BGE 121 III 214 vom 10. Mai 1995

Datum: 10. Mai 1995

Artikelreferenzen:  Art. 19 VMWG, Art. 8 ZGB, Art. 11 OR, Art. 269d OR , Art. 46, 48 Abs. 3 OG, Art. 48 Abs. 3 OG, Art. 269d Abs. 1 OR, Art. 18 Abs. 3 BMM

BGE referenzen:  116 II 575, 117 II 132, 117 II 458, 117 II 415, 118 II 130, 118 II 422, 120 II 206, 121 III 460, 122 III 26, 124 III 266, 135 III 220, 138 III 401, 140 III 244 , 120 II 206, 118 II 130, 118 II 422, 117 II 132, 116 II 575, 117 II 458, 113 II 300, 117 II 415, 116 II 575, 117 II 458, 113 II 300, 117 II 415

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

121 III 214


45. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Mai 1995 i.S. S.A. und T.A. gegen A.S. und M.S. (Berufung)

Regeste

Mietvertrag - Streitwert ( Art. 46, 48 Abs. 3 OG ) - Verwendung des amtlich genehmigten Formulars ( Art. 269d OR , Art. 19 VMWG ).
Wird gegen einen Endentscheid Berufung erhoben, bestimmt sich der Streitwert nach dem anfänglichen Rechtsbegehren, wenn ein mitangefochtener Zwischenentscheid dem Bundesgericht nicht selbständig unterbreitet werden konnte ( Art. 46, 48 Abs. 3 OG ; E. 1).
Die Verwendung eines vom Vermieter kreierten Formulars, das inhaltlich den Anforderungen von Art. 19 VMWG entspricht, ist nur zulässig, wenn es von der zuständigen kantonalen Instanz genehmigt wurde (E. 2-4).

Sachverhalt ab Seite 215

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A.- Die Beklagten mieteten 1989 von den Klägern eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung in M. Die Vermieter teilten am 8. November 1991 den Mietern eine Mietzinserhöhung per 1. April 1992 um monatlich Fr. 110.80 mit. Die Mieter fochten diese Mietzinserhöhung an. Da das Schlichtungsverfahren scheiterte, verlangten die Vermieter vor dem Kantonsgericht des Kantons Zug, es sei festzustellen, dass die Mietzinserhöhung nicht missbräuchlich sei.
Das Kantonsgericht stellte mit Urteil vom 31. März 1993 die Nichtigkeit der Mietzinserhöhung fest. Auf Berufung der Vermieter erkannte das Obergericht des Kantons Zug mit Urteil vom 16. November 1993, die Mietzinserhöhung vom 8. November 1991 sei formell gültig mitgeteilt worden, und wies die Streitsache zur materiellen Beurteilung an das Kantonsgericht zurück. Auf eine von den Beklagten dagegen erhobene Berufung trat das Bundesgericht am 7. Februar 1994 nicht ein.
Mit Urteil vom 6. April 1994 stellte das Kantonsgericht fest, die Mietzinserhöhung vom 8. November 1991 mit Wirkung ab 1. April 1992 sei nicht missbräuchlich, soweit sie den Betrag von Fr. 104.40 nicht übersteige. Am 6. September 1994 wies das Obergericht eine Berufung der Beklagten ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.

B.- Das Bundesgericht heisst die Berufung der Beklagten teilweise gut und weist die Streitsache zur Ergänzung und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

Erwägungen

Erwägungen:

1. Die Kläger stellen sich auf den Standpunkt, der erforderliche Streitwert von Fr. 8'000.-- sei nicht gegeben. Vor der Vorinstanz seien lediglich noch Fr. 2'505.60 streitig gewesen, da die Kläger die Mietzinserhöhung von Fr. 104.40 monatlich mit Wirkung ab 1. April 1992 per 1. April 1994 rückgängig gemacht hätten.
Die Berufungssumme bestimmt sich nicht danach, was nach den Berufungsanträgen vor Bundesgericht noch streitig ist, sondern was vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig war ( Art. 46 OG ). Vor der Vorinstanz verlangten die Beklagten die Feststellung der Missbräuchlichkeit der angekündigten Mietzinserhöhung. Auch wenn das Obergericht aufgrund der beklagtischen Vorbringen zur Berechnung der Mietzinserhöhung feststellte, diese stimmten grundsätzlich der erstinstanzlichen Berechnung der Mietzinserhöhung zu, beriefen sie sich jedoch weiterhin auf deren Nichtigkeit. Im Zeitpunkt des Zwischenentscheids war denn auch die Mietzinserhöhung insgesamt noch streitig, und zwar auf unbestimmte Zeit.
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Indem das Bundesgericht auf die dagegen gerichtete Berufung nicht eingetreten ist, hat es den Parteien im Sinne von Art. 48 Abs. 3 OG garantiert, die Frage noch mit dem Endentscheid aufwerfen zu können. Daher ist es sachgerecht, für die Berechnung des Streitwerts auf die Begehren abzustellen, wie sie vor Obergericht anfänglich noch streitig waren. Damit ist die erforderliche Berufungssumme im Sinne von Art. 46 OG aber gegeben ( BGE 118 II 422 E. 1).

