Urteilskopf
117 II 218
45. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Juli 1991 i.S. D.-B. gegen D. (Berufung)
Regeste
Anfechtung einer gerichtlich genehmigten Scheidungskonvention wegen Irrtums und Täuschung. Auskunftspflicht der Parteien im Scheidungsverfahren (
Art. 24 und 28 OR
). Auf die Auskunftspflicht anwendbares Recht (
Art. 61 IPRG
).
1. Sieht das kantonale Prozessrecht vor, dass ein gerichtlicher Vergleich wegen eines Willensmangels nur auf dem Weg der Revision angefochten werden kann, so unterliegt der Entscheid, der die Revision mangels Vorhandenseins eines Willensmangels verweigert, als Endentscheid im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
der Berufung (E. 1).
2. Voraussetzungen für die Irrtumsanfechtung eines gerichtlichen Vergleichs (E. 3 bis 5).
- Auch ein fahrlässiger Irrtum führt grundsätzlich zur Anfechtbarkeit. Kümmert sich jedoch jemand bei Vergleichsschluss nicht um die Klärung einer bestimmten Frage, obgleich sich diese offensichtlich stellt, so darf die andere Partei daraus schliessen, dieser Punkt sei für den Partner ohne Bedeutung (E. 3b).
- Ein Irrtum kann auch darin bestehen, dass jemand ein tatsächlich bereits eingetretenes Ereignis für ein zukünftiges und dessen Eintritt deshalb für unsicher hält. Demgegenüber genügt es nicht, dass eine zukünftige Entwicklung anders verlaufen ist, als der Anfechtende sie sich bei Vergleichsschluss vorgestellt hatte (E. 4b).
3. Im Scheidungsverfahren ist jeder Ehegatte verpflichtet, den andern von sich aus über sein Einkommen und Vermögen zu informieren, soweit dies für ein Geltendmachen der Ansprüche nötig ist und die Auskunft nicht auf andere Weise erhalten werden kann. Die Verletzung dieser Pflicht kann mit Blick auf den Abschluss der Scheidungskonvention eine absichtliche Täuschung im Sinne von
Art. 28 OR
darstellen (E. 5).
4. Diese Informationspflicht ergibt sich aus dem Scheidungsrecht selber und trifft die Parteien in einem schweizerischen Scheidungsverfahren unabhängig davon, welchem Recht die Wirkungen der Ehe im allgemeinen und das Güterrecht unterstehen (E. 5a).
5. Bedeutung der Frage der Verkäuflichkeit einer Unternehmensbeteiligung für deren Bewertung im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung (E. 4a).
A.-
Mit Urteil vom 23. Mai 1984 schied das Bezirksgericht Zürich die Ehe der Eheleute D.-B., wobei es die Vereinbarung der Parteien vom 17. Mai 1985 über die Nebenfolgen der Scheidung genehmigte, In Ziffer 2.3 dieser Vereinbarung war die Abgeltung der renten- und güterrechtlichen Ansprüche bzw. Anwartschaften der Ehefrau geregelt worden. Danach übertrug der Ehemann der Ehefrau das Eigentum an der Liegenschaft X.-Strasse in Zürich. Überdies hatte er ihr eine einmalige Abfindung von Fr. ... zu bezahlen, und zwar in der Weise, dass er ihr einen Bankcheck über Fr. ... übergab und die verbleibenden Fr. ... bis Ende Juni 1985 zu überweisen hatte. Das Scheidungsurteil wurde von keiner Seite angefochten.
B.-
Mit Eingabe vom 28. August 1986 stellte die geschiedene Ehefrau beim Bezirksgericht Zürich ein Revisionsbegehren. Sie verlangte die Aufhebung der Dispositiv-Ziffer 3 des Scheidungsurteils, mit welcher die Parteivereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung genehmigt worden war, und die Neuregelung der güterrechtlichen Nebenfolgen. Der Revisionsbeklagte beantragte die vollumfängliche Abweisung des Revisionsbegehrens. Das Bezirksgericht führte zur Frage der Rechtzeitigkeit des Revisionsbegehrens ein Beweisverfahren durch und trat mit Beschluss vom 22. Dezember 1988 auf dieses Begehren nicht ein. Mit Beschluss vom 30. Mai 1989 wies das Obergericht des Kantons Zürich den von der Revisionsklägerin gegen den bezirksgerichtlichen Beschluss erhobenen Rekurs ab und bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid.
