Urteilskopf
115 II 62
11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Januar 1989 i.S. E. Revisions- und Treuhand AG gegen R. (Berufung)
Regeste
Vertrag über die Anlage und Verwaltung von Vermögen.
Art. 398 Abs. 2 OR
; Haftung des berufsmässig und entgeltlich handelnden Vermögensverwalters wegen Verletzung der Sorgfalts- und Treuepflicht.
A.-
Die I. AG war von 1969 bis 1978 Kontrollstelle der Herbert R. AG, die 1960 als Nachfolgerin der Einzelfirma des Herbert R. gegründet worden war. Werner W., Hauptaktionär und Geschäftsführer der I. AG, war seit 1969 privater Steuerberater von R. Dieser verkaufte 1978 sein Unternehmen und übergab den grössten Teil des Erlöses, rund 3,1 Millionen, der I. AG mit dem mündlichen Auftrag, das Geld für ihn anzulegen und zu verwalten. Als Verwaltungshonorar wurde ein Anteil von 25% des erzielten Gewinnes verabredet. R. bevollmächtigte die Treuhandfirma und W., ihn gegenüber zwei Banken mit unbeschränkten Befugnissen zu vertreten.
Die I. AG, welche das Geld auf dem Wertschriftenmarkt anlegte, erstellte halbjährliche Abschlüsse, denen R. aber wenig Beachtung schenkte. Im Mai 1978 bzw. im September 1979 wies er die Banken zudem an, ihm keine Konto- und Depotauszüge mehr zuzustellen. Er bemerkte deshalb erst Ende August 1981 im Zusammenhang mit der Steuererklärung per 1. Januar 1981, dass die I. AG in grossem Ausmass Lombardkredite aufgenommen hatte. Als eine der Banken im Oktober 1981 wegen Kursverlusten auf den verpfändeten Wertpapieren zusätzliche Sicherheiten verlangte, widerrief R. anfangs November die Bankvollmachten. Er erteilte in der Folge den Banken trotz Abmahnung der Treuhandfirma den Auftrag, die risikoreichsten Posten aus den Wertschriftendepots zu verkaufen. Für die daraus resultierenden Verluste machte er die I. AG und W. persönlich verantwortlich.
B.-
R. reichte beim Bezirksgericht Lenzburg Klage gegen die I. AG und W. ein. Nachdem das Gericht ein Beweisverfahren durchgeführt und dabei ein Gutachten eingeholt hatte, verneinte
BGE 115 II 62 S. 63
es mit Urteil vom 14. Mai 1987 die Passivlegitimation des Beklagten W. und verpflichtete die I. AG, dem Kläger Fr. 684'992.50 nebst Zins zu zahlen. Dieses Urteil wurde vom Obergericht des Kantons Aargau auf Appellation der I. AG und Anschlussappellation des Klägers am 23. März 1988 bestätigt.
C.-
Aus einer Eingabe der Beklagten an das Bundesgericht geht hervor, dass die I. AG im Laufe des Appellationsverfahrens ihren Sitz verlegt hat unter gleichzeitiger Namensänderung in E. Revisions- und Treuhand AG und die frühere Firma am 4. Januar 1988 im Handelsregister des Kantons Aargau gelöscht worden ist. Im bundesgerichtlichen Verfahren ist daher auf der Beklagtenseite die E. Revisions- und Treuhand AG als Partei aufzuführen.
D.-
Die E. Revisions- und Treuhand AG hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingelegt. Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf eingetreten werden kann, und bestätigt das angefochtene Urteil.
