Urteilskopf
114 Ib 244
37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. November 1988 i.S. Inreska Ltd. und Schweizerische Kreditanstalt gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Versicherungsaufsichtspflicht (BG betreffend die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen vom 23. Juni 1978, VAG; SR 961.01).
1. Zuständig für den Entscheid über die Versicherungsaufsichtspflicht ist das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (E. 2).
2. Begriff der Versicherungseinrichtung (E. 4).
3. Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Versicherungsaufsicht nach
Art. 4 Abs. 2 VAG
(E. 5).
4. Versicherungseinrichtung mit Sitz im Ausland: Bedeutung von Art. 3 Abs. 1 der VO über die Abgrenzung der Versicherungsaufsichtspflicht vom 11. Februar 1976 (SR 961.11) nach Erlass des VAG für die Befreiung von der Aufsichtspflicht (E. 6).
Die Inreska Ltd. mit Sitz in Guernsey wurde per 1. Januar 1984 als Tochtergesellschaft der Schweizerischen Kreditanstalt gegründet zum Zwecke der Übernahme von Risiken der Schweizerischen Kreditanstalt selber und der von ihr mehrheitlich kontrollierten Tochtergesellschaften im Banken- und Finanzbereich.
Mit Eingaben vom 15. Februar und vom 25. April 1984 an das Bundesamt für Privatversicherungswesen stellte die Schweizerische Kreditanstalt ein Gesuch um Befreiung der Inreska Ltd. von der Versicherungsaufsichtspflicht. Mit Verfügung vom 31. Januar 1986 wies das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement dieses Gesuch ab.
Gegen diese Verfügung erheben die Inreska Ltd. und die Schweizerische Kreditanstalt Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie rügen in formeller Hinsicht, erstinstanzlich hätte das Bundesamt für Privatversicherungswesen und nicht das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement verfügen müssen, und das Departement habe sie vor Erlass der Verfügung nicht angehört. In materieller Hinsicht machen sie geltend, es fehle jedes Bedürfnis für eine Beaufsichtigung, weshalb die Inreska Ltd. gestützt auf Art. 4 Abs. 2 des Bundesgesetzes betreffend die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen vom 23. Juni 1978 (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG; SR 961.01) oder gestützt auf
Art. 3 der Verordnung über die Abgrenzung der Versicherungsaufsichtspflicht vom 11. Februar 1976 (Abgrenzungsverordnung; SR 961.11)
von der Aufsicht auszunehmen sei.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Im zweiten Schriftenwechsel machen die Inreska Ltd. und die Schweizerische Kreditanstalt zusätzlich geltend, es liege gar keine aufsichtspflichtige Versicherungseinrichtung vor.
Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 43 Abs. 1 VAG
stehen die Aufsicht und die Entscheidungsbefugnis dem Eidgenössischen Versicherungsamt (heute: Bundesamt für Privatversicherungswesen) zu, soweit
BGE 114 Ib 244 S. 246
nicht ausdrücklich das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement als zuständig erklärt wird. Die Bewilligung zum Geschäftsbetrieb wird durch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement erteilt (
Art. 7 VAG
). Die Frage, ob überhaupt eine aufsichtspflichtige Versicherungseinrichtung vorliegt (
Art. 3 VAG
), oder ob eine solche von der Aufsicht auszunehmen sei, ist nun regelmässig Vorfrage der Bewilligungserteilung und steht damit sachlich in engem Zusammenhang. Sie ist von derselben Behörde, die zur Bewilligungserteilung zuständig ist, zu entscheiden.