BGE 117 II 218 S. 221
C.-
Gegen den obergerichtlichen Entscheid hat die Revisionsklägerin am 14. Juli 1989 Berufung an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der Angelegenheit zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen zur Berufung verzichtet. Der Berufungsbeklagte beantragt die Abweisung der Berufung.
Mit Entscheid vom 12. November 1990 hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine von der Revisionsklägerin gegen den obergerichtlichen Beschluss ebenfalls eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut aus den folgenden
Erwägungen:
1.
Es stellt sich zunächst die Frage, ob der obergerichtliche Entscheid als Endentscheid im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
betrachtet werden kann, welcher der Berufung an das Bundesgericht unterliegt.
Das Obergericht hat es abgelehnt, dem gegen das rechtskräftige Scheidungsurteil gerichteten Revisionsgesuch der Klägerin Folge zu geben. Diese hatte geltend gemacht, die im Scheidungsurteil genehmigte Scheidungsvereinbarung leide hinsichtlich der in Ziffer 2.3 vereinbarten Abgeltung der güterrechtlichen Ansprüche an einem Willensmangel und sei insoweit unverbindlich. Sie stützte sich dabei auf § 293 Abs. 2 der Zürcher ZPO, der folgenden Wortlaut hat:
"Gegen einen Endentscheid, der auf Grund von Klageanerkennung, Klagerückzug oder Vergleich ergangen ist, kann Revision verlangen, wer nachweist, dass die Parteierklärung zivilrechtlich unwirksam ist."
Während das Bezirksgericht das Revisionsgesuch als verspätet betrachtet hat und deshalb darauf nicht eingetreten ist, hat das Obergericht die Frage der Rechtzeitigkeit offengelassen und seinen Entscheid damit begründet, dass sich die Klägerin bei Abschluss der Scheidungsvereinbarung weder in einem Irrtum befunden habe noch getäuscht worden sei; es fehle deshalb am Nachweis einer zivilrechtlich unwirksamen Parteierklärung und somit an einer Voraussetzung für die Revision. Ein solches Urteil unterliegt der Berufung an das Bundesgericht, weil damit endgültig über eine sich nach Bundesrecht zu beurteilende Frage, nämlich jene der
BGE 117 II 218 S. 222
Anfechtbarkeit der Scheidungsvereinbarung wegen Willensmangels, entschieden worden ist.
Dem Eintreten auf die Berufung steht auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht entgegen, wonach kantonale Urteile, mit denen eine Revision nicht zugelassen wird, grundsätzlich nicht als berufungsfähige Endentscheide im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
zu betrachten sind (vgl. dazu
BGE 116 II 91
/92 mit Hinweisen). Hier geht es um den bundesrechtlichen Anspruch, eine Willenserklärung, die zur Erledigung eines Prozesses geführt hat, wegen Willensmangels anfechten zu können. Nach zürcherischem Recht ist dieser Anspruch auf dem Wege der Revision geltend zu machen, wofür in
§ 293 Abs. 2 ZPO
ein selbständiger Revisionsgrund vorgesehen worden ist (vgl. dazu
BGE 110 II 44
ff. mit Hinweisen). Dieser Rechtsweg entspricht übrigens der in
BGE 60 II 82
und 170 f. vertretenen Auffassung, wonach die Anfechtung einer Scheidungskonvention wegen Willensmängeln nur auf dem Wege der Revision und nicht einer selbständigen Klage erfolgen könne. Diese Frage wird in
BGE 99 II 361
E. 3b allerdings wieder offengelassen. Im angefochtenen Urteil wird das Vorliegen des besonderen Revisionsgrunds von
§ 293 Abs. 2 ZPO
des Kantons Zürich nicht aus einem prozessualen Grund verneint, wie insbesondere wegen verspäteter Geltendmachung, sondern weil die von der Klägerin angefochtene Scheidungsvereinbarung nicht an einem Willensmangel gelitten habe. Diese bundeszivilrechtliche Frage, die im Unterschied zu
BGE 93 II 153
E. 2 nicht nur den Charakter einer bundesrechtlichen Vorfrage aufweist, muss dem Bundesgericht auf dem Wege der Berufung zur Beurteilung unterbreitet werden können, wobei offenbleiben kann, ob am letzterwähnten Entscheid festgehalten werden kann (vgl. dazu
BGE 116 II 91
f.). Auf die Berufung ist daher grundsätzlich einzutreten, ohne dass im übrigen geprüft werden müsste, ob an der in
BGE 60 II 82
und 170 vertretenen Auffassung über die Anfechtung von Scheidungsvereinbarungen wegen Willensmängeln festgehalten werden kann.