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz bezeichnet das Rechtsgeschäft der Parteien zwar als gemischten Vertrag, lässt aber offen, ob Elemente des Auftrags oder der Kommission im Vordergrund stehen, weil nach ihrer Auffassung die massgebenden Fragen in jedem Fall nach Auftragsrecht zu beurteilen sind. Während die Beklagte dem zustimmt, wendet der Kläger ein, die Kommission falle gemäss
Art. 425 Abs. 1 OR
ausser Betracht, denn die Beklagte habe nach den Feststellungen der Vorinstanz die Käufe und Verkäufe von Wertpapieren nicht in eigenem Namen, sondern als direkte Stellvertreterin, d.h. in seinem Namen getätigt. Ob dem angefochtenen Urteil solche Feststellungen entnommen werden können, ist jedoch zweifelhaft. Wie es sich damit verhält, braucht aber nicht weiter untersucht zu werden, da die Vorinstanz mit Recht davon ausgeht, dass die massgebenden Fragen der Weisungsgebundenheit, der Sorgfaltspflicht der Beklagten und ihrer Haftung für getreue und sorgfältige Geschäftsführung aufgrund des Verweises in
Art. 425 Abs. 2 OR
selbst dann nach Auftragsrecht zu beurteilen wären, wenn die Beklagte Kommissionsgeschäfte durchgeführt haben sollte.
2.
(Auslegung des Vertrages nach dem Vertrauensgrundsatz: Die Beklagte musste den Auftrag zur Vermögensanlage unter den
BGE 115 II 62 S. 64
Umständen, wie sie von der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt worden sind, so verstehen, dass für den Kläger nicht die Vermögensvermehrung, sondern die Vermögenserhaltung im Vordergrund stehe.)
3.
Gemäss
Art. 398 Abs. 2 OR
haftet der Beauftragte dem Auftraggeber für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäftes. Das Obergericht bejaht die Haftung der Beklagten wegen einer Verletzung dieser Sorgfalts- und Treuepflicht. Anstatt übereinstimmend mit dem primären Interesse des Klägers auf Vermögenserhaltung das Geld vorsichtig anzulegen, habe die Beklagte ab 1980 eine spekulative, auf Kursgewinn ausgerichtete Anlagepolitik betrieben. Sie habe den Kläger über die Risiken der spekulativen Geldanlage nicht oder zumindest nur ungenügend aufgeklärt. Unvorsichtig und sorgfaltswidrig habe die Beklagte überdies gehandelt, weil sie während eines mehrwöchigen Auslandaufenthaltes ihres Geschäftsführers im Sommer 1981 nicht einen Stellvertreter mit der Überwachung des Wertschriftengeschäftes und der Vermögensanlage beauftragt habe. Den Nachweis, dass sie kein Verschulden treffe, habe die Beklagte nicht erbracht.
a) Der Beauftragte hat grundsätzlich nicht für den Erfolg seiner Tätigkeit einzustehen. Haftungsbegründend ist vielmehr eine unsorgfältige oder treuwidrige und den Auftraggeber schädigende Ausführung des Auftrages. Das Mass der Sorgfalt bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Erforderlich ist die Sorgfalt, welche ein gewissenhafter Beauftragter in der gleichen Lage bei der Besorgung der ihm übertragenen Geschäfte anzuwenden pflegt (TERCIER, La partie spéciale du Code des obligations, Rz. 2974). Höhere Anforderungen sind an den Beauftragten zu stellen, der seine Tätigkeit berufsmässig, gegen Entgelt ausübt (HOFSTETTER, SPR, Bd. VII/2, S. 97 f.; GAUTSCHI, N. 24d zu
Art. 398 OR
; DANIEL GUGGENHEIM, Les contrats de la pratique bancaire suisse, 2. Auflage, S. 93). Dabei ist nach der Art des Auftrages zu differenzieren und auch den besonderen Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 2 zu
Art. 398 OR
). Bestehen für eine Berufsart oder ein bestimmtes Gewerbe allgemein befolgte Verhaltensregeln und Usanzen, können sie bei der Bestimmung des Sorgfaltsmasses herangezogen werden (TERCIER, a.a.O., Rz. 2979; GUGGENHEIM, a.a.O., S. 93;
BGE 108 II 318
).
