BGE 112 IV 31 vom 6. März 1986

Datum: 6. März 1986

Artikelreferenzen:  Art. 186 StGB , Art. 24 BMM

BGE referenzen:  128 IV 81, 146 IV 320 , 103 IV 163, 90 IV 76, 83 IV 157

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

112 IV 31


9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. März 1986 i.S. E. gegen Fa. R. AG (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 186 StGB . Hausfriedensbruch.
Der Mieter/Pächter ist solange Träger des Hausrechts bzw. "Berechtigter", als ihm die tatsächliche Verfügungsgewalt über die benützten Räume zusteht, auch wenn das Vertragsverhältnis durch rechtskräftige Kündigung beendet ist.

Sachverhalt ab Seite 31

BGE 112 IV 31 S. 31

A.- Am 28. März 1974 schloss die Firma R. Bau- und Immobilien AG mit E. einen Pachtvertrag über ihre 49 380 m2 umfassende Liegenschaft Parzelle Nr. 687 an der Oberstrasse 257a in St. Gallen, zu einem monatlichen Pachtzins von Fr. 250.--, wobei der Pachtbeginn für Haus und Stall auf 1. Mai 1974 und jener für das Land auf 1. Oktober 1974 festgesetzt wurde. Am 13. November 1980 kündigte die Verpächterin den Vertrag auf 30. April bzw. 30. September 1983. Diese Kündigung blieb unangefochten, und es wurde kein Erstreckungsgesuch eingereicht. Der Aufforderung vom 23. Januar 1984, die Liegenschaft bis spätestens 6. Februar 1984 zu verlassen, zu räumen und nicht mehr zu betreten, leistete der Pächter keine Folge. Daraufhin reichte der Vertreter der Verpächterin am 27. April 1984 "namens und im Auftrag der R. Bau- und Immobilien AG" gegen E. Strafanzeige wegen Hausfriedensbruches im Sinne von Art. 186 StGB ein.
Dem Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs gingen verschiedene aufwendige (hier nicht in Betracht fallende) betreibungs-, verwaltungs-, straf- und zivilrechtliche Verfahren voraus.

B.- Am 2. Juli 1984 sprach die II. Gerichtskommission des Bezirksgerichts St. Gallen E. des Hausfriedensbruches schuldig und verurteilte ihn zu 10 Tagen Gefängnis bedingt bei einer Probezeit von 2 Jahren.
Nach Zustellung dieses Urteils wurde E. mit Schreiben der Verpächterin vom 20. August 1984 erneut aufgefordert, die Liegenschaft
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bis Ende August 1984 zu verlassen. Da auch dieses Schreiben ohne Folge blieb, reichte die Verpächterin am 20. November 1984 eine zweite Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs ein.
Mit Urteil vom 21. Mai 1985 bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen im Berufungsverfahren den erstinstanzlichen Entscheid im Schuld- und Strafpunkt.

C.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt E., das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen sei aufzuheben.
Die Beschwerdegegnerin liess sich mit dem Antrag vernehmen, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

2. Der Beschwerdeführer bestreitet, sich des Hausfriedensbruchs nach Art. 186 StGB schuldig gemacht zu haben.
Die Vorinstanz konnte sich jenem Teil der Lehre (STRATENWERTH, BT I, 3. Aufl., 1983 § 5 N. 82; SCHUBARTH, Kommentar zum StGB, N. 27/41 zu Art. 186), wonach der Vermieter (Verpächter) nach Vertragsauflösung das Hausrecht nicht automatisch wiedererlange, m.a.W. das Hausrecht des Mieters (Pächters) nicht mit Vertragsablauf, sondern erst mit seinem Auszug erlösche, im vorliegenden Fall nicht anschliessen. Sie kam nach einlässlicher Prüfung zum Schluss, der Beschwerdeführer habe "vorsätzlich unberechtigterweise" die Liegenschaft der Verpächterin über den 6. Februar 1984 hinaus bewohnt und bewirtschaftet, die Kündigung vom 13. November 1980 mit Wirkung auf 30. April bzw. 30. September 1983 sei rechtsgültig und der Einwand des Sachverhaltsirrtums sei "zumindest für die Zeit seit der Zustellung des zweiten Entscheides der Rekurskommission des Kantonsgerichts" (28. März 1984) zu verneinen. Zusammenfassend hielt sie fest, der Beschwerdeführer habe den Tatbestand des Hausfriedensbruchs dadurch erfüllt, "dass er trotz gekündigten Pachtvertrages und entgegen der demzufolge berechtigten Aufforderung der Klägerin, die Liegenschaft spätestens am 6. Februar 1984 zu verlassen, ohne Rechtsgrundlage auf dem Pachtobjekt verblieben ist, obwohl ihm der Mangel einer Rechtsgrundlage für sein Verbleiben bewusst sein musste".
Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, die Strafklägerin sei nicht "Berechtigte" im Sinne von Art. 186 StGB und die
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Kündigung erweise sich wegen Vertragswidrigkeit sowie Verstosses gegen den analog anwendbaren Art. 24 BMM (Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972; SR 221.213.1) als nichtig oder ungültig.