Art. 3 der Abgrenzungsverordnung, die die Abgrenzung von schweizerischen und nichtschweizerischen Einrichtungen regelt, erklärt zwar noch das Eidgenössische Versicherungsamt (heute: Bundesamt für Privatversicherungswesen) für den Entscheid über die Versicherungsaufsichtspflicht als zuständig. Die Abgrenzungsverordnung ist aber noch vor dem VAG erlassen worden und nicht mehr anwendbar, soweit Widersprüche zum VAG bestehen (so ausdrücklich Art. 2 des Bundesratsbeschlusses über die Inkraftsetzung des VAG und die Weitergeltung von Bundesrecht vom 22. November 1978; SR 961.011). Damit war das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement zum Erlass der angefochtenen Verfügung zuständig.
3.
Die Beschwerdeführerinnen rügen, das Departement habe ohne eigene Prüfung und Beurteilung entschieden und ihnen auch nicht Gelegenheit gegeben, ihren Standpunkt zu erläutern. Die angefochtene Verfügung trägt die Unterschrift der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements. Sie ist von ihr getroffen worden. Die Instruktion (Vorbereitung und Antragstellung) konnte sie dem ihr unterstellten und in der Sache zuständigen Bundesamt für Privatversicherungswesen überlassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (
Art. 29 VwVG
,
Art. 4 BV
) verlangt nicht eine persönliche Anhörung durch die Vorsteherin des Departementes (
BGE 103 Ib 195
/6) oder eine Unterbreitung des Verfügungsentwurfs zur Stellungnahme (
BGE 113 Ia 288
E. d;
BGE 103 Ia 492
).
Im Rahmen der Instruktion durch das Bundesamt für Privatversicherungswesen hatten die Beschwerdeführerinnen mehrfach Gelegenheit, ihren Standpunkt darzulegen. Es war ihnen unbenommen, alles vorzutragen, was ihr Gesuch hätte stützen können. Von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann daher nicht die Rede sein.
BGE 114 Ib 244 S. 247
4.
a) Gemäss
Art. 1 VAG
übt der Bund, insbesondere zum Schutze der Versicherten, die Aufsicht über die privaten Versicherungen aus. Der Aufsicht unterstehen die privaten Versicherungseinrichtungen, die in der Schweiz oder von der Schweiz aus im direkten Geschäft oder im Rückversicherungsgeschäft tätig sind (
Art. 3 Abs. 1 VAG
). Der Begriff der Versicherung wird vom Versicherungsaufsichtsgesetz nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wird die Versicherung mit den folgenden fünf begriffsnotwendigen Merkmalen umschrieben (
BGE 107 Ib 56
mit Hinweisen):
a) das Risiko oder die Gefahr
b) die Leistung des Versicherten (die Prämie)
c) die Leistung des Versicherers
d) die Selbständigkeit der Operation
e) die Kompensation der Risiken nach den Gesetzen der Statistik (der planmässige Geschäftsbetrieb).
b) Die Inreska Ltd. wurde zum Zwecke der Übernahme von Risiken der Schweizerischen Kreditanstalt und ihrer Tochtergesellschaften gegründet. Diese Gesellschaften haben eine Prämie zu entrichten und erhalten im Schadenfalle die vereinbarte Leistung. Zweck der Gründung der Inreska Ltd. ist es sodann gerade, mögliche Risiken im Bankensektor planmässig zu erfassen. Die Merkmale a, b, c und e des Versicherungsbegriffs sind denn auch ohne weiteres erfüllt, und die Beschwerdeführerinnen bestreiten dies auch nicht. Dagegen machen sie geltend, es fehle an der Selbständigkeit der Operation.
c) Mit dem Erfordernis der Selbständigkeit der Operation wird die Versicherung abgegrenzt gegenüber anderen Rechtsgeschäften, bei denen die Verpflichtung zur Erbringung einer Leistung im Schadenfall bloss eine Nebenabrede oder Modalität des anderen Vertragsteils darstellt. Bei der Beurteilung dieser Frage ist nicht die formale Ausgestaltung, sondern der innere Zusammenhang zwischen den versprochenen Leistungen entscheidend (
BGE 76 I 372
). Auch wo ein gemischtes Rechtsgeschäft vorliegt, kann unter Umständen die Selbständigkeit der Operation bejaht werden (
BGE 107 Ib 60
mit Hinweisen). Sie kann demgegenüber auch fehlen, wo formell zwar mehrere selbständige Verträge abgeschlossen werden, derjenige, mit dem die Versicherungsleistung versprochen wird, aber gleichwohl als Nebenabrede im Rahmen des gesamten Vertragswerks erscheint (
BGE 76 I 372
).
