BGE 108 II 393 vom 10. Juni 1982

Datum: 10. Juni 1982

Artikelreferenzen:  Art. 335 ZGB , Art. 335 Abs. 1 ZGB, Art. 81 Abs. 1 ZGB

BGE referenzen:  135 III 614, 144 III 264 , 93 II 448, 93 II 451, 93 II 444, 104 II 340, 101 II 33, 83 II 435, 101 II 33, 83 II 435

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

108 II 393


76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Juni 1982 i.S. X. und Y. gegen Z. (Berufung)

Regeste

Familienstiftung ( Art. 335 ZGB ).
Eine Familienstiftung, deren Zweck es ist, ein ihr gehörendes Landhaus und weitere Vermögenswerte den Familienangehörigen des Stifters zu erhalten, ist unzulässig, auch wenn das Haus nicht nur als Ferienhaus, sondern auch als Zufluchtsstätte für Notzeiten dienen soll.

Erwägungen ab Seite 394

BGE 108 II 393 S. 394
Aus den Erwägungen:

6. Nach Art. 335 Abs. 1 ZGB kann ein Vermögen mit einer Familie dadurch verbunden werden, dass zur Bestreitung der Kosten der Erziehung, Ausstattung oder Unterstützung von Familienangehörigen oder zu ähnlichen Zwecken eine Familienstiftung errichtet wird. Nach Absatz 2 der gleichen Bestimmung ist die Errichtung von Familienfideikommissen nicht mehr gestattet.
a) Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die im Gesetz enthaltene Aufzählung der Zwecke, zu denen Familienstiftungen errichtet werden dürfen, abschliessend. Diese Zwecke stimmen darin überein, dass den zum Kreise der Begünstigten gehörenden Familienangehörigen in bestimmten Lebenslagen (im Jugendalter, bei Gründung eines eigenen Hausstandes oder einer eigenen Existenz, im Falle von Not) zur Befriedigung der daraus sich ergebenden besonderen Bedürfnisse Hilfe geleistet werden soll. Unter den in Art. 335 Abs. 1 ZGB erwähnten "ähnlichen Zwecken" können nur solche gemeint sein, die ebenfalls darin bestehen, den Familiengliedern in bestimmten Lebenslagen jene materielle Hilfe zu gewähren, die unter den gegebenen Umständen als nötig oder wünschbar erscheint. Den Familienangehörigen ohne besondere Voraussetzungen dieser Art den Genuss des Stiftungsvermögens oder der Erträgnisse desselben zu verschaffen, ist nach dem Gesetz nicht zulässig. Sogenannte Unterhalts- oder Genussstiftungen sind deshalb nach der Rechtsprechung ungültig. Familienstiftungen, die den Begünstigten Vorteile aus dem Stiftungsvermögen ohne besondere, an eine bestimmte Lebenslage anknüpfende Voraussetzungen einfach deshalb zukommen lassen, um ihnen eine höhere oder angenehmere Lebenshaltung zu gestatten, widersprechen dem Verbot der Errichtung von Familienfideikommissen ( BGE 93 II 448 ff. E. 4 mit Hinweisen; RIEMER,
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Systematischer Teil, N. 142). Diese Rechtsprechung hat in der neueren Literatur einhellige Zustimmung gefunden (vgl. die Zitate bei RIEMER, Syst. Teil, N. 141), und es besteht kein Anlass, sie in Frage zu stellen.
b) In BGE 93 II 451 E. 4b hatte das Bundesgericht zu entscheiden, ob es einen nach Art. 335 Abs. 1 ZGB zulässigen Stiftungszweck darstelle, eine Burgliegenschaft zu erhalten, um den Familiengliedern und ihren Gästen dadurch zeitweise den Aufenthalt an einem schönen Ort in einer im wahren Sinne feudalen Behausung zu ermöglichen und ihnen das mit der Stellung von Burgherren verbundene Ansehen zu verschaffen. Das Gericht verneinte dies, da es an einer besonderen, an eine bestimmte Lebenslage anknüpfenden Voraussetzung fehle.
