Urteilskopf
103 Ib 69
14. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Mai 1977 i.S. Sprecher gegen Sprecher und Direktion des Innern des Kantons Zürich
Regeste
Anerkennung der Scheidung, die ein in Schweden wohnhafter Schweizer gegen seine in ihrer schweizerischen Heimat wohnhafte Ehefrau bei einem schwedischen Gericht erwirkt hat.
Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen des Abkommens zwischen der Schweiz und Schweden über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 15. Januar 1936 betreffend:
- die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (E. 2);
- den Vorbehalt des schweizerischen ordre public (E. 3);
- die Vereinbarkeit des angewendeten materiellen Rechts mit dem Recht, das nach dem schweizerischen internationalen Privatrecht anwendbar ist (E. 4).
Hans Sprecher, Bürger von Bauma/ZH, heiratete am 31. Mai 1958 die ursprünglich französische Staatsangehörige Alice Marie Louise Guettard. Ehelicher Wohnsitz war Genf. Mit Urteil vom 14. Oktober 1969 wies das Tribunal de première instance des Kantons Genf eine Scheidungsklage des Ehemannes ab. Dieser liess sich in jener Zeit in Schweden nieder, wo er heute noch wohnt, während die Ehefrau in Genf blieb.
Am 20. Mai 1976 erwirkte Hans Sprecher beim "Södra Roslags Tingsrätt" in Stockholm die Scheidung der Ehe. Das Scheidungsurteil wird damit begründet, dass nach Ablauf einer Bedenkzeit von sechs Monaten jeder Ehegatte die Scheidung verlangen könne, dass diese Frist abgelaufen sei und dass dem Scheidungsbegehren demzufolge stattzugeben sei.
Hans Sprecher verlangte die Eintragung des Scheidungsurteils in das Zivilstandsregister der Gemeinde Bauma, welchem Begehren sich seine ehemalige Ehefrau widersetzte. Mit Verfügung vom 25. Oktober 1976 lehnte die Direktion des Innern des Kantons Zürich als kantonale Aufsichtsbehörde über das Zivilstandswesen die Eintragung ab.
Gegen diese Verfügung führt Hans Sprecher Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen vom 1. Juni 1970 (AS 1976 S. 1546 ff.) ist sowohl von der Schweiz als auch von Schweden ratifiziert worden. Für Schweden ist es am 24. August 1975, für die Schweiz am 17. Juli 1976 in Kraft getreten. Die Schweiz hat sich jedoch bei der Ratifikation das Recht vorbehalten, das Übereinkommen nicht auf eine Ehescheidung anzuwenden, die vor diesem Zeitpunkt erwirkt worden ist (AS 1976 S. 1544). Gemäss einer bei den Akten liegenden Bescheinigung der schweizerischen Botschaft in Stockholm ist das Scheidungsurteil des "Södra Roslags Tingsrätt" vom 20. Mai 1976 am 28. Mai 1976 rechtskräftig geworden. Es fällt daher nicht unter das Übereinkommen. Vielmehr beurteilt sich die Frage der Anerkennung des Scheidungsurteils, wie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement in seiner Vernehmlassung zutreffend ausführt, nach dem Abkommen
BGE 103 Ib 69 S. 71
zwischen der Schweiz und Schweden über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 15. Januar 1936 (BS 12 S. 373 ff.).
2.
Nach Art. 4 Ziff. 1 dieses Abkommens ist für die Anerkennung erforderlich, dass das Urteil von einem nach den Bestimmungen des Art. 5 zuständigen Gericht gefällt wurde. In Familienrechtssachen ist gemäss Art. 5 Abs. 2 des Abkommens die Zuständigkeit des Gerichts des Staates, wo die Entscheidung gefällt wurde, dann anzuerkennen, wenn unter analogen Voraussetzungen ein Gericht des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, zuständig gewesen wäre. Zu prüfen ist somit, ob der schweizerische Richter gemäss den schweizerischen Regeln über die internationale Zuständigkeit zur Beurteilung der Scheidungsklage eines in der Schweiz wohnhaften Schweden gegen seine in ihrem Heimatstaat Schweden wohnende Ehefrau zuständig wäre (
BGE 94 I 242
/243; Botschaft des Bundesrats an die Bundesversammlung vom 14. April 1936, BBl 1936 I S. 684/685; R. PROBST, Der Vollstreckungsvertrag zwischen der Schweiz und Schweden vom 15. Januar 1936, SJZ 33/1937 S. 196).