BGE 114 Ib 244 S. 248
Die mit der Inreska Ltd. abgeschlossenen Verträge haben zum Zweck, Schadenfälle der Schweizerischen Kreditanstalt und ihrer Tochtergesellschaften zu decken. Sie enthalten keine anderen Vertragsbestandteile und sind nicht Teil eines übergeordneten Vertragswerks. Daran ändert die Einbettung der Inreska Ltd. in den Konzern der Schweizerischen Kreditanstalt nichts. Die Verträge werden zwischen verschiedenen juristischen Personen abgeschlossen. Sie stellen auch nicht blosse Nebenabreden eines Hauptgeschäfts dar. Damit ist das Merkmal der Selbständigkeit der Operation gegeben. Es liegt eine Versicherungseinrichtung im Sinne des Versicherungsaufsichtsgesetzes vor.
5.
a) Nach
Art. 4 Abs. 1 VAG
sind von der Aufsicht unter anderem ausgenommen die ausländischen Versicherungseinrichtungen, die in der Schweiz nur das Rückversicherungsgeschäft betreiben (lit. a), sowie die Personalversicherungseinrichtungen eines privaten Arbeitgebers, eines oder mehrerer öffentlicher Arbeitgeber sowie mehrerer privater Arbeitgeber, die wirtschaftlich oder finanziell eng miteinander verbunden sind (lit. c). Nach
Art. 4 Abs. 2 VAG
kann das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement "weitere Versicherungseinrichtungen, bei denen ähnliche Verhältnisse es rechtfertigen, von der Aufsicht ausnehmen".
Die Beschwerdeführerinnen sind der Meinung,
Art. 4 Abs. 2 VAG
sei auf die Inreska Ltd. anzuwenden.
b) Zweck des Versicherungsaufsichtsgesetzes ist "insbesondere" der Schutz der Versicherten (
Art. 1 VAG
), wobei der Begriff des Versicherten im weitesten Sinne zu verstehen ist. Dazu gehören der Versicherungsnehmer, der Versicherte im versicherungsvertraglichen Sinn, der Anspruchsberechtigte, der Geschädigte und selbst der Versicherungsinteressent. Vom Aufsichtszweck wird zudem die Wahrung der öffentlichen Ordnung umfasst (BBl 1976 II 892/3). Ganz allgemein ist für ein ordnungsmässig funktionierendes Versicherungswesen zu sorgen (P. PFUND, Konsumentenschutz in der Assekuranz, in: Schweizerische Versicherungszeitschrift Bd. 56 1988, S. 4; URS-DIETER KUBLI, Aufsicht und unternehmerisches Handeln, Diss. St. Gallen 1988, S. 53). Die Insolvenz einer einzigen Versicherungsgesellschaft könnte einen Vertrauensschwund in das ganze Versicherungsgewerbe zur Folge haben (ARMAND WYRSCH, Die schweizerische Staatsaufsicht über die Rückversicherung, Diss. Zürich 1957, S. 40, 51, 139/40). Das Schutzbedürfnis wird vom Gesetz daher ohne weiteres
BGE 114 Ib 244 S. 249
als gegeben erachtet, und
Art. 3 Abs. 1 VAG
statuiert die Aufsichtspflicht dem Grundsatz nach für alle Versicherungseinrichtungen.
Folgerichtig besteht keine Generalklausel, aufgrund derer bei fehlendem Schutzbedürfnis eine Versicherungseinrichtung von der Aufsicht ausgenommen werden kann.