c) Nach der durch einen Nachtrag präzisierten Siftungsurkunde besteht der Zweck der beklagten Stiftung im Erwerb eines Grundstücks ... und der Errichtung eines Landhauses daselbst sowie in der Erhaltung dieses Eigentums und anderer Vermögenswerte zugunsten der Familienangehörigen und Nachkommen der Familie... Die Art der Benützung des Landhauses durch die Begünstigten wird in der Stiftungsurkunde und ihrem Nachtrag selbst nicht geregelt. Bezüglich der Berechtigung im allgemeinen wird hingegen auf ein vom Stiftungsrat zu erlassendes und jederzeit abänderbares Stiftungsreglement verwiesen. In Ziffer 4 dieses Reglements wird bestimmt, der Stiftungsrat könne auch einen gewissen Turnus in bezug auf die Bewohnung des Chalets festsetzen, und zwar in der Weise, dass jedes Glied der Familie oder seine Nachfolgerschaft gleichmässig zu berücksichtigen sei.
Aus der Stiftungsurkunde ergeben sich somit keinerlei besondere, an bestimmte Lebenslagen anknüpfende Voraussetzungen für die Erlangung eines Vorteils aus dem Stiftungsvermögen. Der Stiftungszweck beschränkt sich vielmehr auf die blosse Erhaltung bestimmter Vermögenswerte zugunsten der Angehörigen und Nachkommen der Familie des Stifters. Diese Zweckumschreibung läuft auf eine unzulässige Unterhalts- oder Genussstiftung im Sinne der dargestellten Rechtsprechung hinaus. Da bezüglich der Rechte der Begünstigten am Stiftungsvermögen lediglich auf ein jederzeit abänderbares Reglement verwiesen wird, ist der von den Begünstigten selber zu bestellende Stiftungsrat völlig frei, durch entsprechende Ausgestaltung des Stiftungsreglements den Genuss am Stiftungsvermögen nach seinem Gutdünken zu ordnen. Es besteht deshalb rechtlich keine Gewähr dafür, dass das Stiftungsvermögen
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nicht zu einem nach Art. 335 ZGB verpönten Zweck verwendet wird. Allein schon dieser Grund muss zur Nichtigerklärung der beklagten Stiftung führen. Aber auch wenn zur näheren Bestimmung des Stiftungszwecks auf das Stiftungsreglement abgestellt werden wollte, was angesichts seiner jederzeitigen Abänderbarkeit nicht unproblematisch ist, würde sich an der Rechtslage nichts ändern. Nach diesem Reglement steht jedem Familienglied oder seinen Nachfolgern ein gleicher Anspruch auf die Benützung des Chalets zu, und zwar voraussetzungslos. Eine solche Genussberechtigung fällt nicht unter die im Gesetz als zulässig bezeichneten Zwecke einer Familienstiftung.
Die Beklagte ist nach dem Gesagten als unzulässige Familienstiftung zu betrachten. Daran vermag nichts zu ändern, dass für die Auslegung einer Stiftungsurkunde nach der Rechtsprechung nicht die Regeln für die Auslegung von Verträgen, insbesondere die Vertrauenstheorie, heranzuziehen sind, sondern dass eine solche Urkunde vielmehr wie eine letztwillige Verfügung nach dem Willen des Urhebers auszulegen ist ( BGE 93 II 444 mit Hinweisen). Auch die Auslegung nach dem Willen des Verfügenden setzt nämlich voraus, dass dieser Wille in irgend einer, wenn auch vielleicht noch so unvollkommenen Weise in der Urkunde Ausdruck gefunden hat. Andernfalls würde auf dem Wege der Auslegung etwas in die Urkunde hineininterpretiert, was nicht darin steht. Dies würde dem Formerfordernis widersprechen, von dem nicht nur die Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung, sondern nach Art. 81 Abs. 1 ZGB auch diejenige einer zu Lebzeiten des Stifters errichteten Stiftung abhängt (vgl. BGE 104 II 340 E. 2c; BGE 101 II 33 f. E. 2 mit Hinweisen; BGE 83 II 435 f. mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall bietet die Stiftungsurkunde nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass die Rechte der Begünstigten am Stiftungsvermögen von Voraussetzungen abhängig gemacht