Urteilskopf
99 II 46
8. Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Januar 1973 i.S. Stoll gegen Trümpy.
Regeste
Art. 101 Abs. 1 OR
.
Haftung eines säumigen Vermieters für das Verhalten eines Angestellten, der den Hausrat eines Mieters vorübergehend in einem Hausgang unterbringen lässt.
A.-
Mit Vertrag vom 16. Januar 1970 mietete Willy Stoll im Mehrfamilienhaus Viktoriastrasse 60 in Zürich, das dem Hotelier Hermann Trümpy gehört, eine 2 1/2-Zimmerwohnung. Der Mietbeginn wurde für den 1. Juni vorgesehen, später aber auf den 11. Mai vorverlegt. Als Frau Stoll am Vormittag des 11. Mai mit dem Umzugsgut an der Viktoriastrasse 60 eintraf, erfuhr sie, dass die Wohnung noch nicht frei, die Räumung durch den bisherigen Mieter Siegrist vielmehr erst in einigen Tagen zu erwarten sei. Nach einer Besprechung mit Richard Freitag, einem Angestellten des Eigentümers, entschloss sie sich, den Hausrat mit Ausnahme einiger Bilder für 2 bis 3 Tage im Erdgeschoss in einer Nische des Hausganges unterzubringen. Da die Räumung der Wohnung sich weiter verzögerte, beauftragte Frau Stoll den Transporteur Portner, das Umzugsgut wieder abzuholen und bei sich einzulagern. Bei dieser Gelegenheit stellte sich heraus, dass zwei Teppiche und eine Nähmaschine fehlten. Frau Stoll schätzte den Wert der abhanden gekommenen Gegenstände auf Fr. 8600.--.
B.-
Im Oktober 1970 klagte sie gegen Trümpy auf Zahlung dieses Betrages.
Das Bezirksgericht Zürich und auf Appellation hin am 12. September 1972 auch das Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Klage mit der Begründung ab, der Angestellte Freitag habe der Klägerin am 11. Mai an der Viktoriastrasse 60 zwar zugesichert, dass der Beklagte die Haftung für das dort eingelagerte Mobiliar übernehme; mit dieser Zusicherung habe
BGE 99 II 46 S. 47
Freitag seine Vertretungsbefugnisse jedoch überschritten und den Beklagten nicht verpflichten können.
C.-
Die Klägerin beantragt dem Bundesgericht auf dem Wege der Berufung, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage gutzuheissen, eventuell die Sache zur Ergänzung des Sachverhaltes an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht geltend, das Obergericht habe Art. 38 Abs. 1, 462 Abs. 1 und 472 Abs. 1 OR verletzt.
Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach dem Urteil des Bezirksgerichtes, auf dessen Feststellungen das Obergericht verweist, sollte das Mietverhältnis gemäss besonderer Abmachung der Vertragsparteien bereits am 11. Mai 1970 beginnen. Die Wohnung war an diesem Tage jedoch noch besetzt, und der bisherige Mieter Siegrist nicht bereit, sie in den nächsten Tagen zu verlassen; die Eheleute Stoll konnten sie denn auch erst am 6. Juni übernehmen. Der Beklagte befand sich somit vom 11. Mai an im Sinne von
Art. 102 Abs. 2 OR
in Verzug. Er befürchtete übrigens, dass Siegrist sich sträuben könnte, die Wohnung vor Ende Mai aufzugeben. Nach eigenen Aussagen wies er deshalb seinen Angestellten Freitag an, sich am Montag den 11. Mai an die Viktoriastrasse 60 zu begeben, um eine Ersatzlösung zu finden, "wenn alles schief gehen sollte". In Ausführung dieses Auftrages hat Freitag dann, als die Befürchtungen des Beklagten sich als begründet erwiesen, der Klägerin nach Erörterung verschiedener Möglichkeiten vorgeschlagen, den Hausrat für einige Tage im Hausgang unterzubringen. Das Obergericht hält mit dem Bezirksgericht für erwiesen, dass die Klägerin diesem Vorschlag erst auf die Zusicherung Freitags hin, der Eigentümer werde für einen allfälligen Diebstahl haften und er sei zu einer solchen Erklärung befugt, zugestimmt hat. Fragen kann sich somit bloss, wie die Stellung und das Verhalten Freitags bei der Suche nach Ersatzleistungen rechtlich zu würdigen sind.
