Federal court decision 112 IB 606 from Dec. 29, 1986

Date: Dec. 29, 1986

Related articles:  Art. 321 StGB

Related court decisions:  114 III 105, 115 IA 197, 117 IA 341, 120 IB 112, 132 II 103, 135 III 410, 135 III 597 , 87 IV 108, 91 I 205, 87 IV 107, 101 IA 11, 106 IV 132, 106 IV 132

Source: bger.ch

Urteilskopf

112 Ib 606


86. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Dezember 1986 i.S. Dr. X. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 10 des Staatsvertrages mit den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe in Strafsachen; Aussagepflicht des Anwalts.
Der Anwalt kann im Rechtshilfeverfahren nicht unter Berufung auf das Berufsgeheimnis bzw. das entsprechende Zeugnisverweigerungsrecht Auskünfte über vertrauliche Tatsachen verweigern, die er im Zusammenhang mit einer Tätigkeit erfahren hat, die sich in einer blossen Vermögensverwaltung oder Geldanlage erschöpft.

Erwägungen ab Seite 606

BGE 112 Ib 606 S. 606
Aus den Erwägungen:
b) Art. 321 StGB stellt u.a. die Verletzung des Berufsgeheimnisses durch Rechtsanwälte unter Strafe. Diese Bestimmung wurde erlassen, um die Ausübung der darin aufgezählten Berufe im öffentlichen Interesse zu erleichtern, und findet ihre Rechtfertigung in der Überlegung, dass diese Berufe nur dann richtig und einwandfrei ausgeübt werden können, wenn das Publikum auf Grund einer unbedingten Garantie der Verschwiegenheit das unentbehrliche Vertrauen zum Inhaber des Berufes hat ( BGE 87 IV 108 E. 2b). Bei der Beziehung zwischen Anwalt und Klient muss vorausgesetzt werden dürfen, dass der Klient voll auf die Verschwiegenheit des Anwalts vertrauen darf. Wenn der Klient sich ihm nicht rückhaltslos
BGE 112 Ib 606 S. 607
anvertraut und ihm nicht Einblick in alle erheblichen Verhältnisse gewährt, so ist es für den Anwalt schwer, ja unmöglich, den Klienten richtig zu beraten und ihn im Prozess wirksam zu vertreten. Soll der Anwalt auf das für ihn notwendige Vertrauen zählen können, setzt dies daher voraus, dass ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht in bezug auf diejenigen Tatsachen zusteht, die ihm infolge seines Berufes anvertraut worden sind oder die er in dessen Ausübung wahrgenommen hat. Andernfalls müsste der Klient damit rechnen, dass der von ihm beigezogene Anwalt eines Tages möglicherweise zur Preisgabe der ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauten Tatsachen gezwungen würde, obwohl dem Klient selber möglicherweise in bezug auf diese Tatsachen ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen könnte (vgl. dazu BGE 91 I 205 /206 E. 3 mit Hinweisen). Dass mit diesem Zeugnisverweigerungsrecht die Schwierigkeiten bei der Wahrheitsfindung möglicherweise erhöht werden, muss in einem Rechtsstaat in Kauf genommen werden.
Im Hinblick auf diese Konsequenzen und die für den Geheimnisträger bestehende Verpflichtung zur Geheimniswahrung erstreckt sich das Berufsgeheimnis, wie der Wortlaut von Art. 321 StGB deutlich zeigt, nur auf Tatsachen, die der Klient seinem Anwalt anvertraut, um ihm die Ausübung des Mandates zu ermöglichen, oder die der Anwalt in Ausübung seines Berufes wahrnimmt. Insoweit dürfen die Geheimnisse weder durch mündliche oder schriftliche Mitteilung noch indirekt durch Aushändigung von Schriftstücken oder andern Sachen, die das Geheimnis betreffen, verraten werden. Es handelt sich hiebei um eine strikte Verpflichtung, die auch nach der Aufhebung der vertraglichen Beziehungen zwischen Anwalt und Klient weiterbesteht; dabei ist bedeutungslos, ob diese Beziehungen infolge von Erfüllung, Kündigung oder Widerruf des Mandats, Tod des Mandanten oder andern Umständen enden (vgl. BGE 87 IV 107 E. 2 mit Hinweisen; RStrS 1973 S. 25/26 Nr. 455). Auf der andern Seite ist der Anwalt nicht zur Verschwiegenheit bezüglich solcher Tatsachen gehalten, die er als Privatperson wahrgenommen hat oder die allgemein bekannt sind, so dass der Klient zum vornherein kein Interesse haben kann, sie gegenüber irgendwem geheimzuhalten (vgl. BGE 101 Ia 11 /12 E. 5c mit Hinweisen; BGE 75 IV 73 /74 E. 1). In gleicher Weise ist beim Anwaltsgeheimnis und dem damit korrespondierenden Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts zwischen Anwalts- und Geschäftstätigkeit zu unterscheiden. Diese Unterscheidung