werden wollten, die allenfalls den Erfordernissen des Art. 335 Abs. 1 ZGB genügen könnten. Würde daher auf Grund von ausserhalb der Stiftungsurkunde liegenden Umständen angenommen, der Wille des Stifters sei in Wirklichkeit darauf gerichtet gewesen, die Genussberechtigung am Stiftungsvermögen von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen, so würde man etwas in diese Urkunde hineinlesen, das darin keinen Ausdruck gefunden hat. Die Beklagte ist demzufolge ungeachtet dessen, welches der wirkliche Wille des Stifters war, als ungültige Familienstiftung zu betrachten.
d) Selbst wenn entgegen den vorstehenden Ausführungen auf
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Grund ausserhalb der Stiftungsurkunde liegender Tatsachen ermittelt werden wollte, welche Art von Genussberechtigung dem Stifter bei Errichtung der Beklagten wirklich vorschwebte, könnte die Zulässigkeit des auf diese Weise ergänzten Stiftungszwecks nicht bejaht werden. Würde in Übereinstimmung mit der Beklagten angenommen, der Stifter habe mit der Errichtung der Familienstiftung für seine Angehörigen und deren Nachkommen eine Zufluchtsstätte für Notzeiten schaffen wollen, so hätte es sich dabei nur um eine von zwei Möglichkeiten der Chaletbenützung handeln können. Näher lag schon zur Zeit der Stiftungserrichtung die Verwendung des Chalets für Ferienzwecke. Es ist unbestritten, dass die Liegenschaft bereits in der Zeit des zweiten Weltkrieges mindestens teilweise zu diesem Zweck gebraucht wurde und in der Folge sogar ausschliesslich. Dass dem Stifter selber von allem Anfang an die Benützung des Landhauses ... als Ferienhaus nicht fern lag, geht aus dem von ihm in seiner Eigenschaft als Stiftungsrat erlassenen Reglement vom 7. Mai 1942 hervor. Die in Ziffer 4 dieses Reglements vorgesehene Möglichkeit, dass der Stiftungsrat einen gewissen Turnus für die Bewohnung des Chalets festsetzen könne, und zwar unter Wahrung des Anspruchs auf gleichmässige Berücksichtigung jedes Familiengliedes oder seiner Nachfolger, konnte, wie auch die Beklagte einräumt, nur auf die Benützung des Hauses zu Ferienzwecken zugeschnitten sein.
Den Angehörigen einer Familie ein Ferienhaus in schöner Umgebung zu möglichst gleichmässiger Benützung zur Verfügung zu stellen, fällt eindeutig nicht unter einen der in Art. 335 Abs. 1 ZGB als zulässig bezeichneten Zwecke einer Familienstiftung. Das Verbringen von Ferien in einem Chalet ... kann nicht als eine Hilfeleistung betrachtet werden, die im Sinne der dargestellten Rechtsprechung an eine bestimmte Lebenslage anknüpft. Ferien gehören heutzutage für jedermann zum normalen Leben. Wenn eine Familienstiftung dafür ein Landhaus in einer schönen Gegend zur Verfügung stellt, leistet sie deshalb einen allgemeinen Beitrag zur Verbesserung des Lebensniveaus einer Familie. Von einer besonderen Voraussetzung im Sinne von Art. 335 Abs. 1 ZGB , von der die Leistung einer Familienstiftung abhängig sein muss, kann hier somit keine Rede sein.
Dient bereits diese sich aus dem Stiftungsreglement ergebende Benützungsart des Chalets keinem der in Art. 335 Abs. 1 ZGB vorgesehenen Zwecke, erübrigt es sich, die Frage der Zulässigkeit der von der Beklagten in den Vordergrund gestellten
BGE 108 II 393 S. 398
Verwendungsart des Hauses als Zufluchtsstätte noch näher zu prüfen. Der Ferienhauscharakter des Chalets ist sowohl nach dem Stiftungsreglement wie auch nach dem bisherigen Gebrauch derart ausgeprägt, dass jene andere Verwendungsmöglichkeit in den Hintergrund tritt.

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