3.
Es bleibt schliesslich zu prüfen, ob das Obergericht mit der Annahme, es liege kein wesentlicher Willensmangel vor, Bundesrecht verletzt hat, wie dies die Klägerin geltend macht.
a) Das Obergericht ging davon aus, dass der Vergleichsirrtum nur dann als Anfechtungsgrund beachtlich sein könne, wenn die Parteien von einem bestimmten Sachverhalt ausgegangen seien, der sich nachträglich als nicht gegeben erweise, oder wenn eine
BGE 117 II 218 S. 223
Partei mit Wissen der andern irrtümlich angenommen habe, ein bestimmter Sachverhalt sei gegeben. Der Irrtum müsse somit stets einen Tatbestand betreffen, den die Parteien als sicher angesehen hätten. Keine Anfechtungsmöglichkeit bestehe demgegenüber mit Bezug auf eine Frage, die selber Gegenstand des Vergleichs gebildet habe. Dieser komme nur zustande, weil die entsprechende Frage aus Gründen des Sachverhalts oder der Rechtsanwendung im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses unsicher gewesen sei. Werde sie später geklärt, könne dies nicht zu einer Irrtumsanfechtung führen. Zweck des Vergleichs sei es gerade, auf die Klärung der entsprechenden Frage zu verzichten (vgl. RUST, Die Revision im Zürcher Zivilprozess, Diss. Zürich 1981, S. 137 f.).
Das Obergericht nahm vorliegend an, die Klägerin habe im Zeitpunkt der Scheidung gewusst, dass Verkaufsverhandlungen über die Beteiligung des Beklagten an den X.-Werken im Gange seien. Es wäre damit an ihr gewesen, sich für den entsprechenden Kaufpreis zu interessieren. Habe sie dies damals nicht getan, könne sie heute nicht geltend machen, der hohe Kaufpreis habe dem Vergleich die Grundlage entzogen. Es sei neben der Frage des anwendbaren Rechts auch die Unsicherheit bei der Bewertung der Beteiligung gewesen, die der Vergleich ausgeräumt habe. Wenn sich die Beteiligung nachträglich wegen des Verkaufs als weit wertvoller erwiesen habe als im Zeitpunkt der Scheidung von der Klägerin angenommen, so habe diese darauf spekuliert, dass kein Verkauf zustande komme. Wer aber bei einem Vergleichsabschluss auf eine bestimmte zukünftige Entwicklung spekuliere, irre sich nicht, wenn sich der erhoffte Sachverhalt nicht erfülle, da er ja um dessen Unsicherheit wisse.
b) Insoweit kann dem Obergericht zugestimmt werden. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wusste die Klägerin, dass Verkaufsverhandlungen geführt wurden, als sie die Scheidungskonvention abschloss. Dies konnte sie auf jeden Fall aus der Bankbestätigung ersehen, die der Beklagte beim Konventionsabschluss vorlegte. Ebenfalls zu Recht wird der Klägerin vorgehalten, sie habe wissen müssen, dass der innere Wert der Beteiligung des Beklagten an den X.-Werken weit über dem Steuerwert lag. Insofern hat es die Klägerin sich selber zuzuschreiben, wenn sie den Wert der Beteiligung verkannt hat, weil sie nicht an das Zustandekommen eines Veräusserungsvertrags glaubte.
Der Klägerin ist allerdings zuzustimmen, wenn sie darauf hinweist, dass es für eine Anfechtung nach
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
BGE 117 II 218 S. 224
grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob sich der Anfechtende bloss fahrlässig geirrt hat. Die Klägerin verkennt aber, dass eine Vertragspartei nicht mit einem unsorgfältigen Vorgehen der Gegenpartei rechnen muss. Aus dem Handeln einer Partei sind nach Treu und Glauben gewisse Schlüsse zu ziehen. Kümmert sich jemand bei Vertragsabschluss nicht um die Klärung einer bestimmten Frage, obwohl es auf der Hand liegt, dass diese sich stellt, so darf die andere Partei grundsätzlich daraus den Schluss ziehen, dieser Punkt sei für den Partner im Hinblick auf den Vertragsabschluss nicht von Bedeutung. Das sich im nachhinein nur als fahrlässig herausstellende Verhalten kann somit bewirken, dass ein bestimmter Umstand vom Irrenden nicht nach Treu und Glauben als notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet werden durfte.
