Urteilskopf
118 V 316
41. Auszug aus dem Urteil vom 7. September 1992 i.S. U. gegen Stiftung Auffangeinrichtung BVG, Zweigstelle Zürich, und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
Regeste
Art. 5 VwVG
,
Art. 97 und 128 OG
;
Art. 73 Abs. 2 BVG
.
Die Möglichkeit zur Kostenauflage im kantonalen Verfahren wegen mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung entspricht einem allgemeinen Grundsatz des Bundessozialversicherungsrechts.
Solche - auf Bundesrecht beruhenden - Kostenentscheide sind demnach mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar.
Das Eidg. Versicherungsgericht prüft dabei die grundsätzliche Frage, ob im konkreten Fall zu Recht Mutwilligkeit oder Leichtsinnigkeit angenommen worden ist, mit umfassender Kognition, hingegen die dem kantonalen Recht vorbehaltene Kostenbemessung im Ergebnis nur auf Willkür.
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer wendet sich im weiteren sinngemäss auch gegen die erfolgte Kostenauferlegung. Bevor über deren Rechtmässigkeit zu befinden ist, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in diesem Punkt überhaupt eingetreten werden kann.
a) Gemäss
Art. 128 OG
in der hier massgeblichen, bis 14. Februar 1992 gültig gewesenen Fassung (vgl. Übergangsbestimmungen zur Gesetzesänderung vom 4. Oktober 1991) beurteilt das Eidg. Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 97 und 98 lit. b-h OG
auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Hinsichtlich des Begriffs der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist
Art. 97 OG
auf
Art. 5 VwVG
. Nach
Art. 5 Abs. 1 VwVG
gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (und im übrigen noch weitere, nach dem Verfügungsgegenstand näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen).
b) Nach
Art. 73 Abs. 2 BVG
sehen die Kantone ein einfaches, rasches und in der Regel kostenloses Verfahren vor; der Richter stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest. Weitere Verfahrensgrundsätze, namentlich über das Abgehen von der Regel eines kostenfreien kantonalen Prozesses im Bereich der beruflichen Vorsorge, enthält das geschriebene Bundesrecht nicht. - Das kantonale Gericht hat seinen Kostenentscheid - unter Berufung auf SCHWARZENBACH-HANHART (Die Rechtspflege nach dem BVG, in: SZS 27/1983 S. 187) - damit begründet, es sei von der bundesrechtlichen Regel der Kostenlosigkeit des Verfahrens abzuweichen, wenn sich eine Partei, wie vorliegendenfalls, leichtsinnig und mutwillig verhalte.
Diese mit Bezug auf
Art. 73 Abs. 2 BVG
vertretene Sichtweise entspricht der vom Gesetzgeber in anderen Bereichen der Sozialversicherung ausdrücklich verankerten Möglichkeit der Kostenauflage, sei es wegen mutwilliger (
Art. 103 Abs. 4 AVIG
), sei es wegen mutwilliger oder leichtsinniger Beschwerdeführung (
Art. 85 Abs. 2
BGE 118 V 316 S. 318
lit. a AHVG
und die Verweisungen darauf in
Art. 69 IVG
,
Art. 7 Abs. 2 ELG
sowie
Art. 22 Abs. 3 FLG
;
Art. 30bis Abs. 3 lit. a KUVG
,
Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG
; vgl. sodann den Sonderfall gemäss
Art. 56 Abs. 1 lit. f MVG
). Im Hinblick auf die Überprüfung solcher Kostenentscheide hat sich das Eidg. Versicherungsgericht, ausgehend von
Art. 103 Abs. 4 AVIG
, seinerseits veranlasst gesehen, den Tatbestand der mutwilligen Beschwerdeführung als Begriff des Bundesrechts zu qualifizieren. Ob und unter welchen Voraussetzungen in einem kantonalen ALV-rechtlichen Beschwerdeverfahren von der Regel der Kostenfreiheit abzuweichen ist, beurteilt sich somit allein nach Bundesrecht. Nach dieser Rechtsprechung kann selbst eine in Anwendung kantonalen Prozessrechts wegen Mutwilligkeit auferlegte Trölbusse mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, da der kantonalen Bestimmung im Vergleich zur bundesrechtlichen Basisnorm (vgl. Erw. 3a) des
Art. 103 Abs. 4 AVIG
keine selbständige Bedeutung zukommt (unveröffentlichtes Urteil F. vom 2. Juli 1988 mit Hinweisen).