Aus der Treuepflicht des Beauftragten ergibt sich, dass er bei der Ausführung des Auftrages die Interessen des Auftraggebers umfassend
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zu wahren und deshalb alles zu unterlassen hat, was diesem Schaden zufügen könnte (GAUTSCHI, N. 5a zu
Art. 398 OR
; BUCHER, Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Auflage, S. 230; TERCIER, a.a.O., Rz. 2988). Ausfluss der Treuepflicht ist insbesondere, dass der Beauftragte den Auftraggeber beraten und informieren muss. Mit regelmässiger Beratung hat er dem Auftraggeber bei der Wahl der geeigneten Massnahmen behilflich zu sein. Erhält er Anweisungen, welche den Interessen des Auftraggebers zuwiderlaufen, hat er abzuraten (TERCIER, a. a. O., Rz. 2991). Gegenstand der Informationspflicht bildet alles, was für den Auftraggeber von Bedeutung ist. Der Beauftragte hat als Fachmann dem Auftraggeber auch unaufgefordert über die Zweckmässigkeit des Auftrages und der Weisungen, die Kosten und Gefahren sowie die Erfolgschancen Auskunft zu geben (HOFSTETTER, a.a.O., S. 90; TERCIER, a. a. O., Rz. 2990).
b) Die Beklagte bestreitet eine Verletzung ihrer Sorgfalts- und Treuepflicht vorab mit dem Einwand, sie habe vom Kläger den Auftrag erhalten, eine spekulative, auf Kursgewinn ausgerichtete Anlagepolitik zu betreiben. Diese Auffassung hat sich bereits als unbegründet erwiesen. Unbeachtlich ist zudem die hier ebenfalls vorgebrachte Behauptung, der Kläger sei bereit gewesen, einen Verlust von rund einer Million Franken zu akzeptieren.
c) Die Beklagte verkennt sodann, dass sie nicht befugt war, nach freiem Ermessen Aktienspekulationen durchzuführen und Lombardkredite aufzunehmen. Nach dem Willen des Klägers, für den die Vermögenserhaltung im Vordergrund stand, und in Wahrung seiner Interessen hatte sie das Ausmass der Spekulationen und den Umfang der Lombardkredite in vernünftigen Grenzen zu halten. Nach den Feststellungen der Expertin, die von den Vorinstanzen übernommen worden und daher für das Bundesgericht verbindlich sind, hat sie das Geld des Klägers indessen nur in den Jahren 1978 und 1979 im üblichen Rahmen und mit den üblichen Risiken angelegt und verwaltet. In den Jahren 1980 und 1981 betrieb die Beklagte dagegen eine spekulative, auf Kursgewinn ausgerichtete Anlagepolitik und ging dabei Risiken ein, die nach der Expertin ausserhalb jedes vertretbaren Rahmens lagen. Ende Oktober 1981 enthielten die Depots verhältnismässig grosse Positionen hoch spekulativer Aktien, die teilweise durch hohe Kreditaufnahmen finanziert worden waren. Ende 1980 betrug der Anteil der Aktien und Optionen am Nettovermögen rund 88% und Ende Oktober 1981 über 220%. Das Verhältnis der Bankschulden zum
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Nettovermögen betrug Ende 1980 50% und stieg bis Ende Oktober 1981 auf 232% an. Aus diesen Umständen ergibt sich eindeutig, dass die Beklagte durch übermässige Spekulationen und Kreditaufnahmen Risiken eingegangen ist, die ein berufsmässiger, gewissenhafter Vermögensverwalter in der gleichen Lage vermieden hätte. Damit hat sie ihre Sorgfaltspflicht verletzt.