Das Obergericht führt dazu aus, nach dem Dienstvertrag sei Freitag Personalchef und Stellvertreter Trümpys gewesen, der ausser einem Hotel etwa 10 Mietshäuser besitzt. Freitag habe sich gelegentlich auch mit der Liegenschaftsverwaltung, insbesondere
BGE 99 II 46 S. 48
mit der Kontrolle von Mietzinsen, mit Korrespondenzen und Mietverträgen befasst. Seine Vollmacht habe sich jedoch nicht auf den ganzen Geschäftsbetrieb des Beklagten bezogen, da er nicht Prokurist im Sinne von Art. 458, sondern bloss Handlungsbevollmächtigter gemäss
Art. 462 OR
gewesen sei. Als solcher habe er aber in Abwesenheit des Beklagten nicht beliebige Rechtshandlungen für seinen Arbeitgeber vornehmen dürfen.
Wie es sich damit verhält, kann indes dahingestellt bleiben, wenn Freitag als Hilfsperson im Sinne von
Art. 101 Abs. 1 OR
gehandelt hat. Nach dieser Bestimmung haftet eine Vertragspartei für das Verhalten einer Hilfsperson wie für ihr eigenes, wenn sie die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis z.B. durch einen Hausgenossen, Arbeiter oder Angestellten vornehmen lässt. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Beklagte hat seinen Angestellten Freitag mit der Erfüllung des Mietvertrages und falls die Wohnung, wie er befürchtete, noch nicht frei sein sollte, mit der Suche nach einer vorübergehenden Ersatzleistung beauftragt. Hiezu gehörte nicht bloss, dass er den Eheleuten Stoll ein zu seinem Hotel gehörendes Zimmer anbot, sondern auch, dass sein Angestellter ihren Hausrat vorübergehend im Hauseingang der Liegenschaft Viktoriastrasse 60 unterbringen liess, wovon der Beklagte übrigens noch am 11. Mai Kenntnis erhielt. Dass Freitag ihn angeblich über die Zusicherung, der Eigentümer übernehme die volle Haftung für die vorübergehende Einstellung des Hausrates, nicht unterrichtet hat, befreit ihn nicht. Nach
Art. 101 Abs. 1 OR
genügt, dass Freitag mit Wissen und Willen des Beklagten bei der Erbringung der Ersatzleistung tätig war und die Klägerin in Ausübung seiner Verrichtungen veranlasst hat, den Hausrat für einige Tage in eine Nische des Erdgeschosses zu stellen (vgl.
BGE 70 II 220
und
BGE 85 II 270
sowie dort angeführte Urteile und Literatur).
Das Lagern des Hausrates in einem Hausgang, der zu 18 Mietwohnungen führt, bot keinen genügenden Schutz gegen Diebstahl, mag das Haus auch Tag und Nacht geschlossen gewesen sein. Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, hatte die Klägerin denn auch selber Bedenken, liess sich aber durch die Erklärung Freitags beschwichtigen, dass es sich nur um einige Tage handle und der Eigentümer für einen allfälligen Schaden aufkomme. Ob Freitag wahrheitswidrig erklärte, der
BGE 99 II 46 S. 49
Eigentümer übernehme das Risiko und er sei zu einer solchen Erklärung befugt, kann auch in diesem Zusammenhang offen bleiben. Der Beklagte könnte sich nicht darauf berufen, dass der Angestellte schuldhaft gehandelt oder seine Befugnisse überschritten habe; das Verschulden der Hilfsperson wäre ihm vielmehr als eigenes anzurechnen. Es genügt, dass die Zusicherung des Angestellten für den Entschluss der Klägerin kausal und dass die objektiv mangelhafte Ersatzleistung nach der allgemeinen Lebenerfahrung geeignet war, zu einem Schaden der eingetretenen Art zu führen. Der Beklagte könnte sich nur mit dem Beweis entlasten, dass sein Angestellter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewandt habe, was aber offensichtlich nicht zutraf (vgl.
BGE 70 II 221
).
2.
Das Urteil des Obergerichts, das die Haftung des Beklagten zu Unrecht verneint hat, ist daher aufzuheben und die Sache zur Ermittlung und Berechnung des Schadens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht hat dabei von der Haftung für Hilfspersonen gemäss
Art. 101 Abs. 1 OR
auszugehen. Dass die Klägerin sich im bisherigen Verfahren nicht auf diese Bestimmung berufen hat, schadet ihr nicht; denn das Bundesgericht ist an die rechtliche Begründung der Parteianträge nicht gebunden (
Art. 63 Abs. 1 Satz 2 OG
). Es genügt, dass die Klägerin auch die für die Haftung des Beklagten aus
Art. 101 OR
erheblichen Tatsachen vorgebracht hat.
Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob zwischen den Parteien ein Hinterlegungsvertrag im Sinne von
Art. 472 ff. OR
zustande gekommen sei und die Haftung des Beklagten wegen Verletzung eines solchen Vertrages zu bejahen wäre.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts - II. Zivilkammer - des Kantons Zürich vom 12. September 1972 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.