Urteilskopf
100 Ib 293
49. Auszug aus dem Urteil vom 13. November 1974 i.S. Fischer gegen Staat Aargau.
Regeste
Enteignungsverfahren
Die in
Art. 41 EntG
vorgesehenen Säumnisfolgen treten für den geschädigten Mieter nur ein, wenn eine öffentliche Auflage in der Gemeinde der gelegenen Sache erfolgte oder ihm durch den Vermieter von der Enteignung Mitteilung gemacht wurde. Der Vermieter ist im Enteignungsverfahren nicht Vertreter des Mieters.
A.-
Am 1. Juli 1970 beschloss der Grosse Rat des Kantons Aargau den Bau der Schweizerischen Hauptstrasse T 5 Brugg I.O., Ausbau Zollplätzli. Gestützt auf § 4 des kantonalen
BGE 100 Ib 293 S. 294
Strassenbaugesetzes und Art. 11 des BB über die Verwendung des für den Strassenbau bestimmten Anteils am Treibstoffzollertrag vom 23.12.1959 (SR 725.116.2 S. 4) wurde zum Zwecke der Landbeschaffung u.a. gegen E. Baumann, Eigentümer der Wohn- und Geschäftsliegenschaft GB Brugg Nr. 1115, das bundesrechtliche Enteignungsverfahren eingeleitet. Baumann hatte mit Vertrag vom 21. Januar 1972 in der genannten Liegenschaft befindliche Räumlichkeiten für die Dauer von fünf Jahren an Coiffeurmeister Peter Fischer vermietet. Der Mietvertrag war im Grundbuch nicht vorgemerkt worden.
Für die Durchführung der Enteignung wurde das abgekürzte Verfahren nach Art. 33 f. EntG bewilligt. Am 3. März 1973 wurde Baumann die Enteignung persönlich angezeigt mit dem Bemerken, dass neben ihm als Grundeigentümer "Dienstbarkeits- und Nutzniessungsberechtigte des betreffenden Grundstücks" befugt seien, Eingaben einzureichen, und dass er allenfalls Berechtigten, deren Rechte durch die Enteignung beeinträchtigt werden könnten, sofort von der persönlichen Anzeige Kenntnis zu geben habe. Baumann teilte seinem Mieter Fischer die Enteignungsanzeige erst am 2. Juni 1973 mit. Am 10. desselben Monats machte Fischer jenem gegenüber schriftlich eine Schadenersatzforderung von ca. Fr. 30 000.-- geltend, und nachdem der Staat Aargau dem genannten Mieter am 18. Juni 1973 die Auflösung des Mietverhältnisses auf Ende 1973 angekündigt hatte, reichte dieser am 29. Juni 1973 die vorgenannte Schadenersatzforderung beim Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission (ESchK), 8. Kreis, ein.
B.-
Am 29. März 1974 trat die ESchK auf das Forderungsbegehren Fischers wegen Verspätung nicht ein bzw. wies dieses ab. Zur Begründung führte sie aus, Baumann sei der ihm als Vermieter obliegenden Pflicht zur sofortigen Benachrichtigung des Mieters Fischer nicht rechtzeitig nachgekommen; er habe diesem von der Enteignungsanzeige, die er am 3. März 1973 erhalten habe, erst am 2. Juni 1973 Meldung gemacht. Die Eingabe Fischers vom 29. Juni 1973 sei daher nicht innert der gesetzlichen Frist von 30 Tagen gemäss
Art. 30 und 37 EntG
eingereicht worden. Eine nachträgliche Eingabe der Entschädigungsforderung sei ausgeschlossen, weil Fischer die Geltendmachung seiner Ansprüche nicht wegen
BGE 100 Ib 293 S. 295
unverschuldeter Hindernisse verunmöglicht gewesen noch der Bestand seines Rechtes erst später zu seiner Kenntnis gelangt sei; die Voraussetzungen der
Art. 41 Abs. 1 lit. a und b EntG
seien deshalb nicht erfüllt.
C.-
Fischer ficht diesen Entscheid mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Er rügt eine Verletzung von Art. 19 VO für die ESchK sowie von
Art. 41 lit. a und
Art. 38 EntG
.
Die ESchK hat sich ausdrücklich, das Baudepartement des Kantons Aargau sinngemäss mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen lassen.
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 41 Abs. 1 lit. a EntG
können Entschädigungsforderungen auch nach Ablauf der Eingabefrist noch geltend gemacht werden, wenn ein Berechtigter den Nachweis leistet, dass ihm oder seinem Vertreter die Geltendmachung seiner Ansprüche wegen unverschuldeter Hindernisse unmöglich war oder ihm der Bestand seines Rechts erst später zur Kenntnis gelangt ist.