3. Nach Art. 186 StGB macht sich wegen Hausfriedensbruches strafbar, wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung usw. unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt. Geschütztes Rechtsgut ist das Hausrecht, worunter die Befugnis zu verstehen ist, über die bestimmten Räume ungestört zu herrschen und darin den eigenen Willen frei zu betätigen. Träger dieses Rechts ist derjenige, dem die Verfügungsgewalt über die Räume zusteht, gleichgültig, ob jene auf einem dinglichen oder obligatorischen Recht oder auf einem öffentlichrechtlichen Verhältnis beruht ( BGE 103 IV 163 ; BGE 90 IV 76 mit Verweisungen). Berechtigter kann somit entsprechend einhelliger Lehre und Rechtsprechung nicht nur der Eigentümer, sondern auch der Mieter, Untermieter, Pächter oder der zuständige Beamte bei Amtsräumen usw. sein (STRATENWERTH, a.a.O., § 5 N. 75; SCHUBARTH, a.a.O., N. 25 zu Art. 186; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., 1964, S. 409/10 N. 634a; SCHÖNKE/SCHRÖDER, Kommentar zum deutschen Strafgesetz, 22. Aufl., 1985, N. 16 und 29 zu § 123; RUDOLPHI, Kommentar zum deutschen Strafgesetz, N. 14 und 21 zu § 123).
a) Vorliegend hat die Eigentümerin und Verpächterin durch den Pachtvertrag vom 28. März 1974 dem Beschwerdeführer das "Hausrecht" bezüglich ihrer Liegenschaft eingeräumt, mithin auf ihr Hausrecht verzichtet, so dass während der Wirksamkeit des Vertrages nur der Pächter als Träger des Hausrechts im Sinne des Art. 186 StGB "Berechtigter" sein konnte. Die "Berechtigung" ging aber auch nicht auf die Verpächterin über, als der Pachtvertrag am 30. April bzw. 30. September 1983 aufgrund rechtskräftiger Kündigung zu Ende ging, da der Beschwerdeführer die tatsächliche Verfügungsmacht, "über die bestimmten Räume ungestört zu herrschen und darin den eigenen Willen frei zu betätigen", über den 6. Februar 1984 hinaus beibehielt.
b) Auch wenn die Weigerung des Beschwerdeführers, die gepachteten Räume trotz verbindlich festgestellter Kündigung zu verlassen bzw. sein Verweilen in diesen als rechtswidrig bezeichnet werden muss, konnte die Verpächterin dadurch weder das Hausrecht "automatisch wiedererlangen", noch wurde sie im Sinne von
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Art. 186 StGB als "Berechtigte" verletzt. Verletzungen des Pachtvertrages durch den Pächter (Mieter) berühren die privatrechtlichen Ansprüche des Verpächters (Vermieters) und Eigentümers, greifen indessen nicht in jene Persönlichkeits- und Herrschaftssphäre ein, die das strafrechtlich geschützte Hausrecht zum Gegenstand hat; der Verpächter (Vermieter) bleibt in solchen Fällen auf die Rechtsbehelfe des Zivilprozess- und Vollstreckungsrechts und gegebenenfalls des Polizeistrafrechts angewiesen ( BGE 83 IV 157 ).
c) Das Hausrecht beginnt beim Einzug in die bestimmten Räume und endet mit dem Auszug aus denselben. Geht das Miet- bzw. Pachtverhältnis zu Ende, so behält der Mieter (Pächter) das Hausrecht, bis er die Wohnung usw. tatsächlich räumt. Art. 186 StGB hat die Funktion, die Privat- und Geheimsphäre (Hausrecht) des Wohnungsinhabers zu schützen, nicht aber dem Vermieter (Verpächter) die Durchsetzung seiner Ansprüche aus Miet- bzw. Pachtvertrag mit Hilfe des Strafrechts zu erleichtern (STRATENWERTH, a.a.O., § 5 N. 82; SCHUBARTH, a.a.O., N. 27 und 41 zu Art. 186; WALTER SCHMID, Der Hausfriedensbruch, Diss. Zürich, 1921, S. 78/79; SCHÖNKE/SCHRÖDER, a.a.O., N. 17 und 29 zu § 123; RUDOLPHI, a.a.O., N. 14 und 15; MAURACH, 1969, Deutsches Strafrecht, BT, § 23, S. 182/183/184; LACKNER, StGB, 16. Aufl., 1985, S. 601, N. 4b in fine; Entscheidungen des (deutschen) Reichsgerichts, zit. RGSt, 36. Bd., S. 323).

4. Nach dem Gesagten konnte das Verhalten des Beschwerdeführers den Tatbestand des Hausfriedensbruches nicht erfüllen, was zur Gutheissung seiner Nichtigkeitsbeschwerde führt. Demzufolge ist das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an das Kantonsgericht St. Gallen zurückzuweisen.

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