Wenn die Klägerin sich für die Höhe des Kaufpreises nicht interessiert hat, obgleich sie wusste, dass Verkaufsverhandlungen geführt wurden, und dieser Sachverhalt dem Beklagten erkennbar war, so kann sie nicht geltend machen, nach Treu und Glauben sei es für sie eine Vertragsgrundlage gewesen, dass kein derart hoher Erlös für die Beteiligung an den X.-Werken erzielt werde. Insoweit erweist sich die Berufung als unbegründet.
4.
Allerdings ist zu beachten, dass
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
sich nicht nur auf Sachverhalte und Umstände bezieht, die im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bereits bestanden haben. Auch ein Irrtum über eine in der Zukunft liegende Entwicklung ist möglich. Diesfalls müssen aber die Parteien einen bestimmten zukünftigen Sachverhalt irrtümlich als sicher angesehen haben (
BGE 109 II 110
f.). Nur wenn die eine Partei fälschlicherweise annahm, ein zukünftiges Ereignis sei sicher, und die andere Partei davon entweder auch überzeugt war oder - wenn sie sich der Unsicherheit bewusst war - nach Treu und Glauben hätte erkennen müssen, dass die Sicherheit für die andere Partei Vertragsvoraussetzung war, liegt ein Irrtum im Sinne der genannten Bestimmung vor. Es genügt somit nicht, dass die sich auf Irrtum berufende Partei von einer künftigen Entwicklung ausging, die sich nicht verwirklicht hat; sie muss sich vielmehr über die Sicherheit dieser Entwicklung geirrt haben. Der Irrtum kann sich vorliegend somit auch auf die Frage beziehen, ob vom Zeitpunkt der Scheidung aus gesehen künftig ein Veräusserungsvertrag über die Unternehmensbeteiligung des Beklagten zustande kommen werde.
BGE 117 II 218 S. 225
a) Nach den Regeln über die Zugewinngemeinschaft des deutschen Rechts ist für die Bewertung der einzelnen Vermögensrechte grundsätzlich vom Verkehrswert auszugehen (GERNHUBER, Münchner Kommentar, 1989, N. 8 f. zu § 1376 BGB). Bei diesem handelt es sich um den Betrag, der bei einem Verkauf gelöst werden könnte (DRUEY, Die Bewertung von Vermögensobjekten im ehelichen Güterrecht und im Erbrecht, in Festschrift Hegnauer, Zürich 1986, S. 19, mit weiteren Hinweisen). Bezogen auf eine Beteiligung an einem Unternehmen ist somit grundsätzlich von jenem Betrag auszugehen, der bei einer Veräusserung der Beteiligung zu erhalten wäre. Deren Wert lässt sich somit nicht einfach aufgrund des innern Werts des Unternehmens bestimmen. Vielmehr ist auch darauf abzustellen, ob eine Beteiligung überhaupt verkäuflich ist und allenfalls unter welchen Voraussetzungen. Damit erlangen für die Bewertung die Verkaufsaussichten eine zentrale Bedeutung.
Das Obergericht hält mit Hinweis auf das bezirksgerichtliche Urteil fest, die Klägerin habe am Zustandekommen eines Verkaufs gezweifelt. Das ist insofern auch verständlich, als offenbar stets von den Schwierigkeiten die Rede war, die eine Einigung aller am Unternehmen beteiligten Familienmitglieder namentlich auch wegen erbrechtlicher Fragen bereite. Solange aber äusserst fraglich erschien, ob es überhaupt je zu einem Verkauf der Beteiligung des Beklagten an den X.-Werken komme, war ein allfälliger Kaufpreis von geringer Bedeutung. Zur Bestimmung des Verkehrswerts kann der erzielbare Erlös etwas beitragen, wenn der Abschluss eines Kaufvertrags überhaupt als möglich erscheint. Für die Frage des Vorhandenseins eines Zugewinns, der allenfalls zu teilen wäre, war somit nicht in erster Linie der innere Wert der X.-Werke massgebend, sondern ob die einem Verkauf entgegenstehenden Hindernisse überwunden werden könnten oder nicht.
