BGE 111 IA 329 vom 10. Dezember 1985

Datum: 10. Dezember 1985

Artikelreferenzen:  § 56 PBG, § 56 Abs. 2 und § 294 lit. c PBG, § 238, Abs. 3 PBG, § 238 Abs. 3 PBG, Art. 22ter BV, § 46 Abs. 1 PBG, § 57 PBG

BGE referenzen:  115 IA 293 , 111 IA 132, 110 IA 200, 110 IA 198, 110 IA 199, 107 IA 114, 105 IA 176, 99 IA 346, 107 IA 114, 105 IA 176, 99 IA 346

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

111 Ia 329


57. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. Dezember 1985 i.S. Politische Gemeinde Urdorf gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Gemeindeautonomie; Nichtgenehmigung kommunaler Bau- und Zonenvorschriften durch die kantonale Behörde.
Es bedeutet keine Verletzung der Gemeindeautonomie, wenn eine kommunale Vorschrift, die in der Industriezone Handels- und Dienstleistungsbetriebe zulässt, Einkaufszentren jedoch ausschliesst, wegen Verstosses gegen § 56 des zürcherischen Planungs- und Baugesetzes nicht genehmigt wurde. Diese kantonale Bestimmung lässt sich ohne Willkür dahin auslegen, dass die Gemeinden Handels- und Dienstleistungsbetriebe in der Industriezone entweder generell zulassen oder nicht zulassen dürfen, es ihnen aber nicht erlaubt ist, bestimmte Arten solcher Betriebe auszuschliessen (E. 3).
Verneinung der Autonomie der zürcherischen Gemeinden in bezug auf die Regelung der Frage, ob und inwieweit eine Bepflanzung oder Begrünung von Anlagen verlangt werden darf (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 330

BGE 111 Ia 329 S. 330
Die Gemeindeversammlung Urdorf beschloss am 4. April 1984 eine neue Nutzungsplanung. Diese besteht aus einer Bau- und Zonenordnung, einem Zonenplan und sieben weiteren Plänen. Der Gemeinderat Urdorf ersuchte in der Folge den Regierungsrat des Kantons Zürich um Genehmigung der neuen kommunalen Nutzungsplanung. Der Regierungsrat genehmigte sie mit Beschluss vom 2. Mai 1985 unter Vorbehalt verschiedener Bestimmungen. Er schloss Art. 9 der Bauordnung wegen eines hängigen Rekurses, die Art. 21 Abs. 1, 22, 24 Abs. 3 und die Verweisung auf Art. 25 in Art. 24 Abs. 1 der Bauordnung wegen Verstosses gegen das kantonale Recht von der Genehmigung aus.
Die Politische Gemeinde Urdorf führt gegen diesen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie beantragt, der angefochtene Beschluss sei insoweit aufzuheben, als damit die Art. 21 Abs. 1, 22 und 24 Abs. 3 der Bauordnung nicht genehmigt wurden. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Mit dem angefochtenen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich wurde die neue Bau- und Zonenordnung der
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Gemeinde Urdorf zum Teil nicht genehmigt. Er trifft somit diese Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt. Sie ist daher legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung ihrer Autonomie zu rügen. Ob die Gemeinde im betroffenen Bereich tatsächlich autonom ist, bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung ( BGE 110 Ia 198 /199 E. 1 mit Hinweisen). Im einleitenden Abschnitt der Beschwerde wird neben Art. 48 der zürcherischen Kantonsverfassung, welche Vorschrift die Gemeindeautonomie gewährleistet, auch Art. 22ter BV angeführt. In der Beschwerdebegründung hält die Gemeinde Urdorf jedoch ausdrücklich fest, dass sie ausschliesslich eine Verletzung ihrer Autonomie rüge. Sie wäre übrigens nicht befugt, sich auf die Eigentumsgarantie zu berufen, da der Regierungsrat die hier in Frage stehenden Bestimmungen der kommunalen Bau- und Zonenordnung nicht wegen Verletzung der Eigentumsgarantie, sondern wegen Unvereinbarkeit mit dem übergeordneten kantonalen Recht von der Genehmigung ausschloss. Auf die Beschwerde kann nach dem Gesagten eingetreten werden.

2. Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht für diesen Bereich keine abschliessende Ordnung trifft, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt ( BGE 110 Ia 199 E. 2 mit Hinweisen). Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann sie sich mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass die kantonale Behörde im Rechtsmittel- oder im Genehmigungsverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder dass sie bei der Anwendung der kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Normen, die den betreffenden Sachbereich ordnen, gegen das Willkürverbot verstösst oder, soweit kantonales oder eidgenössisches Verfassungsrecht in Frage steht, dieses unrichtig auslegt oder anwendet ( BGE 111 Ia 132 E. 4a; BGE 110 Ia 200 E. 2b mit Hinweisen).
Der Regierungsrat hat mit dem angefochtenen Entscheid die Art. 21 Abs. 1, 22 und 24 Abs. 3 der von der Gemeinde Urdorf am 4. April 1984 beschlossenen Bau- und Zonenordnung nicht genehmigt. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung steht den zürcherischen Gemeinden beim Erlass einer Bau- und Zonenordnung im Sinne der §§ 45 ff. des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zürich vom 7. September 1975 (PBG) ein weiter Gestaltungsraum zu; sie sind insoweit grundsätzlich autonom ( BGE 111 Ia 132 /133 E. 4b mit Hinweis). Es ist im folgenden zu prüfen, ob
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die Gemeinden auch in jenen Bereichen autonom sind, die von den nicht genehmigten Bestimmungen der Bau- und Zonenordnung berührt werden. Ist diese Frage zu verneinen, so erweist sich die Autonomiebeschwerde als unbegründet.