BGE 112 Ib 606 S. 608
drängt sich namentlich in Fällen auf, in denen der Anwalt ein Verwaltungsratsmandat bekleidet. Überwiegt in diesen Fällen das kaufmännische Element derart, dass die Tätigkeit des Anwalts nicht mehr als eine anwaltliche betrachtet werden kann, kann sich das Berufsgeheimnis auf diese Tätigkeit jedenfalls nicht in einem umfassenden Sinn erstrecken (vgl. hiezu den nicht veröffentlichten BGE vom 2. Juni 1986 i.S. M.; PETER BÖCKLI, Anwaltsgeheimnis und Fiskus im Rechtsstaat, in: Mitteilungen des Schweizerischen Anwaltsverbandes 1979, Nr. 64, S. 12 und 14; ALBERT-LOUIS DUPONT-WILLEMIN, Le secret professionnel et l'indépendance de l'avocat, in derselben Zeitschrift, 1986, Nr. 101, S. 22 ff.). Im Bereiche des ärztlichen Berufsgeheimnisses hat das Bundesgericht eine Verletzung desselben durch einen Arzt verneint, der, von der zuständigen IV-Kommission mit einer medizinischen Abklärung des Beschwerdeführers betraut, dessen schriftlich angebrachte Zweifel an der Zweckmässigkeit der Untersuchung der Kommission zur Kenntnis brachte. Das Bundesgericht erwog, die vom Beschwerdeführer geäusserten Zweifel seien nicht im Rahmen der zwischen Arzt und Patient bestehenden besonderen Beziehungen erfolgt ( BGE 106 IV 132 E. 2).
c) Diese Beispiele zeigen, dass die Entscheidung darüber, welche Tatsachen vom Berufsgeheimnis umfasst werden, nicht schematisch, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles getroffen werden kann. Dabei ist in jedem Fall zu prüfen, ob die Tätigkeit des Anwalts im Zeitpunkt, in dem ihm die strittigen Tatsachen anvertraut wurden, tatsächlich eine anwaltliche war. Hat der Anwalt vertrauliche Tatsachen im Zusammenhang mit einer privaten, politischen, sozialen oder einer andern, nicht berufsspezifischen Tätigkeit erfahren, steht insoweit das Berufsgeheimnis und das damit korrespondierende Zeugnisverweigerungsrecht einer Auskunftserteilung nicht entgegen. Dabei sind zu den nicht berufsspezifischen Tätigkeiten namentlich auch Vermögensverwaltungen oder die Anlage von Geldern zu zählen, dies jedenfalls dann, wenn sie nicht mit einem zur normalen Anwaltstätigkeit gehörenden Mandat - so z.B. mit einer Güterausscheidung oder einer Erbteilung - verbunden sind. Von diesen Ausnahmen abgesehen stellen die erwähnten Tätigkeiten Aktivitäten dar, die normalerweise von Vermögensverwaltern, Treuhandbüros oder Banken wahrgenommen werden und nicht unter dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses stehen. Wollte man die Dinge anders betrachten, so hätte es ein Beschuldigter in der Hand, durch
BGE 112 Ib 606 S. 609
Einschaltung eines Anwalts als Mittelsmann einen Erlös aus einer Straftat unter Umständen dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen.
d) Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der eigenen Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde, dass sich Y. einzig an ihn gewandt hatte, um die streitigen Gelder - allenfalls mittels Errichtung einer Familienstiftung nach Liechtensteiner Recht - anzulegen. Diese Geldanlage stellt eine Tätigkeit dar, bei der das kaufmännische Element überwiegt und die auch regelmässig von Banken und Treuhandbüros wahrgenommen wird. Nach dem Gesagten geniesst sie deshalb nicht den Schutz des Anwaltsgeheimnisses bzw. des entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechts. Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob eine Bank, die von einem Anwalt Geld eines Klienten erhält, als dessen Hilfsperson im Sinne von Art. 321 StGB gelten kann. Ebenso stösst die Rüge des Beschwerdeführers, es werde ihm entgegen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit eine Verletzung der Standesregeln zugemutet, ins Leere.

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