Urteilskopf
103 IV 134
38. Urteil des Kassationshofes vom 3. September 1977 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
Regeste
Art. 41 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
. Weisung zur Schadensdeckung.
Bestehen für den deliktischen Schaden Konkursverlustscheine, so schliesst
Art. 265 Abs. 3 SchKG
die Weisung zur Schadensdeckung zwar nicht schlechtweg aus. Doch muss der Strafrichter prüfen, ob und inwiefern seine Weisung im Einzelfall trotz der damit verbundenen Erschwerung der wirtschaftlichen Erholung den Täter besser von weiteren Verbrechen und Vergehen abzuhalten vermag als der Verzicht auf eine solche Weisung.
Die Ehe von S. wurde durch Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 13. Juni 1975 geschieden. Er wurde darin verpflichtet, an den Unterhalt seiner beiden Kinder abgestuft je Fr. 250.-- und 300.-- bzw. Fr. 350.-- zu bezahlen. Überdies hatte er an seine geschiedene Ehefrau eine monatliche Übergangsrente von Fr. 200.-- zu entrichten, die inzwischen infolge Wiederverheiratung weggefallen ist. Während des Ehescheidungsverfahrens hatte S. an Ehefrau und Kinder monatlich Fr. 900.-- zu bezahlen.
Auf Klage der Staatsanwaltschaft wurde S. durch das Bezirksgericht Muri der Vernachlässigung der Unterstützungspflichten im Sinne von
Art. 217 Ziff. 1 StGB
schuldig befunden und zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Es wurde ihm der bedingte Strafvollzug gewährt mit einer Probezeit von drei Jahren. Damit wurde die Weisung verbunden, neben den laufenden Unterhaltsbeiträgen monatlich Fr. 200.-- an die Rückstände zu zahlen.
Vor Obergericht war nur diese Weisung streitig. Sie wurde mit Urteil vom 29. April 1977 bestätigt.
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt S., die streitige Weisung sei aufzuheben.
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Richter kann dem Verurteilten für sein Verhalten während der Probezeit bestimmte Weisungen erteilen. Als Beispiel wird u.a. die Weisung, den Schaden innerhalb einer bestimmten Frist zu decken, erwähnt (
Art. 41 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
).
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass eine solche Weisung an sich erteilt werden kann. Er macht aber geltend, gestützt auf seine Insolvenzerklärung sei am 16. September 1976 über ihn der Konkurs eröffnet worden. Die Alimentenrückstände seien in Verlustscheinforderungen umgewandelt worden. Für solche könne der Gemeinschuldner nur belangt werden, wenn dieser zu neuem Vermögen bzw. zu einem Einkommen gekommen sei, das Rücklagen erlaubt hätte (
Art. 265 Abs. 2 SchKG
). Bestreite der Gemeinschuldner, dass er zu neuem Vermögen gekommen sei, so entscheide das Gericht darüber. Diese Bestimmung wolle dem Gemeinschuldner eine gewisse Ruhe zur wirtschaftlichen Erholung gewähren. Die strittige Weisung verhindere dies. Wegen des drohenden Widerrufs des bedingten Strafvollzugs könne er den Zahlungsbefehl nicht abwarten und die ihm gesetzlich zustehende Einrede des fehlenden Vermögens nicht erheben. Die kantonalen Gerichte hätten sich nicht mit der konkreten finanziellen Lage des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und auch nicht vorfrageweise geprüft, ob er im Sinne von
BGE 103 IV 134 S. 136
Art. 265 SchKG
zu neuem Vermögen gelangt sei. Die Weisungen gemäss
Art. 41 Ziff. 2 StGB
und
Art. 265 Abs. 2 SchKG
ergänzten sich, denn der wirtschaftliche Neubeginn diene ebenfalls der Resozialisierung.
2.