Das schweizerische Recht verweist jedoch in dieser Frage wieder auf das schwedische Recht zurück. Nach
Art. 7h NAG
kann nämlich ein ausländischer Ehegatte eine Scheidungsklage dann beim Richter seines schweizerischen Wohnsitzes anbringen, wenn er nachweist, dass nach Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner Heimat der geltend gemachte Scheidungsgrund zugelassen und der schweizerische Gerichtsstand anerkannt ist. Nach Kapitel 3 § 7 des (schwedischen) Gesetzes vom 8. Juli 1904 über gewisse internationale Rechtsverhältnisse betreffend Ehe und Vormundschaft (BERGMANN/FERID, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Schweden, 49. Lieferung, S. 10) ist eine die Ehescheidung betreffende Entscheidung, die in einem fremden Staat ergangen ist, in Schweden wirksam, wenn im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz eines Ehegatten oder wegen einer andern Anknüpfung ein angemessener Grund dafür vorlag, die gerichtliche Entscheidung im fremden Staat zu beantragen. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung anerkennt somit Schweden ein ausländisches Scheidungsurteil schon dann, wenn nur ein Ehegatte im Urteilsstaat Wohnsitz hat. Abgesehen davon wären auch die Anerkennungsvoraussetzungen von
BGE 103 Ib 69 S. 72
Art. 2 Ziff. 2 lit. a des Haager Übereinkommens vom 1. Juni 1970, das Schweden ohne Vorbehalt unterzeichnet hat, erfüllt. Dass das schwedische Recht auch den geltend gemachten Scheidungsgrund zulässt, versteht sich bei der gegebenen Sachlage (Anerkennung eines schwedischen Scheidungsurteils) von selbst. Der schweizerische Richter würde sich demzufolge nach
Art. 7h NAG
als zuständig erachten, die Scheidungsklage eines in der Schweiz wohnenden Schweden gegen dessen in Schweden wohnende Gattin zu beurteilen. Unter diesen Umständen ist in der Schweiz aber auch die Zuständigkeit des schwedischen Richters zur Beurteilung der Scheidungsklage des Beschwerdeführers anzuerkennen. Die erste Voraussetzung von Art. 4 des Abkommens ist damit erfüllt.
3.
Nach Art. 4 Ziff. 2 des Abkommens darf die Entscheidung sodann nicht mit der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, "offensichtlich unvereinbar" sein.
a) Das Scheidungsurteil, dessen Anerkennung beantragt wird, stützt sich auf Kapitel 11 § 2 und 3 des (schwedischen) Ehegesetzes vom 11. Juni 1920 in der Fassung vom 4. Juli 1973 (BERGMANN/FERID, a.a.O. S. 23) Danach kann ein Ehegatte nach Ablauf einer Bedenkzeit von sechs Monaten seit Zustellung des Scheidungsbegehrens an den andern Gatten verlangen, dass die Scheidung ausgesprochen werde. Man kann sich fragen, ob dieser Scheidungsgrund als solcher vor dem schweizerischen ordre public standhalte - freilich nicht deswegen, weil er dem schweizerischen Recht unbekannt ist, sondern vielmehr allein deswegen, weil er kaum vereinbar ist mit den in der Schweiz herrschenden Vorstellungen über das Wesen der Ehe. Kann nämlich ein Ehegatte nach einer Bedenkzeit von nur sechs Monaten ohne weiteres die Scheidung verlangen, so läuft dies im Ergebnis auf eine Verstossung heraus, wie sie die mohammedanischen Rechte kennen. Die Verstossung wird in der Schweiz aber nicht als Scheidung anerkannt (
BGE 88 I 48
ff.). Nach schweizerischer Auffassung ist die Ehe eine grundsätzlich auf Dauer angelegte Institution, von der die Ehegatten nicht nach Lust und Laune einseitig zurücktreten können und die gegen den Willen eines Partners nur aufgelöst werden kann, wenn sich der Richter, auf welche Art auch immer, von ihrem Scheitern überzeugt hat. Der fragliche Scheidungsgrund unterscheidet sich freilich dadurch
BGE 103 Ib 69 S. 73
von der Verstossung, dass er den Ablauf einer Bedenkzeit voraussetzt. Die Dauer dieser Bedenkzeit ist jedoch dermassen kurz, dass sie für sich allein die Vermutung, die Ehe sei gescheitert, nicht zu begründen vermag.
