenden eidgenössischen Rechts kantonales Recht angewendet. Für die Beurteilung der Klage, die auf Zusprechung des Eigentums abzielt, kommt ferner entgegen der Annahme der Vorinstanz nichts darauf an, dass der aus dem Kaufsrechtsvertrag Verpflichtete bei der Anmeldung des Vertrages zur Vormerkung im Grundbuch schon gestorben und somit die Vollmacht, die er der Urkundsperson zur Vornahme dieser Anmeldung erteilte, gemäss Art. 35 OR erloschen war. Die Verpflichtung des A ging auf seine Erben über, gleichviel ob der Vertrag im Grundbuch gemäss Art. 683 und 959 ZGB vorgemerkt wurde oder nicht ( BGE 46 II 233 E. 1). Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache gemäss Art 73 Abs. 2 OG zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. Die Vorinstanz
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hat dabei auch zu den übrigen Parteivorbringen Stellung zu nehmen, zu denen sie sich im angefochtenen Urteil nicht geäussert hat.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts (2. Zivilabteilung) des Kantons Aargau vom 28. Januar 1973 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückgewiesen.

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