Urteilskopf
118 V 293
37. Auszug aus dem Urteil vom 23. September 1992 i.S. Z. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
Regeste
Art. 118 Abs. 2 lit. c UVG
: Anwendbares Recht. Bei der durch einen nach dem 1. Januar 1984 eingetretenen Rückfall (Spätfolge) bewirkten Erhöhung des Invaliditätsgrades handelt es sich nicht um einen neuen Rentenanspruch. Die nach Abschluss des Rückfalls weiter zu gewährende altrechtliche Invalidenrente beurteilt sich in revisionsrechtlicher Hinsicht weiterhin nach Massgabe des KUVG (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2a und b).
Art. 78 Abs. 1 KUVG
.
- Versicherter Verdienst bei Rentenerhöhung infolge Rückfall oder Spätfolge. Massgebend für die Rentenberechnung bei Rückfall und Spätfolgen ist nicht der vor diesem Ereignis erzielte Jahresverdienst, sondern derjenige, den der Versicherte vor dem Unfall verdient hat (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2b).
- Bemerkungen de lege ferenda insbesondere für Fälle, wo der Grundfall sehr lange - in casu über 35 Jahre - zurückliegt und der versicherte Verdienst entsprechend klein - hier rund 4'500 Franken - ist (Erw. 2f).
Aus den Erwägungen:
1.
a) Streitig ist vorliegend der Jahresverdienst, welcher der - für die Folgen des Rückfalles ab 1. September 1988 von 20 auf 50% erhöhten - Invalidenrente zugrunde zu legen ist und ferner die Berechtigung des Beschwerdeführers auf eine Integritätsentschädigung. Da die Behandlung des vom Beschwerdeführer erlittenen Rückfalls zum Unfall vom 24. Dezember 1945 durch die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) auf Ende August 1988 abgeschlossen wurde, ist in erster Linie umstritten, ob das bis Ende 1983 gültige alte Recht (KUVG) oder das seit 1. Januar 1984 in Kraft stehende neue Recht (UVG) anwendbar ist. Während SUVA und Vorinstanz das alte Recht (Art. 77 f. KUVG) für massgebend halten, vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, seine Leistungsansprüche (die Rente eventuell im Umfange der durch den Rückfall bewirkten Erhöhung des Invaliditätsgrades von 30%) seien nach
BGE 118 V 293 S. 295
neuem Recht (
Art. 20 Abs. 1 UVG
und
Art. 22 Abs. 4 UVV
;
Art. 24 UVG
) zu beurteilen.
b) Gemäss
Art. 118 Abs. 1 UVG
werden die Versicherungsleistungen für Unfälle, die sich vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ereignet haben, und für Berufskrankheiten, die vor diesem Zeitpunkt ausgebrochen sind, nach bisherigem Recht (KUVG) gewährt. Davon abweichend sieht
Art. 118 Abs. 2 UVG
u.a. in bezug auf Invalidenrenten und Integritätsentschädigungen vor, dass für Versicherte der SUVA vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an dessen Bestimmungen gelten, sofern der Anspruch erst nach Inkrafttreten des UVG entsteht (lit. c).
2.
a) Nach der Rechtsprechung sind unter dem alten Recht entstandene Rentenansprüche - seien diese abgestufte, befristete oder Dauerrenten - in revisionsrechtlicher Hinsicht weiterhin nach Massgabe des KUVG (Art. 80 Abs. 2) zu beurteilen (
BGE 111 V 37
). So hatte das Eidg. Versicherungsgericht den Fall zu entscheiden, in welchem eine laufende Invalidenrente, die ab 1. Juni 1965 für eine Invalidität von 20% gewährt wurde, infolge verschiedener Rückfälle - letzter vom 20. Juli 1984 - ab 1. Dezember 1984 auf 40% erhöht worden ist. Dabei hat es festgehalten, dass auch unter diesen Umständen die Rente nach altem Recht zu berechnen ist, indem auf den Verdienst abgestellt wird, den der Versicherte vor dem seinerzeitigen Unfall erzielt hatte (nicht veröffentlichtes Urteil D. vom 16. Oktober 1986). Ferner hatte das Gericht im Urteil vom 2. Februar 1987 in Sachen V. davon auszugehen, dass dem Versicherten infolge eines im Jahre 1966 erlittenen Unfalls durch die SUVA ab 1. Juni 1979 eine Invalidenrente von 15% ausgerichtet wurde. Bei einem Rückfall vom Oktober 1983 übernahm sie die Krankenpflegekosten und richtete ihm vom 8. Oktober 1983 bis 31. August 1984 Krankengelder aus. Ab 1. September 1984 gewährte sie ihm wiederum eine Invalidenrente, deren Höhe umstritten war. Das Eidg. Versicherungsgericht gelangte zum Schluss, dass nicht von einem im September 1984 neu entstandenen Rentenanspruch die Rede sein könne, sondern dass es um die durch einen Rückfall ausgelöste revisionsweise Überprüfung einer unter der Herrschaft des alten Rechts entstandenen Rente gehe. Diese Überprüfung war gestützt auf
BGE 111 V 36
nach dem KUVG vorzunehmen (vgl. RKUV 1989 Nr. U 74 S. 291).
