Federal court decision 118 II 295 from June 17, 1992

Date: June 17, 1992

Related articles:  Art. 1 OR, Art. 18 OR , Art. 1 und Art. 18 OR, Art. 63 Abs. 2 OG

Related court decisions:  109 II 452 , 117 II 284, 107 II 178, 109 II 452

Source: bger.ch

Urteilskopf

118 II 295


57. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Juni 1992 i.S. C. gegen A. C. SA (Berufung)

Regeste

Art. 1 und Art. 18 OR . Übernahmebedürftigkeit von SIA-Normen.
Als Grundlage für die Bestimmung des geschuldeten Werklohns bedürfen auch technische Regeln zur Ermittlung der nach Einheitspreisen zu vergütenden Menge der Übernahme in den Werkvertrag. Das gilt erst recht für Regeln, die dem Unternehmer ein Abweichen vom tatsächlichen Ausmass gestatten (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 295

BGE 118 II 295 S. 295
Für Arbeiten an drei Mehrfamilienhäusern des in Davos wohnhaften Hans C. klagte die A. C. SA am 12. April 1988 beim Bezirksgericht Oberlandquart gegen C. auf Zahlung von Werklohn. Das Bezirksgericht liess die Ausmasse, welche die Klägerin ihren Unternehmerrechnungen zugrundegelegt hatte, durch einen Experten überprüfen. Dieser bestätigte die Richtigkeit der Ausmasse weitgehend und hielt insbesondere fest, dass die bei drei Rechnungspositionen aufgrund von Ziffer 7.44 SIA-Norm 243 (Verputzte Aussenwärmedämmung) vorgenommenen Zuschläge zu den Ausmassen korrekt seien. Gestützt auf die überprüften Rechnungen hiess das Bezirksgericht die Klage am 9. August 1990 für Fr. 146'788.-- gut. Das Kantonsgericht Graubünden reduzierte den zugesprochenen
BGE 118 II 295 S. 296
Betrag auf Fr. 126'227.75. Die vom Beklagten gegen das kantonsgerichtliche Urteil vom 23. Oktober 1991 erhobene Berufung heisst das Bundesgericht teilweise gut und spricht der Klägerin Fr. 107'485.05 zu.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Zu prüfen bleibt die Rüge des Beklagten, das Kantonsgericht sei bei der Festsetzung des Werklohns zu Unrecht von der Anwendbarkeit der SIA-Norm 243 ausgegangen, weshalb für die drei Rechnungspositionen 4, 5.50 und 6.3 nur auf die effektiven Ausmasse ohne Zuschläge nach Ziff. 7.44 dieser Norm abgestellt werden dürfe.
a) Wie in einem neuesten Entscheid ( BGE 117 II 284 E. 4b) ausgeführt worden ist, anerkennt das Bundesgericht die vom Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Verein herausgegebenen Normen, denen die Bedeutung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zukommt, nicht als regelbildende Übung und stellt darauf nur ab, wenn die Parteien sie zum Vertragsinhalt erhoben haben ( BGE 107 II 178 E. 1; vgl. auch BGE 109 II 452 Nr. 96). Vorgeformte Vertragsinhalte können zwar Ausdruck der Verkehrsauffassung oder -übung sein. Zu vermuten ist dies aber nicht, sondern muss im Einzelfall nachgewiesen werden (JÄGGI/GAUCH, N. 403 zu Art. 18 OR ; KRAMER, N. 33 zu Art. 18 OR ; GAUCH, Der Werkvertrag, 3. A. 1985, S. 64 f. Rz. 225, S. 67 f. Rz. 238 f.; GAUCH in: Kommentar zur SIA-Norm 118, S. 24 ff. Rz. 2; MERZ, ZBJV 114/1978 S. 540 f.).
b) Die Parteien haben die SIA-Norm 243 unstreitig nicht in den Werkvertrag übernommen. Das Kantonsgericht hält sie trotzdem für massgeblich, weil die einschlägige Ziffer 7.44 lediglich technische Anweisungen darüber enthalte, wie nicht oder schwer messbare Ausmasse zu ermitteln seien. Träfe diese Auffassung zu und gäbe Ziffer 7.44 nur eine übliche Messmethode wieder, dann hätte die Vorinstanz mit der Bestimmung des streitigen Ausmasses der drei Rechnungspositionen eine tatsächliche Feststellung getroffen, die im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen wäre ( Art. 63 Abs. 2 OG ). Um eine vereinfachte Messmethode, die den Unternehmer in gewissen Fällen von der genauen Feststellung des effektiven Ausmasses entbinden würde, handelt es sich indessen nicht. Ziffer 7.44 berechtigt den Unternehmer vielmehr zu Zuschlägen zum festgestellten Ausmass für Aussenisolationsarbeiten in gewissen Bereichen (Anschlüsse an Fensterbänken, Ecken mit Kantenabrundungen,
BGE 118 II 295 S. 297
runde Bauteile und Untersichten). Offensichtlich ist diese Regelung auf schwierigere Arbeiten zugeschnitten, für die der Unternehmer eine zusätzliche Vergütung soll beanspruchen können. Eine solche von einem interessierten Berufsverband einseitig erlassene Bestimmung zur Festsetzung der Werklohnhöhe hätte aber zu ihrer Verbindlichkeit der ausdrücklichen Übernahme in den Werkvertrag bedurft (JÄGGI/GAUCH, N. 403 zu Art. 18 OR ).
Eine Übernahme wäre selbst dann erforderlich gewesen, wenn Ziffer 7.44 bloss eine erleichterte Feststellung der Ausmasse bezwecken würde. Zwar können technische Usanzen im Gegensatz zu rechtlichen Verbandsnormen auch ohne ausdrückliche Übernahme die Auslegung von Parteierklärungen bestimmen, sofern sie die massgebende Verkehrssitte konkretisieren (KRAMER, N. 105 zu Art. 1 OR ). Die zahlreichen Regeln, welche die Praxis zur Ermittlung der nach Einheitspreisen zu vergütenden Menge entwickelt hat und die sich auch in verschiedenen SIA-Normen finden, gehören jedoch nicht dazu. Als Grundlage für die Berechnung des geschuldeten Werklohns dürfen sie dem Bauherrn nur entgegenhalten werden, wenn die Parteien sie vereinbart haben (GAUCH, Der Werkvertrag, S. 184 Rz. 641). Das gilt erst recht für diejenigen Regeln, die es dem Unternehmer ermöglichen, vom tatsächlichen Ausmass abzuweichen, darf doch der Bauherr ohne gegenteilige Abmachung annehmen, dass ihm die effektiv erbrachten Leistungen berechnet werden.

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