BGE 115 II 1 vom 11. April 1989

Datum: 11. April 1989

Artikelreferenzen:  Art. 8 ZGB, Art. 42 OR, Art. 99 OR , Art. 42 Abs. 1 OR, Art. 99 Abs. 3 OR

BGE referenzen:  138 III 304, 139 III 13, 141 III 433, 144 III 155, 144 III 519 , 105 II 145, 105 II 146

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

115 II 1


1. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. April 1989 i.S. Verlag A. gegen Vertriebsfirma B. (Berufung)

Regeste

Art. 8 ZGB . Schadenersatz für entgangenen Gewinn, Beweislast.
Wer für entgangenen Gewinn aus einem Dauervertrag, der zu Unrecht vorzeitig aufgelöst wird, Ersatz verlangt, ist dafür auch dann allein beweispflichtig, wenn der Belangte die Ersatzpflicht nur mit Nichtwissen bestreitet.

Erwägungen ab Seite 1

BGE 115 II 1 S. 1
Aus den Erwägungen:

4. Die Klägerin wirft dem Handelsgericht eine Verletzung von Art. 8 ZGB vor, weil es ihr vorhalte, sie habe die Angaben der Beklagten über deren Gewinnmarge nicht hinreichend bestritten.
Das Handelsgericht hat den Schaden der Beklagten für entgangenen Gewinn aufgrund einer Einkaufssumme von Fr. 100'000.--, die es für das Jahr 1986 ermessensweise ermittelt hat, festgesetzt. Insoweit ist sein Urteil nicht oder jedenfalls nicht rechtsgenüglich angefochten. Das Handelsgericht hat sodann gestützt auf Sachvorbringen der Beklagten angenommen, bei der Berechnung des Schadens sei von einer Bruttogewinnmarge von 90,56% auszugehen,
BGE 115 II 1 S. 2
wovon für Verpackungs- und Versandspesen sowie für WUST 17% abzuziehen seien, was eine Nettogewinnmarge von 73,56% ergebe. Das Handelsgericht hält diese Ansätze für anerkannt, da die Klägerin sie bloss mit Nichtwissen und damit nicht substantiiert bestritten habe.
Diese Betrachtungsweise wird von der Klägerin zu Recht als Verletzung von Art. 8 ZGB beanstandet. Wer Schadenersatz beansprucht, hat nach Art. 42 Abs. 1 OR , der gemäss Art. 99 Abs. 3 OR auch für die Haftung aus Vertrag gilt, den Schaden zu beweisen. Gewiss hat das Bundesgericht im Entscheid 105 II 146 ausgeführt, dass vom Belangten je nach dem Gegenstand und der Lage des Prozesses verlangt werden könne, eine Bestreitung tunlichst zu substantiieren, dass es aber von vornherein nicht angehe, an diese Substantiierung die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei Sachbehauptungen, welche die Beurteilung des daraus abgeleiteten Anspruchs erlauben sollen; es müsse vielmehr genügen, wenn die Bestreitung ihrem Zweck entsprechend konkretisiert werde, um den Behauptenden zu der ihm obliegenden Beweisführung zu veranlassen. Eine solche "Pflicht" des nicht mit dem Beweis Belasteten, an der Beweisführung mitzuwirken, ist von KUMMER (in ZBJV 117/1981 S. 161/62) mit Recht als höchst fragwürdig bezeichnet worden; sie sei, wenn überhaupt, nur dort zu erwägen, wo der ein Recht Behauptende sich im Beweisnotstand befinde und der Belangte näher am Beweis stehe.
Von einer solchen Ausnahme kann hier schon deshalb keine Rede sein, weil es um Schaden aus angeblich entgangenem Gewinn geht. Beweispflichtig dafür ist ausschliesslich der Geschädigte, dessen Sachvorbringen vom Belangten nicht zu widerlegen sind, liefe dies doch auf eine Umkehr der Beweislast hinaus und damit Art. 8 ZGB stracks zuwider. Diese Bestimmung verbietet dem Richter, Behauptungen einer Partei unbekümmert darum, dass sie von der Gegenpartei bestritten worden sind, als richtig hinzunehmen oder über rechtserhebliche Tatsachen überhaupt nicht Beweis führen zu lassen ( BGE 105 II 145 mit Hinweisen). Dass die Beklagte die behauptete Gewinnmarge bloss mit Nichtwissen bestritten hat, schadet ihr daher nicht. Dies gilt umso mehr, als es sich dabei um eine wesentliche Berechnungsgrundlage des Schadens handelt und das Handelsgericht entschieden hat, ohne ein Beweisverfahren durchzuführen. Wie in BGE 105 II 146 beigefügt worden ist, kann es dem Belangten gerade dort, wo es um das Mass und die Berechnung von Schadenersatz geht, nicht verwehrt werden, vom Geschädigten
BGE 115 II 1 S. 3
den rechtsgenüglichen Nachweis zu verlangen, sich folglich mit blossem Bestreiten zu begnügen. Durfte das Handelsgericht die Beklagte aber von diesem Nachweis nicht entbinden, ohne Art. 8 ZGB zu verletzen, so ist das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

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