b) Wie es sich mit dieser Frage verhält, braucht indessen nicht abschliessend geprüft zu werden. Ob ausländisches Recht mit dem schweizerischen ordre public vereinbar sei, beurteilt sich nämlich nicht abstrakt, sondern auf Grund der Auswirkungen im Einzelfall. Es kommt somit nicht darauf an, ob der fragliche schwedische Scheidungsgrund als solcher ordre public-widrig sei oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob die Beachtung dieser Bestimmung des schwedischen Rechts im konkreten Fall zu einem unhaltbaren, das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzenden Ergebnis führt oder nicht (
BGE 80 II 64
/65; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Allg. Einleitung, N. 116; NIEDERER, Einführung in die allgemeinen Lehren des internationalen Privatrechts, 3. Aufl., S. 295; RAAPE/STURM, Internationales Privatrecht, 6. Aufl., Bd. I, S. 213 ff.).
Berücksichtigt man die Umstände des vorliegenden Falles, so kann nicht gesagt werden, das schwedische Scheidungsurteil verstosse gegen den schweizerischen ordre public. Als der schwedische Richter die Scheidung aussprach, hatten die Eheleute Sprecher bereits seit sieben Jahren getrennt gelebt. Eine Trennung von solcher Dauer ist aber nach allgemeiner Lebenserfahrung ein starkes Indiz für das Vorliegen einer tiefen Zerrüttung, wie sie dem allgemeinen Scheidungsgrund des schweizerischen Rechts, dem
Art. 142 ZGB
, zugrundeliegt. Sie berechtigt nach verschiedenen ausländischen Rechten, so auch nach dem neuen italienischen Scheidungsgesetz, ohne weiteres zur Scheidung, Nach schweizerischem Recht hätte wohl nur die Einrede des überwiegenden Verschuldens die Scheidungsklage zu Fall bringen können.
Art. 142 Abs. 2 ZGB
ist aber nicht um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellt worden (
BGE 94 I 247
). Dazu kommt, dass der schwedische Richter die Scheidung auch gestützt auf Kapitel 11 § 4 des Ehegesetzes hätte aussprechen können, wonach jeder Ehegatte ohne vorhergehende Bedenkzeit die Scheidung verlangen kann, wenn die Ehegatten seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt haben. Diese Bestimmung, die das Scheitern der Ehe nach zweijähriger Trennung der Ehegatten präsumiert, ist
BGE 103 Ib 69 S. 74
nicht unvereinbar mit den Prinzipien des schweizerischen Eherechts.
c) Die Beschwerdegegnerin macht in diesem Zusammenhang freilich geltend, der Beschwerdeführer habe die schwedische Gerichtsbarkeit rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen (vgl. hiezu
BGE 94 I 247
E. 6c,
BGE 89 I 315
E. 6). Nachdem der Beschwerdeführer vor Einleitung der Scheidungsklage sechs Jahre lang in Schweden gewohnt hat, lässt sich jedoch nicht sagen, er habe seinen Wohnsitz einzig deswegen in dieses Land verlegt, um dort die Scheidung zu erlangen, die ihm die schweizerischen Gerichte verweigert hatten. Die Rechtskraft des die erste Scheidungsklage abweisenden Urteils stand einer neuen Beurteilung durch den schwedischen Richter nicht im Wege (
BGE 94 I 245
/246 E. 6a).
d) Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Vorbehaltsklausel eine Ausnahmevorschrift darstellt, von der mit Zurückhaltung Gebrauch zu machen ist, und dass ihrer Anwendung überdies in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile engere Grenzen gezogen sind als auf dem Gebiet der direkten Gesetzesanwendung (
BGE 101 Ia 526
,
BGE 98 Ia 533
,
BGE 97 I 157
, 256,
BGE 96 I 391
, 398). Abgesehen davon wollten die Schweiz und Schweden die Tragweite der Klausel zusätzlich einschränken, indem sie vereinbarten, die Vollstreckung solle nur bei "offensichtlicher" Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung verweigert werden können (Botschaft des Bundesrats, BBl 1936 I S. 683;
BGE 94 I 245
). Von einem offensichtlichen Verstoss gegen den schweizerischen ordre public kann aber nicht gesprochen werden. Somit ist auch die zweite Anerkennungsvoraussetzung des Abkommens erfüllt.