Art. 4 Abs. 2 VAG
verlangt vielmehr, dass ähnliche Verhältnisse wie bei den nach Abs. 1 genannten Versicherungseinrichtungen eine Ausnahme von der Aufsicht rechtfertigen. Zu fragen ist also nach den Überlegungen, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, bestimmte Versicherungseinrichtungen in
Art. 4 Abs. 1 VAG
von der Aufsicht auszunehmen. Erfüllt eine Versicherungseinrichtung diese Ausnahmebestimmungen nicht in vollem Umfang, lassen sich aber die Überlegungen, die Anlass für die vergleichbare Ausnahmebestimmung waren, auf sie übertragen, so ist ein Ausnahmegrund nach
Art. 4 Abs. 2 VAG
gegeben (ALFRED MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2. A., Bern 1986, S. 96). Diese restriktive Interpretation folgt aus dem Wortlaut von
Art. 4 Abs. 2 VAG
und aus der Absicht des Gesetzgebers, die Ausnahmen möglichst abschliessend festzulegen (BBl 1976 II 894). Eigentlichen Anlass zur Neuordnung des Versicherungsaufsichtsgesetzes bildeten nämlich die im Laufe der Zeit aufgetretenen Probleme der Abgrenzung der zu beaufsichtigenden Einrichtungen (HEINZ MEYER, Abgrenzung und Umfang der Versicherungsaufsicht, in: Schweizerische Versicherungszeitschrift, Bd. 46 1978, S. 347; U. CHRISTINGER, Das schweizerische Versicherungsaufsichtsrecht, in: Schweizerische Versicherungszeitschrift, Bd. 42 1974/75, S. 8/9). Die mit dem neuen Versicherungsaufsichtsgesetz vorgenommene Abgrenzung darf daher nicht durch eine Aufsichts- und Gerichtspraxis unterlaufen werden, die lediglich noch auf das Mass der Schutzbedürftigkeit abstellen würde.
Dies entspricht im übrigen auch den Erfordernissen des Systems der materiellen Staatsaufsicht, das dem Versicherungsaufsichtsgesetz zugrunde liegt. Bei diesem System erfolgt eine eingehende materielle Prüfung der Betriebsverhältnisse jeder Versicherungseinrichtung bei ihrer Zulassung und während ihrer ganzen Tätigkeit (BBl 1976 II 884). Auch wenn anfänglich das Schutzbedürfnis herabgesetzt erscheinen mag, kann sich dies im Laufe der Zeit ändern. Gerade dann aber muss die Aufsichtsbehörde eingreifen können, was nur gewährleistet ist, wenn die Versicherungseinrichtung der Aufsicht untersteht.
BGE 114 Ib 244 S. 250
c) Es ist unbestritten, dass die Inreska Ltd. nicht unter eine der Ausnahmebestimmungen von
Art. 4 Abs. 1 VAG
fällt. Zu prüfen ist hingegen, ob sie gestützt auf
Art. 4 Abs. 2 VAG
von der Aufsichtspflicht auszunehmen ist, weil ähnliche Verhältnisse wie bei den unter
Art. 4 Abs. 1 lit. a oder c VAG
genannten Fällen dies rechtfertigen. Bei der Beurteilung dieser Frage steht dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement aufgrund der Kann-Formulierung des Gesetzes ein Ermessensspielraum zu, in den das Bundesgericht nicht eingreift.