b) Beim Abschluss der Scheidungskonvention war nach dem Dargelegten die Frage von grosser Bedeutung, wie stark die familiären und erbrechtlichen Schwierigkeiten einem Verkauf der Beteiligung entgegenstünden und damit deren Verkehrswert negativ beeinflussten. Dass der Beklagte damit rechnete, diese Schwierigkeiten zu überwinden, konnte der Klägerin nicht entgangen sein. Andernfalls hätte er sich kaum in Vertragsverhandlungen eingelassen und der Bank einen allfälligen Verkaufserlös als Sicherheit für deren Garantie abgetreten. Andererseits hat aber das Obergericht - wie dargestellt - auch verbindlich festgehalten, dass die
BGE 117 II 218 S. 226
Klägerin am Erfolg der Verkaufsbemühungen gezweifelt hat. Die Schwierigkeiten, eine Einigung in der Familie X. zu erzielen und die erbrechtlichen Fragen lösen zu können, schienen ihr offenbar beinahe unüberwindlich.
Ob diese Einschätzung richtig oder falsch war, kann nicht Gegenstand eines Irrtums gebildet haben, der eine Anfechtung der Konvention rechtfertigte. Dies stellte - wie sich das Obergericht ausdrückt - das "caput controversum" der Konvention dar, auf dessen Klärung mit der Vereinbarung gerade verzichtet wurde. Nicht Gegenstand, sondern Grundlage der Konvention war es demgegenüber, dass es sich dabei um das Beurteilen einer zukünftigen Entwicklung handle. Die Irrtumsanfechtung ist beim Vergleich zulässig, sofern der Irrtum sich auf einen Sachverhalt bezieht, von dessen Existenz beide Parteien bei Abschluss des Vergleichs ausgingen oder doch die eine Partei mit Wissen der andern (MEIER-HAYOZ, Berufung auf Irrtum beim Vergleich, SJZ 49. Jahrg. (1953), S. 119). Einen solchen Sachverhalt bildete der Umstand, dass die familiären und erbrechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einer Veräusserung der Beteiligung im damaligen Zeitpunkt noch nicht überwunden gewesen seien. Abzuschätzen, ob diese Schwierigkeiten bedeutend seien oder nicht, hatte nur solange einen Sinn, als nicht bereits eine Einigung unter den an den X.-Werken Beteiligten zustandegekommen war und die erbrechtlichen Hindernisse gegenüber einem Verkauf ausgeräumt waren. Sollte sich erweisen, dass entgegen der damaligen Vorstellung der Klägerin die einer Veräusserung entgegenstehenden Hindernisse im Zeitpunkt des Konventionsabschlusses bereits ausgeräumt waren, läge ein Irrtum im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
vor.
Ohne Bedeutung ist dabei, ob im damaligen Zeitpunkt der Verkauf bereits endgültig zustande gekommen war. Die tiefe Bewertung der Beteiligung war für die Klägerin auf die familiären, bzw. erbrechtlichen Schwierigkeiten eines Verkaufs zurückzuführen, nicht darauf, dass bestimmte Behörden den Kaufvertrag noch zu genehmigen hatten. Ob diese Genehmigungen damals schon vorlagen oder nicht, ist deshalb für die Irrtumsanfechtung bedeutungslos.
Der Beklagte weist nun allerdings darauf hin, dass es nicht auf den Wert der Beteiligung im Zeitpunkt der Scheidung, sondern der Klageeinreichung ankomme. Die deutsche Zugewinngemeinschaft stelle nämlich auf den Vermögensstand in diesem Zeitpunkt ab.
BGE 117 II 218 S. 227
Für die Frage, mit welchen Risiken eine gerichtliche Klärung des Werts der Beteiligung im Zeitpunkt der Klageeinreichung verbunden gewesen wäre, kommt es aber auf den Stand der Dinge und das Wissen der Parteien im Zeitpunkt des Konventionsabschlusses an, Ereignisse, die nach dem für die Bewertung massgebenden Zeitpunkt eingetreten sind, lassen Rückschlüsse auf den Wert in diesem Zeitpunkt zu.
c) Mit Bezug auf den massgebenden Zeitpunkt fragt es sich, ob von Bedeutung sein kann, dass die Scheidungskonvention vom 17. Mai 1985, welche mit dem Urteil vom 23. Mai 1985 genehmigt wurde, eine entsprechende Vereinbarung vom 17. März 1985 ersetzte. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Konventionen bestand im Zahlungsmodus für die einmalige Abfindungssumme, die der Beklagte der Klägerin auszurichten hatte, indem die Zahlungsfrist massiv verkürzt wurde. Indessen kann es nicht auf den Zeitpunkt des Konventionsabschlusses, sondern nur auf denjenigen ankommen, bis zu dem jede Partei die Möglichkeit hat, dem Gericht die Nichtgenehmigung der Konvention zu beantragen (zum Recht, die Nichtgenehmigung zu beantragen, vgl.