Die weiteren Vorbringen der Beklagten vermögen nichts daran zu andern. Soweit sie dabei auf die Äusserungen der Expertin abstellen will, wird ihr Einwand durch das Gutachten selbst widerlegt. Danach können die im Juni bis August und im Oktober 1981 getätigten Käufe von amerikanischen und kanadischen Aktien zwar nicht ausnahmslos als hoch spekulativ eingestuft werden. Bedenklich waren die Geschäfte aber darum, weil der weitaus grösste Teil der Aktien auf Termin gekauft wurde, ohne dass Gegenwerte in Form von Termin-Bankguthaben oder bewilligten Kreditlimiten vorhanden waren. Zudem nahmen einige Titel im Verhältnis zum Gesamtanlagebetrag einen überdurchschnittlich hohen Anteil ein. Unbehilflich ist schliesslich der Einwand, der Kläger hätte keine Verluste erlitten, wenn er die Depot-Bestände in den zwei folgenden Jahren unverändert weitergeführt hätte. Die Vorinstanz hat diesen Vorwurf von "Panikverkäufen" für unbegründet erklärt. Da die Berufung lediglich darauf beharrt, es habe sich um solche Verkäufe gehandelt, aber nicht darlegt, warum die Begründung der Vorinstanz gegen Bundesrecht verstossen soll, ist das angefochtene Urteil in diesem Punkt der Überprüfung entzogen (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
;
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).
d) Die Beklagte bestreitet auch, den Kläger nicht oder nur ungenügend über die Gefahren der spekulativen Geldanlage aufgeklärt zu haben. Nach ihrer Auffassung war der Kläger aufgrund der Abschlüsse und Bilanzen ohne weiteres in der Lage, die entsprechenden Schlüsse zu ziehen und ihr allenfalls neue Weisungen zu erteilen.
Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts, auf die im angefochtenen Urteil verwiesen wird, hat die Beklagte die Abschlüsse nicht in einer Weise erstellt, die es dem in Bankgeschäften unerfahrenen Kläger ermöglichte, sich ohne grossen Aufwand ein objektives Bild vom Stand und der Zusammensetzung des Anlagevermögens zu machen. Der Grund dafür war vor allem, dass die Bewertung der Titel nicht nach den Börsen- oder Marktkursen erfolgte, wie dies gemäss Gutachten üblich ist, sondern die sogenannten Buchwerte, d.h. die Anschaffungswerte angegeben wurden. Die
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von der Beklagten dagegen vorgebrachten Einwände sind haltlos. Das gilt sowohl für den Hinweis auf kurzfristige Schwankungen der Börsenkurse wie auch für das Argument, nicht die Liquidation, sondern die Fortführung der Depots sei angestrebt worden. Unerheblich ist sodann die Behauptung, die Angabe der Buchwerte habe für den Kläger keine steuerlichen Nachteile zur Folge gehabt.
Die Beklagte wendet schliesslich ein, ihr Verhalten sei nicht kausal für den Eintritt des Schadens, denn der Kläger habe die Abschlüsse und Bilanzen zum Teil gar nicht beachtet. Wie bereits dargelegt, ergibt sich indes aus der Beratungs- und Informationspflicht des Beauftragten, dass er dem Auftraggeber regelmässig und auch unaufgefordert über die Ausführung des Auftrages Auskunft zu geben hat. Das gilt nicht nur für bereits vorgenommene, sondern auch für zukünftige Massnahmen, und insbesondere dann, wenn der Beauftragte beabsichtigt, sein Vorgehen grundsätzlich zu ändern. Die Beklagte hätte deshalb im Zeitpunkt, als sie die Anlagepolitik spekulativer und damit risikoreicher gestalten wollte, den Kläger von sich aus darüber informieren, ihn auf die Gefahren und Erfolgsaussichten aufmerksam machen und seine ausdrückliche Einwilligung einholen müssen. Zudem hätte sie ihn gegebenenfalls dazu auffordern sollen, ihr konkrete Weisungen zu erteilen. Das hat sie alles nicht getan und damit gegen ihre Treuepflicht verstossen.