Nach
Art. 4 Abs. 1 lit. a VAG
werden von der Aufsicht die ausländischen Rückversicherer ausgenommen. Grund für diese Ausnahme waren zwei Überlegungen. Zum einen haben die schweizerischen Versicherungsgesellschaften, die mit ausländischen Gesellschaften Rückversicherungsverträge abschliessen, besondere Fachkenntnisse (
BGE 108 Ib 295
). Zum anderen wäre die Beaufsichtigung einer ausländischen Rückversicherungseinrichtung, wie sich der Bundesrat in seiner Botschaft ausdrückt, gar nicht durchführbar (BBl 1976 II 894). Damit ist nicht eine technische Undurchführbarkeit gemeint, denn ausländische Rückversicherer, die sich zusätzlich im direkten Geschäft betätigen, unterliegen mit ihrer gesamten Geschäftstätigkeit der Aufsicht und können sehr wohl beaufsichtigt werden. Gemeint sind vielmehr die internationalen Gepflogenheiten, wonach Rückversicherer, die auf einen weltweiten Markt angewiesen sind, nur im Sitzland der Aufsicht unterstehen (vgl. MEYER, a.a.O., S. 349). Würden ausländische Rückversicherer der schweizerischen Aufsicht unterstehen, hätte dies zur Folge, dass sich schweizerische Direktversicherer faktisch erheblichen Schwierigkeiten bei der Rückversicherung ihrer Risiken gegenübersähen. Erhöhte Fachkenntnisse des Versicherungsnehmers allein genügen daher für eine Befreiung nicht. Die Inreska Ltd., die das Direktversicherungsgeschäft betreibt, kann nicht mit reinen ausländischen Rückversicherern gleichgestellt werden.
Der Grund für die Ausnahme von der Aufsicht von Personalversicherungseinrichtungen eines privaten Arbeitgebers, eines oder mehrerer öffentlicher Arbeitgeber sowie mehrerer privater Arbeitgeber, die wirtschaftlich oder finanziell eng miteinander verbunden sind (
Art. 4 Abs. 1 lit. c VAG
), liegt darin, dass der Gesetzgeber diese Einrichtungen als Teil des Arbeitsverhältnisses betrachtet, in dessen Einzelheiten er sich nicht einmischen will, obwohl an sich gerade hier ein erhebliches Schutzbedürfnis bestünde (MEYER,
BGE 114 Ib 244 S. 251
a.a.O., S. 350). Entscheidend ist also nicht die enge wirtschaftliche Verflechtung, worauf die Beschwerdeführerinnen das Gewicht legen, sondern die Tatsache, dass diese Versicherungseinrichtungen in engem Zusammenhang mit Arbeitsverträgen stehen. Der Vergleich der Inreska Ltd. mit Personalversicherungseinrichtungen ist nicht statthaft.
d) Im Grunde vertreten die Beschwerdeführerinnen die Auffassung, sogenannte Captives (Versicherungseinrichtungen, die von der Muttergesellschaft beherrscht werden und betriebseigenen Zwecken dienen) seien mangels Schutzbedürfnis von der Versicherungsaufsicht jedenfalls dann auszunehmen, wenn geschädigte Dritte kein direktes Forderungsrecht gegen den Versicherer haben.
Es ist - soweit nicht
Art. 4 Abs. 2 VAG
Anwendung findet - Sache des Gesetzgebers, die Ausnahmen von der Aufsichtspflicht festzulegen. Abgesehen davon sprechen im Falle der Captives gute Gründe gegen eine solche Ausnahme. Captives können nämlich nur in Symbiose mit traditionellen Versicherungen bestehen, da sie allein den nötigen Risikoausgleich nicht bewerkstelligen können (MAURICE SALVATOR, Les compagnies d'assurances captives, in: Revue générale des assurances terrestres 51/1980, S. 477). Sie werden also externe Risiken übernehmen und/oder sich rückversichern müssen. Diese Verflechtungen führen etwa bei unvorsichtigem Risk management (welche Gefahr gerade bei Captives erheblich ist) zu negativen Auswirkungen auf das gesamte Versicherungswesen. Nicht von ungefähr wird das Interesse der Rückversicherer an einer lückenlosen Aufsicht über den Erstversicherungsmarkt als vital eingestuft (JULIUS NEAVE, Some thoughts on the supervision of international reinsurance operations, in: Internationalität der Versicherung, Festgabe für Marcel Grossmann, St. Gallen 1984, S. 305). Die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des gesamten Versicherungswesens ist aber unter anderem gerade Zweck der Aufsichtsgesetzgebung, denn ein Zusammenbrechen auch von Teilen davon würde eine unabsehbare Zahl von Versicherten treffen. Genau so wie Rückversicherungen grundsätzlich der Aufsicht unterstehen, obwohl auch hier ein Schutzbedürfnis des Versicherungsnehmers selber (nämlich des Direktversicherers) bestritten werden könnte, muss dies auch für Captives gelten. Dies gilt um so mehr als heute eine rasante Entwicklung bei der Entstehung neuer Captives zu verzeichnen ist (MARTIN DUBACH, Schwappt die Welle der Captive-Gründungen auf Europa über?, in: Schweizerische Versicherungszeitschrift Bd. 55 1987, S. 85 ff.).