BGE 115 II 208
f.). Der Umstand, dass die Konvention vom 17. Mai 1985 eine frühere ersetzt hat, ist deshalb ohne Bedeutung.
d) Entgegen den Ausführungen in der Berufungsschrift hat das Obergericht nicht in aktenwidriger Weise festgestellt, die Einigung unter den X.-Erben sei bei Abschluss der Scheidungskonvention noch nicht perfekt gewesen. Vielmehr lässt das Obergericht diese Frage ausdrücklich offen. Die Sache ist deshalb zur Klärung dieses Punkts an das Obergericht zurückzuweisen.
5.
Das Obergericht scheint einen Willensmangel zudem deshalb zu verneinen, weil die Scheidungskonvention auch den Entscheid der Frage überflüssig gemacht habe, ob schweizerisches oder deutsches Güterrecht anwendbar sei. Der Wert der Beteiligung an den X.-Werken sei aber nur dann von Bedeutung, wenn das deutsche Recht zur Anwendung gelange. Mit der Vereinbarung hätten die Parteien somit den Zugewinnanspruch nicht nur wegen der Unsicherheit bei der Bewertung, sondern auch wegen der Frage des anwendbaren Rechts vergleichsweise erledigt. Dabei verkennt das Obergericht, dass beides eng miteinander verknüpft ist. Die Klägerin kann sich zu Recht darauf berufen, dass für sie die Frage des anwendbaren Rechts solange ohne Bedeutung blieb, als der Wert der Beteiligung mit derart vielen Unsicherheiten verbunden war. Sollte sich aber ergeben, dass im Zeitpunkt des
BGE 117 II 218 S. 228
Vergleichsschlusses objektiv keine Unsicherheit über den Wert der Beteiligung mehr bestanden hat, gewinnt die Frage, ob der Güterstand nach schweizerischem oder deutschem Recht zu liquidieren ist, eine ganz andere Bedeutung und der Konvention wird dadurch auch in diesem Punkt die Grundlage entzogen.
6.
Selbst wenn man dem Urteil des Obergerichts folgen wollte und die Frage, ob sich die an den X.-Werken Beteiligten im damaligen Zeitpunkt über eine Veräusserung bereits geeinigt hatten, als Gegenstand der Konvention ansähe und nicht als deren Grundlage, müsste die Berufung gutgeheissen werden. Die Klägerin stützt ihre Anfechtung nämlich nicht nur auf Irrtum, sondern auch auf Täuschung.
a) Nach
Art. 28 OR
ist ein Vertrag anfechtbar, wenn ein Vertragsschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zum Vertragsschluss verleitet wurde, selbst wenn der Irrtum kein wesentlicher im Sinne von
Art. 24 OR
war. Eine Täuschung ist im Vorspiegeln falscher oder Unterdrücken bzw. Verschweigen richtiger Tatsachen zu erblicken. Das Verschweigen von Tatsachen vermag eine Täuschung allerdings nur insoweit zu bewirken, als eine Aufklärungspflicht besteht; eine solche kann sich aus besonderer gesetzlicher Vorschrift oder aus Vertrag ergeben sowie daraus, dass eine Mitteilung nach Treu und Glauben und den herrschenden Anschauungen geboten ist (