b) Wegen der Folgen des Unfalls vom 24. Dezember 1945 steht der Beschwerdeführer seit 1. Oktober 1946 ununterbrochen im Genuss einer Invalidenrente, welche nach Abschluss der Behandlung
BGE 118 V 293 S. 296
des 1987 eingetretenen Rückfalls von 20 auf 50% erhöht wurde. Dabei handelt es sich nach den zutreffenden Ausführungen von SUVA und Vorinstanz nicht um einen im September 1988 neu entstandenen Rentenanspruch, sondern um die durch den Rückfall ausgelöste revisionsweise Heraufsetzung der unter der Herrschaft des alten Rechts entstandenen Rente (a.M. BIEDER, Die revisionsrechtliche Behandlung von Rückfällen und Spätfolgen im Lichte der Übergangsbestimmung gemäss
Art. 118 Abs. 2 lit. c UVG
, in: Mélanges Assista, S. 431 ff., insbesondere S. 439). Diese Erhöhung beurteilt sich praxisgemäss (Erw. 2a) nach Massgabe des KUVG. Der Rentenberechnung ist daher nach wie vor der - einer Revision im Sinne von
Art. 80 KUVG
nicht zugängliche (
BGE 105 V 91
; MAURER, Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 246) - Jahresverdienst zugrunde zu legen, den der Beschwerdeführer innerhalb eines Jahres vor dem Unfall als gelernter Schreiner verdient hätte (
Art. 78 Abs. 1 und 4 KUVG
;
BGE 108 V 266
Erw. 2a), und nicht derjenige, den er vor der Meldung des Rückfalls erzielt hat (
BGE 99 V 16
mit Hinweis).
c) Was hiegegen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, vermag nicht zu einer anderen Betrachtungsweise zu führen. Insbesondere kann aus dem Umstand, dass Rückfälle und Spätfolgen wie Unfälle zu melden und zu behandeln sind (
BGE 105 V 35
Erw. 1c,
BGE 99 V 16
Erw. 1; MAURER, a.a.O., S. 252), nicht gefolgert werden, der Rückfall bzw. die Spätfolgen stellten einen neuen Unfall im Rechtssinne dar. Als Unfall gilt nach ständiger Rechtsprechung die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper (
BGE 116 V 138
Erw. 3a und 147 Erw. 2a mit Hinweisen; vgl. auch
Art. 9 Abs. 1 UVV
). Demgegenüber handelt es sich bei einem Rückfall um das Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten Krankheit, so dass es zu ärztlicher Behandlung, möglicherweise sogar zu (weiterer) Arbeitsunfähigkeit kommt; von Spätfolgen spricht man, wenn ein scheinbar geheiltes Leiden im Verlaufe längerer Zeit organische oder auch psychische Veränderungen bewirkt, die zu einem andersgearteten Krankheitsbild führen können (
BGE 105 V 35
Erw. 1c; MAURER, a.a.O., S. 183; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 276 f.). Rückfälle und Spätfolgen schliessen sich somit begrifflich an ein bestehendes Unfallereignis an. Entsprechend können sie eine Leistungspflicht des (damaligen) Unfallversicherers nur auslösen, wenn zwischen den erneut geltend gemachten Beschwerden und der seinerzeit beim versicherten
BGE 118 V 293 S. 297
Unfall erlittenen Gesundheitsschädigung ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang besteht (MAURER, Unfallversicherungsrecht, S. 277; vgl. auch
BGE 111 V 373
Erw. 2b).
