BGE 108 II 228 vom 20. Juli 1982

Datum: 20. Juli 1982

Artikelreferenzen:  Art. 77 PatG, Art. 10 KG, Art. 4 BV , Art. 9 Abs. 2 UWG, Art. 9 UWG, Art. 79 Abs. 1 lit. b BZP

BGE referenzen:  98 II 365, 125 II 613 , 98 II 365, 94 I 11, 96 I 302

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

108 II 228


49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Juli 1982 i.S. Denner AG gegen Schweizerischer Bierbrauerverein und Mitbeteiligte (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 9 Abs. 2 UWG . Umstände, unter welchen ein nicht leicht ersetzbarer Nachteil angenommen werden kann (Erw. 2b).
Abwägung der Interessen beider Parteien, insbesondere wenn mit einer vorsorglichen Massnahme nicht allein der bisherige Zustand sichergestellt, sondern bereits die vorläufige Vollstreckung eines Anspruchs verlangt wird, über dessen Bestand der Zivilrichter im ordentlichen Verfahren erst in Zukunft wird befinden müssen (Erw. 2c).

Sachverhalt ab Seite 229

BGE 108 II 228 S. 229

A.- Um die unter ihnen vereinbarte Preisbindung der zweiten Hand durchzusetzen, hatten der Schweizerische Bierbrauerverein (SBV) und seine Mitglieder im Herbst 1969 die Denner AG erstmals mit einer Liefersperre belegt. Am 28. November 1972 erklärte das Bundesgericht diese Massnahme als zulässig, solange die Denner AG sich der Preisbindung nicht unterziehe, soweit diese für die 6 dl (heute 58 cl) Mehrwegflasche Lagerbier einen Minimal-Detailverkaufspreis (Interventionspreis) von 80 bzw. bei harassweisem Verkauf 75 Rp. festsetzte ( BGE 98 II 365 ).
Ab Herbst 1980 belieferten SBV-Mitglieder die Denner AG erneut mit ihrem Markenbier, nachdem sich diese verpflichtet hatte, den vom SBV festgesetzten Interventionspreis von damals Fr. 1.-- einzuhalten. Mit Wirkung auf 1. November 1981 erhöhte der SBV den Interventionspreis auf Fr. 1.10. Die Denner AG weigerte sich, dieser Erhöhung zu folgen und verkaufte die 58 cl Mehrwegflasche Lagerbier weiterhin zu Fr. 1.--, worauf der SBV sie wiederum mit einer Liefersperre belegte.

B.- Die Denner AG verlangte beim Einzelrichter im summarischen Verfahren des Handelsgerichts des Kantons Zürich eine vorsorgliche Massnahme und beantragte im wesentlichen, der SBV und seine Mitglieder seien zu verpflichten, den Boykott zu widerrufen. Der Einzelrichter wies am 14. Januar 1982 das Begehren um Erlass vorsorglicher Massnahmen ab. Eine gegen diese Verfügung gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde der Denner AG wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 23. März 1982 ab.