c) In Anbetracht des Umstandes, dass die geltende Fassung von
Art. 73 Abs. 2 BVG
die Abweichungen von der Regel des kostenfreien Prozesses nicht näher umschreibt, scheint fraglich, ob sich die dargelegte Rechtsprechung auf den Bereich der beruflichen Vorsorge übertragen lässt. Immerhin könnte die Konkretisierung dem kantonalen Recht anheimgestellt werden, dem insoweit selbständige Bedeutung zukäme mit der Folge, dass auf entsprechende Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Kostenauferlegungen von vornherein nicht einzutreten wäre (
BGE 112 V 111
; vgl. ferner
BGE 116 Ib 28
,
BGE 115 Ib 461
, 115 IV 133). Indes liesse sich eine solche Zuständigkeitsordnung mit dem aus den Gesetzesmaterialien ersichtlichen Bestreben, ganz allgemein die Rechtspflegegrundsätze zwischen der ersten und der zweiten Säule zu parallelisieren, kaum vereinbaren (Botschaft des Bundesrates zum BVG vom 19. Dezember 1975, in: BBl 1976 I 149ff., Ziff. 424 S. 210). Entscheidend kommt hinzu, dass damit sowohl Logik als auch Tragweite der betreffenden Bestimmung verkannt würden. Denn wenn das Bundesrecht die Regel des kostenfreien Prozesses vorgibt, setzt deren einheitliche Anwendung zwingend voraus, dass auch ihre Ausnahmen bundesrechtlich umschrieben werden. Andernfalls erhielte die in
Art. 73 Abs. 2 BVG
verankerte Kostenfreiheit - je nach kantonaler Praxis - einen unterschiedlichen Gehalt, was dem bundesrechtlichen Charakter dieser Bestimmung wesensgemäss zuwiderliefe.
Aus diesem Grund rechtfertigt es sich, die - in andern Erlassen ausdrücklich verankerte - Einschränkung der Kostenfreiheit im Falle mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung als allgemeinen prozessualen Grundsatz des Bundessozialversicherungsrechts zu anerkennen. Diese im Ergebnis nicht nur im Schrifttum vertretene (SPIRA, Le contentieux des assurances sociales fédérales et la procédure cantonale, in: Recueil de jurisprudence neuchâteloise 1984, S. 25 f.; LEUZINGER-NAEF, Bundesrechtliche Verfahrensanforderungen betreffend Verfahrenskosten, Parteientschädigung und unentgeltlichen Rechtsbeistand, in: SZS 35/1991 S. 178), sondern auch allgemeinen Reformbestrebungen entsprechende Sichtweise (vgl. Art. 67 Abs. 2 lit. a des Entwurfs zu einem Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Sozialversicherung, BBl 1991 II 203) ist um so begründeter, als sich der auf diese Weise umschriebene bundesrechtliche Grundsatz mit den einschlägigen Vorschriften zahlreicher Kantone deckt (vgl. etwa: § 14 Abs. 2 der Luzerner Verordnung über die berufliche Vorsorge vom 25. November 1983 [SRL Nr. 875] in Verbindung mit § 12 Abs. 1 der Kostenverordnung für das Verwaltungsgericht und die seiner Aufsicht unterstellten Instanzen vom 14. September 1976 [SRL Nr. 46]; § 20 Abs. 2 der Zürcher Verordnung über die berufliche Vorsorge vom 17. August 1983 [GS 831.4]; Art. 2 der Tessiner Verordnung über die Einführung des BVG vom 11. Juli 1984 [RL No. 88a] in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 des kantonalen Sozialversicherungsrechtspflegegesetzes vom 6. April 1961 [RL No 88]; vgl. ferner im Kanton Neuenburg den generellen Vorbehalt zugunsten des Bundesrechts in Art. 47 Abs. 1 LPJA vom 27. Juni 1979 [RSN 152.130]).
d) Nach dem Gesagten unterliegen demnach Abweichungen von der Regel der Kostenfreiheit wegen mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung der Überprüfung durch das Eidg. Versicherungsgericht. Dabei ist die bundesrechtliche Frage, ob das kantonale Gericht zu Recht auf Mutwilligkeit oder Leichtsinnigkeit erkannt hat, mit umfassender Kognition zu überprüfen. Soweit hingegen die dem kantonalen Recht vorbehaltene Kostenbemessung angefochten wird, ist diese nur daraufhin zu hinterfragen, ob die Anwendung der betreffenden kantonalen Bestimmungen oder - bei Fehlen solcher Vorschriften - die Ermessensausübung durch das kantonale Gericht zu einer Verletzung von Bundesrecht (
Art. 104 lit. a OG
) geführt hat, wobei in diesem Bereich als Beschwerdegrund praktisch nur das Willkürverbot des Art. 4 Abs. 1 verbleibt (unveröffentlichtes Urteil M. vom 16. Oktober 1986; vgl. ferner zur analogen Rechtslage beim
BGE 118 V 316 S. 320
Parteientschädigungsanspruch gemäss
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
:
BGE 114 V 86
Erw. 4a mit Hinweisen).
In diesem Sinne ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch im Kostenpunkt einzutreten.