2. Streitig ist im vorliegenden Verfahren vorab die Frage, ob die Mietzinserhöhung, welche zwar auf einem vom Kanton allenfalls nicht genehmigten, aber den Anforderungen des Bundesrechts entsprechenden Formular mitgeteilt wurde, gültig ist. Die Kläger haben die Mietvertragsänderung in Briefform und mit Briefkopf der Liegenschaftsverwalterin angekündigt. Das amtliche Formular wurde dem Schreiben unausgefüllt beigeheftet und zum integrierenden Bestandteil der Mietzinsanpassung erklärt.
Während das Kantonsgericht mit Urteil vom 31. März 1993 die Mietzinserhöhung für nichtig erachtete, hielt das Obergericht diese Auffassung in seinem Urteil vom 16. November 1993 für überspitzt formalistisch. Das Schreiben der Liegenschaftenverwaltung enthalte sämtliche erforderlichen Angaben gemäss Art. 19 VMWG (SR 221.213.11) und durch die Beiheftung des amtlichen Formulars würden dem Mieter keine Angaben vorenthalten. Die Formstrenge beziehe sich nur auf den Inhalt, nicht aber auf die Darstellung. Das Obergericht liess dabei offen, ob es sich beim streitigen Schreiben um ein von der Schlichtungsbehörde und damit vom Kanton genehmigtes Formular gehandelt hat. Die Beklagten geben diese Auffassung als bundesrechtswidrig aus. Sie rügen eine Verletzung von Art. 269d OR sowie von Art. 8 ZGB .