d) Der Beschwerdeführer beruft sich sodann auf die in RKUV 1989 Nr. U 74 S. 290 und 1988 Nr. U 46 S. 217 publizierten Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts. Daraus kann er jedoch nichts zu seinen Gunsten ableiten. Denn diesen beiden Fällen lag ein anderer Sachverhalt zugrunde, indem die Invalidenrenten auf einen Zeitpunkt vor dem 1. Januar 1984 befristet bzw. vor 1984 ausgekauft waren. Damit aber führten die unter der Herrschaft des UVG aufgetretenen Rückfälle und Spätfolgen zu einem neuen Rentenanspruch, der nach Massgabe der neurechtlichen Bestimmungen zu beurteilen war. Demgegenüber handelt es sich hier um die revisionsweise Erhöhung eines unter dem alten Recht entstandenen Anspruchs, auf den weiterhin die Bestimmungen des KUVG zur Anwendung gelangen (
Art. 118 Abs. 2 lit. c UVG
e contrario). Ebensowenig handelt es sich im Umfang der - durch einen nach dem 1. Januar 1984 eingetretenen oder abgeschlossenen Rückfall (Spätfolgen) bewirkten - Erhöhung des Invaliditätsgrades um einen unter der Herrschaft des UVG eingetretenen, neurechtlich zu beurteilenden Rentenanspruch (Beschluss des Gesamtgerichts vom 10. April 1992). Der gegenteiligen Auffassung, die vom Beschwerdeführer und einer Minderheit des kantonalen Gerichts vertreten wird, steht bereits der klare Wortlaut von
Art. 118 Abs. 2 lit. c UVG
entgegen, von welchem bei der Auslegung in erster Linie auszugehen ist (
BGE 117 III 45
Erw. 1,
BGE 117 V 5
Erw. 5a und 109 Erw. 5b, je mit Hinweisen; IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 21 B IV). Zudem würde ein solches Splitting bei Rückfall und Spätfolgen (welche nichts anderes als besondere revisionsrechtliche Tatbestände darstellen; RKUV 1988 Nr. U 50 S. 287) mit der Berücksichtigung eines aktuellen Jahresverdienstes eine rechtsungleiche Behandlung von Bezügern alt- oder neurechtlicher Renten nach sich ziehen, da sich die Revision sowohl nach Massgabe des KUVG (
Art. 80 KUVG
) wie des UVG (
Art. 22 UVG
) nur auf die Erwerbsfähigkeit, ausgedrückt in der Änderung des Invaliditätsgrades, und nicht auf andere Bemessungsfaktoren wie den versicherten Verdienst bezieht (MAURER, Recht und Praxis, S. 243; MAURER, Unfallversicherungsrecht, S. 391 lit. e). Schliesslich könnte die erwähnte Gleichstellung mit dem Unfall die unerwünschte Folge haben, dass der Rentenbezüger, der im Zeitpunkt des Rückfalls in keinem Arbeitsverhältnis steht, nicht mehr obligatorisch versichert ist.
e) Ein abweichendes Ergebnis wäre nur auf dem Wege der Lückenfüllung zu erzielen. Eine vom Richter auszufüllende echte Lücke liegt jedoch unbestrittenermassen nicht vor, da das Gesetz zur vorliegenden Rechtsfrage eine Antwort enthält (vgl.
BGE 108 V 72
Erw. 2c,
BGE 107 V 196
Erw. 2b,
BGE 105 V 211
mit Hinweis; ZAK 1987 S. 163). Somit würde es sich höchstens um eine unechte Gesetzeslücke handeln, um einen rechtspolitischen Mangel, den der Richter im allgemeinen hinzunehmen hat (
BGE 111 Ib 229
Erw. 2a,
BGE 105 V 213
mit Hinweisen). Sie mittels eines regelbildenden Entscheides zu schliessen, wäre aber dem Eidg. Versicherungsgericht verwehrt, da sonst das gesamte vom Gesetzgeber gewählte System der Rentenbemessung auf der Grundlage des Vorunfallverdienstes (
Art. 78 Abs. 1 KUVG
) aus den Angeln gehoben würde (vgl.
BGE 99 V 19
oben).
f) Nach dem Gesagten hat die SUVA der Rentenberechnung zu Recht den ursprünglichen Jahresverdienst von Fr. 4'488.-- zugrunde gelegt. Das Eidg. Versicherungsgericht verkennt allerdings nicht, dass dieses Ergebnis höchst unbefriedigend ist. Es ist jedoch - worauf das Gericht bereits im erwähnten Urteil St. vom 10. Mai 1973 (
BGE 99 V 16
) hingewiesen hat - Sache des Gesetzgebers und nicht des Richters, die für die Rentenbezüger nachteiligen Folgen der Festlegung des massgebenden Jahresverdienstes bei Rückfall oder Spätfolgen aufgrund des im Jahr vor dem Unfall erzielten Einkommens zu beseitigen oder zu mildern, wenn die Revisionstatbestände längere Zeit nach dem Grundfall eintreten.