BGE 116 II 434
E. 3a).
Die Klägerin will eine entsprechende Auskunftspflicht aus § 1379 BGB ableiten. Diese Bestimmung verpflichte einen Ehegatten zur Auskunft über alles, was den andern in die Lage versetze zu prüfen, ob ihm ein Zugewinnausgleich zustehe oder nicht. Wie die Ausführungen unter Erwägung 4 zeigen, ist die Frage, ob die familiären und erbrechtlichen Hindernisse eines Verkaufs im damaligen Zeitpunkt ausgeräumt waren, für das Vorliegen eines Zugewinns von zentraler Bedeutung. Insoweit ist ohne Zweifel eine Auskunftspflicht des Beklagten zu bejahen. Fraglich ist demgegenüber, ob diesbezüglich deutsches Recht anwendbar ist oder ob sich eine allfällige Auskunftspflicht nicht vielmehr nach schweizerischem Recht richtet. Dabei ist zu beachten, dass
Art. 170 ZGB
, der eine allgemeine Auskunftspflicht unter Ehegatten vorsieht, noch nicht galt, als die Scheidungskonvention im vorliegenden Fall abgeschlossen wurde. Eine gewisse Auskunftspflicht ergab sich allerdings schon unter altem Eherecht aus der Treue- und Beistandspflicht der Ehegatten (Art. 159 Abs. 2 und 3 und Art. 160 Abs. 2 alt ZGB). Nach der Lehre hatte der Ehemann seiner Frau
BGE 117 II 218 S. 229
wenigstens in groben Zügen über seine finanziellen Verhältnisse Aufschluss zu geben, ohne dass diese Verpflichtung aber rechtlich durchgesetzt werden konnte (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, Bern 1988, N. 3 zu Art. 170 mit Verweis auf LEMP, Berner Kommentar, N. 9 zu alt Art. 205), Eine durchsetzbare Verpflichtung konnte sich nur aus dem Güterrecht ergeben, wobei im Bereich der Güterverbindung der Ehemann während der Dauer des Güterstands seine Frau nur über den Stand ihres eingebrachten Gutes und bei Auflösung der Güterverbindung über die für die güterrechtliche Auseinandersetzung massgebenden Sachverhalte orientieren musste (vgl.
BGE 90 II 469
). Falls im vorliegenden Fall somit schweizerisches Güterrecht anwendbar sein sollte, lässt sich aufgrund des alten Eherechts keine durchsetzbare Auskunftspflicht ableiten, da die fragliche Beteiligung nach schweizerischem Recht Eigengut des Mannes darstellt.
Das Bundesgericht hat allerdings in
BGE 90 II 468
ff. die Verpflichtung des Ehemannes zur Auskunfterteilung über das sich aus Art. 205 Abs. 1 alt ZGB ergebende Mass ausgedehnt. Es hat eine Auskunftspflicht bei Auflösung des Güterstands nicht nur mit Bezug auf das eingebrachte Frauengut, sondern auch die Errungenschaft bejaht, weil der Ehefrau bei der Scheidung regelmässig die nötigen Beweismittel fehlten, um Höhe und Umfang des ehelichen Vermögens darzutun, soweit dieses für die Vorschlagsberechnung von Bedeutung ist. Ihr Recht auf eine sachgerechte Auseinandersetzung bleibe allein dann gewahrt, wenn eine Pflicht des Ehemannes angenommen werde, über das eheliche Vermögen Rechnung abzulegen und über einzelne Positionen Auskunft zu geben (
BGE 90 II 469
). Das Bundesgericht leitete somit die Erweiterung der Auskunftspflicht aus der besonderen Lage ab, in der sich die Ehegatten im Scheidungsprozess befinden. Dieser Gedanke lässt sich verallgemeinern. Ehegatten stehen sich - auch wenn sie verfeindet sind - im Scheidungsverfahren nicht wie beliebige Prozessparteien gegenüber. Der Umstand, dass sie bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils durch die Ehe verbunden sind und diese sogar über die Scheidung hinaus gewisse Wirkungen entfaltet (vgl. z.B.
Art. 152 ZGB
), muss auch ihr Verhalten im Prozess selber beeinflussen. Daraus lässt sich insofern eine erhöhte Auskunftspflicht ableiten, als die Scheidungspartner sich über ihr Einkommen und Vermögen wenigstens soweit unterrichten müssen, als dies für ein Geltendmachen der Ansprüche nötig ist und die Auskunft nicht auf andere Weise erhalten werden kann. Die
BGE 117 II 218 S. 230
Auskunftspflicht bezieht sich somit im Scheidungsprozess nicht nur auf das eingebrachte Gut der Frau und die Errungenschaft, sondern auf alle wirtschaftlichen Belange, die für die scheidungsrechtlichen Ansprüche von Bedeutung sind.