3. Art. 21 Abs. 1 der Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Urdorf vom 4. April 1984 (BauO) regelt die Nutzweise in der Industriezone und lautet wie folgt:
"Handels- und Dienstleistungsbetriebe sind zugelassen; ausgenommen jedoch Einkaufszentren."
Der Regierungsrat hat diese Vorschrift mit der Begründung nicht genehmigt, gemäss § 56 PBG könne die Bau- und Zonenordnung Handels- und Dienstleistungsgewerbe entweder gesamthaft zulassen oder ausschliessen. Detailliertere Unterscheidungen seien daher nicht zulässig. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Nichtgenehmigung von Art. 21 Abs. 1 BauO bedeute eine Verletzung ihrer Autonomie, denn sie habe mit dieser Vorschrift "lediglich von ihrer nach § 56 Abs. 2 und § 294 lit. c PBG bestehenden Freiheit, in der Industriezone differenzierende Vorschriften für Handels- und Dienstleistungsbetriebe zu erlassen, Gebrauch gemacht".
Das Bundesgericht prüft bei Autonomiebeschwerden den angefochtenen Entscheid nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür, sofern es - wie hier - nicht um die Auslegung und Anwendung von Normen des kantonalen oder eidgenössischen Verfassungsrechts geht ( BGE 110 Ia 200 /201 E. 4 mit Hinweisen). Von Willkür kann nicht schon dann die Rede sein, wenn sich eine andere Lösung ebenfalls vertreten liesse oder sogar vorzuziehen wäre. Ein Verstoss gegen das Willkürverbot liegt erst dann vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar, mit sachlichen Gründen schlechthin nicht mehr vertretbar ist ( BGE 107 Ia 114 ; BGE 105 Ia 176 BGE 99 Ia 346 , je mit Hinweisen). Dies trifft im hier zu beurteilenden Fall nicht zu.
Gemäss § 46 Abs. 1 PBG regelt die Bau- und Zonenordnung die Überbaubarkeit und die Nutzweise der Grundstücke, soweit diese nicht abschliessend durch eidgenössisches oder kantonales Recht bestimmt sind. Hinsichtlich der Nutzweise in den Industriezonen legt das kantonale Recht folgendes fest:
§ 56 PBG
"Industriezonen sind in erster Linie für die Ansiedlung industrieller und gewerblicher Betriebe der Produktion und der Gütergrossverteilung bestimmt.
BGE 111 Ia 329 S. 333
Die Bau- und Zonenordnung kann auch Handels- und Dienstleistungsgewerbe zulassen. Wohnungen für standortgebundene Betriebsangehörige sind gestattet; für vorübergehend angestellte Personen kann die Bau- und Zonenordnung provisorische Gemeinschaftsunterkünfte zulassen."
Dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass das kantonale Recht Handels- und Dienstleistungsgewerbe in den Industriezonen grundsätzlich nicht gestattet. Es ermächtigt jedoch in § 56 Abs. 2 PBG die Gemeinden, in ihren Bau- und Zonenordnungen derartige Gewerbe zuzulassen. Der Regierungsrat legt die Vorschrift dahin aus, dass die Gemeinden Handels- und Dienstleistungsbetriebe in der Industriezone entweder generell zulassen oder nicht zulassen dürften, es ihnen aber nicht erlaubt sei, bestimmte Arten solcher Betriebe, also z.B. Einkaufszentren, auszuschliessen. Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was geeignet wäre, diese Auslegung als unhaltbar erscheinen zu lassen. Aus den von ihr angeführten Stellen aus der Entstehungsgeschichte des PBG ergibt sich nicht eindeutig, ob bei der Zulassung von Handels- und Dienstleistungsbetrieben in der Industriezone Differenzierungen gestattet sein sollen. Hingegen sprechen sowohl der Wortlaut als auch der Sinn des § 56 PBG für die Auslegung, wie sie der Regierungsrat vorgenommen hat. Die kantonale Behörde durfte mit sachlichen Gründen erwägen, es gehe hier um die grundsätzliche planerische Frage, ob gewisse Gebiete für industrielle und gewerbliche Betriebe der Produktion und der Gütergrossverteilung reserviert bleiben oder ob in Industriezonen generell auch Handels- und Dienstleistungsbetriebe zulässig sein sollen. § 57 PBG , wonach die Bau- und Zonenordnung "Industriezonen unterschiedlicher Einwirkungen" ausscheiden kann, steht dem nicht entgegen. Diese Vorschrift bezieht sich auf den Störungsgrad der industriellen Betriebe. Die Gemeinden dürfen Zonen bezeichnen, in denen ein bestimmtes Mass an Einwirkungen nicht überschritten wird. Darunter ist nicht der Ausschluss gewisser Dienstleistungsbetriebe zu verstehen, auch wenn diese z.B. hinsichtlich der Erschliessung besondere Probleme aufwerfen. Diesen besonderen Problemen ist mit entsprechend strengen Anforderungen an die Erschliessung zu begegnen, und das zürcherische Recht enthält denn auch spezielle Vorschriften darüber, wo bzw. unter welchen Erschliessungsvoraussetzungen Einkaufszentren, Grossläden und Begegnungsstätten mit grossem Publikumsverkehr zulässig sind (vgl. die Verordnung über die Verschärfung oder die Milderung von
BGE 111 Ia 329 S. 334
Bauvorschriften für besondere Bauten und Anlagen vom 26. August 1981/Besondere Bauverordnung II).
Der Regierungsrat durfte demnach ohne Willkür annehmen, gemäss § 56 PBG hätten die Gemeinden nur die Freiheit, in der Industriezone Handels- und Dienstleistungsgewerbe entweder generell zuzulassen oder auszuschliessen; detailliertere Unterscheidungen dürften sie nicht vornehmen. Es ist fraglich, ob insoweit von einer relativ erheblichen Entscheidungsfreiheit und damit von einem Autonomiebereich der Gemeinden gesprochen werden kann oder ob nicht eher gesagt werden müsste, das kantonale Recht enthalte diesbezüglich eine abschliessende Ordnung, so dass die Gemeinden nicht autonom seien. Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Rüge der Autonomieverletzung so oder so fehlgeht. Wird angenommen, die Beschwerdeführerin sei in jenem Bereich, der durch Art. 21 Abs. 1 BauO berührt wird, nicht autonom, dann konnte der Regierungsrat mit der Nichtgenehmigung dieser Vorschrift keine Autonomieverletzung begehen. Bejaht man die Autonomie der Gemeinde Urdorf im betroffenen Bereich, so wurde sie durch den angefochtenen Entscheid nicht verletzt, da der Regierungsrat in vertretbarer Auslegung des kantonalen Rechts zum Schluss gelangen konnte, Art. 21 Abs. 1 BauO verstosse gegen § 56 PBG und könne daher nicht genehmigt werden. Die Beschwerde erweist sich somit in diesem Punkt als unbegründet.