BGE 114 Ib 244 S. 252
Zutreffend weist im übrigen das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement darauf hin, dass Captives in sämtlichen Staaten der Europäischen Gemeinschaft der Versicherungsaufsicht unterstehen (Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, Berlin, 29/1980, S. 162).
6.
a) Nach
Art. 3 Abs. 1 VAG
unterstehen unter anderem die privaten Versicherungseinrichtungen, die in der Schweiz im direkten Geschäft tätig sind, der Aufsicht. Bereits eine einzelne Tätigkeit auf diesem Gebiet, im Extremfall der Abschluss eines einzigen Versicherungsvertrags, genügt (
BGE 108 Ib 289
/90). Was zum direkten Geschäft in der Schweiz gehört, hat der Bundesrat zu bestimmen (
Art. 3 Abs. 1 VAG
). Die entsprechende Verordnung ist noch nicht erlassen worden. Damit gilt für die Regelung der Aufsichtspflicht bei ausländischen Versicherungseinrichtungen nach wie vor die Abgrenzungsverordnung, soweit sie mit dem neuen Versicherungsaufsichtsgesetz vereinbar erscheint (vgl. E. 2). Nach Art. 3 Abs. 1 Abgrenzungsverordnung, worauf sich die Beschwerdeführerinnen berufen, kann die Befreiung von der Aufsichtspflicht ausgesprochen werden, wenn "im Einzelfall nachgewiesen ist, dass kein Schutzbedürfnis vorliegt". Da es sich bei der Inreska Ltd. um eine Versicherungseinrichtung mit Sitz in Guernsey (United Kingdom) handelt, ist im folgenden zu prüfen, welche Bedeutung Art. 3 Abs. 1 Abgrenzungsverordnung heute noch hat.
b) In
BGE 108 Ib 294
E. 3a hat das Bundesgericht festgehalten, die Versicherungsaufsicht entfalle nicht schon dann, wenn ein Versicherungsnehmer glaube, seine Interessen gegenüber den Versicherungsgesellschaften selbst wahrnehmen zu können. Das Publikum sei ohne Rücksicht auf die mehr oder weniger grossen Fachkenntnisse des Einzelnen zu schützen. Gerade deshalb werde jede Tätigkeit im Versicherungsgeschäft mit Auswirkungen in der Schweiz, im Extremfall der Abschluss eines einzelnen Versicherungsvertrags, der staatlichen Aufsicht unterstellt. Die Rechtfertigung dafür, auch einen individuellen Vertrag der staatlichen Aufsicht zu unterstellen, entfalle dann, wenn der Versicherungsnehmer ausnahmsweise über besondere Fachkenntnisse im Versicherungswesen verfüge, die es ihm ermöglichen, sich ein Urteil über den abzuschliessenden Versicherungsvertrag zu bilden und die damit verbundenen Risiken zu überblicken. Da im konkreten Fall ein individueller Versicherungsvertrag mit zwei schweizerischen Versicherungsnehmern in Frage stand, die als Kontrollstelle verschiedener Versicherungseinrichtungen amten und überdies das Versicherungsrisiko auf über 100
BGE 114 Ib 244 S. 253
Versicherer verteilt wurde, erachtete das Bundesgericht die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 Abgrenzungsverordnung "unter diesen besonderen Umständen" als erfüllt.