C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die Denner AG, der Beschluss des Kassationsgerichts und die Verfügung des Einzelrichters seien aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Gemäss Art. 10 KG in Verbindung mit Art. 9 UWG ordnet der Richter auf Antrag eines Klageberechtigten vorsorgliche
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Massnahmen unter anderem zur vorläufigen Vollstreckung streitiger Ansprüche an, sofern der Antragsteller glaubhaft macht, dass die Gegenpartei eine vom Kartellgesetz untersagte Wettbewerbsbehinderung begeht und dass ihm dadurch ein nicht leicht ersetzbarer Nachteil droht, der nur durch eine vorsorgliche Massnahme abgewendet werden kann.
a) Der Einzelrichter weist das Gesuch der Denner AG ab, weil der Gesuchstellerin lediglich ein finanzieller Schaden im Sinne eines ihr entgehenden Gewinnes drohe; ein solcher Nachteil sei aber nur dann nicht leicht ersetzbar, wenn die Zahlungsfähigkeit der Gegenpartei zu Zweifeln Anlass gebe, was im vorliegenden Falle nicht zutreffe. Sodann führt der Einzelrichter aus, die Gesuchstellerin hätte den drohenden Schaden abwenden können, indem sie sich für die Dauer des Prozesses den Preisvorschriften der Gesuchsgegner unterzogen hätte; ausserdem erscheine ihr Verhalten als rechtsmissbräuchlich, da sie den verhängten Boykott weitgehend selbst verschuldet und keinerlei Versuche unternommen habe, mit den Gesuchsgegnern Verhandlungen aufzunehmen.
Das Kassationsgericht erachtet die Auffassung des Einzelrichters, wonach die Beschwerdeführerin bis zum Abschluss des Prozesses die Interventionspreise hätte einhalten können, für unhaltbar; die beiden anderen Begründungen des Einzelrichters beurteilt es dagegen als jedenfalls nicht gegen klares Recht verstossend.
b) Wie der Einzelrichter und das Kassationsgericht zutreffend ausführen, besteht in Lehre und Rechtsprechung keine einhellige Meinung darüber, ob und unter welchen Umständen ein bloss finanzieller Schaden einen nicht leicht ersetzbaren Nachteil im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UWG - bzw. gleich oder ähnlich lautender Vorschriften in Prozessordnungen (z.B. Art. 79 Abs. 1 lit. b BZP ) und anderen Spezialgesetzen des Bundes (z.B. Art. 77 PatG , 53 URG, 28 MMG oder 31 MSchG) - darstelle. Das Bundesgericht hat sich in einem Urteil vom 14. Februar 1968 i.S. Esso/Hafner AG und Konsorten (E. 8a und b, in BGE 94 I 11 nicht, wohl aber in Schweizerische Mitteilungen über gewerblichen Rechtsschutz, 1968, S. 48/49, veröffentlicht) auf den Standpunkt gestellt, entgangener Gewinn, der auf dem Wege der Schadenersatzklage geltend gemacht werden könne, stelle keinen im Sinne des Gesetzes nicht wiedergutzumachenden Nachteil dar; in einem weiteren, unveröffentlichten Urteil vom 20. Juni 1974 i.S. Granax SA/Konventionsreedereien hat es ausgeführt, diese Auslegung des nicht leicht ersetzbaren Nachteils sei jedenfalls vertretbar
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und keineswegs willkürlich. Zum gleichen Ergebnis sind auch verschiedene kantonale Gerichte und namhafte Autoren gelangt (Cour de Justice Genève in: Schweizerische Mitteilungen über gewerblichen Rechtsschutz, 1975, S. 56; Appellationshof des Kantons Bern, ebenda 1978, S. 186 E. 3b, sowie Appellationsgerichtspräsident Basel-Stadt in: BJM 1975, S. 199; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2. Aufl. Bd. II, S. 1203; LEUCH, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons Bern, 3. Aufl., N. 6 zu Art. 326, S. 304; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, N. 8 zu § 110, S. 194; VOGEL, in SJZ 1980, S. 96, Ziff. 1). Lehre und Rechtsprechung nehmen im allgemeinen einen nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil an, wenn die Zahlungsfähigkeit der Gegenpartei zu Zweifeln Anlass gibt; LEUCH (a.a.O.) und STRÄULI/MESSMER (a.a.O.) möchten einen solchen Nachteil auch dann bejahen, wenn der drohende Schaden nicht leicht zu beweisen sein wird. Etwas weniger strenge Anforderungen an die Unersetzbarkeit des Nachteils stellen BLUM/PEDRAZZINI (Das Schweizerische Patentrecht, 2. Aufl., Bd. III, S. 654, lit. c), und der Obergerichtspräsident des Kantons Basel-Landschaft scheint in einem Entscheid vom 22. Juni 1979 (Schweizerische Mitteilungen über gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 1981, S. 30, E. 3) bereits das Erfordernis einer Schadenersatzklage als unersetzlichen Nachteil anzusehen. Dieser Entscheid war zwar Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht; indessen war dort (wie auch im Falle BGE 96 I 302 und im unveröffentlichten Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Dezember 1977 i.S. Dumex AG/Hoffmann-La Roche) die Frage, ob ein nicht leicht ersetzbarer Nachteil drohe, nicht mehr streitig (Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Dezember 1979 i.S. Inpharzam SA/Beecham Group, veröffentlicht in Schweizerische Mitteilungen über gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 1981, S. 32 ff.).
c) Schon diese Übersicht zeigt, dass die Auffassung des Einzelrichters und des Kassationsgerichts im vorliegenden Fall jedenfalls nicht als willkürlich betrachtet werden kann; dies umsoweniger, als - wie bereits der Einzelrichter in seiner Verfügung darlegt - an die Unersetzbarkeit des Nachteils grössere Anforderungen gestellt werden müssen, wenn mit einer vorsorglichen Massnahme nicht allein der bisherige Zustand sichergestellt, sondern bereits die vorläufige Vollstreckung eines Anspruchs verlangt wird, über dessen Bestand der Zivilrichter im ordentlichen Verfahren erst in Zukunft wird befinden müssen. In solchen Fällen müssen die
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Interessen beider Parteien sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Vorliegend ergibt sich dabei einerseits, dass die Beschwerdeführerin, sollte sich ihr Anspruch im Hauptprozess als begründet erweisen, eine finanzielle Einbusse erleidet, welche die solventen Beschwerdegegner zu ersetzen imstande sein werden. Dem steht auf Seiten der Beschwerdegegner das Interesse gegenüber, die Preisbindung der zweiten Hand - die das Bundesgericht 1972 als zulässig erklärt hat - aufrechtzuerhalten. Eine Gutheissung des Massnahmebegehrens würde einen weitgehenden Zusammenbruch des Preiskartells zur Folge haben; es müsste nämlich jedem Kunden der Beschwerdegegner das Recht zugestanden werden, die Interventionspreise zu unterbieten, sollte er dies beanspruchen. Ob das Preiskartell nach einem allfälligen Obsiegen der Beschwerdegegner im Hauptprozess wiederhergestellt werden könnte, scheint fraglich. Die Interessenabwägung fällt somit eindeutig zu Gunsten der Beschwerdegegner aus. Daran ändert auch die Behauptung einer drohenden Marktverwirrung nichts. Würde nämlich das Begehren der Beschwerdeführerin im summarischen Verfahren gutgeheissen, ihre Klage im Hauptprozess aber abgewiesen, so würde der drohende Zusammenbruch des Preiskartells eine weit grössere Marktverwirrung schaffen, als sie allenfalls mit der Abweisung des Massnahmebegehrens eintreten kann.
Die Beschwerdeführerin hat demnach den drohenden, nicht leicht ersetzbaren Nachteil nicht glaubhaft gemacht. Das Fehlen dieser Voraussetzung gemäss Art. 9 Abs. 2 UWG genügt aber, um das Begehren um Erlass vorsorglicher Massnahmen abzuweisen. Der Einzelrichter und das Kassationsgericht haben somit Art. 4 BV in keiner Weise verletzt.

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