BGE 112 IB 350 vom 11. Juli 1986

Datum: 11. Juli 1986

Artikelreferenzen:  Art. 15 VG , Art. 15 Abs. 5 VG, Art. 103 OG, Art. 103 lit. a OG, Art. 100 lit. f OG, Art. 15 Abs. 3 VG

BGE referenzen:  106 IB 173, 139 IV 161 , 106 IB 175, 106 IB 174, 106 IB 173

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

112 Ib 350


57. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. Juli 1986 i.S. A.H. gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Bundesbeamte.
Auch im Ermächtigungsverfahren nach Verantwortlichkeitsgesetz richtet sich die Beschwerdelegitimation nach Art. 103 OG (Änderung der Rechtsprechung).

Erwägungen ab Seite 350

BGE 112 Ib 350 S. 350
Auszug aus den Erwägungen:

2. a) Nach Art. 15 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (Verantwortlichkeitsgesetz, VG; SR 170.32) bedarf die Strafverfolgung von Bundesbeamten wegen strafbarer Handlungen, die sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen, einer Ermächtigung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements.
BGE 112 Ib 350 S. 351
Gegen die Verweigerung der Ermächtigung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zulässig ( Art. 15 Abs. 5 VG ; Art. 100 lit. f OG ); die Beschwerde steht nur dem Verletzten, der die Bestrafung des Beamten verlangt, sowie dem öffentlichen Ankläger des Begehungskantons zu ( Art. 15 Abs. 5 VG ).
b) Das Bundesgericht hat in BGE 106 Ib 174 f. ausgeführt, der Begriff des Verletzten im Sinne von Art. 15 VG stimme nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung mit dem entsprechenden Begriff im Strafrecht überein. Verletzt sei danach nicht jeder, dessen Interessen durch die strafbare Handlung irgendwie, namentlich bloss mittelbar, betroffen würden, sondern nur, wer selber Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes sei. Es sei daher nicht jeder Anzeiger zugleich auch verletzt im Sinne von Art. 15 Abs. 5 VG und damit zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert, sondern nur derjenige, gegen den sich die strafbare Handlung gerichtet habe, und der durch diese in seinen Rechten verletzt worden sei. Dies entspreche der Formulierung von Art. 103 Abs. 1 des alten OG, gelte aber auch nach der Revision des OG im Jahre 1968 weiter; es begründet diese Auffassung damit, dass mit der OG-Revision zwar die Beschwerdelegitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Art. 103 lit. a OG weiter gefasst worden sei, sich aber die Beschwerdebefugnis bei der Verweigerung einer Ermächtigung zur Strafverfolgung weiterhin nach Art. 15 Abs. 5 VG - als lex specialis - richte. Anders entscheiden hiesse den Sinn und Zweck des Ermächtigungsverfahrens verkennen, das den Beamten einen weitergehenden Rechtsschutz gewähren wolle als den übrigen Rechtsunterworfenen: Stünden die Rechtsmittel im Ermächtigungsverfahren einem weitergehenden Personenkreis offen als im nachfolgenden Strafverfahren, wo nur der Verletzte Parteistellung erlangen und allenfalls Rechtsmittel einlegen könne, so könnten Personen im Rahmen eines Ermächtigungsverfahrens mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gelangen, denen im nachfolgenden Strafverfahren keine Parteistellung zukäme; dadurch würde der Beamte schlechter gestellt als andere Rechtsunterworfene.
c) An dieser Rechtsprechung kann nicht festgehalten werden. Die Schlussbestimmungen der Änderungen des OG vom 20. Dezember 1968 bestimmen in Absatz 2, dass mit dem Inkrafttreten des Gesetzes die Bestimmungen anderer Erlasse - und damit auch des VG - aufgehoben werden, die dem revidierten OG widersprechen. Das Bundesgericht hat dies in BGE 106 Ib 173 ff. offenbar
BGE 112 Ib 350 S. 352
übersehen. Das revidierte OG erklärt in Art. 100 lit. f die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Bundespersonal ausdrücklich als zulässig. Ist aber die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde einmal gegeben, so beurteilt sich die Legitimation zu derselben allein nach Art. 103 OG ; für allfällige Einschränkungen bleibt kein Raum. Daran ändert auch das Argument nichts, dass bei anderer Auffassung allenfalls im Ermächtigungsverfahren ein weiterer Personenkreis legitimiert sein könnte als im nachfolgenden Strafverfahren. Der Sinn und Zweck des Ermächtigungsverfahrens, Amtsträger des Bundes vor unbegründeten, insbesondere trölerischen oder mutwilligen Strafanzeigen zu schützen und dadurch den reibungslosen Gang der Verwaltung sicherzustellen ( BGE 106 Ib 175 f. mit Hinweisen), wird dadurch in keiner Weise in Frage gestellt: Art. 15 Abs. 3 VG umschreibt die Voraussetzungen, unter welchen die Ermächtigung verweigert werden darf; dadurch ist ausreichend Gewähr dafür geboten, dass der Beamte vor ungerechtfertigten Strafuntersuchungen bewahrt, nicht aber die umfassende Abklärung eines möglicherweise strafrechtlich relevanten Sachverhaltes - was Aufgabe des Strafverfahrens ist - verhindert wird.
Es ist daher auch gegen die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Bundesbeamten zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat ( Art. 103 lit. a OG ); zur Beschwerdeführung genügt dabei auch ein bloss faktisches Interesse ( BGE 106 Ib 175 mit Hinweisen).

Diese Seite ist durch reCAPTCHA geschützt und die Google Datenschutzrichtlinie und Nutzungsbedingungen gelten.

Feedback
Laden