Fischer macht geltend, er sei durch ein unverschuldetes Hindernis, nämlich durch die Säumnis Baumanns in der Benachrichtigung von der rechtzeitigen Geltendmachung seiner Forderung abgehalten worden. Weder Baumann noch dessen Anwalt seien seine Vertreter gewesen, so dass deren Verhalten ihm nicht angerechnet werden könne. Nachdem er vom Enteignungsverfahren Kenntnis erhalten habe, habe er seine Forderung innerhalb von 30 Tagen angemeldet.
3.
a)
Art. 41 EntG
ist nur anwendbar, wenn ein Enteignungsverfahren stattgefunden hat und dem Geschädigten im Laufe dieses Verfahrens Gelegenheit geboten wurde, seine Forderung rechtzeitig anzumelden. Diese Gelegenheit erhält er dann, wenn eine öffentliche Auflage in der Gemeinde der gelegenen Sache erfolgt oder ihm - im abgekürzten Verfahren - eine persönliche Anzeige zugeht (
BGE 92 I 178
,
BGE 100 Ib 200
). Wird der Geschädigte nicht in dieser Weise in das Enteignungsverfahren einbezogen und ihm damit keine Eingabefrist angesetzt, so kann er diese auch nicht versäumen. Dann aber stellt sich auch die Frage der Anwendung von
Art. 41 EntG
nicht (vgl. auch
BGE 67 I 172
ff.,
BGE 71 I 300
,
BGE 100 Ib 203
f.).
BGE 100 Ib 293 S. 296
b) Ist der Geschädigte Mieter, so wird ihm gemäss
Art. 32 EntG
die Enteignung durch den Vermieter angezeigt. Es stellt sich damit die Frage, ob die Benachrichtigung des Mieters durch den Vermieter lediglich die persönliche Anzeige des Enteigners ersetzt, der Vermieter somit als Hilfsperson des Enteigners handelt, oder ob der Vermieter auf Grund seiner gesetzlichen Mitteilungspflicht als Vertreter des Mieters anzusehen sei; letztere Überlegung scheint dem angefochtenen Entscheid zugrunde zu liegen.
Nach
Art. 32 EntG
hat der Vermieter, wo durch die Enteignung in Mietverträge eingegriffen wird, die nicht im Grundbuch vorgemerkt sind, seinem Mieter davon sofort nach Empfang der Enteignungsanzeige Mitteilung zu machen, und nach
Art. 34 Abs. 1 lit. g EntG
hat die an den Vermieter ergangene persönliche Anzeige die Aufforderung zur Benachrichtigung des Mieters gemäss
Art. 32 EntG
zu enthalten. Zur Anmeldung von Forderungen aber ist der Mieter selber verpflichtet (
Art. 37 EntG
). Bei dieser Rechtslage kann nicht gesagt werden, der Vermieter vertrete den Mieter in der Enteignungssache (s.
BGE 96 I 472
E. 2a). Es obliegt ihm von Gesetzes wegen eine Meldepflicht, ohne dass ihm auch das Recht zustünde, für den Mieter mit Wirkung für ihn im Enteignungsverfahren Rechtshandlungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Solches würde auch nicht aus dem Mietverhältnis folgen. Vielmehr erscheint der Vermieter hier praktisch als Hilfsperson des grundsätzlich anzeigepflichtigen Enteigners, der vom Gesetzgeber im Falle nicht im Grundbuch eingetragener Mieten von dieser Pflicht nur deswegen befreit wurde, weil er in den wenigsten Fällen, selbst wenn er von der Vermietung Kenntnis hat, wissen kann, wieweit die Rechte der Mieter gehen und ob diese zu den Entschädigungsberechtigten gehören (BBl 1926 II S. 44). Allgemeiner darf sogar gesagt werden, dass es unter den heutigen Verhältnissen dem Enteigner überhaupt nicht mehr zumutbar wäre, in allen Fällen die bloss obligatorisch berechtigten Mieter auch nur ausfindig zu machen.
Ersetzt demnach die Mitteilung des Vermieters an den Mieter die persönliche Anzeige des Enteigners, so läuft auch die Eingabefrist für den Mieter erst vom Empfang der Mitteilung des Vermieters an.
BGE 100 Ib 293 S. 297
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit auf sie einzutreten ist, und die Sache an die Eidgenössische Schätzungskommission, 8. Kreis, zur Anhandnahme des vom Beschwerdeführer am 29. Juni 1973 eingereichten Forderungsbegehrens zurückgewiesen.