Wahl und Inhalt der Weisung haben sich nach dem Zweck des bedingten Strafvollzuges zu richten, durch den der Verurteilte dauernd gebessert werden soll. Der Richter darf daher keine Weisung erteilen, die sich schon zur Zeit des Urteils als unerfüllbar oder unzumutbar erweist. Sie darf auch nicht vorwiegend darauf abzielen, dem Verurteilten Nachteile zuzufügen oder Dritte vor ihm schützen zu wollen. Sie muss in erster Linie im wohlverstandenen Interesse des Verurteilten liegen und voraussichtlich befolgt werden können. Das ist dann der Fall, wenn sie dazu bestimmt und geeignet ist, erzieherisch auf den Verurteilten einzuwirken und damit der Gefahr neuer Verfehlungen vorzubeugen. Innerhalb der sich daraus ergebenden Schranken sind Wahl und Inhalt der Weisung ins richterliche Ermessen gestellt, in welches der Kassationshof nicht eingreifen kann (
BGE 94 IV 12
E. 1 mit Verweisungen).
Diese leitenden Grundsätze gelten auch für die Weisungen, welche das Gesetz ausdrücklich erwähnt, somit auch für die Weisung, den durch die strafbare Handlung verschuldeten Schaden zu decken. Ob diese Weisung im Einzelfall zulässig ist und dem Zweck der Massnahme dient, hängt von den Umständen ab. Sie darf selbstverständlich auch nicht gegen die Rechtsordnung verstossen.
3.
Die Weisung, Konkursverlustscheinforderungen ohne Rücksicht auf neues Vermögen oder auf ein Einkommen, das Rücklagen erlaubt, ratenweise abzutragen, greift in das einem Konkursiten in
Art. 265 Abs. 3 SchKG
gewährte Recht ein. Deswegen ist aber eine solche Weisung nicht ohne weiteres rechtswidrig. Alle Weisungen beschränken in irgendeiner Weise Freiheiten und Rechte, die dem Verurteilten an sich zustehen. Dieser muss solche Eingriffe kraft Gesetzes auf sich nehmen, soweit sie durch den Zweck des Gesetzes gedeckt sind.
Die Einrede des mangelnden neuen Vermögens gemäss
Art. 265 Abs. 3 SchKG
will dem Gemeinschuldner nach dem Konkurs den Wiederaufbau einer wirtschaftlichen Existenz ermöglichen (FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2.
BGE 103 IV 134 S. 137
Band, 2. Aufl., S. 185). Sie kann ihn also zu einem wirtschaftlichen Neubeginn ermutigen und ist damit auch geeignet, ihn davor zu bewahren, sich gehen zu lassen und erneut straffällig zu werden.
Art. 265 Abs. 3 SchKG
kann daher auch dem mit den strafrechtlichen Weisungen verfolgten Zweck, den Verurteilten zu bessern, dienlich sein und ihn fördern. Der Strafrichter hat deshalb dem in
Art. 265 Abs. 3 SchKG
ausgesprochenen Schutzgedanken Rechnung zu tragen und muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob von einer Weisung, den deliktischen Schaden zu decken, eine erzieherisch günstige oder nachteilige Wirkung zu erwarten ist. Von den finanziellen und persönlichen Verhältnissen des Einzelfalles hängt es ab, wie die Leistung des Ersatzes zeitlich und der Höhe nach festzusetzen ist oder ob es angezeigt ist, von einer solchen Weisung überhaupt abzusehen. Ein Verzicht kann auch gerechtfertigt sein, wenn die Weisung der Schadensdeckung die übrigen Konkursverlustscheingläubiger ungebührlich benachteiligen würde.
4.
Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz sich in keiner Weise mit der Frage befasst, ob und wieweit die Weisung, den Schaden zu decken, mit Rücksicht auf die heutige finanzielle Situation des Beschwerdeführers und seine übrigen Konkursverlustscheingläubiger geeignet erscheint, den Beschwerdeführer zu bessern und ihn von weitern Verbrechen oder Vergehen abzuhalten. Das angefochtene Urteil ist daher gemäss
Art. 277 BStP
aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts - 1. Strafkammer - des Kantons Aargau vom 29. April 1977 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.