Urteilskopf
121 IV 150
26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Juni 1995 i.S. Firma F. AG gegen S. und G. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 30 StGB
; Strafantrag bei mehreren Tatbeteiligten, Grundsatz der Unteilbarkeit.
Ein bewusst auf einzelne von mehreren Tatbeteiligten beschränkter Strafantrag kann angesichts des Grundsatzes der Unteilbarkeit und der Folgen von dessen Missachtung einen Widerspruch in sich selbst darstellen. In einem solchen Fall muss die Behörde daher den Antragsteller darüber belehren, dass nach dem Gesetz entweder alle Tatbeteiligten zu verfolgen sind oder aber kein Tatbeteiligter verfolgt werden kann, und muss sie abklären, was er will. Erst wenn klar ist, dass er die im Antrag nicht genannten Tatbeteiligten dennoch vor der Strafverfolgung verschonen will, darf der Strafantrag als ungültig angesehen werden (E. 3a).
A.-
Mit Eingabe vom 11. Februar 1993 reichte die Firma F. AG gegen S. Strafantrag wegen Verletzung des Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisses (
Art. 162 StGB
) ein. S. wird im wesentlichen vorgeworfen, er habe Geschäftsgeheimnisse der Firma F. AG, zu deren Geheimhaltung er vertraglich verpflichtet gewesen sei, in die Firma E. AG eingebracht und damit an diese verraten.
Gemäss einem den Strafantrag präzisierenden Schreiben der Firma F. AG vom 10. Mai 1993 soll S. u.a. Kundenkarteien der Firma F. AG fotokopiert oder
BGE 121 IV 150 S. 151
abgeschrieben und für den Betrieb der Firma E. AG verwendet haben.
Im Schreiben vom 10. Mai 1993 wird zudem mitgeteilt, dass S. nicht nur zum Nachteil der Firma F. AG, sondern auch zum Nachteil der Firma J. AG Geschäftsgeheimnisse an die Firma E. AG verraten habe. Die Geheimnisverletzungen zum Nachteil der Firma F. AG habe S. allein, die Geheimnisverletzungen zum Nachteil der Firma J. AG habe er gemeinsam mit T. begangen, der früher bei der Firma J. AG gearbeitet habe und von S. für die Firma E. AG abgeworben worden sei. Trotz dieser Vorwürfe im Schreiben vom 10. Mai 1993 wurde der Strafantrag nicht auch gegen T. gerichtet; vielmehr wurde T. als Zeuge angerufen.
Am 28. Mai 1993 reichte die Firma F. AG gegen S. zusätzlich Strafantrag wegen Widerhandlungen gegen
Art. 3, 4 und 5 UWG
(SR 241) ein. Sie warf ihm vor, er habe durch Zusage besserer Vertragskonditionen einen wesentlichen Teil ihres Kundenstammes abgeworben und dabei falsche Angaben über die Höhe der Kommissionen gemacht; zudem habe er Angestellte der Firma F. AG dazu bewogen, Kundendossiers zu kopieren und die Kopien ihm bzw. der Firma E. AG auszuhändigen.
Am 1. November 1993 erhob die Firma F. AG gegen S. ausserdem Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs.
In der Eingabe vom 1. November 1993 reichte die Firma F. AG zudem auch gegen G. Strafantrag wegen Verletzung des Geschäftsgeheimnisses, unlauteren Wettbewerbs und Hausfriedensbruchs ein.
B.-
Die Rekurskommission der Zürcher Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen S. und G. wegen unlauteren Wettbewerbs mit der Begründung ein, dass der Strafantrag wegen Missachtung des Grundsatzes der Unteilbarkeit ungültig sei.
Die Firma F. AG ficht diesen Entscheid mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an.
Aus den Erwägungen:
3.
a) aa) Stellt ein Antragsberechtigter gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen (
Art. 30 StGB
). Das bedeutet, dass es gegen die anderen nicht noch eines besonderen Antrages bedarf, dass vielmehr die bundesrechtliche Voraussetzung zur Verfolgung aller Beteiligten schon mit dem Strafantrag gegen den einen erfüllt ist. Dies gilt auch dann, wenn nach dem anwendbaren kantonalen
BGE 121 IV 150 S. 152
Prozessrecht, etwa im Privatstrafklageverfahren, eine formelle Anklage gegen jeden der Beteiligten erforderlich ist (