4.
Eine in Familienrechtssachen ergangene Entscheidung darf ferner gemäss Art. 4 Ziff. 3 des Abkommens nicht auf einem Gesetz beruhen, dessen materielle Bestimmungen im Widerspruch stehen zu jenen des Gesetzes, das nach dem internationalen Privatrecht des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, anwendbar ist.
Das schweizerische internationale Privatrecht lässt es zu, dass schweizerische Ehegatten vom zuständigen ausländischen Richter nach ausländischem Recht geschieden werden. Es macht die Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils nicht von der Anwendung des schweizerischen Scheidungsrechts
BGE 103 Ib 69 S. 75
abhängig. Das ergibt sich aus
Art. 7g Abs. 3 NAG
, wonach die Scheidung schweizerischer, im Ausland wohnender Ehegatten, die durch ein nach dortigem Recht zuständiges Gericht ausgesprochen worden ist, in der Schweiz auch dann anerkannt wird, wenn sie nach schweizerischem Recht nicht begründet gewesen wäre.
Art. 7g Abs. 3 NAG
setzt freilich voraus, dass beide Ehegatten im Ausland wohnen (
BGE 89 I 306
/307,
BGE 86 II 309
/310 mit Hinweisen), und ist daher auf den vorliegenden Fall nicht direkt anwendbar. Doch bringt die Bestimmung den allgemeinen Gedanken zum Ausdruck, dass nach schweizerischem internationalem Privatrecht der ausländische Scheidungsrichter sein eigenes Recht anwenden darf, sofern dessen Zuständigkeit in der Schweiz anzuerkennen ist. Das ist hier auf Grund von Art. 4 Ziff. 1 und Art. 5 Abs. 2 des Abkommens der Fall (vgl. E. 2). Durfte das schwedische Gericht aber nach den Regeln des schweizerischen internationalen Privatrechts schwedisches Recht anwenden, so ist auch die Voraussetzung von Art. 4 Ziff. 3 des Abkommens erfüllt.
5.
Weiter verlangt Art. 4 Ziff. 4 des Abkommens, dass die Entscheidung nach dem Recht des Staates, in dem sie gefällt wurde, die Rechtskraft erlangt hat. Dass diese Voraussetzung erfüllt ist, ergibt sich aus der Rechtskraftbescheinigung auf dem Urteil sowie aus der Bestätigung der schweizerischen Botschaft in Stockholm vom 20. August 1976.
6.
Nach Art. 4 Ziff. 5 des Abkommens ist schliesslich erforderlich, dass im Falle eines Versäumnisurteils die den Prozess einleitende Verfügung oder Ladung rechtzeitig der säumigen Partei, sei es an sie persönlich oder an ihren ermächtigten Vertreter, zugestellt wurde.
Wie aus den vom Beschwerdeführer nach Aufforderung durch den Instruktionsrichter eingereichten Akten hervorgeht und im übrigen unbestritten ist, wurde der Beschwerdegegnerin am 18. November 1975 durch die Post eine Vorladung auf den 19. Januar 1976 zugestellt. Ihr Anwalt teilte darauf dem Gericht mit, seine Klientin werde zur Verhandlung nicht erscheinen; sie widersetze sich einer Scheidung, da eine solche dem schweizerischen ordre public widersprechen würde. Der Beweis der Zustellung der den Prozess einleitenden Verfügung ist damit erbracht. Dass die Zustellung nicht auf dem Rechtshilfeweg erfolgte, schadet nichts (
BGE 94 I 244
/245 E. 5).
BGE 103 Ib 69 S. 76
Somit ist auch diese letzte Anerkennungsvoraussetzung des Abkommens erfüllt. Das Scheidungsurteil ist daher in der Schweiz anzuerkennen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung der Direktion des Innern des Kantons Zürich vom 25. Oktober 1976 wird aufgehoben und das Zivilstandsamt der Gemeinde Bauma wird angewiesen, das die Scheidung der Eheleute Hans und Alice Marie Louise Sprecher aussprechende Urteil des Gerichts "Södra Roslags Tingsrätt" in Stockholm vom 20. Mai 1976 in das Zivilstandsregister einzutragen.