Da sich diese Auskunftspflicht nicht auf das Güterrecht abstützt, sondern sich aus dem Scheidungsrecht selber ergibt, ist diesbezüglich ohne Bedeutung, ob die Ehegatten schweizerischem oder deutschem Güterrecht unterstellt waren. Sowohl nach dem damals geltenden
Art. 7h Abs. 3 NAG
als auch nach
Art. 61 IPRG
untersteht die Scheidung selber dem gemeinsamen schweizerischen Wohnsitzrecht der Parteien. Auch vor Inkrafttreten des IPRG war das ausländische Heimatrecht nur mit Bezug auf den Scheidungsgrund und die Anerkennung des schweizerischen Scheidungsurteils beachtlich (SCHWANDER, Das Internationale Familienrecht der Schweiz, St. Gallen 1985, Bd. I, S. 297 f.; VISCHER/VON PLANTA, Internationales Privatrecht, Basel 1982, S. 88 ff.).
b) Wie unter Erwägung 4b dargelegt, war für den Inhalt der Scheidungsvereinbarung die Frage von zentraler Bedeutung, ob eine Einigung unter den an den X.-Werken Beteiligten über eine Veräusserung bereits zustande gekommen war oder nicht. Wohl wusste die Klägerin um die Verkaufsverhandlungen. Sie kannte aber auch die internen Schwierigkeiten, die einem Verkauf entgegenstanden. Den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ist nichts zu entnehmen, das darauf hindeutete, die Klägerin habe im damaligen Zeitpunkt damit rechnen müssen, diese Schwierigkeiten seien überwunden. Das Schreiben, mit dem die Bank die Finanzierung der in der Scheidungskonvention festgelegten Abfindungssumme garantierte, kann nicht in diesem Sinne verstanden werden. Wohl wird dort als Sicherheit die Abtretung eines allfälligen Verkaufserlöses genannt; gleichzeitig musste aber von der Schwester des Beklagten eine weitere Sicherheit geleistet worden, so dass die Klägerin ohne weiteres annehmen durfte, ein Verkauf sei noch unsicher. Bestand somit für sie kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die genannten Schwierigkeiten nach wie vor bestanden, und waren für den Beklagten sowohl die Bedeutung dieses Umstandes für den Konventionsabschluss als auch der Irrtum der Gegenpartei erkennbar, so hatte er nach Treu und Glauben und den herrschenden Anschauungen (vgl.
BGE 116 II 434
E. 3a) die Pflicht, die Klägerin auf diesen Irrtum aufmerksam zu machen. In der Nichterfüllung dieser Pflicht wäre eine absichtliche Täuschung im Sinne von
Art. 28 OR
zu erblicken.
BGE 117 II 218 S. 231
c) Demgegenüber lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin im Umstand, dass der Beklagte ihr den in den Verhandlungen gebotenen Kaufpreis nicht genannt hat, keine absichtliche Täuschung erblicken. Wie schon mit Bezug auf den Irrtum dargelegt (vorn Erwägung 3b), war für die Klägerin erkennbar, dass Verkaufsverhandlungen geführt wurden. Wäre für sie der gebotene Preis von Bedeutung gewesen, hätte sie Anlass gehabt, diesen vom Beklagten zu erfragen. Für den Verkehrswert war zudem - wie aufgezeigt (vorn Erwägung und 4a) - in erster Linie die Frage der Verkäuflichkeit der Beteiligung massgebend. Wie es sich damit verhielt, bildet aber - je nach den weiteren Abklärungen der Vorinstanz - Gegenstand des Irrtums. Ein allenfalls für den Kauf des ganzen Unternehmens gebotener Preis erschien solange als rein fiktiv, als eine Einigung unter den Veräusserern nicht erzielt werden konnte. Für den Beklagten bestand unter den gegebenen Umständen kein Grund, den in Frage stehenden Preis unaufgefordert zu nennen.
7.
Die Sache ist somit an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese feststelle, ob bis zum Zeitpunkt, in dem die Klägerin noch die Möglichkeit gehabt hätte, eine Nichtgenehmigung der Scheidungskonvention zu beantragen, eine Einigung der Eigentümer über den Verkauf der X.-Werke bereits zustande gekommen war und die erbrechtlichen Hindernisse ausgeräumt waren. Sollte dies der Fall gewesen sein, ist zu der im angefochtenen Entscheid vorbehaltenen Frage Stellung zu nehmen, ob die Revision nach dem kantonalen Recht verspätet oder rechtzeitig verlangt worden ist.