BGE 80 IV 209
E. 2; vgl. auch
BGE 86 IV 145
E. 2).
Art. 30 StGB
soll verhindern, dass der Verletzte nach seinem Belieben nur einen einzelnen am Antragsdelikt Beteiligten herausgreife und unter Ausschluss der andern bestrafen lasse (
BGE 97 IV 1
E. 2,
BGE 81 IV 273
E. 2). Erklärt der Strafantragsberechtigte von vornherein, seinen Antrag auf einen einzelnen Beteiligten beschränken zu wollen, oder äussert er sich später in diesem Sinne, so gibt er seinem Strafantrag einen rechtlich unzulässigen Inhalt mit der Folge, dass der Antrag schlechthin als ungültig zu betrachten und das Strafverfahren daher gegen alle Beteiligten einzustellen ist. Wenn aber der Verletzte ohne solche Einschränkungen fristgerecht in der vom kantonalen Recht vorgeschriebenen Form Strafantrag stellt, wird der Weg zur Verfolgung aller Beteiligten, also auch der im Antrag nicht ausdrücklich genannten Personen, geöffnet. Welche der beiden Wirkungen der in
Art. 30 StGB
verankerte Grundsatz der Unteilbarkeit des Strafantrags im Einzelfall hat, hängt somit entscheidend vom Inhalt der Willenserklärung bzw. Willensäusserung des Antragstellers ab (siehe zum Ganzen
BGE 97 IV 1
E. 2 mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 110 IV 87
E. 1c).
bb) An der Rechtsprechung, wonach ein von vornherein bzw. ausdrücklich respektive bewusst auf einzelne von mehreren Tatbeteiligten beschränkter Strafantrag eo ipso ungültig ist, kann in dieser absoluten Form nicht festgehalten werden. Vielmehr ist in einer solchen Konstellation davon auszugehen, dass der Strafantragsteller erstens einen gültigen Strafantrag stellen will und dass er zweitens den Grundsatz der Unteilbarkeit des Strafantrags sowie die in der Rechtsprechung festgelegten Folgen von dessen Missachtung nicht im einzelnen kennt. Ein von vornherein bzw. ausdrücklich respektive bewusst auf einzelne von mehreren Tatbeteiligten beschränkter Strafantrag stellt angesichts des Grundsatzes der Unteilbarkeit und der Folgen von dessen Missachtung einen Widerspruch in sich selbst dar und begründet eine zweifelhafte Lage. Es besteht mit anderen Worten grundsätzlich Anlass zu Zweifeln, ob der Antragsteller die im Strafantrag nicht genannten Tatbeteiligten tatsächlich in Kenntnis der Folgen der persönlichen Beschränkung des Strafantrags vor einer Strafverfolgung verschonen wollte, ob er also seinen allfälligen Willen, die im Strafantrag nicht genannten Tatbeteiligten vor der Strafverfolgung zu bewahren, irrtumsfrei gebildet hat. Daher hat die Behörde in den Fällen, in denen im Strafantrag nicht alle Tatbeteiligten genannt werden, nach dem Grundsatz
BGE 121 IV 150 S. 153
von Treu und Glauben und aus Gründen der Prozessökonomie insoweit eine Aufklärungs- und Belehrungspflicht gegenüber dem Strafantragsteller. Weder darf die Behörde einen solchen Strafantrag kurzerhand wegen Verletzung des Grundsatzes der Unteilbarkeit für ungültig erklären, noch soll sie ohne weiteres ein Verfahren gegen alle Tatbeteiligten durchführen in der Überlegung, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibe, den Strafantrag gemäss
Art. 31 StGB
(mit Wirkung für alle Tatbeteiligten) zurückzuziehen. Vielmehr muss die Behörde den Strafantragsteller möglichst rasch in geeigneter Form darüber belehren, dass nach dem Gesetz entweder alle Tatbeteiligten zu verfolgen sind oder aber kein Tatbeteiligter verfolgt werden kann, und muss sie abklären, was der vor diese Alternative gestellte Strafantragsteller will. Wie die Behörde dabei im einzelnen vorgeht, steht in ihrem Ermessen. Es ist ihr unbenommen, dem Antragsteller zugleich mit der entsprechenden Belehrung eine Frist anzusetzen, damit er sich erkläre, mit der Androhung, dass im Falle des Festhaltens an der persönlichen Beschränkung des Strafantrags oder im Falle des Schweigens sein Antrag wegen unzulässigen Inhalts als ungültig erachtet werde.