c) Der genannte Bundesgerichtsentscheid befasst sich nicht explizit mit dem Verhältnis zwischen Art. 3 Abs. 1 Abgrenzungsverordnung und
Art. 4 VAG
. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Abgrenzungsverordnung den räumlichen Geltungsbereich der schweizerischen Aufsichtsgesetzgebung abgrenzt, während
Art. 4 VAG
demgegenüber die Ausnahmen von der Aufsicht für bestimmte Versicherungseinrichtungen im Rahmen der Bestimmung des sachlichen Geltungsbereichs vorsieht. Soweit die Bestimmungen miteinander nicht vereinbar sind, kommt aufgrund der höheren Normstufe und des zeitlich späteren Erlasses
Art. 4 VAG
Vorrang zu. Daraus folgt, dass eine Befreiung von der Aufsicht nach Art. 3 Abs. 1 Abgrenzungsverordnung sich nicht mit Erwägungen begründen lässt, die im Lichte von
Art. 4 Abs. 2 VAG
gerade nicht befreiungsbegründend wirken.
Die in der Abgrenzungsverordnung statuierte Generalklausel des fehlenden Schutzbedürfnisses ist mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz, das die Ausnahmen von der Aufsicht möglichst abschliessend regeln will, kaum mehr vereinbar. Besondere Fachkenntnisse der Versicherungsnehmer genügen folglich für eine Befreiung auch dann nicht, wenn die Versicherungseinrichtung Sitz im Ausland hat. Die Bedeutung von Art. 3 Abs. 1 Abgrenzungsverordnung liegt lediglich noch darin, dass eine ausländische Versicherungseinrichtung, deren Haupttätigkeit sich im Ausland abwickelt, wegen eines einzelnen Versicherungsvertrags von der schweizerischen Aufsicht ausgenommen werden kann, wenn diese mit einem Aufwand verbunden wäre, der sich dann, wenn der Versicherungsnehmer über erhebliche Fachkenntnisse verfügt und überdies die Auswirkungen auf den Versicherungsmarkt bescheiden sind, als unverhältnismässig erweisen müsste.
BGE 108 Ib 286
kommt insofern entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (GERHARD SCHMID, Staatsaufsicht, Kartelle, Obligatorien und Pools im Bereich der Privatversicherung, in: Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1985, S. 331/2) nicht die Bedeutung eines leading case im Hinblick auf eine Deregulierung der Versicherungsaufsicht für Grossbetriebe und angemessen beratene Mittel- und gar Kleinbetriebe zu.
d) Die Inreska Ltd. schliesst Versicherungsverträge ab mit der Schweizerischen Kreditanstalt und ihren Tochtergesellschaften. Ein erheblicher Teil dieser Gesellschaften hat Sitz in der Schweiz
BGE 114 Ib 244 S. 254
(vgl. Geschäftsbericht der Schweizerischen Kreditanstalt 1987, S. 70 ff.). Damit steht nicht ein einzelner Versicherungsvertrag einer Versicherungseinrichtung zur Diskussion, deren Haupttätigkeit sich auf ausländische Versicherungsnehmer bezieht. Die schweizerische Aufsicht über den gesamten Geschäftsbetrieb der Inreska Ltd. erweist sich angesichts der Bedeutung der mit schweizerischen Gesellschaften abgeschlossenen Verträge als notwendig. Schon aus diesem Grunde bleibt für eine Ausnahme gestützt auf Art. 3 Abs. 1 Abgrenzungsverordnung kein Raum.