4. Die Art. 22 und 24 BauO lauten:
Art. 22 Vorgartengebiete
"Die Vorgartengebiete (Gebiet zwischen Strassengrenze und Baulinie) in Industriezonen, die durch eine Strasse von der benachbarten Wohnzone getrennt sind, müssen als Grünanlage gestaltet werden. Dasselbe ist erforderlich innerhalb des freibleibenden Streifens des bauordnungsgemässen Grenzabstandes gegenüber benachbarten Wohnzonen. Die Anordnung weiterer Bepflanzung, Grünflächen usw. gemäss § 238, Abs. 3 PBG bleibt vorbehalten."
Art. 24 Terrain, Überdeckung
"Die zu errichtenden Anlagen dürfen nicht über das gewachsene Terrain (die heutige Terrainlinie) hinausragen, ausgenommen solche gemäss Art. 25; Terrainveränderungen sind gestattet, wenn sie sich der Umgebung gut einfügen.
Mit Ausnahme der Ostfassade dürfen Fassaden nicht freigelegt werden. Die Anlagen sind mit Humus zu überdecken und mit standortgemässen Pflanzen und Sträuchern zu bepflanzen; diese sind entsprechend den Anforderungen des Landschaftsschutzes zu unterhalten."
BGE 111 Ia 329 S. 335
Der Regierungsrat schloss Art. 22 und Art. 24 Abs. 3 BauO von der Genehmigung aus mit der Begründung, die Vorschriften verstiessen gegen § 238 Abs. 3 PBG , wonach Möglichkeit und Bedürfnis hinsichtlich Begrünung im einzelnen Bewilligungsfall zu prüfen seien. Auch in diesem Punkt kann der Genehmigungsbehörde keine unhaltbare Auslegung des kantonalen Rechts vorgeworfen werden. § 238 PBG legt folgendes fest:
"Bauten, Anlagen und Umschwung sind für sich und in ihrem Zusammenhang mit der baulichen und landschaftlichen Umgebung im ganzen und in ihren einzelnen Teilen so zu gestalten, dass eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird; diese Anforderung gilt auch für Materialien und Farben.
Auf Objekte des Natur- und Heimatschutzes ist besondere Rücksicht zu nehmen; sie dürfen auch durch Nutzungsänderungen und Unterhaltsarbeiten nicht beeinträchtigt werden, für die keine baurechtliche Bewilligung nötig ist.
Wo die Verhältnisse es zulassen, kann mit der baurechtlichen Bewilligung verlangt werden, dass vorhandene Bäume bestehen bleiben, neue Bäume und Sträucher gepflanzt werden sowie der Vorgarten als Grünfläche hergerichtet wird."
Gemäss § 238 Abs. 3 PBG darf die Bepflanzung und die Anlage von Grünflächen nur verlangt werden, "wo die Verhältnisse es zulassen". Der Regierungsrat konnte mit sachlichen Gründen erwägen, damit werde abschliessend geregelt, dass jeweils im Einzelfall unter Würdigung der betreffenden Verhältnisse darüber befunden werden müsse, ob und inwieweit eine Bepflanzung oder eine Anlage von Grünflächen verlangt werden dürfe, und es den Gemeinden daher nicht gestattet sei, ganz allgemein in dieser Hinsicht strengere Anforderungen zu stellen. Verhält es sich so, dann ist die Beschwerdeführerin in jenen Bereichen, die durch Art. 22 und Art. 24 Abs. 3 BauO betroffen werden, nicht autonom, weshalb die Nichtgenehmigung dieser Vorschriften durch die kantonale Behörde keine Verletzung der Gemeindeautonomie bedeutet. Die Beschwerde geht somit auch insoweit fehl.

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