Ein Strafantrag, in dem nicht alle an der eingeklagten Tat Beteiligten genannt werden, darf somit erst dann wegen Verletzung des Grundsatzes der Unteilbarkeit für ungültig erklärt werden, wenn feststeht, dass der Strafantragsteller trotz seiner Belehrung über diesen Grundsatz und die Folgen von dessen Missachtung die im Strafantrag nicht genannten Tatbeteiligten vor der Strafverfolgung verschonen will. Die Rechtsprechung ist in diesem Sinne weiterzuentwickeln.
b) Die Vorinstanz hält unter Hinweis auf ihre Ausführungen zum Strafantrag der Beschwerdeführerin wegen Verletzung des Geschäftsgeheimnisses fest, aufgrund der Akten sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin "mit Bezug auf T. bewusstermassen von der Stellung eines Strafantrages abgesehen" habe. "Die mit Bezug auf die Person von T. rechtsrelevante Unterlassung" wirke sich "angesichts des Umstandes, dass T. und S. gleichmassgeblich zugunsten der Firma E. AG tätig waren, auch mit Bezug auf diesen letzteren aus". In den Ausführungen zum Strafantrag wegen Verletzung des Geschäftsgeheimnisses wird festgehalten, die Beschwerdeführerin habe T. wiederholt als Zeugen angerufen und ihn unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Konkurrenzverbots stets sehr wohlwollend behandelt, ihn namentlich im Rahmen eines beim Arbeitsgericht Zürich gegen S. hängigen,
BGE 121 IV 150 S. 154
praktisch das gleiche Beweisthema beinhaltenden Zivilprozesses nicht weiter tangiert; auch daraus ergebe sich, dass T. von der Beschwerdeführerin "bewusst aus dem Strafverfahren herausgehalten worden" sei.
Mit diesen Erwägungen kann die Ungültigkeit des Strafantrags gegen S. wegen Widerhandlungen gegen das UWG nicht begründet werden. Zwar mag einiges dafür sprechen, dass die Beschwerdeführerin T. tatsächlich vor einer Strafverfolgung verschonen wollte. Das reicht aber gemäss den vorstehenden Erwägungen nicht aus. Weder wurde die Beschwerdeführerin in geeigneter Form über die rechtlichen Folgen einer persönlichen Beschränkung des Strafantrags belehrt, noch hat die Vorinstanz abgeklärt, ob die Beschwerdeführerin ihren allfälligen Willen, T. vor einer Strafverfolgung zu verschonen, in Kenntnis der rechtlichen Folgen einer solchen Beschränkung des Strafantrags, also irrtumsfrei, gebildet habe.
Die Sache ist daher in teilweiser Gutheissung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Punkt zur neuen Entscheidung im Sinne der vorstehenden Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
c) Auch wenn sich im neuen Verfahren wiederum ergeben sollte, dass der Strafantrag der Beschwerdeführerin gegen S. wegen Widerhandlungen gegen das UWG persönlich beschränkt war, wäre er keineswegs schlechthin ungültig. Infolge Missachtung des Grundsatzes der Unteilbarkeit ungültig wäre der Strafantrag nur, soweit er allenfalls Widerhandlungen gegen das UWG erfasst, an denen T. beteiligt war, und soweit die Beschwerdeführerin um diese Beteiligung wusste. Der Strafantrag gegen S. wegen Widerhandlungen gegen das UWG bliebe dagegen gültig, soweit er allenfalls auch Widerhandlungen erfasst, an denen T. nicht beteiligt war; insoweit läge eine zulässige sachliche Beschränkung des Strafantrags auf die von S. ohne Beteiligung des T. allenfalls begangenen Widerhandlungen gegen das UWG vor. Der Strafantrag bliebe sodann insoweit gültig, als T. an den Widerhandlungen des S. gegen das UWG zwar beteiligt war, die Beschwerdeführerin aber um diese Beteiligung nicht wusste; insoweit läge keine bewusste persönliche Beschränkung und somit keine unzulässige Beschränkung des Strafantrags vor, ausser die Beschwerdeführerin würde auch nach Kenntnis der Beteiligung von T. an der persönlichen Beschränkung des Strafantrags festhalten.
Dem angefochtenen Entscheid kann nicht entnommen werden, wie es sich insoweit in tatsächlicher Hinsicht verhält. Die Vorinstanz wird sich damit im neuen Verfahren ebenfalls befassen müssen.
d) Nach Auffassung der Vorinstanz ist auch der Strafantrag der Beschwerdeführerin gegen G. vom 1. November 1993, soweit er Widerhandlungen gegen das UWG betrifft, wegen Missachtung des Grundsatzes der Unteilbarkeit ungültig. Das von der Beschwerdeführerin "dokumentierte Desinteresse an der Strafverfolgung von T." wirke sich nämlich "aus den bereits erwähnten Gründen nicht bloss gegenüber S. aus, sondern ebensosehr gegenüber G.".
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die Erwägungen betreffend die Gültigkeit bzw. teilweise Gültigkeit des Strafantrags der Beschwerdeführerin gegen S. gelten entsprechend für den Strafantrag gegen G.. Es kann daher auf jene Ausführungen (E. 3a-c) verwiesen werden.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher auch in diesem Punkt im Sinne der Erwägungen gutzuheissen.