3. Art. 269d Abs. 1 OR verpflichtet den Vermieter, dem Mieter die Mietzinserhöhung mit einem vom Kanton genehmigten Formular mitzuteilen und zu begründen. Nach Abs. 2 lit. a der genannten Bestimmung ist die Mietzinserhöhung nichtig, wenn sie nicht mit dem vorgeschriebenen Formular mitgeteilt wird. Art. 19 VMWG listet die einzelnen Inhaltsanforderungen auf, welche die Ankündigung einer Mietzinserhöhung aufzuweisen hat.
Bereits unter altem Recht waren Mietzinserhöhungen, die nicht mit dem vorgeschriebenen Formular erfolgten, nichtig ( Art. 18 Abs. 3 BMM ; AS 1972, 1559).
a) Das Bundesgericht hatte sich bis anhin zur Frage der Verwendung eines eigenen, vom Kanton nicht genehmigten Formulars, das inhaltlich indessen
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den Anforderungen von Art. 19 VMWG genügt, nicht auszusprechen. Hingegen hatte es sich mehrmals zur Frage der Begründung einer Mietzinserhöhung zu äussern. Es erklärt in ständiger Rechtsprechung einseitige Mietvertragsänderungen für nichtig, bei welchen die Begründung nicht im Formular selbst, sondern in einem Begleitschreiben enthalten ist (vgl. BGE 120 II 206 E. 3a, BGE 118 II 130 E. 2c, Entscheid des Bundesgerichts vom 31. August 1993 i.S. T. AG gegen C., E. 2, in mp 1993, S. 180 ff., sowie Entscheid vom 22. November 1993 i.S. C. gegen D., E. 3, in SJ 1994, S. 237).
b) Eine Gesetzesnorm ist unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen. An den klaren und unzweideutigen Wortlaut ist die rechtsanwendende Behörde in der Regel gebunden ( BGE 117 II 132 E. 4 S. 137, 523 E. 1c, BGE 116 II 575 E. 2b).
Der erste Anhaltspunkt für die Auslegung von Art. 269d OR liegt im sprachlichen Aufbau. Danach muss der Vermieter die Mietzinserhöhung auf einem "vom Kanton genehmigten Formular mitteilen und begründen" (Abs. 1). Die Bestimmung verlangt somit ausdrücklich, dass die Mietzinserhöhung auf dem vorgeschriebenen Formular zu erfolgen hat. Gesetzlich vorgeschrieben ist somit eine qualifizierte Schriftform, da sie nicht nur die Art, sondern auch den Inhalt der Mitteilung erfasst ( BGE 120 II 206 E. 3a, BGE 118 II 130 E. 2b; BK-SCHMIDLIN, N. 63 und 67 zu Art. 11 OR ). Danach ist es nicht hinreichend, wenn eine einseitige Mietvertragsänderung auf einem nicht genehmigten Formular erfolgt.
Die Richtigkeit dieser Auffassung folgt weiter aus dem Zweck von Art. 269d OR , der dem Mieter den Rechtsweg aufzeigen und ihm eine möglichst einfache Beurteilung seiner Chancen sichern will, die angekündigte Mietzinserhöhung anzufechten ( BGE 118 II 130 E. 2b S. 132, BGE 117 II 458 E. 2a, BGE 113 II 300 E. 2d). Erfolgt die Mietzinserhöhung in einem selbst kreierten, nicht genehmigten Formular, ist diese Information nicht immer gewährleistet. Wie dem im Einzelfall auch sei, bestehen im Mietrecht gute Gründe für eine strikte Formstrenge, die Ausnahmen von einer zum Schutz des Mieters aufgestellten Regel grundsätzlich nicht zulassen ( BGE 120 II 206 E. 3a, BGE 117 II 415 E. 5d S. 420 f.; mp 1993, S. 180 ff., SJ 1994, S. 237). Aus Gründen der Klarheit und einheitlichen Handhabung sowie der Rechtssicherheit ist zu verlangen, dass ein amtliches oder vom Kanton genehmigtes Formular verwendet wird, weil nur so die Gewissheit besteht, dass darin alle nach Art. 19 VMWG erforderlichen Angaben enthalten sind. Diese Auffassung stellt
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die konsequente Folge der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dar, wonach die Begründung der Mietzinserhöhung im Formular selbst anzugeben ist. Es geht daher nicht an, individuelle Schreiben und Formulare, welche nicht genehmigt wurden, als hinreichend zu betrachten. Überdies würde es zu weit führen, sie im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob sie den Anforderungen Genüge leisten. Die Rechtssicherheit verlangt eine einheitliche Handhabung der Formanforderungen (so auch das Obergericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 10. Februar 1993, in LGVE 1993 I Nr. 9).
Im Schrifttum wird die Formularpflicht denn auch einhellig bejaht (etwa SVIT-Kommentar zum Mietrecht, N. 37 f. zu Art. 269d OR ; LACHAT/STOLL, Das neue Mietrecht für die Praxis, 3. Aufl. 1992, S. 178 f.; ZIHLMANN, Das neue Mietrecht, S. 158; LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit du bail, 2. Aufl. 1992, S. 190; GMÜR/THANEI, Rechtsprechung des Bundesgerichtes zur Mietzinserhöhung, Fachheft Mietrecht Nr. 3, Zürich 1993, S. 9; HABERMACHER-DROZ, Die neuere Rechtsprechung zum Thema Mietzins, mp 1992, S. 155 ff., S. 177); eine Einschränkung wird etwa insoweit gemacht, als ein vom nicht zuständigen Kanton genehmigtes Formular auch in einem andern Kanton als gültig zu betrachten sei, sofern es sämtliche Voraussetzungen erfülle, die dieser Kanton als Bedingung für die Genehmigung verlangt hätte (LACHAT/STOLL, a.a.O., S. 176 in Fn. 6; SVIT-Kommentar zum Mietrecht, N. 16 zu Art. 269d OR ). Ausgangspunkt der Überlegungen ist aber immer ein vom Kanton genehmigtes Formular.
c) Die Kläger verwendeten unbestrittenermassen nicht das amtliche Formular, sondern hefteten ein solches unausgefüllt bei. Zwar verweisen sie in ihrem Begleitschreiben auf die zuständige Schlichtungsbehörde sowie darauf, dass das leere, nicht unterzeichnete amtliche Formular als integrierender Bestandteil der Mietzinserhöhung zu betrachten sei. Doch vermag nach dem Gesagten diese Erklärung nicht zu genügen, müssen doch im Interesse der Rechtssicherheit die einzelnen Anforderungen an die Mitteilung einer einseitigen Mietvertragsänderung ohne weiteres sichtbar und überprüfbar sein. Der Mieter ist unter Umständen nicht in der Lage zu beurteilen, ob er über sämtliche Informationen für eine erfolgreiche Anfechtung der Mietzinserhöhung verfügt. Durch die Verwendung eines vom Kanton genehmigten Formulars, auch wenn der Vermieter es selbst kreiert, besteht Gewähr, dass dem Mieter keine Informationen vorenthalten werden.
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d) Der Rüge einer Verletzung von Art. 8 ZGB kommt vorliegend keine selbständige Bedeutung zu, da sie in jener von Art. 269d OR aufgeht.

4. Das Obergericht hat nach dem Gesagten zu Unrecht ausgeführt, die Formularpflicht sei nicht zu beachten, wenn die private Mitteilung der Mietzinserhöhung den Anforderungen des Bundesrechts genüge. Gestützt darauf hat es im vorliegenden Fall offengelassen, ob die streitige Mietzinserhöhung auf einem von der Schlichtungsbehörde und damit vom Kanton genehmigten Formular mitgeteilt wurde. Die Kläger berufen sich weiterhin darauf, dass dies der Fall sei. Ob das verwendete Formular durch die zuständige Instanz genehmigt wurde, ist indessen eine Frage des kantonalen Rechts, die im Berufungsverfahren nicht geprüft werden kann. Die Berufung ist daher teilweise gutzuheissen und die Streitsache zur Abklärung der Frage an die Vorinstanz zurückzuweisen. Wurde das klägerische Formular von der zuständigen Behörde genehmigt, ist die Mitteilung der Mietzinserhöhung ohne weiteres gültig erfolgt. Andernfalls ist deren Nichtigkeit festzustellen.

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